TE Bvwg Erkenntnis 2019/9/25 W198 2165319-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.09.2019
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Entscheidungsdatum

25.09.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W198 2165319-1/52E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Karl SATTLER als Einzelrichter in der Beschwerdesache des XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch den Rechtsanwalt DDr. Rainer LUKITS, LL.M., gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.06.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 29.12.2017, 23.08.2019 und 19.09.2019 zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde des XXXX wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, hat sein Heimatland verlassen, ist illegal in die Republik Österreich eingereist und hat am 19.10.2015 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

2. Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 20.10.2015 gab der Beschwerdeführer zu seinem Fluchtgrund an, dass er Freunden, mit denen er gemeinsam Alkohol getrunken habe, erzählt habe, dass er ohne Bekenntnis sei und nicht an Gott glaube. Einer der Freunde dürfte das weitererzählt haben. Der Beschwerdeführer sei in der Folge von der Bevölkerung im Heimatdorf bedroht worden.

3. Der Beschwerdeführer wurde am 09.06.2017 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er an, dass er aus der Provinz Wardak, Distrikt XXXX , Dorf XXXX stamme und dort bis zu seiner Ausreise gelebt habe. Er habe keine Verwandten mehr in Afghanistan. Die Frau des Beschwerdeführers lebe nunmehr bei ihrem Bruder in Pakistan. Einer der Brüder des Beschwerdeführers lebe in Salzburg. Zu seinem Fluchtgrund befragt führte der Beschwerdeführer aus, dass er ca. einen Monat vor seiner Ausreise aus Afghanistan mit Freunden Alkohol getrunken und über den Koran diskutiert habe. Der Beschwerdeführer habe gesagt, dass er nicht an den Koran glaube, weil dieser von Menschen und nicht von Gott geschrieben worden sei. Einer der Freude namens XXXX habe sich über diese Aussagen geärgert und die Runde verlassen. Am nächsten Tag habe der Beschwerdeführer

XXXX gemeinsam mit vier Taliban am Basar gesehen. Die Taliban hätten unter anderem den Schwager des Beschwerdeführers nach dessen Verbleib gefragt. Der Schwager habe dem Beschwerdeführer gesagt, dass er von diesen vier Taliban gesucht werde und flüchten müsse, was der Beschwerdeführer schließlich getan habe. Als Koran-Abtrünniger hätte der Beschwerdeführer überall in Afghanistan, auch in Kabul, Probleme. Er habe Angst vor den Taliban. Außerdem habe er sich in Österreich ein Tattoo machen lassen. Tattoos seien in Afghanistan verboten.

4. Mit nunmehr angefochtenem Bescheid vom 26.06.2017 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm

§ 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß

§ 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Weiters wurde ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers, zu seinem Fluchtgrund, zur Situation im Falle seiner Rückkehr und zur Lage in seinem Herkunftsstaat. Es habe keine glaubhafte Gefährdungslage festgestellt werden können. Eine Rückkehr in die Heimatprovinz Wardak sei derzeit zwar nicht möglich, es stehe dem Beschwerdeführer jedoch eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul, wo er neun Jahre lang die Schule besucht habe und daher davon auszugehen sei, dass dort genügend soziale Anknüpfungspunkte vorhanden seien, offen.

5. Gegen verfahrensgegenständlich angefochtenen Bescheid wurde mit Schreiben der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers vom 12.07.2017 Beschwerde erhoben. Begründend wurde zusammengefasst ausgeführt, dass der Beschwerdeführer befürchte, bei einer Rückkehr nach Afghanistan von den Taliban aufgrund seiner religiösen und politischen Einstellung getötet zu werden. Er habe korankritische Äußerungen kundgetan. Aufgrund der nicht gesellschaftskonformen Einstellung des Beschwerdeführers wäre er überall in Afghanistan einer Gefahr ausgesetzt. Es könne nicht von ihm erwartet werden, seine liberale Meinung in Afghanistan nicht mehr zu äußern. Im Falle einer Rückkehr könnte es ihm jederzeit passieren, von einer Person aus seiner näheren Umgebung, welche sich erst nachträglich als Talibanmitglied herausstelle, verraten und bedroht zu werden. Genau dies sei dem Beschwerdeführer bereits passiert und habe ein vermeintlicher Freund ihn an die Taliban verraten, woraufhin ihn jene in der Folge bedroht hätten und umbringen wollten. Sogar die eigenen Eltern des Beschwerdeführers hätten sich aufgrund seiner "abtrünnigen" Ansicht vom Beschwerdeführer distanziert und habe der Beschwerdeführer auch keinen Kontakt mehr zu ihnen. Er befürchte auch, dass seine Ehefrau mittlerweile von den Taliban getötet worden sei. Des Weiteren wurde ausgeführt, dass die belangte Behörde sich auf nicht aktuelle Länderberichte berufe und werde die Einholung einer entsprechenden aktuellen Länderinformation beantragt. Der Beschwerdeführer sei in Österreich verhältnismäßig sehr gut integriert und könne man seine Integrationsfortschritte als überdurchschnittlich bezeichnen. Er verfüge über sehr gute Deutschkenntnisse, gehe ehrenamtlichen Arbeiten nach und besuche Kurse zum Thema Menschenwürde und Demokratie. Er habe einen großen Freundeskreis und habe bereits eine Arbeitszusage erhalten. Überdies sei angemerkt, dass die Integration auch durch den Bruder des Beschwerdeführers gefördert werde, welcher seit zehn Jahren in Österreich lebe.

Der Beschwerde wurden diverse Unterlagen zum Nachweis der Integration des Beschwerdeführers in Österreich beigelegt.

6. Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt langten am 24.07.2017 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

7. Am 17.11.2017 langte beim Bundesverwaltungsgericht eine mit 15.11.2017 datierte Urkundenvorlage des Rechtsvertreters des Beschwerdeführers zum Nachweis der Integration des Beschwerdeführers ein.

8. Vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde in der gegenständlichen Rechtssache am 29.12.2017 eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein des Beschwerdeführers, seiner Rechtsvertretung sowie eines Dolmetschers für die Sprache Dari durchgeführt. Die belangte Behörde entschuldigte ihr Fernbleiben.

9. Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Erkenntnis vom 12.01.2018, W198 2165319-1/6E, die Beschwerde gemäß den §§ 3, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 55, 57 AsylG 2005 idgF.,

§ 9 BFA-VG idgF., und §§ 52, 55 FPG idgF. als unbegründet abgewiesen.

10. Gegen dieses Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts hat die Rechtsvertretung des Beschwerdeführers außerordentliche Revision erhoben.

11. Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 13.12.2018, Ra2018/18/0395-8, das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 12.01.2018 wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

12. Am 21.03.2019 langte eine Bekanntgabe der nunmehrigen Rechtsvertretung des Beschwerdeführers beim Bundesverwaltungsgericht ein, in welcher ausgeführt wurde, dass der Beschwerdeführer in der Zwischenzeit Christ geworden sei. Er sei am XXXX getauft worden. Zudem wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan traditionell verheiratet gewesen sei, seine Frau aufgrund eines Herzinfarkt oder Schlaganfalls mittlerweile verstorben sei und der Beschwerdeführer seit Herbst 2018 eine in Österreich wohnhafte Lebensgefährtin habe.

13. Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Schreiben vom 01.04.2019 dem BFA die Eingabe der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers vom 21.03.2019 übermittelt.

14. Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Schreiben vom 07.06.2019 der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation - Afghanistan vom 29.06.2018 - Kurzinformation 04.06.2019 übermittelt.

15. Am 09.07.2019 langte beim Bundesverwaltungsgericht eine mit 05.07.2019 datierte Eingabe der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers ein.

16. Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Schreiben vom 18.07.2019 dem BFA die Eingabe der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers vom 05.07.2019 übermittelt.

17. Vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde in der gegenständlichen Rechtssache am 23.08.2019 eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein des Beschwerdeführers, seiner Rechtsvertretung, eines Vertreters der belangten Behörde sowie zweier Zeugen durchgeführt. Auf die Beiziehung eines Dolmetschers wurde in einer Eingabe der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers vom 05.06.2019 verzichtet.

18. Am 06.09.2019 langte ein Schreiben der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers mit dem Titel "Protokollanmerkungen" beim Bundesverwaltungsgericht ein und wurde der Antrag auf Berichtigung des Protokolls der Verhandlung vom 23.08.2019 gestellt.

19. Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Schreiben vom 09.09.2019 dem BFA das Schreiben der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers vom 06.09.2019 übermittelt.

20. Am 11.09.2019 übermittelte die Rechtsvertretung des Beschwerdeführers eine Folgeeingabe an das Bundesverwaltungsgericht.

21. Vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde in der gegenständlichen Rechtssache am 19.09.2019 eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein des Beschwerdeführers, seiner Rechtsvertretung, eines Vertreters der belangten Behörde sowie eines Dolmetschers für die Sprache Dari durchgeführt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsbürger, geboren am XXXX , aus der Provinz Wardak, Distrikt XXXX , Dorf XXXX , stammend, wo er mit seinen Eltern, seiner Schwester und seiner Ehefrau, mit der er traditionell verheiratet war, bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan lebte. Die Ehefrau des Beschwerdeführers ist mittlerweile verstorben. Der Beschwerdeführer hat keine Angehörigen mehr in Afghanistan.

Der Beschwerdeführer ist volljährig. Er ist gesund und arbeitsfähig. Der Beschwerdeführer ist Paschtune. Seine Muttersprache ist Dari. Der Beschwerdeführer hat in Afghanistan insgesamt neun Jahre lang die Schule besucht. Er hat in seiner Heimat als Tischler sowie als Obsthändler gearbeitet.

Der Beschwerdeführer befindet sich seit spätestens 19.10.2015 in Österreich. Er ist illegal in das Bundesgebiet eingereist. Ein Bruder des Beschwerdeführers lebt in Österreich und arbeitet als Dolmetscher bei der Polizei. Der Beschwerdeführer hat seit Herbst 2018 eine Lebensgefährtin in Österreich.

Der Beschwerdeführer ist im Jahr 2018 in Österreich zum Christentum konvertiert.

1.2. Zum Fluchtgrund

Der Beschwerdeführer hatte bereits in Afghanistan kein Interesse am islamischen Glauben und verfügte über eine korankritische Einstellung. Er folgt den islamischen Dogmen nicht und lehnt den konservativen Islam ab.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich zum Christentum konvertiert. Er besucht seit Mai 2018 einmal wöchentlich regelmäßig eine protestantische Kirche (Gemeinde Christi). Er wurde am XXXX getauft und hat sich aktiv dem Christentum zugewendet. Der Beschwerdeführer würde diese innere Überzeugung auch bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat nach außen tragen.

Der Beschwerdeführer hat auf seinem linken Unterarm eine Tätowierung (ein Kreuz mit dem Schriftzug "Jesus" sowie einen Wolf).

Der Beschwerdeführer wäre im Falle der Rückkehr nach Afghanistan im gesamten Staatsgebiet aufgrund seiner Religion (konkret seinem Abfall vom islamischen Glauben und seiner Konversion zum Christentum) einer Verfolgung ausgesetzt, die vom Staat und Privaten ausgeht. Der Abfall vom Islam wird in Afghanistan als Akt der Abtrünnigkeit und Verbrechen gegen den Islam gesehen und gilt als schwerer Verstoß gegen das Werteverständnis der afghanischen Gesellschaft.

Wegen seines Abfalls vom muslimischen Glauben und seiner Konversion zum Christentum drohen dem Beschwerdeführer daher grundlegende Beeinträchtigungen seiner Menschenrechte, wenn nicht sogar der Tod von radikalislamischen Personen, wobei der afghanische Staat nicht willens, zumindest aber nicht fähig ist, den Beschwerdeführer insoweit vor den drohenden Repressionen, verursacht durch die Ausübung der Religionsfreiheit zu schützen, sofern er nicht sogar vom afghanischen Staat selbst wegen seiner Apostasie asylrelevant verfolgt werden würde.

Eine Möglichkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative steht dem Beschwerdeführer nicht zur Verfügung.

1.3. Zur Lage im Herkunftsstaat:

Auszugsweise Wiedergabe des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation Afghanistan (Gesamtaktualisierung 29.06.2018, letzte Kurzinformation eingefügt am 04.06.2019); unter Berücksichtigung der Kurzinformation der Staatendokumentation bezüglich einer Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan - Q4.2018 vom 01.03.2019;

Religionsfreiheit

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten (CIA 2017; vgl. USCIRF 2017). Schätzungen zufolge sind etwa 10 - 19% der Bevölkerung Schiiten (AA 5.2018; vgl. CIA 2017). Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen machen ca. 0,3% der Bevölkerung aus. Offiziell lebt noch ein Jude in Afghanistan (USDOS 15.8.2017).

Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (USDOS 15.8.2017). Der politische Islam behält in Afghanistan die Oberhand; welche Gruppierung - die Taliban (Deobandi-Hanafismus), der IS (Salafismus) oder die afghanische Verfassung (moderater Hanafismus) - religiös korrekter ist, stellt jedoch weiterhin eine Kontroverse dar. Diese Uneinigkeit führt zwischen den involvierten Akteuren zu erheblichem Streit um die Kontrolle bestimmter Gebiete und Anhängerschaft in der Bevölkerung (BTI 2018).

Das afghanische Strafgesetzbuch, das am 15.2.2018 in Kraft getreten ist, enthält keine Definition von Apostasie (vgl. MoJ 15.5.2017). Laut der sunnitisch-hanafitischen Rechtsprechung gilt die Konversion vom Islam zu einer anderen Religion als Apostasie. Jeder Konvertit soll laut islamischer Rechtsprechung drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken. Des Weiteren ist gemäß hanafitischer Rechtssprechung Proselytismus (Missionierung, Anm.) illegal. Dasselbe gilt für Blasphemie, die in der hanafitischen Rechtssprechungnter die Kapitalverbrechen fällt (USDOS 15.8.2017) und auch nach dem neuen Strafgesetzbuch unter der Bezeichnung "religionsbeleidigende Verbrechen" verboten ist (MoJ 15.5.2017: Art. 323). Zu Verfolgung von Apostasie und Blasphemie existieren keine Berichte (USDOS 15.8.2017).

Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformerische Muslime behindert (FH 11.4.2018).

Anhänger religiöser Minderheiten und Nicht-Muslime werden durch das geltende Recht diskriminiert (USDOS 15.8.2017; vgl. AA 5.2018); so gilt die sunnitisch-hanafitische Rechtsprechung für alle afghanischen Bürger/innen unabhängig von ihrer Religion (AA 5.2018). Wenn weder die Verfassung noch das Straf- bzw. Zivilgesetzbuch bei bestimmten Rechtsfällen angewendet werden können, gilt die sunnitisch-hanafitische Rechtsprechung. Laut Verfassung sind die Gerichte dazu berechtigt, das schiitische Recht anzuwenden, wenn die betroffene Person dem schiitischen Islam angehört. Gemäß der Verfassung existieren keine eigenen, für Nicht-Muslime geltende Gesetze (USDOS 15.8.2017).

Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin einer anderen abrahamitischen Religion (Christentum oder Judentum) ist. Einer Muslima ist es nicht erlaubt, einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten (USDOS 15.8.2017). Ehen zwischen zwei Nicht-Muslimen sind legal, solange das Paar nicht öffentlich ihren nicht-muslimischen Glauben deklariert (HO U.K. 2.2017; vgl. USDOS 10.8.2016). Die nationalen Identitätsausweise beinhalten Informationen über die Konfession des/der Inhabers/Inhaberin. Das Bekenntnis zum Islam wird für den Erwerb der Staatsbürgerschaft nicht benötigt (USDOS 15.8.2017). Religiöse Gemeinschaften sind gesetzlich nicht dazu verpflichtet, sich registrieren zu lassen (USDOS 15.8.2017).

Laut Verfassung soll der Staat einen einheitlichen Lehrplan, der auf den Bestimmungen des Islam basiert, gestalten und umsetzen; auch sollen Religionskurse auf Grundlage der islamischen Strömungen innerhalb des Landes entwickelt werden. Der nationale Bildungsplan enthält Inhalte, die für Schulen entwickelt wurden, in denen die Mehrheiten entweder schiitisch oder sunnitisch sind; ebenso konzentrieren sich die Schulbücher auf gewaltfreie islamische Bestimmungen und Prinzipien. Der Bildungsplan beinhaltet Islamkurse, nicht aber Kurse für andere Religionen. Für Nicht-Muslime an öffentlichen Schulen ist es nicht erforderlich, am Islamunterricht teilzunehmen (USDOS 15.8.2017).

Christen berichteten, die öffentliche Meinung stehe ihnen und der Missionierung weiterhin feindselig gegenüber. Mitglieder der christlichen Gemeinschaft, die meistens während ihres Aufenthalts im Ausland zum Christentum konvertierten, würden aus Furcht vor Vergeltung ihren Glauben alleine oder in kleinen Kongregationen in Privathäusern ausüben (USDOS 15.8.2017).

Hindus, Sikhs und Schiiten, speziell jene, die den ethnischen Hazara angehören, sind Diskriminierung durch die sunnitische Mehrheit ausgesetzt (CRS 13.12.2017).

Beobachtern zufolge sinkt die gesellschaftliche Diskriminierung gegenüber der schiitischen Minderheit weiterhin; in verschiedenen Gegenden werden dennoch Stigmatisierungsfälle gemeldet (USDOS 15.8.2017).

Mitglieder der Taliban und des IS töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung (USDOS 15.8.2017; vgl. CRS 13.12.2017, FH 11.4.2018). Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen (USDOS 15.8.2017).

Nichtmuslimische Gruppierungen wie Sikhs, Baha'i, Hindus und Christen machen ca. 0.3% der Bevölkerung aus. Genaue Angaben zur Größe der christlichen und Bahai-Gemeinschaften sind nicht vorhanden (USDOS 15.8.2017; vgl. USCIRF 2017). Die einzige im Land bekannte christliche Kirche hat ihren Sitz in der italienischen Botschaft (USCIRF 2017) und wird von der katholischen Mission betrieben (FT 27.10.2017; vgl. AIK o.D.). Die afghanischen Behörden erlaubten die Errichtung einer katholischen Kapelle unter den strengen Bedingungen, dass sie ausschließlich ausländischen Christen diene und jegliche Form des Proselytismus vermieden werde (vertrauliche Quelle 8.11.2017). Öffentlich zugängliche Kirchen existieren in Afghanistan nicht (USDOS 15.8.2017). Für christliche Afghanen gibt es keine Möglichkeit der Religionsausübung außerhalb des häuslichen Rahmens, da es in Afghanistan keine Kirchen gibt (abgesehen von einer katholischen Kapelle auf dem Gelände der italienischen Botschaft). Zu Gottesdiensten, die in Privathäusern von internationalen NGOs abgehalten werden, erscheinen sie meist nicht oder werden aus Sicherheitsgründen nicht eingeladen (AA 5.2018). Ausländische Christen dürfen ihren Glauben diskret ausüben (FT 27.10.2017).

Berichten zufolge gibt es im Land weiterhin keine christlichen Schulen (USDOS 15.8.2017); ein christliches Krankenhaus ist in Kabul aktiv (NYP 24.4.2014; vgl. CNN 24.4.2014, CURE o.D.). Auch gibt es in Kabul den Verein "Pro Bambini di Kabul", der aus Mitgliedern verschiedener christlicher Orden besteht, und eine Schule für Kinder mit Behinderung betreibt (PBK o.D.; vgl. FT 27.10.2017). Des Weiteren sind je zwei jesuitische und evangelische Missionare in Afghanistan aktiv (FT 27.10.2017).

Neben der drohenden strafrechtlichen Verfolgung werden Konvertiten in der Gesellschaft ausgegrenzt und zum Teil angegriffen (AA 5.2018). Christen berichteten von einer feindseligen Haltung gegenüber christlichen Konvertiten und der vermeintlichen christlichen Proselytenmacherei (USDOS 15.8.2017). Zu einer Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis, die speziell Christen diskriminiert, kommt es in Afghanistan in der Regel nur deshalb nicht, weil sich Christen nicht offen zu ihrem Glauben bekennen. In städtischen Gebieten sind Repressionen gegen Konvertiten aufgrund der größeren Anonymität weniger zu befürchten als in Dorfgemeinschaften (AA 9.2016). Beobachtern zufolge hegen muslimische Ortsansässige den Verdacht, Entwicklungsprojekte würden das Christentum verbreiten und Proselytismus betreiben (USDOS 15.8.2017).

Afghanische Christen sind in den meisten Fällen vom Islam zum Christentum konvertiert (AA 5.2018). Quellen zufolge müssen Christen ihren Glauben unbedingt geheim halten. Konvertiten werden oft als geisteskrank bezeichnet, da man davon ausgeht, dass sich niemand bei klarem Verstand vom Islam abwenden würde; im Falle einer Verweigerung, zu ihrem alten Glauben zurückzukehren, können Christen in psychiatrische Kliniken zwangseingewiesen, von Nachbarn oder Fremden angegriffen und ihr Eigentum oder Betrieb zerstört werden; es kann auch zu Tötungen innerhalb der Familie kommen. Andererseits wird auch von Fällen berichtet, wo die gesamte Familie den christlichen Glauben annahm; dies muss jedoch absolut geheim gehalten werden (OD 2018).

Mitglieder der christlichen Gemeinschaft, die oft während ihres Aufenthalts im Ausland konvertierten, üben aus Angst vor Diskriminierung und Verfolgung ihre Religion alleine oder in kleinen Kongregationen in Privathäusern aus (USDOS 15.8.2017). Zwischen 2014 und 2016 gab es keine Berichte zu staatlicher Verfolgung wegen Apostasie oder Blasphemie (USDOS 15.8.2017). Der Druck durch die Nachbarschaft oder der Einfluss des IS und der Taliban stellen Gefahren für Christen dar (OD 2018).

Die im Libanon geborene Rula Ghani, Ehefrau von Staatspräsident Ashraf Ghani, entstammt einer christlich-maronitischen Familie (NPR 19.2.2015; vgl. BBC 15.10.2014). Einige islamische Gelehrte behaupten, es gebe keine öffentlichen Aufzeichnungen ihrer Konvertierung zum Islam (CSR 13.12.2017).

2.4.2. Auszug aus den UNHCR-Richtlinien zu Afghanistan vom 30.08.2018 (S. 66ff)

"5. Angehörige religiöser Minderheiten und Personen, die angeblich gegen die Scharia verstoßen

Die Verfassung sieht vor, dass Anhänger anderer Religionen als dem Islam "innerhalb der durch die Gesetze vorgegebenen Grenzen frei sind in der Ausübung und Erfüllung ihrer religiösen Rechte". Allerdings wird in der Verfassung auch festgestellt, dass der Islam die offizielle Religion des Staates ist und "kein Gesetz gegen die Lehren und Bestimmungen der heiligen Religion des Islam in Afghanistan verstoßen darf". Darüber hinaus sollen die Gerichte gemäß der Verfassung in Situationen, in denen weder die Verfassung noch andere Gesetze Vorgaben enthalten, der Hanafi-Rechtsprechung folgen, einer sunnitischislamischen Rechtslehre, die unter zwei Dritteln der muslimischen Welt verbreitet ist.368 Afghanische Juristen und Regierungsvertreter wurden dafür kritisiert, dass sie dem islamischen Recht Vorrang vor Afghanistans Verpflichtungen aus internationalen Menschenrechtsabkommen in Situationen einräumen, in denen ein Widerspruch der verschiedenen Rechtsvorschriften vorliegt, insbesondere in Bezug auf die Rechte von afghanischen Staatsbürgern, die keine sunnitischen Muslime sind, und in Bezug auf die Rechte der Frauen.

a) Religiöse Minderheiten

Nicht-muslimische religiöse Minderheiten, insbesondere Christen, Hindus und Sikhs, werden weiterhin im geltenden Recht diskriminiert. Wie oben dargestellt gilt gemäß der Verfassung in Situationen, in denen weder die Verfassung noch das kodifizierte Recht Afghanistans entsprechende Bestimmungen enthalten, die sunnitische Hanafi-Rechtsprechung. Dies gilt für alle afghanischen Bürger, unabhängig von ihrer Religion. Die einzige Ausnahme bilden personenstandsrechtliche Angelegenheiten, bei denen alle Parteien Schiiten sind. In diesem Fall wird das schiitische Personenstandsrecht angewendet. Für andere religiöse Minderheiten gibt es kein eigenes Recht.

Das Strafgesetzbuch von 2017 enthält Bestimmungen hinsichtlich "Straftaten, die eine Beleidigung einer Religion darstellen", denen zufolge die vorsätzliche Beleidigung einer Religion oder die Störung ihrer Zeremonien oder die Zerstörung ihrer genehmigten Gebetsstätten oder Symbole, die den Anhängern einer Religion heilig sind, strafbar ist.373 Ebenfalls strafbar ist der Angriff auf einen Anhänger einer Religion, der in der Öffentlichkeit rechtmäßig religiöse Rituale vollzieht oder die Herabwürdigung oder Verzerrung des Glaubens oder der Bestimmungen des Islams. Ferner steht auch die Anstiftung zur Diskriminierung aufgrund der Religion unter Strafe.

Ungeachtet dessen werden nicht-muslimische Minderheiten Berichten zufolge weiterhin gesellschaftlich schikaniert und in manchen Fällen tätlich angegriffen. Es heißt, dass Angehörige religiöser Minderheiten wie Baha'i und Christen es aus Angst vor Diskriminierung, Misshandlung, willkürlicher Verhaftung oder Tötung vermeiden, sich öffentlich zu ihrer Religion zu bekennen oder sich offen zum Gebet zu versammeln. Es wird berichtet, dass sich nicht-muslimische Frauen genötigt sehen, eine Burka oder andere Gesichtsschleier zu tragen, um sich sicherer in der Öffentlichkeit bewegen zu können und den gesellschaftlichen Druck zu verringern.

Im Zeitraum vom 1. Januar bis 7. November 2017 "dokumentierte [UNAMA] 51 - hauptsächlich auf regierungsfeindliche Kräfte zurückzuführende - Fälle gezielter Tötungen, Entführungen, und Einschüchterungen von Religionsgelehrten und religiösen Führern, sowie Anschlägen auf Gebetsstätten und Personen, die ihr Recht auf Religionsausübung durch Gottesdienst, Bräuche und Riten wahrnahmen. Diese Zwischenfälle forderten 850 Opfer unter der Zivilbevölkerung (273 getötete und 577 verletzte Personen), was fast eine Verdoppelung der zivilen Opferzahlen derartiger Angriffe im gesamten zurückliegenden Siebenjahreszeitraum von 2009 bis 2015 darstellt."

2016 und 2017 wurden religiöse Führer Berichten zufolge in fortlaufendem und steigendem Maße zum Ziel von Tötung, Entführung, Bedrohung und Einschüchterung - hauptsächlich ausgeübt durch regierungsfeindliche Kräfte. Ferner wird berichtet, dass auch religiöse Gelehrte mehrmals durch regierungsfeindliche Kräfte angegriffen wurden, während regierungsnahe Kräfte gezielt gegen Imame von Moscheen, die angeblich regierungsfeindliche Kräfte unterstützten, vorgingen.

Analysten äußerten ihre Besorgnis, dass gewisse Bestimmungen eines neuen Gesetzesentwurfs zur Versammlungsfreiheit ganz besonders die Rechte religiöser Minderheiten einschränken würden. Der Gesetzesentwurf stellt Berichten zufolge "Ansammlungen, Streiks, Demonstrationen, Sitzstreiks zur Durchsetzung ethnischer, religiöser und regionaler Forderungen" als gesetzwidrige Proteste unter Strafe.

[...]

Christen

Die gesellschaftliche Einstellung gegenüber Christen ist Berichten zufolge weiterhin offen feindlich. Christen werden gezwungen, ihren Glauben zu verheimlichen. In Afghanistan existieren keine öffentlichen Kirchen mehr und Christen beten allein oder in kleinen Versammlungen in Privathäusern. 2013 riefen vier Parlamentsmitglieder Berichten zufolge zur Hinrichtung von Personen auf, die zum Christentum konvertiert sind.

[...]

b) Konversion vom Islam

Eine Konversion vom Islam wird als Apostasie, also als Glaubensabfall betrachtet und gemäß den Auslegungen des islamischen Rechts durch die Gerichte mit dem Tode bestraft. Zwar wird Apostasie im afghanischen Strafgesetzbuch nicht ausdrücklich als Straftat definiert, sie fällt jedoch nach allgemeiner afghanischer Rechtsauffassung unter die nicht weiter definierten "ungeheuerlichen Straftaten", die laut Strafgesetzbuch nach der islamischen Hanafi-Rechtslehre bestraft werden und in den Zuständigkeitsbereich der Generalstaatsanwaltschaft fallen. Damit wird Apostasie als Straftat behandelt, obwohl nach der afghanischen Verfassung keine Handlung als Straftat eingestuft werden darf, sofern sie nicht als solche gesetzlich definiert ist. Geistig zurechnungsfähige männliche Bürger über 18 Jahren und weibliche Bürger über 16 Jahren, die vom Islam konvertieren und ihre Konversion nicht innerhalb von drei Tagen widerrufen, riskieren die Annullierung ihrer Ehe und eine Enteignung ihres gesamten Grundes und sonstigen Eigentums. Außerdem können sie von ihren Familien und Gemeinschaften zurückgewiesen werden und ihre Arbeit verlieren. Personen, die vom Islam zu einer anderen Religion übertreten, müssen Berichten zufolge um ihre persönliche Sicherheit fürchten.

Bekehrungsversuche, um Personen zum Übertritt vom Islam zu einer anderen Religion zu bewegen, sind Berichten zufolge laut der Hanafi Rechtslehre ebenfalls rechtswidrig und es stehen darauf dieselben Strafen wie für Apostasie. Berichten zufolge herrscht in der öffentlichen Meinung eine feindliche Einstellung gegenüber missionarisch tätigen Personen und Einrichtungen. Rechtsanwälte, die Angeklagte vertreten, denen Apostasie zur Last gelegt wird, können, so wird berichtet, selbst der Apostasie bezichtigt und mit dem Tod bedroht werden. In der Regel haben Beschuldigte laut Berichten indes keinen Zugang zu einem Verteidiger oder zu anderen Verfahrensgarantien.

[...]

c) Andere Handlungen, die gegen die Scharia verstoßen

Neben den Bestimmungen des Strafgesetzbuches von 2017, die die Beleidigung oder Verzerrung der religiösen Überzeugungen des Islams unter Strafe stellen, stützen sich afghanische Gerichte auch in Bezug auf Blasphemie auf islamisches Recht. Gemäß der Auslegung des islamischen Rechts durch die Gerichte stellt Blasphemie ein Kapitalverbrechen dar. Geistig zurechnungsfähige Männer über 18 Jahren und Frauen über 16 Jahren, die der Blasphemie bezichtigt werden, kann daher die Todesstrafe drohen. Wie auch bei Apostasie haben die Beschuldigten drei Tage Zeit, um ihre Handlungen zu widerrufen, wobei es laut Berichten unter Scharia-Recht kein eindeutiges Verfahren für den Widerruf gibt.

Darüber hinaus besteht für Personen, denen Verstöße gegen die Scharia wie Apostasie, Blasphemie, einvernehmliche gleichgeschlechtliche Beziehungen oder Ehebruch (zina) vorgeworfen werden, nicht nur die Gefahr der strafrechtlichen Verfolgung, sondern auch der gesellschaftlichen Ächtung und Gewalt durch Familienangehörige, andere Mitglieder ihrer Gemeinschaft, die Taliban und andere regierungsfeindliche Kräfte (AGEs)."

2. Beweiswürdigung:

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt des BFA unter zentraler Berücksichtigung der darin enthaltenen niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers, dem bekämpften Bescheid, der Beschwerde sowie den Ergebnissen der mündlichen Verhandlungen Beweis erhoben.

2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die getroffenen Feststellungen zur Person ergeben sich aus dem diesbezüglichen Vorbringen des Beschwerdeführers. Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, zur Volksgruppenzugehörigkeit, zur Abstammung aus Wardak sowie zu seinen Verwandten stützen sich auf die Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren vor dem BFA, in der Beschwerde, sowie in den Verhandlungen vor dem Bundesverwaltungsgericht und auf die Kenntnis und Verwendung der Sprache Dari. Die diesbezüglichen Angaben des Beschwerdeführers waren gleichlautend und somit glaubhaft.

Zumal der Beschwerdeführer keine Tazkira vorlegt, ist seine Identität nicht zweifelsfrei feststellbar. Die Identität des Beschwerdeführers steht mit für das Verfahren ausreichender Sicherheit fest (Verfahrensidentität).

Die Feststellung zur Lebensgefährtin des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem diesbezüglichen Vorbringen des Beschwerdeführers sowie aus den Angaben seiner Lebensgefährtin, welche als Zeugin vor dem Bundesverwaltungsgericht einvernommen wurde.

2.2. Zum vorgebrachten Fluchtgrund:

Das Bundesverwaltungsgericht erachtet das Vorbringen des Beschwerdeführers zur Furcht vor Verfolgung im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat aufgrund seiner in Österreich erfolgten Konversion zum Christentum aus folgenden Erwägungen als glaubhaft:

Der Beschwerdeführer brachte im gesamten Verfahren übereinstimmend und somit glaubhaft vor, dass er bereits in Afghanistan dem Islam ablehnend gegenüberstand, sich bereits in Afghanistan nicht zum islamischen Glauben bekannte und eine korankritische Einstellung hatte. Es erscheint daher durchaus nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer in Österreich bestrebt war, einen anderen Weg, als den Islam für sich zu finden und begonnen hat, sich für das Christentum zu interessieren. In der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht konnte der Beschwerdeführer überzeugend darlegen, aus welchen Gründen er den Islam ablehnt und das Christentum für den besseren Weg für sich hält.

Dass die Konversion zum Christentum nur zum Schein erfolgt wären, ist vor dem Hintergrund der persönlichen Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers nicht tragfähig begründbar. Der Beschwerdeführer hat glaubhaft gemacht, dass er bereits im Herkunftsstaat den dort vorgeschriebenen Glauben nicht leben wollte, er den Islam aufgrund seiner persönlichen Einstellung überzeugend ablehnt und er in Österreich durch die Konversion zum Christentum einen anderen Weg für sich gefunden hat.

Unstrittig ist, dass im gegenständlichen Fall die Taufe des Beschwerdeführers in einem sehr frühen Stadium des Hinwendungsprozesses des Beschwerdeführers zum Christentum erfolgte; das Taufzeugnis stellt im gegenständlichen Fall allerdings keinen maßgeblichen Faktor bei der Beurteilung der Glaubhaftigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers dar, sondern ist aufgrund des Auftretens des Beschwerdeführers und seiner substantiierten Angaben von einer ernsthaften, nach außen erkennbaren Abwendung des Beschwerdeführers vom islamischen Glauben und einer Konversion zum Christentum sowie von einem entsprechenden inneren Entschluss des Beschwerdeführers auszugehen.

XXXX , Evangelist in der Glaubensgemeinschaft Gemeinde Christi, brachte als Zeuge vor dem Bundesverwaltungsgericht glaubhaft vor, dass der Beschwerdeführer in der Gemeinde sehr engagiert sei, ein fürsorgliches Mitglied der Gemeinde und ein gutes Beispiel für die anderen sei.

Die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers sagte in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht glaubhaft aus, dass der Beschwerdeführer jeden Morgen bete und sie oftmals gemeinsam die Kirche besuchen würden. Sie selbst sei immer schon religiös gewesen, aber seit sie den Beschwerdeführer kenne, sei ihr die Religion noch wichtiger geworden. Der Beschwerdeführer beschäftige sich viel mit der Bibel und würden sie auch im Alltag oftmals versuchen, Probleme mithilfe der Bibel zu lösen.

Aus Sicht des erkennenden Richters ist in einer Gesamtschau von einer inneren Überzeugung des Beschwerdeführers auszugehen. Er hat insgesamt glaubhaft dargelegt, dass er sich wohl überlegt vom Islam abgewendet hat und sich in weiterer Folge einer Religion zugewendet hat, mit der er sich besser identifizieren kann. Er trägt seine innere Einstellung auch äußerlich zur Schau, indem er sich auf seinen Unterarm ein Kreuz sowie den Schriftzug "Jesus" tätowieren ließ.

Den Länderberichten zufolge besteht in Afghanistan innerhalb der Bevölkerung eine starke Intoleranz gegenüber Menschen, die vom Islam zu einer anderen Religion konvertiert sind. Konvertierung oder Apostasie ist nach dem islamischen Recht Afghanistans ein Verbrechen und wird mit dem Tode bestraft. Folglich müssen Apostaten Verfolgung durch afghanische Behörden und Privatpersonen fürchten müssen, wenn ihr Abfall vom Islam bekannt wird. Apostaten haben in Afghanistan mit sozialer Ausgrenzung und Gewalt (insbesondere) durch Familien- und Gemeinschaftsangehörige und durch die Taliban sowie mit strafrechtlicher Verfolgung bis hin zur Todesstrafe zu rechnen. All dies kann nach den Länderberichten an keinem Ort Afghanistans ausgeschlossen werden, sodass dem Beschwerdeführer keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung steht.

2.3. Zur Lage im Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat ergeben sich aufgrund des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation (Gesamtaktualisierung am 29.06.2018 - Kurzinformation 04.06.2019) und der UNHCR-RL vom 30.08.2018.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:

Gemäß § 9 Abs. 2 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, und § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA.

Da sich die gegenständliche Beschwerde gegen einen Bescheid des BFA richtet, ist das Bundesverwaltungsgericht für die Entscheidung zuständig.

Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr 33/2013 idgF, geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu A) Stattgebung der Beschwerde

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074 uva.). Verlangt wird eine "Verfolgungsgefahr", wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (vgl. VwGH 10.06.1998, 96/20/0287). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten (VwGH 24.02.2015, Ra 2014/18/0063); auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren

(vgl. VwGH 28.01.2015, Ra 2014/18/0112 mwN). Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (vgl. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).

Die Voraussetzung der "wohlbegründeten Furcht" vor Verfolgung wird in der Regel aber nur erfüllt, wenn zwischen den Umständen, die als Grund für die Ausreise angegeben werden, und der Ausreise selbst ein zeitlicher Zusammenhang besteht (vgl. VwGH 17.03.2009, 2007/19/0459). Relevant kann nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. u.a. VwGH 20.06.2007, 2006/19/0265 mwN).

Gemäß § 3 Abs. 3 Z 1 und § 11 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Asylwerber in einem Teil seines Herkunftsstaates vom Staat oder von sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden und ihm der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann (Innerstaatliche Fluchtalternative). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK vorliegen kann (vgl. zur Rechtslage vor dem AsylG 2005 z.B. VwGH 15.03.2001, 99/20/0036; 15.03.2001, 99/20/0134, wonach Asylsuchende nicht des Schutzes durch Asyl bedürfen, wenn sie in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen). Damit ist - wie der Verwaltungsgerichtshof zur Genfer Flüchtlingskonvention judiziert - nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen - mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates - im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer "internen Flucht- oder Schutzalternative" (VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534) innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal wirtschaftliche Benachteiligungen auch dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (VwGH 08.11.2007, 2006/19/0341, mwN).

Wie im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegt, ist es dem Beschwerdeführer gelungen, glaubhaft zu machen, zum Christentum konvertiert zu sein. Er müsste im Falle der Rückkehr nach Afghanistan gänzlich aufhören, diesen Glauben zu praktizieren und zum Anschein nach Außen nach den Vorschriften bzw. Gepflogenheiten des schiitischen Islam leben, um nicht Gefahr zu laufen, ernsthafter physischer Übergriffe ausgesetzt zu sein.

Das Bundesverwaltungsgericht ist der Ansicht, dass der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr nach Afghanistan, im gesamten Staatsgebiet aufgrund seiner Religion (konkret seinem Abfall vom islamischen Glauben und seiner Konversion zum Christentum) einer Verfolgung ausgesetzt wäre, die vom Staat und Privaten ausgeht. Die Gefahr einer Verfolgung des Beschwerdeführers ist daher im vorliegenden Fall auf mehrfache Weise gegeben. Einerseits durch den afghanischen Staat und andererseits auch durch die einfache Bevölkerung, die von traditionell islamischen Vorstellungen geprägt ist; wobei insgesamt vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen davon ausgegangen werden kann, dass der afghanische Staat nicht willens und in der Lage ist, den Beschwerdeführer entsprechend zu schützen (vgl. BVwG vom 18.03.2016, W159 2101539-1 mwN). Ferner ist auch eine Verfolgung durch islamistische Gruppierungen möglich.

Aus den damit in Einklang stehenden in das Verfahren einbezogenen Länderfeststellungen, die auf einer Vielzahl unterschiedlicher und unabhängiger Quellen beruhen, ergibt sich, dass die Glaubensfreiheit, die auch die freie Religionsauswahl beinhaltet, in Afghanistan für Muslime nicht gilt. Darüber hinaus ist die Abkehr vom Islam (Apostasie) nach Scharia-Recht auch strafbewehrt. Blasphemie und Abtrünnigkeit werden als Kapitalverbrechen angesehen. Im Strafgesetzbuch gibt es keine Definition für Apostasie. Laut der sunnitisch-hanafitischen Rechtsprechung gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, für Frauen lebenslange Haft, sofern sie die Apostasie nicht bereuen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat im Zusammenhang mit dem Gesichtspunkt einer Verfolgung aus "Gründen der Religion" zusammengefasst bereits ausgesprochen, dass die allgemeine Erklärung der Menschenrechte und die Menschenrechtspakte das Recht auf Gedanken-, Gewissens-, und Religionsfreiheit verkünden. Dies beinhaltet die Freiheit des Menschen seine Religion zu wechseln und die Freiheit, ihr öffentlich oder privat Ausdruck zu verleihen. Nach Kälin betrifft religiöse Verfolgung Maßnahmen, welche eine Organisation gegen ihre Gegner bei Konflikten über die richtige Anschauung in Fragen des Verhältnisses des Menschen zu (einem) Gott ergreift. Im Gemeinsamen Standpunkt des Rates der Europäischen Union vom 4. März 1996 betreffend die harmonisierte Anwendung der Definition des Begriffs Flüchtling in Art. 1 der GFK ist der Begriff der "Religion" in einem weiten Sinn aufzufassen und umfasst theistische, nichttheistische oder atheistische Glaubensüberzeugungen. Eine Verfolgung aus religiösen Gründen kann danach auch dann vorliegen, wenn maßgebliche Eingriffe eine Person betreffen, die keinerlei religiöse Überzeugung hat, sich keiner bestimmten Religion anschließt oder sich weigert, sich den mit einer Religion verbundenen Riten und Gebräuchen ganz oder teilweise zu unterwerfen. In diesem Sinn gilt auch nach der Rechtsprechung in der Schweiz als religiöse Verfolgung das Vorgehen des Staates gegen Atheisten, Ungläubige etc., um sie für ihre Ungläubigkeit zu bestrafen oder zu einem bestimmten Glauben zu zwingen (vgl. VwGH vom 21.09.2000, 98/20/0557 mwN).

In Anbetracht der dargestellten Umstände ist im Beschwerdefall insgesamt davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan den Eintritt eines - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteiles aus der befürchteten Verfolgung aufgrund religiöser Gründe mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat; sich sohin aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne der GFK außerhalb Afghanistans befindet und im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, nach Afghanistan zurückzukehren (vgl. ua BVwG vom 30.03.2017, Zl. W263 2125326-1/10E und BVwG vom 30.04.2015, Zl. W194 1430097-1/11E).

Da gegenständlich weder einer der in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorgebracht wurde noch sonst aus dem Akteninhalt ersichtlich ist und zudem eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht ersichtlich ist, war dem Beschwerdeführer gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 ist die Entscheidung, mit der einem Fremden von Amts wegen oder auf Grund eines Antrages auf internationalen Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Der Beschwerde ist daher gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 3 Abs. 1 AsylG 2005 stattzugeben und festzustellen, dass dem Beschwerdeführer kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG 2005 kommt einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, eine auf drei Jahre befristete Aufenthaltsberechtigung zu. Diese Aufenthaltsberechtigung verlängert sich kraft Gesetzes nach Ablauf dieser Zeit auf eine unbefristete Gültigkeitsdauer, sofern die Voraussetzungen für eine Einleitung eines Aberkennungsverfahrens nicht vorliegen oder ein Aberkennungsverfahren eingestellt wird. Dementsprechend verfügt der Beschwerdeführer nun über eine auf drei Jahre befristete Aufenthaltsberechtigung.

B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A) wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

Apostasie, asylrechtlich relevante Verfolgung, befristete
Aufenthaltsberechtigung, Konversion, Nachfluchtgründe, Religion,
wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W198.2165319.1.00

Zuletzt aktualisiert am

27.02.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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