Entscheidungsdatum
27.09.2019Norm
B-VG Art. 133 Abs4Spruch
G314 2222347-1/4E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag.a Katharina BAUMGARTNER über die Beschwerde des slowakischen Staatsangehörigen XXXX, geboren am XXXX, vertreten durch die XXXX gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 16.07.2019, Zl. XXXX, betreffend die Erlassung eines Aufenthaltsverbots:
A) Der Beschwerde wird insofern Folge gegeben, als der angefochtene
Bescheid gemäß § 28 Abs 3 VwGVG aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen wird.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
Verfahrensgang und Sachverhalt:
Dem Beschwerdeführer (BF) wurde am XXXX08.2015 eine Anmeldebescheinigung als Arbeitnehmer ausgestellt. Er war von 01.07.2015 bis 24.05.2018 und von 20.06.2018 bis 11.03.2019 an verschiedenen Adressen in XXXX mit Hauptwohnsitz gemeldet; zwischen 28.01. und 11.02.2019 hatte er zusätzlich einen Nebenwohnsitz in XXXX. Zwischen 18.05. und 03.08.2017 war er in der Justizanstalt XXXX gemeldet; seit XXXX02.2019 bestehen wieder Wohnsitzmeldungen in Justizanstalten. Der BF war ab 17.07.2015 immer wieder (mit Unterbrechungen) bei verschiedenen Arbeitgebern im Bundesgebiet beschäftigt; dazwischen bezog er zum Teil Kranken- bzw. Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe. Das letzte Beschäftigungsverhältnis endete am XXXX02.2019.
Am XXXX02.2019 wurde der BF verhaftet; am nächsten Tag wurde über ihn die Untersuchungshaft verhängt.
Mit Schreiben vom 12.03.2019 forderte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den BF auf, sich zu der für den Fall seiner rechtskräftigen Verurteilung geplanten Erlassung eines Aufenthaltsverbots zu äußern. In seiner Stellungnahme vom 20.03.2019 wies der BF auf die nach wie vor bestehende Beziehung zu seiner in Österreich lebenden ExfrauXXXX (richtig wohl: XXXX) XXXX und den beiden gemeinsamen, 2007 bzw. 2016 (richtig wohl: 2015) geborenen Kinder hin; ein weiteres Kind sei unterwegs. Am 30.04.2019 übermittelte der BF dem BFA diverse Unterlagen (Geburtsurkunde, Heiratsurkunde, Mietvertrag).
Am XXXX07.2019 verständigte die Justizanstalt XXXX das BFA vom Strafantritt des BF, der mit dem Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX.2019, XXXX, wegen Einbruchsdiebstahls (§§ 127, 129 Abs 1 Z 1 StGB) zu einer einjährigen Haftstrafe verurteilt worden war. Es handelt sich um seine bislang einzige Verurteilung im Bundesgebiet. Weder das Strafurteil noch andere Informationen zu den vom BF begangenen Straftaten und den Strafzumessungsgründen liegen vor.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde gegen den BF gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG ein fünfjähriges Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.) und gemäß § 70 Abs 3 FPG ein einmonatiger Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.). Das Aufenthaltsverbot wurde im Wesentlichen mit der strafgerichtlichen Verurteilung des BF begründet, ohne Feststellungen zu seinem konkreten, der Verurteilung zugrundeliegenden Fehlverhalten, zu den Erschwerungs- und Milderungsgründen und zu allfälligen Vorstrafen zu treffen. Aus dem mit den Akten vorgelegten Beschluss des LandesgerichtsXXXX über die Verhängung der Untersuchungshaft vom XXXX.2019, XXXX, ergibt sich, dass der BF zwei Vorstrafen in der Slowakei hat. Aus der Meldung der Landespolizeidirektion XXXX vom XXXX.2017 ergibt sich, dass er an diesem Tag in XXXX aufgrund eines Europäischen Haftbefehls zur Auslieferung in die Slowakei wegen zweifachen Einbruchsdiebstahls mittels Nachsperre als Komplize im Jahr 2015 (Strafvollstreckung von zehn Monaten) festgenommen wurde. Trotzdem hat die Behörde im angefochtenen Bescheid keine Feststellungen zu allfälligen Vorstrafen des BF in anderen Staaten, zu den dort verhängten Sanktionen und zur Frage, ob er rasch rückfällig wurde, getroffen.
Gegen den Bescheid richtet sich die wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde mit dem Antrag auf Behebung des Aufenthaltsverbots, in eventu auf Durchführung einer Beschwerdeverhandlung zur Einvernahme des BF und seiner Exfrau. Hilfsweise werden weiters ein Aufhebungs- und Rückverweisungsantrag gestellt und die Herabsetzung der Dauer des Aufenthaltsverbots beantragt. Der BF begründet die Beschwerde zusammengefasst damit, dass durch die Unterlassung seiner persönlichen Einvernahme sein Recht auf Parteiengehör verletzt worden sei. Die Behörde habe keine nachvollziehbare Gefährdungsprognose erstellt, falsche Feststellungen getroffen, den über vierjährigen Aufenthalt des BF in Österreich, seine Deutschkenntnisse, die Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet und seine hier aufhältige Kernfamilie bei der Interessenabwägung zu Unrecht nicht berücksichtigt und sich nicht mit den Auswirkungen der Aufenthaltsbeendigung auf die Beziehung des BF zu seinen minderjährigen Kindern beschäftigt. Gleichzeitig mit der Beschwerde legte der BF weitere Urkunden vor, aus denen ua hervorgeht, dass er Ende 2018 in der XXXX erwerbstätig war (Einsatzvertrag mit der XXXX vom 29.11.2018).
Das BFA legte die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens dem BVwG vor, wo sie am 13.08.2019 einlangten.
Beweiswürdigung:
Der Verfahrensgang und der oben angeführte Sachverhalt ergeben sich aus dem Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BFA und des Gerichtsakts des BVwG. Entscheidungswesentliche Widersprüche liegen nicht vor, sodass sich eine eingehendere Beweiswürdigung erübrigt.
Der richtige Name der Exfrau des BF und das richtige Geburtsdatum seiner zweiten Tochter konnten anhand von Abfragen im Zentralen Melderegister ermittelt werden.
Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 28 Abs 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über eine Bescheidbeschwerde iSd Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG wie die vorliegende dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder dessen Feststellung durch das Gericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z 2). Wenn diese Voraussetzungen nicht vorliegen, hat das Gericht gemäß § 28 Abs 3 VwGVG dann meritorisch zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an die Behörde zurückverweisen, die dann an die rechtliche Beurteilung, von der das Gericht ausgegangen ist, gebunden ist.
Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher insbesondere dann in Betracht, wenn die Behörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Behörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden. Wenn die Behörde den entscheidungswesentlichen Sachverhalt unzureichend festgestellt hat, indem sie keine für die Sachentscheidung brauchbaren Ermittlungsergebnisse geliefert hat, ist eine Zurückverweisung gemäß § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG zulässig (VwGH 28.03.2017, Ro 2016/09/0009).
Von der Möglichkeit einer Zurückverweisung kann demnach nur bei besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren2 § 28 VwGVG Anm 13), wie sie hier vorliegen.
Dabei ist von folgender rechtlicher Beurteilung auszugehen: Gegen den BF als slowakischen Staatsangehörigen (und damit EWR-Bürger iSd § 2 Abs 4 Z 8 FPG) ist gemäß § 67 Abs 1 FPG ein Aufenthaltsverbot zu erlassen, wenn auf Grund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet ist. Das Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können diese Maßnahmen nicht ohne weiteres begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.
Bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbots ist eine einzelfallbezogene Gefährdungsprognose zu erstellen, bei der das Gesamtverhalten des Betroffenen in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen ist, ob und im Hinblick auf welche Umstände die maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache einer Verurteilung oder Bestrafung, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (siehe VwGH 24.01.2019, Ra 2018/21/0234).
Außerdem ist auf die privaten und familiären Interessen des Betroffenen Bedacht zu nehmen und unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit seinen gegenläufigen persönlichen Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. VwGH 29.06.2017, Ra 2017/21/0068).
Hier wurden keine Erhebungen zu den konkreten Straftaten des BF im Bundesgebiet, zu den Strafzumessungsgründe und zu seinen Vorstrafen vorgenommen. Es fehlen daher die zentralen Sachverhaltselemente für die vorzunehmende Gefährdungsprognose. Das BFA hat sich auch nur oberflächlich mit dem Privat- und Familienleben des BF auseinandergesetzt. Es sind insbesondere noch Ermittlungen zur Kontinuität seines Aufenthalts in Österreich notwendig (zumal Hinweise dafür bestehen, dass er 2017 in der Slowakei in Haft und 2018 in der XXXX erwerbstätig war), zu einem allfälligen gemeinsamen Haushalt mit seiner Exfrau und seinen Kindern (zumal er schon vor seiner Verhaftung nicht mehr an derselben Adresse wie diese gemeldet war) und zur Intensität seiner Kontakte zu den Kindern.
Aufgrund dieser schwerwiegenden Ermittlungslücken kann noch nicht beurteilt werden, ob gegen den BF ein Aufenthaltsverbot verhängt werden muss und wenn ja, in welcher Dauer. Auf der Basis der bisherigen Erhebungen des BFA ist noch keine abschließende rechtliche Beurteilung des Sachverhalts möglich; dieser ist vielmehr in wesentlichen Teilen ergänzungsbedürftig. Außerdem zeigt die Beschwerde zu Recht mehrere aktenwidrige und widersprüchliche Feststellungen im angefochtenen Bescheid auf (z.B. dass sich der BF nur kurz, für die Begehung von Straftaten in Österreich aufgehalten, hier noch nie einen ordentlichen Wohnsitz geführt und kein Interesse an einem dauernden Aufenthalt in Österreich gezeigt habe, sondern lediglich als Kriminaltourist eingereist sei; dass ein Teil seiner Kernfamilie in der Slowakei lebe).
Das BFA hat nur ansatzweise ermittelt und kaum geeigneten Schritte zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts gesetzt. Es wird im fortgesetzten Verfahren das gegen den BF in Österreich ergangene Strafurteil, Informationen über Vorstrafen und Sanktionen in anderen Staaten (etwa durch Einholung eines ECRIS-Auszuges) sowie zu den Hintergründen der Anhaltung in der JustizanstaltXXXX 2017 einholen müssen. Außerdem sind Erhebungen zur Intensität des behaupteten Familienlebens erforderlich (z.B. darüber, wann und warum die Ehe des BF geschieden wurde, wann und wie er wieder eine Familiengemeinschaft mit seiner Exfrau aufgenommen hat, zu den Wohnverhältnissen, zumal der BF nicht Vertragspartner des vorgelegten Mietvertrags ist, ob mittlerweile ein weiteres Kind des BF zur Welt gekommen ist, ob es eine Obsorge- bzw. Kontaktrechtsregelung gibt und wie dies tatsächlich gelebt wurde und ob der BF während der Haft von seiner Familie besucht wird), zu den Auswirkungen einer Aufenthaltsbeendigung auf die Kinder des BF sowie zur allfälligen Zumutbarkeit der Fortsetzung des gemeinsamen Familienlebens außerhalb von Österreich (zumal z.B. die ältere Tochter des BF laut ZMR zwischen 26.02.2016 und 04.04.2017 gar icht im Bundesgebiet gemeldet war). Dazu wird es z.B. notwendig sein, den BF und seine Exfrau zu vernehmen und Besucherlisten der Justizanstalten einzuholen.
Da zu den tragenden Sachverhaltselementen keine Beweisergebnisse vorliegen, zur Klärung des relevanten Sachverhalts zusätzliche Ermittlungen notwendig sein werden und dadurch bedingte Weiterungen des Verfahrens nicht ausgeschlossen werden können, führt es weder zu einer Kostenersparnis noch zu einer Verfahrensbeschleunigung, wenn das BVwG die Erhebungen selbst durchführt. In diesem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, dass § 67 FPG grundsätzlich (nur) Fälle schwerer Kriminalität erfasst und dem BFA bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbots ein entsprechender Begründungsaufwand zukommt (Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht § 67 FPG K1).
Im Ergebnis ist der angefochtene Bescheid daher gemäß § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur allfälligen Erlassung eines neuen Bescheids an das BFA zurückzuverweisen.
Eine mündliche Verhandlung entfällt gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG, weil schon aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist.
Die Revision war wegen der Einzelfallbezogenheit der Entscheidung über die Anwendung des § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG, die keine grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG begründet, nicht zuzulassen (siehe z.B. VwGH 25.01.2017, Ra 2016/12/0109).
Schlagworte
Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, individuelleEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:G314.2222347.1.00Zuletzt aktualisiert am
27.02.2020