TE Bvwg Erkenntnis 2019/9/26 W228 2208650-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 26.09.2019
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Entscheidungsdatum

26.09.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §34 Abs3
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W228 2208648-1/13E

W228 2208650-1/11E

W228 2208652-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Harald WÖGERBAUER als Einzelrichter über die Beschwerden von 1. XXXX , geboren am XXXX 1987 (BF1), 2. XXXX , geboren am XXXX 1985 (BF2), 3. mj. XXXX , geboren am XXXX 2017 (BF3), alle Staatsangehörigkeit Afghanistan, BF3 vertreten durch die Mutter XXXX als gesetzliche Vertreterin, alle vertreten durch den XXXX , gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.09.2018, Zlen XXXX und XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 28.08.2019 zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerden gegen Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide werden gemäß

§ 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II. Den Beschwerden gegen Spruchpunkt II. der angefochtenen Bescheide wird stattgegeben und mj. XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 sowie XXXX und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 iVm § 34 Abs. 3 AsylG 2005 der Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird mj. XXXX sowie XXXX und XXXX jeweils eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 26.09.2020 erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

Die BF1 und der BF2 sind illegal in die Republik Österreich eingereist und haben am 28.12.2015 Anträge auf internationalen Schutz gestellt.

Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 29.12.2015 gab die BF1 an, dass sie in Herat als Lehrerin gearbeitet habe. Sie und ihre Familie seien von den Schülern mit dem Umbringen bedroht worden. Sie sei schwanger gewesen und habe ihr Kind verloren, weil sie von diesen Leuten verfolgt worden sei. Sie sei in der Folge mit ihrem Mann und dessen minderjährigen Bruder aus Afghanistan geflüchtet.

Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 29.12.2018 gab der BF2 zu seinem Fluchtgrund an, dass seine Frau als Lehrerin gearbeitet habe. Sie sei von den Schülerinnen mit dem Tod bedroht worden, wenn sie ihnen den Schulabschluss trotz mangelndem Lernerfolg nicht ermögliche.

Am XXXX 2017 wurde die BF3, Tochter der BF1 und des BF2, in Österreich geboren.

Am 01.06.2017 wurde für die BF3 ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt, wobei keine eigenen Fluchtgründe angeführt wurden.

Die BF1 wurde am 20.09.2018 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Farsi niederschriftlich einvernommen. Dabei gab sie an, dass sie in Herat gelebt habe. Sie habe zwölf Jahre lang die Schule besucht und zwei Jahre an der Universität die Lehrerausbildung gemacht. Dann habe sie dreieinhalb Jahre lang als Lehrerin gearbeitet. Ihre Eltern und ihre Geschwister würden nach wie vor in Herat leben. Zu ihren Fluchtgründen führte die BF1 aus, dass sie in einer Mädchenschule unterrichtet habe. Drei Mädchen hätten von ihr verlangt, dass sie ihnen bei einer Prüfung eine gute Note gebe. Die Mädchen seien jedoch durchgefallen. Zwei oder drei Tage nach der Prüfung habe die BF1 Drohanrufe bekommen. Kurz nach diesen Anrufen habe sie am Heimweg bemerkt, dass sie von einem Motorradfahrer beobachtet worden sei. Die Drohungen seien täglich mehr geworden. Ihr sei gedroht worden, dass man ihr Säure ins Gesicht schütten oder sie entführen werde. Der BF2 habe ihr geraten, ihre Arbeit zu beenden, die BF1 habe dies jedoch nicht getan. Bei einer neuerlichen Prüfung kurz vor den Schulferien hätten die drei Mädchen erneut keine guten Noten bekommen. Die BF1 habe wieder einen Drohanruf bekommen. Einige Tage später habe sie am Heimweg wieder den Motorradfahrer gesehen. Diesmal seien zwei Personen auf dem Motorrad gewesen. Einer von ihnen sei abgestiegen. Die BF1 habe versucht wegzulaufen, sei aber gestützt. Sie sei von den Nachbarn ins Haus gebracht worden. Aufgrund des Sturzes habe sie ihr ungeborenes Kind verloren. Die Eltern der BF1 hätten schließlich beschlossen, die BF1 und ihren Mann in den Iran zu schicken. Nach einer Woche im Iran habe die BF1 gehört, dass diese Männer ihren Bruder schwer verletzt hätten. Ihm sei dabei das Handy gestohlen worden. Am nächsten Tag habe der BF2 einen Anruf und kurz drauf eine SMS erhalten, in welcher geschrieben gewesen sei, dass man die BF1 überall finden und töten würde. Deshalb seien sie schließlich aus dem Iran nach Europa geflohen.

Der BF2 wurde am 20.09.2018 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Farsi ebenfalls niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er an, dass er zuletzt in Herat gelebt habe. Als Kind sei er mit seiner Familie in den Iran gegangen und habe in der Folge 13 Jahre dort gelebt. Danach sei er allein nach Afghanistan zurückgekehrt und habe die BF1 geheiratet. Er habe sechs Jahre lang die Schule besucht und danach sieben oder acht Jahre als Schneider gearbeitet. Der BF2 habe keine Angehörigen mehr in Afghanistan. Seine Eltern und eine Schwester würden im Iran leben. Eine andere Schwester lebe in Salzburg und sein Bruder sei mit ihm gemeinsam nach Österreich gekommen. Zu seinem Fluchtgrund befragt, brachte der BF2 die Probleme vor, die seine Frau als Lehrerin gehabt habe, und gab an, dass er sonst keine Probleme gehabt habe.

Mit nunmehr angefochtenen Bescheiden vom 28.09.2018 wurden die Anträge der BF1, des BF2 und der BF3 auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters wurde ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde jeweils Feststellungen zu den Personen der BF, zu deren Fluchtgrund, zur Situation im Falle der Rückkehr und zur Situation im Herkunftsstaat. Es wurde ausgeführt, dass eine asylrelevante Verfolgung in Afghanistan nicht glaubhaft gemacht werden habe können. Es seien auch keine Gründe hervorgekommen, die eine Gewährung von subsidiärem Schutz rechtfertigen würden.

Gegen verfahrensgegenständlich angefochtene Bescheide vom 28.09.2018 erhoben die BF1, der BF2, und die BF3 mit Schriftsatz der rechtsfreundlichen Vertretung vom 22.10.2018 Beschwerde. Darin wurde ausgeführt, dass die belangte Behörde die Situation der BF1, die zur sozialen Gruppe der Frauen gehöre, nicht ausreichend berücksichtigt habe. Der BF1 würde im Falle der Rückkehr nach Afghanistan die Gefahr der Verfolgung als verwestlichte Frau drohen. In weiterer Folge wurde auf Berichte zur allgemeinen Lage in Afghanistan verwiesen und wurde ausgeführt, dass sämtliche BF im Falle der Rückkehr nach Afghanistan der Gefahr einer Verfolgung aufgrund von Verwestlichung ausgesetzt wären. In einer Gesamtschau wäre den BF Asyl, zumindest jedoch subsidiärer Schutz, zu gewähren.

Die Beschwerden und die Bezug habenden Verwaltungsakten langten am 31.10.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Am 05.07.2019 langten zwei Teilnahmebestätigungen betreffend die BF1 und den BF2 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Am 23.08.2019 wurde eine Gewerbeanmeldung des BF2 an das Bundesverwaltungsgericht übermittelt.

Vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde in der gegenständlichen Rechtssache am 28.08.2019 eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein der BF1, des BF2 und der BF3, deren Rechtsvertretung, einem Vertreter der belangten Behörde sowie eines Dolmetschers für die Sprache Farsi durchgeführt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Zu den Personen der BF

Die BF1 bis BF3 sind Staatsangehörige von Afghanistan. Die BF1 und der BF2 lebten vor ihrer Ausreise aus Afghanistan in der Stadt Herat. Die BF3 wurde in Österreich geboren. Sämtliche BF sind schiitischen Bekenntnisses und gehören der Volksgruppe der Tadschiken an.

Die BF1 ist in der Stadt Herat geboren und lebte dort bis zu ihrer Ausreise aus Afghanistan. Sie hat zwölf Jahre lang die Schule besucht und zwei Jahre lang an der Universität die Lehrerausbildung absolviert. In der Folge hat sie ca. dreieinhalb Jahre lang als Lehrerin gearbeitet. Die Eltern der BF1 leben mittlerweile im Iran. Es konnte nicht festgestellt werden, wo sich die Geschwister der BF1 nunmehr aufhalten.

Der BF2 ist in der Stadt Herat geboren und ist im Kindesalter gemeinsam mit seiner Familie in den Iran gegangen, wo er in der Folge 13 Jahre lang gelebt hat. Der BF2 hat sechs Jahre lang die Schule besucht und acht Jahre lang als Schneider gearbeitet. Nach seinem Aufenthalt im Iran ist der BF2 nach Afghanistan zurückgekehrt und hat dort die BF1 geheiratet. Die Eltern und eine Schwester des BF2 leben im Iran. Eine weitere Schwester des BF2 lebt in Salzburg. Der Bruder des BF2 ist gemeinsam mit dem BF2 nach Österreich gereist. Der BF2 hat keine Angehörigen in Afghanistan.

Die minderjährige BF3 ist das gemeinsame Kind der BF1 und des BF2 und hat ihren Lebensmittelpunkt im Kreise der Familie.

Die BF sind in Österreich strafrechtlich unbescholten (bzw. strafunmündig).

Die BF1, der BF2 und die BF3 sind gesund. Die BF1 und der BF2 sind arbeitsfähig.

Die BF1 hat in Österreich bereits Deutschkurse besucht. Sie hat eine Deutschprüfung auf dem Niveau A2 abgelegt. Sie hat die Veranstaltung "Wertedialog" sowie zwei Workshops der Volkshilfe besucht und einen Werte- und Orientierungskurs absolviert. Die BF1 hat von 07.10.2016 bis 17.03.2017 regelmäßig freiwillige Arbeit in einem Seniorenheim geleistet und hat in der neuen Mittelschule Aschach unentgeltlich den Englischunterricht unterstützt.

Der BF2 hat in Österreich bereits Deutschkurse besucht. Er hat eine Deutschprüfung auf dem Niveau A1 abgelegt. Er hat die Veranstaltung "Wertedialog" sowie zwei Workshops der Volkshilfe besucht und einen Werte- und Orientierungskurs absolviert. Der BF2 hat von März 2016 bis September 2018 stundenweise für das Marktgemeindeamt Aschach an der Donau gearbeitet, hat gemeinnützige Tätigkeit sowie freiwillige Arbeit in einem Seniorenheim geleistet.

Zur Fluchtgeschichte

Die BF1 hat in Herat als Englischlehrerin in einer Mädchenschule unterrichtet. Drei Mädchen haben von ihr verlangt, dass sie ihnen - trotz mangelndem schulischen Erfolg - bei einer Prüfung eine gute Note gebe. Die BF1 hat dies nicht getan und hat in der Folge Drohanrufe von unbekannten Personen bekommen. Ihr wurde gedroht, sie zu entführen bzw. ihr Säure ins Gesicht zu schütten. Als sie sich bei einer weiteren Prüfung erneut geweigert hat, den Mädchen ungerechtfertigt gute Noten zu geben, erhielt sie erneut Drohanrufe und wurde von unbekannten Personen auf einem Motorrad beobachtet. Als sie vor diesen Personen weglaufen wollte, stürzte sie und verlor bei dem Sturz ihr ungeborenes Kind. In weiterer Folge ist die BF1 mit dem BF2 in den Iran gereist. Als sich die BF1 und der BF2 bereits im Iran aufgehalten haben, wurde der Bruder der BF1 angegriffen und verprügelt und wurde ihm bei diesem Übergriff das Handy gestohlen. In weiterer Folge erhielt der BF2 Drohanrufe von unbekannten Personen, im Zuge derer ihm gedroht wurde, dass man ihn und die BF1 überall finden würde.

Es wird festgestellt, dass der BF1 und dem BF2 im Falle der Rückkehr nach Afghanistan keine Verfolgungsgefahr im Sinne der GFK durch jene unbekannten Personen droht, siehe dazu dann die rechtliche Würdigung.

Die BF1 ist in Österreich nicht nach afghanisch-islamischer Tradition gekleidet und trägt kein Kopftuch. Sie verlässt ihre Unterkunft ohne Einschränkungen vonseiten des BF2. Sie kümmert sich in Österreich überwiegend um den Haushalt und ihre Tochter. Ihr Ehemann unterstützt sie dabei. Die BF1 möchte in Österreich als Lehrerin arbeiten. In ihrer Freizeit geht sie (auch alleine) spazieren, einkaufen, schwimmen oder trifft Freunde. Sie hat auch bereits unentgeltlich gearbeitet.

Die BF1 hat seit ihrer Einreise in Österreich am 28.12.2015 keine Lebensweise angenommen, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellt. Bei der BF1 handelt es sich nicht um eine auf Eigen- und Selbstständigkeit bedachte Frau, die in ihrer persönlichen Wertehaltung und in ihrer Lebensweise an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als "westlich" bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert ist.

Die weiblichen BF (BF1 und BF3) wären im Herkunftsstaat alleine aufgrund ihres Geschlechts keiner asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt.

Hinsichtlich der BF3 ist aufgrund ihres jungen und anpassungsfähigen Alters von zwei Jahren keine derart fortgeschrittene Persönlichkeitsentwicklung abzusehen, aufgrund derer eine Verinnerlichung eines "westlichen Verhaltens" oder eine "westlichen Lebensführung" als wesentlicher Bestandteil ihrer Identität angenommen werden könnte.

Die BF3 wäre in Afghanistan aufgrund ihres Geschlechts auch nicht von der Inanspruchnahme von Bildungsmöglichkeiten (insbesondere Schulbesuch) ausgeschlossen oder maßgeblich beschränkt. In Afghanistan besteht Schulpflicht. Vor diesem Hintergrund ist auch keine asylrelevante Verfolgung der minderjährigen BF3 für den Fall zu befürchten, dass die Eltern ihr bei einer Rückkehr nach Afghanistan eine grundlegende Bildung zukommen lassen wollten. Die BF1 und der BF2 befürworten aktuell eine künftige schulische Ausbildung ihrer Tochter und würden der BF3 auch in Afghanistan einen Schulbesuch gestatten.

Schließlich wird festgestellt, dass der BF3 alleine aufgrund ihres Alters bzw. vor dem Hintergrund der Situation von Kindern in Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit physische und/oder psychische Gewalt asylrelevanter Intensität nicht droht.

Es wird festgestellt, dass der BF2 als Rückkehrer mit westlicher Orientierung in Afghanistan einer Verfolgung nicht ausgesetzt wäre.

Bei der BF3 handelt es sich um eine unmündige Minderjährige im Alter von zwei Jahren, die im Familienverband mit ihren Eltern lebt und weder über eigenes Vermögen noch über eine eigene Möglichkeit der Existenzsicherung verfügt. In Afghanistan besteht eine hohe Zahl an minderjährigen zivilen Opfern. Vor allem Kinder sind zudem besonders von Unterernährung betroffen. Ungefähr zehn Prozent der Kinder sterben vor ihrem fünften Geburtstag. In Anbetracht der festgestellten individuellen und familiären Situation der BF und der besonderen Schutzbedürftigkeit von minderjährigen Kindern war seitens des Bundesverwaltungsgerichtes im Lichte einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, der hohen Zahl an minderjährigen Opfern auch in zentralen Regionen und Städten, der dadurch eingeschränkten Bewegungsfreiheit der minderjährigen BF sowie der schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für ihre erforderliche Versorgung im Herkunftsstaat festzustellen, dass die BF3 im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan einem realen Risiko ausgesetzt wäre, in eine existenzbedrohende (Not-)Lage zu geraten.

Zur Lage im Herkunftsstaat:

Mazar-e Sharif:

Mazar-e Sharif ist die Hauptstadt der Provinz Balkh. Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana und Pul-e-Khumri und ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst.

In Mazar-e Sharif gibt es einen internationalen Flughafen, durch den die Stadt sicher zu erreichen ist.

Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans, sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan. Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften.

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.382.155 geschätzt.

Frauen

Jahrzehntelanger Kampf gegen patriarchale und frauenfeindliche Normen, führte zu einer Sensibilisierung in Bezug auf Frauen und ihrer Rechte. Allmählich entwickelt sich die Rolle von Frauen in politischen und wirtschaftlichen Bereichen. Die Situation der Frauen hat sich seit dem Ende der Taliban-Herrschaft erheblich verbessert; die vollumfängliche Realisierung ihrer Rechte innerhalb der konservativ-islamischen afghanischen Gesellschaft bleibt schwierig. Die konkrete Situation von Frauen kann sich allerdings je nach regionalem und sozialem Hintergrund stark unterscheiden.

Artikel 22 der afghanischen Verfassung besagt, dass jegliche Form von Benachteiligung oder Bevorzugung unter den Bürgern Afghanistans verboten ist. Die Bürger Afghanistans, sowohl Frauen als auch Männer, haben vor dem Gesetz gleiche Rechte und Pflichten. Ein Meilenstein in dieser Hinsicht war die Errichtung des afghanischen Ministeriums für Frauenangelegenheiten (MoWA) im Jahr 2001.

Bildung

Afghanistan ist eine Erfolgsgeschichte in der Verbesserung des Zugangs zu Bildung - auch für Mädchen. Das Recht auf Bildung wurde den Frauen nach dem Fall der Taliban im Jahr 2001 eingeräumt.

Artikel 43 der afghanischen Verfassung besagt, dass alle afghanischen Staatsbürger das Recht auf Bildung haben. Laut Artikel 4 des afghanischen Bildungsgesetzes ist mittlere (elementare) Bildung in Afghanistan verpflichtend. Artikel 43 der afghanischen Verfassung besagt, dass alle afghanischen Staatsbürger das Recht auf Bildung haben.

Seit dem Jahr 2000 hat sich die durchschnittliche Zahl der Kinder, die eine Schule besuchen von 2,5 Jahren auf 9,3 Jahre erhöht (AF 2015). Das afghanische Bildungsministerium errichtete gemeinsam mit USAID und anderen Gebern, mehr als 16.000 Schulen; rekrutierte und bildete mehr als 154.000 Lehrerinnen und Lehrer aus, und erhöhte die Zahl der Schuleinschreibungen um mehr als 60%. Das Bildungsministerium gibt die Zahl der Schüler/innen mit ca. 9 Millionen an, davon sind etwa 40% Mädchen. Frauen und Mädchen gehen öfter zur Schule, wenn sie keine langen Distanzen zurücklegen müssen. USAID hat 84.000 afghanische Mädchen dabei unterstützt Schulen innerhalb ihrer Gemeinden besuchen zu können, damit sich nicht durch teilweise gefährliche Gegenden pendeln müssen.

Laut dem afghanischen Statistikbüro, gab es landesweit 15.645 Schulen, 9.184.494 Schüler/innen, davon waren 362.906 weiblich. Diese Zahlen beinhalten alle Schultypen, dazu zählen Volks- und Mittelschulen, Abendschulen, Berufsschulen, Lehrerausbildungszentren, etc. Die Zahl der Schülerinnen hat sich im Zeitraum 2015-2016 zum Vergleichszeitraum 2014 - 2015 um 2,2% erhöht. Die Gesamtzahl der Lehrer/innen betrug 199.509, davon waren

63.911 Frauen.

Berufstätigkeit

Für viele Frauen ist es noch immer sehr schwierig, außerhalb des Bildungs- und Gesundheitssektors Berufe zu ergreifen. Einflussreiche Positionen werden abhängig von Beziehungen und Vermögen vergeben. Oft scheitern Frauen schon an den schwierigen Transportmöglichkeiten und eingeschränkter Bewegungsfreiheit ohne männliche Begleitung.

Bemerkenswert ist die Steigerung jener Afghan/innen, die der Meinung sind, Frauen sollen sich bilden und außerhalb des Heimes arbeiten dürfen. Bei einer Befragung gaben 81% der Befragten an, Männer und Frauen sollten gleiche Bildungschancen haben.

Die Erwerbstätigkeit von Frauen hat sich seit dem Jahr 2001 stetig verbessert und betrug im Jahr 2016 19%. Rund 64% der Afghan/innen befürworteten Frauen außerhalb ihres Heimes arbeiten zu dürfen. Frauen sind dennoch einer Vielzahl von Hindernissen ausgesetzt; dazu zählen: Einschränkungen, Belästigung, Diskriminierung und Gewalt, aber auch praktische Hürden, wie z.B. fehlende Arbeitserfahrung, Fachkenntnisse und (Aus)Bildung. Die Alpahbetisierungsrate bei Frauen in Afghanistan liegt durchschnittlich bei 17%, in manchen Provinzen sogar unter 2%. In der Altersklasse der 15 - 24 jährigen betrug die Alphabetisierungsrate im Jahr 2015 bei Frauen 46,11%, bei den über 65-jährigen 4,33% .

Viele Frauen haben sich in bedeutenden Positionen in den verschiedenen Bereichen von nationaler Wichtigkeit entwickelt, dazu zählen Politik, Wirtschaft und die Zivilgesellschaft. Der Raum für weibliche Führungskräfte bleibt eingeschränkt, von Gebern abhängig und ist hauptsächlich in den Städten vertreten. Frauen sind im Privatsektor unterrepräsentiert und haben keine aktive Rolle in der Wirtschaftsproduktion. Unsicherheit, Belästigung, Immobilität, religiöser Extremismus und Korruption sind verbreitet. Begriffe wie zum Beispiel Geschlechtergleichstellung werden weiterhin missverstanden. Frauen in Führungspositionen werden als symbolisch betrachtet, werden politisch mangelhaft unterstützt, haben schwach ausgebildete Entscheidungs- und Durchsetzungskompetenzen und mangelnden Zugang zu personellen und finanziellen Mitteln. Frauen sind im Arbeitsleben mit gewissen Schwierigkeiten konfrontiert, etwa Verwandte, die verlangen sie sollen zu Hause bleiben; oder Einstellungsverfahren, die Männer bevorzugten. Jene die arbeiteten, berichteten von sexueller Belästigung, fehlenden Transport- und Kinderbetreuungsmöglichkeiten; Benachteiligungen bei Lohnauszahlungen existieren im Privatsektor. Journalistinnen, Sozialarbeiterinnen und Polizistinnen berichteten von, Drohungen und Misshandlungen.

Frauen machen 30% der Medienmitarbeiter/innen aus. Teilweise leiten Frauen landesweit Radiostationen - manche Radiostationen setzten sich ausschließlich mit Frauenangelegenheiten auseinander. Nichtsdestotrotz, finden Reporterinnen es schwierig ihren Job auszuüben. Unsicherheit, fehlende Ausbildung und unsichere Arbeitsbedingungen schränken die Teilhabe von Frauen in den Medien weiterhin ein.

Strafverfolgung und Unterstützung

Afghanistan verpflichtet sich in seiner Verfassung durch die Ratifizierung internationaler Konventionen und durch nationale Gesetze, die Gleichberechtigung und Rechte der Frauen zu achten und zu stärken. In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der praktischen Umsetzung dieser Rechte. Viele Frauen sind sich ihrer in der Verfassung garantierten, und auch gewisser vom Islam vorgegebener, Rechte nicht bewusst. Eine Verteidigung ihrer Rechte ist in einem Land, in dem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt und überwiegend von männlichen Richtern oder traditionellen Stammesstrukturen bestimmt wird, nur in eingeschränktem Maße möglich. Staatliche Akteure aller drei Gewalten sind häufig nicht in der Lage oder auf Grund tradierter Wertevorstellungen und nicht gewillt, Frauenrechte zu schützen. Gesetze zum Schutz und zur Förderung der Rechte von Frauen werden nur langsam umgesetzt. Das Personenstandsgesetz enthält diskriminierende Vorschriften für Frauen, insbesondere in Bezug auf Heirat, Erbschaft und Beschränkung der Bewegungsfreiheit.

Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Schuren und Jirgas) verhandelt. Traditionelle Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte, sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie z. B. im Erbrecht, nicht gesetzeskonform zugesprochen werden. Viele Frauen werden darauf verwiesen, den "Familienfrieden" durch Rückkehr zu ihrem Ehemann wiederherzustellen. Gleichzeitig führt aber eine erhöhte Sensibilisierung auf Seiten der afghanischen Polizei und Justiz zu einer sich langsam, aber stetig verbessernden Lage der Frauen in Afghanistan. Insbesondere die Schaffung von auf Frauen spezialisierte Staatsanwaltschaften in einigen Provinzen, hatte positive Auswirkungen. In der patriarchalischen Gesellschaft Afghanistans trauen sich Frauen selbst oftmals nicht, an Polizisten zu wenden.

Anlässlich des dritten "Symposium on Afghan Women's Empowerment" im Mai 2016 in Kabul bekräftigte die afghanische Regierung auf höchster Ebene den Willen zur weiteren Umsetzung. Inwieweit sich dies in das System an sich und bis in die Provinzen fortsetzt, ist zumindest fraglich.

Das EVAW-Gesetz wurde durch ein Präsidialdekret im Jahr 2009 eingeführt; und ist eine wichtige Grundlage für den Kampf gegen Gewalt gegen Frauen - inklusive der weit verbreiteten häuslichen Gewalt. Dennoch ist eine Verabschiedung des EVAW-Gesetzes durch beide Parlamentskammern noch ausständig und birgt die Gefahr, dass die Inhalte verwässert werden. Das Gesetz kriminalisiert Gewalt gegen Frauen, inklusive Vergewaltigung, Körperverletzung, Zwangsverheiratung bzw. Kinderheirat, Erniedrigung, Einschüchterung und Entzug des Erbes, jedoch war die Umsetzung eingeschränkt. Im Falle von Vergewaltigung sieht das Gesetz eine Haftstrafe von 16-20 Jahren vor. Sollte die Vergewaltigung mit dem Tod eines Opfers enden, sieht das Gesetz die Todesstrafe für den Täter vor. Der Straftatbestand der Vergewaltigung beinhaltet nicht Vergewaltigung in der Ehe. Das Gesetz wurde nicht weitgehend verstanden und manche öffentliche und religiöse Gemeinschaften erachteten das Gesetz als unislamisch. Der politische Wille das Gesetz umzusetzen und seine tatsächliche Anwendung ist begrenzt. Außerhalb der Städte wird das EVAW-Gesetz weiterhin nur unzureichend umgesetzt. Laut Angaben von Human Rights Watch, verabsäumte die Regierung Verbesserungen des EVAW-Gesetzes durchzusetzen. Die Regierung verabsäumt ebenso die Verurteilung sogenannter Moral-Verbrechen zu stoppen, bei denen Frauen, die häuslicher Gewalt und Zwangsehen entfliehen, zu Haftstrafen verurteilt werden. Die Regierung registrierte 5.406 Fälle von Gewalt an Frauen, 3.715 davon wurden unter dem EVAW-Gesetz eingebracht. Einem UNAMA-Bericht zufolge, werden 65% der Fälle, die unter dem EVAW-Gesetz eingebracht werden (tätlicher Angriff und andere schwerwiegende Misshandlungen) durch Mediation gelöst, während 5% strafrechtlich verfolgt werden.

Die erste EVAW-Einheit (Law on the Elimination of Violence Against Women) wurde im Jahre 2010 durch die afghanische Generalstaatsanwaltschaft initiiert und hat ihren Sitz in Kabul. Die Generalstaatsanwaltschaft erhöhte weiterhin die Anzahl der EVAW-Einheiten. Mit Stand September 2015 existieren sie mittlerweile in 20 Provinzen. In anderen Provinzen wurde Staatsanwälten durch die Generalstaatsanwaltschaft Fälle zur Behandlung zugeteilt. Im März hielt das Büro der Generalstaatsanwaltschaft das erste nationale Treffen von EVAW-Staatsanwälten ab, um die Kommunikation zwischen den unterschiedlichen EVAW-Einheiten in den Provinzen zu fördern und gemeinsame Probleme zu identifizieren. Ein im April veröffentlichter Bericht der UNAMA zu Erfahrungen von 110 rechtssuchenden Frauen im Justizsystem; zeigte, dass sich die Effektivität der Einheiten stark unterschied, diese aber dennoch Frauen, die Gewalt erlebt hatten, ermutigten ihre Fälle zu verfolgen.

Der UN-Sonderberichterstatter zu Gewalt an Frauen berichtet von Frauen in Afghanistan, die das formelle Justizsystem als unzugänglich und korrupt bezeichnen; speziell dann wenn es um Angelegenheiten geht, die die Rechte von Frauen betreffen - sie bevorzugen daher die Mediation.

Die unabhängige afghanische Menschenrechtskommission (Afghanistan Independent Human Rights Commission - AIHRC), veröffentlichte einen Bericht, der 92 Ehrenmorde auflistete (Berichtszeitraum: März 2014 - März 2015), was eine Reduzierung von 13% gegenüber dem Vorjahr andeutete. Diesem Bericht zufolge wurden auch 67% der Täter bei Vergewaltigung oder Ehrenmord verhaftet; 60% wurden verurteilt und bestraft.

Wenn Justizbehörden das EVAW-Gesetz beachten, war es Frauen in manchen Fällen möglich angemessene Hilfe zu erhalten. Staatsanwält/innen und Richter/innen in abgelegenen Provinzen ist das EVAW-Gesetz oft unbekannt, andere werden durch die Gemeinschaft unter Druck gesetzt um Täter freizulassen. Berichten zufolge, geben Männer, die der Vergewaltigung bezichtigt werden, oft an, das Opfer hätte dem Geschlechtsverkehr zugestimmt, was zu "Zina"-Anklagen gegen die Opfer führt.

Im Juni 2015 hat die afghanische Regierung den Nationalen Aktionsplan für die Umsetzung der VN-SR-Resolution 1325 auf den Weg gebracht. Dennoch war bis November 2016 kein finales Budget für den Umsetzungsplan aufgestellt worden.

Kinder

Die Situation der Kinder hat sich in den vergangenen Jahren verbessert. So werden mittlerweile rund zwei Drittel aller Kinder eingeschult. Mädchen waren unter der Taliban-Herrschaft fast vollständig vom Bildungssystem ausgeschlossen. Das Bildungsministerium gibt die Zahl der Schüler/innen mit ca. 9 Millionen an, davon sind etwa 40% Mädchen. Der Anteil der Mädchen nimmt jedoch mit fortschreitender Klassen- und Bildungsstufe ab. Aber auch geografisch gibt es Unterschiede. Den geringsten Mädchen-Anteil findet man im Süden und Südwesten des Landes (Helmand, Uruzgan, Zabul und Paktika).

Der gewaltfreie Umgang mit Kindern hat sich in Afghanistan noch nicht als Normalität durchsetzen können. Körperliche Züchtigung und Übergriffe im familiären Umfeld, in Schulen oder durch die afghanische Polizei sind verbreitet. Dauerhafte und durchsetzungsfähige Mechanismen seitens des Bildungsministeriums, das Gewaltpotenzial einzudämmen, gibt es nicht. Gerade in ländlichen Gebieten gehört die Ausübung von Gewalt zu den gebräuchlichen Erziehungsmethoden an Schulen. Das Curriculum für angehende Lehrer beinhaltet immerhin Handreichungen zur Vermeidung eines gewaltsamen Umgangs mit Schülern.

Kinderarbeit

Das Arbeitsgesetz in Afghanistan setzt das Mindestalter für Arbeit mit 18 Jahren fest, erlaubt 14 -Jährigen als Lehrlinge zu arbeiten, sowie 15-Jährigen (und älter) ‚einfache Arbeit' zu verrichten. Ebenso dürfen 16- und 17-Jährige bis zu 35 Stunden pro Woche arbeiten. Unter 14-Jährigen ist es unter gar keinen Umständen erlaubt zu arbeiten. Das Arbeitsgesetz verbietet die Anstellung von Kindern in Bereichen, die ihre Gesundheit gefährden. In Afghanistan existiert eine Liste, die gefährliche Jobs definiert - dazu zählen:

Arbeit in Bergbau, Betteln, Abfallentsorgung und Müllverbrennung, arbeiten an Schmelzöfen, sowie großen Schlachthöfen, arbeiten mit Krankenhausabfall oder Drogen, arbeiten als Sicherheitspersonal und Arbeit im Kontext von Krieg.

Afghanistan hat die Konvention zum Schutze der Kinder ratifiziert. Kinderarbeit ist in Afghanistan somit offiziell verboten. Dennoch haben im Jahr 2014 laut AIHRC (Children's Situation Summary Report vom 14. Dezember 2014) 51,8% der Kinder auf die ein oder andere Weise gearbeitet. Viele Familien sind auf die Einkünfte, die ihre Kinder erwirtschaften, angewiesen. Daher ist die konsequente Umsetzung eines Kinderarbeitsverbots schwierig. Es gibt allerdings Programme, die es Kindern erlauben sollen, zumindest neben der Arbeit eine Schulausbildung zu absolvieren. Auch ein maximaler Stundensatz und Maßnahmen zum Arbeitsschutz (wie z. B. das Tragen einer Schutzmaske beim Teppichknüpfen) wurden gesetzlich geregelt. Der Regierung fehlt es allerdings an durchsetzungsfähigen Überprüfungsmechanismen dieser gesetzlichen Regelungen. 6,5 Millionen Kinder gelten als Gefahren ausgesetzt. Allgemein kann gesagt werden, dass schwache staatliche Institutionen die effektive Durchsetzung des Arbeitsrechts hemmen und die Regierung zeigt nur geringe Bemühungen, Kinderarbeit zu verhindern oder Kinder aus ausbeuterischen Verhältnissen zu befreien.

Kinderarbeit bleibt ein tiefgreifendes Problem. Das Arbeitsministerium verweigerte Schätzungen zu den Zahlen der arbeitenden Kinder in Afghanistan und begründete dies mit fehlenden Daten und Mängeln bei der Geburtenregistrierung. Dies schränkte, die ohnehin schwachen Kapazitäten der Behörden bei der Durchsetzung des Mindestalters für Arbeit ein. Berichten zufolge, wurden weniger als 10% der Kinder bei Geburt registriert. In einem Bericht der AIHRC, gaben 22% der Befragten an, arbeitende Kinder zu haben. Kinder sind bei der Arbeit einer Anzahl von Gesundheits- und Sicherheitsrisiken ausgesetzt; Berichte existieren wonach Kinder sexuellem Missbrauch durch erwachsene Arbeiter ausgesetzt waren.

Das Gesetz besagt, dass die Verhaftung eines Kindes als letztes Mittel und nur für die kürzest mögliche Zeit vorgenommen werden soll. Berichten zufolge mangelt es Kinder in Jugendhaftanstalten landesweit an Zugang zu adäquatem Essen, Gesundheitsvorsorge und Bildung. Verhafteten Kindern wurden oftmals Basisrechte wie z.B. die Unschuldsvermutung, das Recht auf einen Anwalt, oder das Recht auf Information über die Haftgründe usw., sowie das Recht nicht zu einem Geständnis gezwungen zu werden, verwehrt. Das Gesetz sieht eine eigene Jugendgerichtsbarkeit vor, limitierte Ressourcen ermöglichten bisher aber nur Jugendgerichte in sechs Gebieten: Kabul, Herat, Balkh, Kandahar, Jalalabad und Kunduz. In anderen Provinzen, in denen keine speziellen Gerichte existieren, fallen Kinder unter die Zuständigkeit allgemeiner Gerichte. In manchen Fällen nahmen die Behörden die Opfer, als zu bestrafende wahr, da sie Schande über die Familie gebracht haben, indem sie Missbrauch anzeigten. In manchen Fällen wurden misshandelte Kinder von den Behörden verhaftet, wenn sie nicht zu ihren Familien zurückgebracht werden konnten und keine anderen Zufluchtsstätten existierten. Auch gab es Vorwürfe wonach die Behörden Kinder oft stellvertretend für verwandte Täter verhafteten.

Bildungssystem in Afghanistan

In Afghanistan gibt es zwei parallele Bildungssysteme. Religiöse Bildung liegt in der Verantwortung des Klerus in den Moscheen, während die Regierung kostenfreie Bildung an staatlichen Einrichtungen bietet. Im Alter von 7 bis 13 Jahren gehen die Schüler in die Primärschule. Darauf folgen 3 Jahre Mittelschule. Studieninteressenten müssen am Ende dieses Abschnitts ein Examen bestehen. In der Sekundarschule haben die Schüler/innen die Wahl entweder für 3 weitere Jahre den akademischen Weg einzuschlagen, welcher weiter zur Universität führen kann; oder Themen wie angewandte Landwirtschaft, Luftfahrt, Kunst, Handel etc. zu lernen. Beide Programme enden mit einem ‚Bacculuria'-Examen. Aus- und Weiterbildung: Bildungseinrichtungen umfassen auch Berufsschulen, technische Hochschulen und tertiäre Institute wie das Kabul Polytechnic Institute. Viele Einrichtungen, unter der Leitung des Ministeriums für Arbeit und Soziales, bieten Trainings an. Auch das Ministerium für Bildung betreibt eine Abteilung für Weiterbildung (41 Schulen), die Unterstützung bieten. Diese fokussieren sich hauptsächlich auf Mechanik, Tischlerei, Sanitär, Metallarbeiten, Friseur, Schneiderei und Bürotätigkeiten. Öffentliche Schulen und Kindergärten sind bis zum Universitätslevel kostenlos. Private Bildungseinrichtungen und Universitäten müssen bezahlt werden.

Kinderbetreuung: Es gibt einige staatlich finanzierte und verwaltete Kindergärten. Diese gewähren Kindern von Mitarbeiter/innen kostenfreien Zugang.

Viele Kinder sind unterernährt. Ca. 10% (laut offizieller Statistik 91 von 1.000, laut Weltbank 97 von 1.000) der Kinder sterben vor ihrem fünften Geburtstag. Straßenkinder gehören zu den am wenigsten geschützten Gruppen Afghanistans und sind jeglicher Form von Missbrauch und Zwang ausgesetzt (AA 9.2016).

Als "verwestlicht" wahrgenommene Personen:

Berichten zufolge werden Personen von regierungsfeindlichen Kräften angegriffen, die vermeintlich Werte und/oder ein Erscheinungsbild angenommen haben, die mit westlichen Ländern in Verbindung gebracht werden, und denen deshalb unterstellt wird, die Regierung und die internationale Gemeinschaft zu unterstützen. UNHCR ist der Ansicht, dass - je nach den Umständen des Einzelfalls - für solche Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung oder mit der internationalen Gemeinschaft einschließlich der internationalen Streitkräfte verbunden sind, oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen, ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz aufgrund ihrer (zugeschriebenen) politischen Überzeugung oder aufgrund anderer relevanter Gründe bestehen kann.

Dokumentierte Fälle eines gezielten Vorgehens gegen zurückkehrende Afghanen auf Grundlage einer "Verwestlichung", weil diese in Europa gereist wären oder dort gelebt hätten, westliche Ausweisdokumente in ihrem Besitz oder Ideen angenommen hätten, welche als "unafghanisch", "westlich" oder "europäisch" angesehen werden, sind spärlich. Uneinheitliche Beschreibungen aus Quellen nennen vereinzelte Berichte vermeintlicher Entführungen oder sonstige, auf Einzelne abzielende Verfolgungshandlungen, oder, dass nicht für jede Person ein Risiko besteht, aber, dass solche Handlungen vorkommen, wobei allerdings der Grad und die Verbreitung schwierig zu quantifizieren sind, oder aber, dass Verfolgung nicht spezifisch vorkomme wegen des Asylwerbens oder des Bereisens westlicher Länder.

2. Beweiswürdigung:

Zu den Personen der BF:

Die Identität der BF1 und des BF2 steht aufgrund der Vorlage einer Tazkira fest.

Die getroffenen Feststellungen zu den Personen ergeben sich aus dem diesbezüglichen Vorbringen der BF1 und des BF2. Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, zur Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit sowie zu den Lebensumständen in Afghanistan stützen sich auf die Angaben der BF1 und des BF2 im Verfahren vor dem BFA, in der Beschwerde, sowie in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht und auf die Kenntnis und Verwendung der Sprache Farsi.

Die Feststellungen betreffend die absolvierten Deutschprüfungen, die Teilnahme am Werte- und Orientierungskurs, die gemeinnützige Arbeit sowie die sonstigen integrativen Aktivitäten ergeben sich aus den vorliegenden Bestätigungen.

Zum vorgebrachten Fluchtgeschichte:

Im Asylverfahren wurde von der BF1 und dem BF2 eine in den wesentlichen Teilen übereinstimmende Fluchtgeschichte vorgetragen. Die Gründe für das Verlassen des Herkunftsstaates wurde von der BF1 und dem BF2 im Wesentlichen ohne größere Widersprüche vorgebracht und sind daher als glaubhaft zu beurteilen.

Jedoch konnten weder die BF1 noch der BF2 nachvollziehbar darlegen, wie es jenen unbekannten Personen, von denen die BF1 aufgrund des Umstandes, dass sie als Lehrerin der Aufforderungen dreier Mädchen, jenen trotz mangelndem schulischen Erfolg gute Noten zu geben, nicht nachgekommen ist, bedroht wurde, gelingen sollte, von einer Rückkehr der BF1 und des BF2 nach Afghanistan, konkret den Ort des Aufenthalts im Iran, zu erfahren. So gaben die BF1 und der BF2 zwar übereinstimmend an, dass der BF2 im Iran Drohanrufe auf seinem Handy bekommen habe, zu einem persönlichen Kontakt ist es allerdings niemals gekommen, woraus zu schließen ist, dass es diesen Personen nicht möglich war, den Aufenthaltsort der BF1 und des BF2 herauszufinden. Es ist daher nicht davon auszugehen, dass es diesen Personen möglich wäre, den Aufenthaltsort der BF1 und des BF2 im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan herauszufinden, sofern sie nicht an den gleichen Ort zurückkehren, aus dem sie stammen.

Die Feststellung, dass die BF1 und die minderjährige BF3 alleine aufgrund ihres Geschlechts im Herkunftsstaat keiner asylrelevanten

Verfolgung ausgesetzt wären, beruht auf folgenden Erwägungen:

Zur BF1:

Die Feststellungen zum von der BF1 in Österreich gepflegten Lebensstil ergeben sich aus den unbedenklichen Aussagen der BF1.

Die BF1 vermochte im Rahmen der mündlichen Verhandlung weder überzeugend darzulegen, dass sie einen "westlichen Lebensstil" führe noch, dass sie eine diesbezügliche innere Einstellung habe und dass sich diese nachhaltig verfestigt hätte. Für die Annahme, dass die BF1 seit ihrer Einreise in Österreich eine "westliche" Lebensführung und damit eine Lebensweise angenommen hat, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellen würde, sind im gesamten Ermittlungsverfahren keine Gründe hervorgekommen, die derartiges vermuten ließen:

Auch wenn die BF1 in der mündlichen Beschwerdeverhandlung ohne Kopftuch erschienen ist, gilt es darauf hinzuweisen, dass derartige Umstände für sich alleine betrachtet noch kein entscheidendes Kriterium für einen "westlichen Lebensstil" darstellen und weitere Umstände hinzutreten müssen, um von einer "westlichen Orientierung" ausgehen zu können.

Die BF1 hat im Rahmen ihres bisherigen Aufenthalts Deutschkurse besucht und eine Deutschprüfung auf dem Niveau A2 abgelegt. Zudem hat sie diverse Workshops besucht und auch unentgeltlich gearbeitet. Diese Tätigkeiten stellen jedoch keine besonderen Aktivitäten dar, aus denen geschlossen werden kann, dass es der unbedingte Wille der BF1 ist, eine "westliche Lebensweise" anzunehmen. Vielmehr handelt es sich dabei um Mindestaktivitäten, die von Personen in vergleichbarer Position absolviert werden und den Bemühungen der Republik Österreich um Integration jener Personen entsprechen, die um die Gewährung von Asyl bzw. subsidiärem Schutz ansuchen.

Auch aus den Ausführungen der BF1 zu ihren Lebensumständen in Österreich geht nicht hervor, dass diese eine Lebensweise angenommen hat, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellen würde.

Die allgemeinen Angaben der BF1 stellen für sich genommen jedenfalls noch kein ausreichend tragfähiges Substrat für die Annahme eines "westlichen" Gesellschaftsbildes und eines freibestimmten Lebens dar, das es der BF1 verunmöglichen würde, sich in das Gesellschaftsbild Afghanistans einzuordnen. Die BF1 gab zwar an, dass sie sich in Österreich kleiden könne, wie es ihr gefalle, sich schminken könne und sie allein auf die Straße gehen könne. Mit diesen Ausführungen ist es der BF1 jedoch nicht gelungen den Eindruck zu vermitteln, dass sie ein "westliches" Gesellschaftsbild und ein freibestimmtes Leben angenommen hat.

Die Aussagen der BF1 zum Berufswunsch sind nachvollziehbar. So führte die BF1 aus, als Lehrerin arbeiten zu wollen. Ein besonderes eigenes Engagement und eine klare Vorstellung sowie konkrete Planung ihres Berufszieles, wie dies bei einem wirklichen Bestreben zu erwarten gewesen wäre, war in der mündlichen Beschwerdeverhandlung jedoch nicht erkennbar.

Zusammenfassend kann somit im Falle der BF1 festgestellt werden, dass diese eine "westlichen Orientierung", der eine selbstbestimmte und -verantwortliche Lebensweise immanent ist, noch nicht verinnerlicht hat. Der von der BF1 gepflegte Lebensstil verletzt daher die herrschenden sozialen Normen in Afghanistan nicht in einem Ausmaß, dass ihr bei einer Rückkehr (unter Beibehaltung des Lebensstils) Verfolgung iSd Genfer Flüchtlingskonvention drohen würde. Der westliche Lebensstil ist kein wesentlicher Teil der Identität der BF1 geworden, sodass diese ihr Verhalten nicht unterdrücken muss und somit keine Verfolgung gegeben ist.

Abschließend ist festzuhalten, dass die BF1 im Hinblick auf ihre "westliche Orientierung" im Rahmen der Beschwerdeverhandlung ausführlich befragt wurde. Eine persönliche Verfolgungsgefährdung der BF1 in Afghanistan aufgrund ihre "westlichen Orientierung" konnte jedoch nicht festgestellt werden und erschiene eine solche, unter Berücksichtigung der Angaben der BF1, auch nicht plausibel.

Zur BF3:

Bei der zweijährigen BF3 liegt schon aufgrund ihres jungen und anpassungsfähigen Alters keine derart fortgeschrittene Persönlichkeitsentwicklung vor, wegen derer eine Verinnerlichung eines "westlichen Verhaltens" oder eine "westlichen Lebensführung" als wesentlicher Bestandteil ihrer Identität angenommen werden könnte.

Soweit die minderjährige BF3 aufgrund mangelnder Bildungsmöglichkeiten in Afghanistan einer geschlechtsspezifischen Verfolgung unterliegen könnte, ist festzuhalten, dass sich aus den Länderberichten nicht ergibt, dass die BF3 aufgrund ihres Geschlechts von der Inanspruchnahme von Bildungsmöglichkeiten (insbesondere Schulbesuch) ausgeschlossen oder dabei maßgeblich beschränkt wäre. Bildung ist für Frauen ein Recht, das ihnen nach dem Fall der Taliban im Jahr 2001 eingeräumt wurde. Zur freien und verpflichtenden Bildung besagt Art. 4 des afghanischen Bildungsgesetzes, dass mittlere (elementare) Bildung in Afghanistan verpflichtend ist. Nach Art. 43 der afghanischen Verfassung haben alle afghanischen Staatsbürger das Recht auf Bildung; außerdem ist der Staat verpflichtet, zur gleichmäßigen Verbreitung der Bildung in ganz Afghanistan und zur Sicherung der obligatorischen mittleren Schulbildung effektive Programme zu entwickeln und zu verwirklichen. Der Berichtslage zur Situation von Bildungsmöglichkeiten für Mädchen zufolge räumt der afghanische Staat Bildung Priorität ein, wobei der Zugang zu und die Teilnahme an Bildung für Mädchen erfolgreich verbessert wurde. Zum Beispiel hat das afghanische Bildungsministerium gemeinsam mit USAID und anderen Gebern mehr als 16.000 Schulen errichtet. Etwa 154.000 Lehrerinnen und Lehrer wurden rekrutiert und ausgebildet. Die Zahl der Schuleinschreibungen wurde um mehr als 60 % erhöht. Aus den Länderberichten zur Situation von Kindern ergibt sich, dass mittlerweile rund zwei Drittel aller Kinder eingeschult werden. Während Mädchen unter der Taliban-Herrschaft fast vollständig vom Bildungssystem ausgeschlossen waren, machen sie von den heute ca. 9 Millionen Schulkindern rund 40 % aus, wenn auch der Anteil der Mädchen mit fortschreitender Klassen- und Bildungsstufe abnimmt. Frauen und Mädchen gehen öfter zu Schule, wenn sie keine langen Distanzen zurücklegen müssen. USAID hat 84.000 afghanische Mädchen dabei unterstützt, Schulen innerhalb ihrer Gemeinden besuchen zu können, damit sich nicht durch teilweise gefährliche Gegenden pendeln müssen.

Zusammenschauend sind auf Basis der Länderfeststellung in Bezug auf die BF3 kein Ausschluss vom Schulsystem und keine maßgebliche Beschränkung beim Zugang zu Bildungseinrichtungen ersichtlich. Eine von ihren Eltern ausgehende Beschränkung der BF3 ist schließlich auch nicht anzunehmen, da die BF1 und der BF2 ihren Äußerungen nach eine künftige (schulische) Ausbildung ihrer Tochter in Österreich gutheißen und fördern würden.

Insgesamt sind daher bei der BF3 keine Aspekte einer geschlechtsspezifischen Verfolgung, insbesondere hinsichtlich des Zugangs zu Bildung, ersichtlich.

Bezüglich der Feststellung, dass die BF3 alleine aufgrund ihres Alters bzw. vor dem Hintergrund der Situation von Kindern in Afghanistan nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit physische und/oder psychische Gewalt asylrelevanter Intensität zu befürchten hätte, wird auf die rechtlichen Ausführungen verwiesen.

Die Feststellung, dass der BF2 als Rückkehrer mit westlicher Orientierung in Afghanistan keiner Verfolgung aus diesem Grund ausgesetzt wäre, ergibt sich aus seinem diesbezüglich lediglich allgemein gehaltenen Vorbringen, mit dem er mögliche Gewalthandlungen gegen seine Person nicht hinreichend substantiiert aufzuzeigen vermochte. Auf die Frage in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, an welchen Merkmalen die Verwestlichung des BF2 zu erkenne sei, gab er lediglich unsubstanziiert an, dass seine Tochter in Freiheit leben könne und seine Frau ohne Kopftuch das Haus verlassen könne. Eine Verwestlichung konkret auf seine Person bezogen wurde nicht vorgebracht. Seine Aussagen machen in einer Gesamtschau deutlich, dass beim BF2 keine westliche Orientierung in einem solchen Ausmaß vorliegt, dass er deshalb im Falle einer Rückkehr einer Verfolgung ausgesetzt wäre.

Bei der BF3 handelt es sich um eine unmündige Minderjährige im Alter von zwei Jahren, die im Familienverband mit ihren Eltern lebt und weder über eigenes Vermögen noch über eine eigene Möglichkeit der Existenzsicherung verfügt. Eine Niederlassung in Mazar-e Sharif oder einem anderen Ort als Grundlage für eine innerstaatliche Fluchtalternative ist ihr aus den folgenden Erwägungen nicht zumutbar:

Den diesen Erkenntnissen zugrunde gelegten Länderberichten ist zu entnehmen, dass in Afghanistan eine hohe Zahl an minderjährigen zivilen Opfern besteht. Zudem sind vor allem Kinder der Berichtslage zufolge besonders von Unterernährung betroffen. Ungefähr zehn Prozent der Kinder sterben demnach vor ihrem fünften Geburtstag. In Anbetracht der festgestellten individuellen und familiären Situation der BF und der - im Lichte der Länderfeststellungen bestehenden - besonderen Schutzbedürftigkeit von minderjährigen Kindern war seitens des Bundesverwaltungsgerichtes im Lichte einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, der hohen Zahl an minderjährigen zivilen Opfern auch in zentralen Regionen und Städten, der dadurch eingeschränkten Bewegungsfreiheit der minderjährigen BF3 sowie der schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für ihre erforderliche Versorgung im Herkunftsstaat festzustellen, dass die BF3 bei einer Rückkehr nach Afghanistan einem realen Risiko ausgesetzt wäre, in eine existenzbedrohende (Not-)Lage zu geraten.

Zur Situation im Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat ergeben sich aufgrund des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation (Gesamtaktualisierung am 29.06.2018) dem EASO-Bericht "Afghanistan Security Situation - Update" vom Mai 2018 und der UNHCR-RL vom 30.08.2018.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:

Gemäß § 9 Abs. 2 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) und § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA.

Da sich die gegenständliche Beschwerde gegen einen Bescheid des BFA richtet, ist das Bundesverwaltungsgericht für die Entscheidung zuständig.

Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Die gegenständlichen Beschwerdeverfahren, bei denen es sich um ein Familienverfahren iSd § 34 AsylG 2005 handelt, wurden gemäß § 17 VwGVG iVm § 39 Abs. 2 AVG zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

Zu A) I. Teilabweisung der Beschwerden - Nichtzuerkennung des Status von Asylberechtigten

Die "Glaubhaftmachung" wohlbegründeter Furcht gemäß § 3 AsylG 1991 setzt positiv getroffene Feststellungen von Seiten der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (vgl. VwGH 11.06.1997, Zl. 95/01/0627). Im Asylverfahren stellt das Vorbringen des Asylwerbers die zentrale Entscheidungsgrundlage dar. Dabei genügen aber nicht bloße Behauptungen, sondern bedarf es, um eine Anerkennung als Flüchtling zu erwirken, hierfür einer entsprechenden Glaubhaftmachung durch den Asylwerber (vgl. VwGH 04.11.1992, Zl. 92/01/0560). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist es Aufgabe des Asylwerbers, durch ein in sich stimmiges und widerspruchsfreies Vorbringen, allenfalls durch entsprechende Bescheinigungsmittel, einen asylrelevanten Sachverhalt glaubhaft zu machen (VwGH 25.03.1999, 98/20/0559).

So erscheint es im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht unschlüssig, wenn den ersten Angaben, die ein Asylwerber nach seiner Ankunft in Österreich macht, gegenüber späteren Steigerungen erhöhte Bedeutung beigemessen wird (vgl. VwGH 08.07.1993, Zl. 92/01/1000; VwGH 30.11.1992, Zl. 92/01/0832; VwGH 20.05.1992, Zl. 92/01/0407; VwGH 19.09.1990, Zl. 90/01/0133). Der Umstand, dass ein Asylwerber bei der Erstbefragung gravierende Angriffe gegen seine Person unerwähnt gelassen hat (hier Schläge, Ziehen an den Haaren, Begießen mit kaltem Wasser) spricht gegen seine Glaubwürdigkeit (VwGH 16.09.1992, Zl. 92/01/0181). Die gilt umso mehr für Widersprüche (vgl. zur Erstbefragung nach § 19 Abs. 1 AsylG 2005 auch VwGH 02.01.2017, Zl. Ra 2016/18/0323, Rz 8). Auch unbestrittene Divergenzen zwischen den Angaben eines Asylwerbers bei seiner niederschriftlichen Vernehmung und dem Inhalt seines schriftlichen Asylantrages sind bei schlüssigen Argumenten der Behörde, gegen die in der Beschwerde nichts Entscheidendes vorgebracht wird, geeignet, dem Vorbringen des Asylwerbers die Glaubwürdigkeit zu versagen (Vgl. VwGH 21.06.1994, Zl. 94/20/0140). Eine Falschangabe zu einem für die Entscheidung nicht unmittelbar relevanten Thema (vgl. VwGH 30.09.2004, Zl. 2001/20/0006, zum Abstreiten eines früheren Einreiseversuchs) bzw. Widersprüche in nicht maßgeblichen Detailaspekten (vgl. VwGH vom 23.01.1997, Zl. 95/20/0303 zu Widersprüchen bei einer mehr als vier Jahre nach der Flucht erfolgten Einvernahme hinsichtlich der Aufenthaltsdauer des BFs in seinem Heimatdorf nach seiner Haftentlassung) können für sich allein nicht ausreichen, um daraus nach Art einer Beweisregel über die Beurteilung der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers die Tatsachenwidrigkeit aller Angaben über die aktuellen Fluchtgründe abzuleiten (vgl. dazu auch VwGH 26.11.2003, Zl. 2001/20/0457). Auch oberflächlich und allgemein gehaltene Angaben, welche jeden konkreten, (insbesondere zeitlich) nachprüfbaren Anhaltspunkt vermeiden, und die trotz mehrfacher Aufforderungen, Details zu schildern, erfolgen, sind grundsätzlich geeignet, in einer schlüssigen Begründung zur Verneinung der Glaubwürdigkeit dieser Angaben betreffend eine drohende individuelle Verfolgung herangezogen zu werden (vgl. etwa VwGH 26.06.1996, Zl. 95/20/0205).

Die amtswegigen Ermittlungspflichten im Asylverfahren sind im § 18 Abs. 1 AsylG 2005 geregelt, der inhaltlich nahezu wortgleich der Vorgängerbestimmung des § 28 AsylG 1997 entspricht. Der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 Abs. AsylG 1997 folgend stellt diese Gesetzesstelle eine Konkretisierung der aus § 37 AVG in Verbindung mit § 39 Abs. 2 AVG hervorgehende Verpflichtung der Verwaltungsbehörden dar, den für die Erledigung der Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt von Amts wegen vollständig zu ermitteln und festzustellen, begründet aber keine über den Rahmen der angeführten Vorschriften hinausgehende Ermittlungspflicht (vgl. VwGH 08.04.2003, Zl. 2002/01/0522). Grundsätzlich obliegt es dem Asylwerber, alles Zweckdienliche, insbesondere seine wahre Bedrohungssituation in dem seiner Auffassung nach auf ihn zutreffenden Herkunftsstaat, für die Erlangung der von ihm angestrebten Rechtsstellung vorzubringen (Vgl. VwGH 31.05.2001, Zl. 2001/20/0041; VwGH 23.07.1999, Zl. 98/20/0464). Nur im Fall hinreichend deutlicher Hinweise im Vorbringen eines

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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