TE Bvwg Erkenntnis 2019/9/30 W261 2200962-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.09.2019
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Entscheidungsdatum

30.09.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

Spruch

W261 2200962-1/22E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Karin GASTINGER, MAS über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.06.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der nunmehrige Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste nach eigenen Angaben am 09.12.2015 als Unbegleiteter Minderjähriger Flüchtling in die Republik Österreich ein und stellte am selben Tag gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Bei der Erstbefragung am 10.12.2015 vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der BF im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari an, dass er aus Afghanistan geflüchtet sei, weil es dort Krieg gebe. Er könne dort nicht lernen, das seien seine Fluchtgründe.

Mit Beschluss des Bezirksgerichtes XXXX vom 24.06.2015 wurde dem Land XXXX als Kinder- und Jugendhilfeträger die Obsorge für den mj. BF übertragen.

Am 24.01.2018 erfolgte die niederschriftliche Ersteinvernahme des BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge belangte Behörde) im Beisein seiner Vertrauensperson sowie eines Dolmetschers für die Sprache Dari. Er gab an, er sei in der Provinz Nangarhar geboren, sei Paschtune vom Stamm der XXXX , und habe immer in seinem Heimatdorf gelebt, wo er auch die Schule besucht und dreieinhalb bis vier Jahre in einer Autowerkstatt gearbeitet habe. Die Taliban hätten nicht gewollt, dass der BF die Schule besuche, sie hätten gewollt, dass er sich ihnen anschließe. Er sei nie persönlich mit den Taliban in Kontakt gekommen. Sowohl seine Eltern als auch er hätten nicht gewollt, dass der BF unschuldige Menschen töte. Wenn er aus dem Ausland wieder nach Afghanistan zurückkehre werde ihm vorgeworfen werden, dass er nicht mehr gläubig und Christ sei. Der BF legte eine Reihe von Integrationsunterlagen vor.

Mit einer Eingabe, eingelangt am 07.02.2018, legte der BF zu den Länderinformationen einige Bilder und Artikel aus dem Internet vor, welche belegen würden, dass es in Nangarhar zu Bombenanschlägen komme.

Die Landespolizeidirektion XXXX übermittelte einen Aktenvermerk vom 18.05.2018 an die belangte Behörde, wonach der BF in einen Raufhandel am Bahnhof in XXXX verwickelt gewesen sei.

Mit nunmehr angefochtenem Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab. Gemäß § 57 AsylG 2005 erteilte die belangte Behörde dem BF keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.) und erließ gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG, gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.). Die belangte Behörde stellte fest, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters sprach die belangte Behörde aus, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des BF gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI).

Zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates bzw. zu der Situation im Falle einer Rückkehr stellte die belangte Behörde insbesondere fest, dass nicht festgestellt habe werden können, dass dem BF in Afghanistan eine Verfolgung durch die Taliban drohe. Es werde festgestellt, dass der BF in Afghanistan keiner Bedrohung und Verfolgung im Sinne der GFK ausgesetzt sei. Er könne auf sicherem Luftwege in seine Heimatprovinz Nangarhar zurückkehren. Er liefe nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse nicht befriedigen zu können und in eine aussichtlose Lage zu geraten.

Der BF erhob mit Eingabe vom 05.07.2018, bevollmächtigt vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen diesen Bescheid fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde und führte begründend aus, dass der Bescheid vollinhaltlich angefochten werde. Er sei der Gefahr der Zwangsrekrutierung durch die Taliban ausgesetzt und gehöre dieser Risikogruppe laut UNHCR Richtlinie an. Er werde als "verwestlichte Person" angesehen und sei auch aus diesem Grunde im Falle seiner Rückkehr einer besonderen Gefahr ausgesetzt. Er verweise auf das Gutachten von Friederike Stahlmann, welche eine Rückkehr nach Afghanistan für ausgeschlossen halte. Eine Rückkehr sei dem BF nicht zuzumuten, weswegen dem BF jedenfalls subsidiärer Schutz zu gewähren sei. Die belangte Behörde habe auch nicht hinreichend berücksichtigt, dass der BF sich bestens in Österreich integriert habe, eine Rückkehrentscheidung würde auf unzulässige Weise im Sinne des Art. 8 EMRK in sein Familien- und Privatleben eingreifen. Er beantrage, der Beschwerde in den einzelnen aufgelisteten Punkten stattzugeben.

Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt langten am 16.07.2018 beim Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) ein.

Die belangte Behörde teilte mit Eingabe vom 02.08.2018 mit, dass die Staatsanwaltschaft XXXX das Ermittlungsverfahren gegen den BF wegen § 91 StGB (Raufhandel) eingestellt habe.

Die belangte Behörde teilte mit Eingabe vom 09.08.2018 mit, dass die Staatsanwaltschaft XXXX gegen den BF einen Strafantrag wegen falscher Beweisaussage nach § 288 Abs. 1 und 4 StGB beantragt habe.

Mit Eingabe vom 28.09.2018 übermittelte die belangte Behörde eine Mitteilung des Landesgereichtes XXXX , wonach der BF mit Urteil vom 13.09.2018 gemäß § 259 Z 3 StPO vom Verdacht der falschen Beweisaussage freigesprochen worden sei.

Das BVwG führte am 22.11.2018 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an der die belangte Behörde entschuldigt nicht teilnahm. Der BF wurde im Beisein seiner Vertreterin und eines Dolmetschers für die Sprache Paschtu zu seinen Fluchtgründen und zu seiner Situation in Österreich befragt und wurde ihm Gelegenheit gegeben, zu den aktuellen Feststellungen zur Situation in Afghanistan Stellung zu nehmen. Der BF legte eine Reihe von Integrationsunterlagen vor.

Das BVwG legte im Rahmen der Verhandlung die aktuellen Länderinformationen zu Afghanistan, genauer das Länderinformationsblatt Afghanistan in der Fassung vom 29.10.2018, den Landinfo report Afghanistan zum Thema: "Der Nachrichtendienst der Taliban und die Einschüchterungskampagne", die aktuelle UNHCR Richtlinie vom 30.08.2018, eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 13.09.2018 zur Dürre in Herat und Mazar-e Sharif und Auszüge aus den aktuellen EASO Leitlinien zu Afghanistan vom Juni 2018 vor und räumte den Parteien des Verfahrens die Möglichkeit ein, hierzu innerhalb einer Frist von drei Wochen eine schriftliche Stellungnahme abzugeben.

Der BF, bevollmächtigt vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, führte in seiner Stellungnahme vom 03.12.2018 im Wesentlichen aus, dass aufgrund anhaltender Gewalt, der fehlenden Beschäftigung und der anhaltenden Dürre tausende Familien Afghanistan verlassen hätten. Aufgrund seiner Fluchtgründe und der Situation in Mazar-e Sharif werde es dem BF nicht möglich sein, eine Arbeit zu finden, sich zu ernähren bzw. ein Dach über dem Kopf zu finden. Somit bestehe keine innerstaatliche Fluchtalternative und eine Abschiebung wäre eine reale Verletzung des Art. 3 EMRK. Die belangte Behörde gab keine Stellungnahme ab.

Die belangte Behörde übermittelte mit Eingabe vom 09.07.2019 eine Mitteilung der Landespolizeidirektion XXXX vom 04.07.2019, wonach der BF im Verdacht stehe, Ende Juni 2019 in XXXX am Bahnhof in eine Rauferei verwickelt gewesen zu sein.

Das BVwG übermittelte mit Schreiben vom 04.09.2019 ergänzend das Länderinformationsblatt Afghanistan in der Fassung vom 04.06.2019 und ein ecoi.net Themendossier zur Sicherheitslage und sozioökonomische Lage in Herat und Masar-e Sharif, vom 30.04.2019 und räumte den Parteien die Möglichkeit ein hierzu innerhalb einer Frist von drei Wochen eine schriftliche Stellungnahme abzugeben.

Das BVwG führte am 05.09.2019 eine Abfrage im GVS System durch, wonach der BF seit 11.12.2015 Leistungen aus der vorübergehenden Grundversorgung bezieht.

Aus dem vom BVwG am 05.09.2019 eingeholten Auszug aus dem Strafregister ist ersichtlich, dass im Strafregister der Republik Österreich für den BF keine Verurteilungen aufscheinen.

Der BF verwies durch seine bevollmächtige Vertretung in seiner Stellungnahme vom 18.09.2019 im Wesentlichen auf die Länderfeststellungen zu den Netzwerken der Taliban, zur Ernährungs- und Arbeitsmarktsituation in Afghanistan, der Korruption der afghanischen Polizei und der großen Rolle von sozialen, familiären und religiösen Netzwerken für Rückkehrer. Aufgrund der anhaltenden Gewalt, der Schutzunwilligkeit Afghanistans, der Fluchtgründe des BF, der fehlenden Beschäftigungsmöglichkeiten, der anhaltenden Nahrungsmittelknappheit und der daraus resultierenden Fluchtbewegungen nach Herat und Mazar-e Sharif werde es dem BF kaum bis gar nicht möglich sein, eine Arbeit zu finden, sich zu ernähren bzw. ein Dach über dem Kopf zu finden. Somit bestehe keine innerstaatliche Fluchtalternative und eine Abschiebung wäre eine reale Verletzung des Art. 3 EMRK.

Die belangte Behörde gab keine Stellungnahme ab.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1 Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers

Der BF führt den Namen XXXX , geboren am XXXX , im Dorf XXXX , im Distrikt XXXX , in der Provinz Nangarhar, ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Paschtunen und dem Stamm der XXXX an, ist sunnitischer Moslem, gesund, kinderlos und ledig. Die Muttersprache des BF ist Paschtu. Er spricht auch Dari, Farsi, Deutsch und etwas Englisch. Der BF ist Zivilist.

Der BF wuchs in seinem Heimatdorf auf, wo er auch sieben Jahre lang die Schule besuchte. Er besuchte in weiterer Folge drei Jahre lang in XXXX die Schule. Neben der Schule arbeitete er als Helfer in einer Autowerkstatt.

Der Vater des BF heißt XXXX . Seine Mutter heißt XXXX . Der BF hat Geschwister, zwei jüngere Brüder und vier jüngere Schwestern. Die Eltern und die Geschwister des BF leben mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nach wie vor im Heimatdorf des BF.

Der Vater des BF ist als Landwirt tätig. Die Mutter des BF ist Hausfrau. Die Familie des BF ist Eigentümerin eines Hauses und von Grundstücken im Heimatdorf des BF.

Der BF hat zumindest Verwandte mütterlicherseits in Afghanistan.

Der BF reiste im November 2015 aus Afghanistan aus und gelangte über den Iran, die Türkei, Bulgarien, Serbien, Mazedonien und weitere Staaten nach Österreich, wo er spätestens am 09.12.2015 irregulär einreiste und am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

1.2 Zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers

Das vom BF dargelegte Fluchtvorbringen betreffend die Gefahr, einer Zwangsrekrutierung durch die Taliban ausgesetzt zu sein, ist nicht glaubhaft.

Der BF war in seinem Heimatland Afghanistan keiner psychischen oder physischen Gewalt aus Gründen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe ausgesetzt, noch hat er eine solche, im Falle seiner Rückkehr, zu befürchten.

Der BF wurde in Afghanistan nie persönlich bedroht oder angegriffen, es droht ihm auch künftig keine psychische oder physische Gewalt von staatlicher Seite, oder von Aufständischen, oder von sonstigen privaten Verfolgern in seinem Herkunftsstaat.

Es ist nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass konkret der BF auf Grund der Tatsache, dass er sich seit ca. dreieinhalb Jahren in Europa aufhält bzw. dass jeder afghanische Staatsangehörige, der aus Europa nach Afghanistan zurückkehrt, in Afghanistan psychischer oder physischer Gewalt ausgesetzt wäre. Ebenso wenig kann mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass dem BF bei einer Rückkehr nach Afghanistan auf Grund seiner "westlichen Wertehaltung" psychische oder physische Gewalt drohen würde.

Auch sonst haben sich keine Hinweise für eine dem BF in Afghanistan individuell drohende Verfolgung ergeben.

1.3 Zum (Privat)Leben des Beschwerdeführers in Österreich:

Der BF befindet sich seit seiner Antragstellung im Dezember 2015 auf Grund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG 2005 durchgehend rechtmäßig im Bundesgebiet. Er bezieht seit seiner Einreise Leistungen aus der vorübergehenden Grundversorgung.

Der BF besuchte Deutschkurse, zuletzt auf Niveau A2, und verfügt über gute Kenntnisse der deutschen Sprache. In seiner Freizeit spielt der BF Fußball und Cricket, er geht laufen und arbeitete ehrenamtlich bei Kulturveranstaltungen und in der Pfarre XXXX mit. Er ist auch bei den Pfadfindern in XXXX ein gern gesehener Gast. Da der BF keine Arbeitserlaubnis hat, kann er in Österreich nicht arbeiten. Er hilft Bekannten bei Arbeiten im Garten. Der BF hat in Österreich keine Familienangehörigen. Er hat eine Vertrauensperson, welche er als seine "Oma" bezeichnet. Neben Freundschaften konnten keine weiteren substantiellen Anknüpfungspunkte im Bereich des Privatlebens des BF in Österreich festgestellt werden.

Der BF wird von seinen Vertrauenspersonen als intelligent, als eine Person, die gerne lacht, fleißig, sympathisch, sehr höflich, freundlich, hilfsbereit, zuvorkommend, beliebt und schüchtern beschrieben.

Der BF ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

1.4 Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

Es kann nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass dem BF bei einer Überstellung in seine Herkunftsprovinz Nangarhar aufgrund der volatilen Sicherheitslage und der dort stattfinden willkürlichen Gewalt im Rahmen von internen bewaffneten Konflikten ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen würde.

Dem BF steht als interstaatliche Flucht- und Schutzalternative eine Rückkehr in der Stadt Mazar-e Sharif zur Verfügung, wo es ihm möglich ist, ohne Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können bzw. in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten, zu leben. Dem BF droht bei seiner Rückkehr in diese Stadt mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit kein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit.

Der BF ist jung und arbeitsfähig. Seine Existenz kann er in Mazar-e Sharif - zumindest anfänglich - mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern. Er ist auch in der Lage, eine einfache Unterkunft zu finden. Der BF hat auch die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form der Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen, sodass er im Falle der Rückkehr - neben den eigenen Ressourcen - auf eine zusätzliche Unterstützung zur Existenzsicherung greifen kann. Diese Rückkehrhilfe umfasst jedenfalls auch die notwendigen Kosten der Rückreise. Er hat eine zehn Jahre Schulausbildung, die er auch in Mazar-e Sharif wird nutzen können. Er ist ein junger, gesunder und arbeitsfähiger Mann.

Der BF läuft im Falle der Rückkehr nach Mazar-e Sharif nicht Gefahr, aufgrund seines derzeitigen Gesundheitszustandes in einen unmittelbar lebensbedrohlichen Zustand zu geraten, oder dass sich eine Erkrankung in einem lebensbedrohlichen Ausmaß verschlechtern wird. Es sind auch sonst keine objektivierten Hinweise hervorgekommen, dass allenfalls andere schwerwiegende körperliche oder psychische Erkrankungen einer Rückführung des BF in den Herkunftsstaat entgegenstehen würden.

1.5 Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:

Zur Lage in Afghanistan werden die im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation in der Gesamtaktualisierung vom 29.06.2018 mit Stand vom 04.06.2019 (LIB), in den UNHCR Richtlinien vom 30.08.2018 (UNHCR), den EASO Leitlinien zu Afghanistan vom Juni 2018 (EASO 2018) bzw. die notorischen EASO Leitlinien zu Afghanistan vom Juni 2019 (EASO 2019), die in der Arbeitsübersetzung Landinfo report "Afghanistan: Der Nachrichtendienst der Taliban und die Einschüchterungskampagne" vom 23.08.2017 (Landinfo) und im ecoi.net Themendossier vom 30.04.2019 zur Sicherheitslage und sozioökonomische Lage in Herat und Masar-e Sharif (ECOI 2019) enthaltenen folgenden Informationen als entscheidungsrelevant festgestellt:

1.5.1 Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen andere gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren. Ausländische Streitkräfte und Regierungsvertreter sowie die als ihre Verbündeten angesehenen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte und Vertreter der afghanischen Regierung sind prioritäre Ziele der Aufständischen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen auf staatliche Einrichtungen aus. In einigen Teilen des Landes ist fehlende Sicherheit die größte Bewegungseinschränkung. In bestimmten Gebieten machen Gewalt durch Aufständische, Landminen und improvisierte Sprengfallen (IEDs) das Reisen besonders gefährlich, speziell in der Nacht. Bewaffnete Aufständischengruppen betreiben illegale Checkpoints und erpressen Geld und Waren. (LIB)

1.5.1.1 Herkunftsprovinz Nangarhar

Die Provinz Nangarhar liegt im Osten von Afghanistan. Im Norden grenzt sie an die Provinzen Kunar und Laghman, im Westen an die Hauptstadt Kabul und die Provinz Logar und an den Gebirgszug Spinghar im Süden. Die Provinzhauptstadt Jalalabad ist 120 Kilometer von Kabul entfernt. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf

1.573.973 geschätzt.

Die Provinz Nangarhar besteht, neben der Hauptstadt Jalalabad aus folgenden Distrikten: Ghani Khil/Shinwar, Sherzad, Rodat, Kama, Surkhrod, Khogyani, Hisarak/Hesarak, Pachiragam/Pachir Wa Agam, DehBala/Deh Balah/Haska Mina, Acheen/Achin, Nazyan, Mohmand Dara/Muhmand Dara, Batikot, Kot, Goshta, Behsood/Behsud, Kuz Kunar/Kuzkunar, Dara-e Noor/Dara-e-Nur, Lalpora/Lalpur, Dur Baba/Durbaba und Chaparhar. Nangarhar zählte 2017 zu den Provinzen mit der höchsten Opium-Produktion.

In den letzten Jahren hat sich die Sicherheitslage in der Provinz Nangarhar verschlechtert; Nangahar war seit dem Sturz des Taliban-Regimes eine der relativ ruhigen Provinzen im Osten Afghanistans, jedoch versuchen bewaffnete Aufständische in den letzten Jahren ihre Aktivitäten in der Provinz auszuweiten. Begründet wird das damit, dass seit dem Fall des Talibanregimes von weniger Vorfällen berichtet worden war. In den letzten Jahren versuchen Aufständische der Taliban und des IS in abgelegenen Distrikten Fuß zu fassen. Befreiungsoperationen, in denen auch Luftangriffe gegen den IS getätigt werden, werden in den unruhigen Distrikten der Provinz durchgeführt. Angriffe auch auf lokale Beamte und Sicherheitskräfte in der Provinz werden regelmäßig von Aufständischen der Taliban und dem IS durchgeführt. Nangarhar war die Provinz mit den meisten im Jahr 2017 registrierten Anschlägen.

Anhänger der Taliban, als auch des IS haben eine Präsenz in gewissen Distrikten der Provinz, wobei zu diesen mehrere südliche Distrikte gezählt werden. Nachdem die Grausamkeit des IS ihren Höhepunkt erreicht hat, sind die Taliban in Nangarhar beliebter geworden und haben an Einfluss gewonnen. Auch ist es dem IS nicht mehr so einfach möglich, Menschen zu rekrutieren. Obwohl militärische Operationen durchgeführt werden, um Aktivitäten der Aufständischen zu unterbinden, sind die Taliban in einigen Distrikten der Provinz aktiv. In Nangarhar kämpfen die Taliban gegen den IS, um die Kontrolle über natürliche Minen und Territorium zu gewinnen; insbesondere in der Tora Bora Region, die dazu dient, Waren von und nach Pakistan zu schmuggeln. Bewaffnete Zusammenstöße zwischen Taliban und IS fanden statt, dabei ging es um Kontrolle von Territorium. In einem Falle haben aufständische Taliban ihren ehemaligen Kommandanten getötet, da ihm Verbindungen zum IS nachgesagt wurden (LIB).

Die Provinz Nangarhar, mit Ausnahme der Stadt Jalalabad, zählt laut EASO zu jenen Provinzen Afghanistans, wo willkürliche Gewalt ein derart hohes Ausmaß erreicht, dass erhebliche Gründe für die Annahme sprechen, dass ein in diese Provinz zurückgekehrter Zivilist allein aufgrund seiner Anwesenheit auf dem Gebiet dieser Provinz einer realen Gefahr ausgesetzt wäre, einen ernsthaften Schaden im Sinne von Art. 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie zu nehmen.

Die Stadt Jalalabad zählt laut EASO zu jenen Regionen, in denen eine "bloße Präsenz" in dem Gebiet nicht ausreicht, um ein ernstes Risiko für ernsthafte Schäden gemäß Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie festzustellen, es wird dort jedoch ein hohes Maß an willkürlicher Gewalt erreicht und dementsprechend ist ein geringeres Maß an Einzelelementen erforderlich, um die Annahme zu begründen, dass ein Zivilist, der dieses Gebiet zurückgekehrt ist, einem realen Risiko eines ernsthaften Schadens im Sinne von

Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie ausgesetzt ist (EASO 2019).

1.5.1.2 Provinz Balkh bzw. Stadt Mazar-e Sharif

Bei der Provinz Balkh handelt es sich um eine jener Provinzen, in denen es zu willkürlicher Gewalt kommt, jedoch nicht auf hohem Niveau, und dementsprechend ist ein höheres Maß an Einzelelementen erforderlich ist, um wesentliche Gründe für die Annahme aufzuzeigen, dass ein in dieses Gebiet zurückgekehrter Zivilist einem realen ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, Schaden im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie zu nehmen (EASO 2019).

Die Stadt Mazar-e Sharif wird von EASO als eine jener Regionen eingestuft, in welcher willkürliche Gewalt auf einem so niedrigen Niveau stattfindet, dass im Allgemeinen kein reales Risiko besteht, dass ein Zivilist aufgrund willkürlicher Gewalt im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie persönlich betroffen wird (EASO 2019).

Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans, sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan. Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen. Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften, oder auch zu Angriffen auf Einrichtungen der Sicherheitskräfte. Regierungsfeindliche Gruppierungen versuchen ihren Aufstand in der Provinz Balkh voranzutreiben. (LIB)

Am 31. März 2019 wurden laut ACLED im Distrikt Nahri Shahi drei "Arbaki"-Kämpfer von Taliban-Kämpfern getötet. Am 27. März 2019 wurde laut ACLED im Dorf Kampirak im Distrikt Nahri Shahi ein afghanischer Polizist von Taliban-Kämpfern getötet und zwei weitere verwundet. Am 27. März 2019 wurden laut ACLED im Distrikt Masar-e Scharif zwei afghanische Polizisten von Taliban-Kämpfern getötet und ein weiterer verwundet. Am 16. März 2019 wurde laut ACLED in der Stadt Masar-e Scharif ein "Arbaki" von Taliban-Kämpfern getötet. Im März 2019 kam es laut RFE/RL in der Stadt Masar-e Scharif zu einem Feuergefecht zwischen der Polizei, die dem einflussreichen ehemaligen Provinzgouverneur Atta Mohammad Noor die Treue hält, und den Streitkräften des Innenministeriums, die geschickt wurden, um einen neuen von Präsident Ashraf Ghani ernannten Polizeichef zu unterstützen. Dabei haben nach Angaben von Krankenhaus-Sprechern mindestens 13 Menschen Schusswunden erlitten, darunter fünf Zivilistlnnen und acht Polizistlnnen.

Am 21. Oktober 2018 wurde berichtet, dass vier Wahlbeobachter im Distrikt Nahr-e Shahi von nicht identifizierten bewaffneten Kämpfern getötet wurden. Am 10. Oktober 2018 griffen Taliban-Kämpfer in der Stadt Masar-e Scharif den Justizminister Syed Mohammad Jafar Misbah und seine beiden Leibwächter an. Der Minister wurde leicht verletzt, seine Leibwächter wurden schwer verletzt. Am 1. September 2018 wurde in Mazar-e Scharif laut PAN[v] ein Imam von bewaffneten Männern erschossen. Am 9. August 2018 wurden laut ACLED bei einem Angriff von Taliban-Kämpfern im Shahrak Turkamani-Gebiet im Nahri Shahi-Distrikt drei afghanische Polizisten getötet und ein weiterer verletzt. Am 24. Mai 2018 wurden laut PAN in Masar-e Scharif bei einem Angriff bewaffneter Männer auf einen Polizeikonvoi zwei Personen, darunter ein Gefangener, getötet, sieben weitere Gefangene wurden entführt; ACLED dokumentiert für diesen Vorfall nur eine getötete Person. (ECOI 2019)

1.5.2 Sichere Einreise

Die Stadt Mazar-e Sharif ist über den internationalen Flughafen sicher erreichbar. Der Flughafen von Mazar-e Sharif (MRZ) liegt 9 km östlich der Stadt im Bezirk Marmul. Die Befahrung der Straßen von diesem Flughafen bis zur Stadt Mazar-e Sharif ist zur Tageszeit im Allgemeinen sicher. (EASO 2018)

1.5.3 Wirtschafts- und Versorgungslage

Zur Wirtschafts- und Versorgungslage ist festzuhalten, dass Afghanistan weiterhin ein Land mit hoher Armutsrate und Arbeitslosigkeit ist. Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Nichtsdestotrotz bleiben bedeutende Herausforderungen bestehen, da das Land weiterhin von Konflikten betroffen, arm und von Hilfeleistungen abhängig ist. Während auf nationaler Ebene die Armutsrate in den letzten Jahren etwas gesunken ist, stieg sie in Nordostafghanistan in sehr hohem Maße. Im Norden und im Westen des Landes konnte sie hingegen reduziert werden. Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut auch im Jahr 2018 weiterhin zu.

In den Jahren 2016-2017 wuchs die Arbeitslosenrate, die im Zeitraum 2013-2014 bei 22,6% gelegen hatte, um 1%. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet. Über 40% der erwerbstätigen Bevölkerung gelten im Jahr 2018 als arbeitslos oder unterbeschäftigt. Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können.

Die afghanische Regierung hat Bemühungen zur Armutsreduktion gesetzt und unterstützt den Privatsektor weiterhin dabei, nachhaltige Jobs zu schaffen und das Wirtschaftswachstum voranzutreiben. Die Ausstellung von Gewerbeberechtigungen soll gesteigert, steuerliche Sanktionen abgeschafft und öffentlich-private Partnerschaften entwickelt werden; weitere Initiativen sind geplant. (LIB)

1.5.3.1 Wirtschafts- und Versorgungslage der Stadt Mazar-e Sharif

Mazar-e Sharif ist ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst. Die Infrastruktur ist jedoch noch unzureichend und behindert die weitere Entwicklung der Region. (LIB)

Mazar-e Sharif ist ein regionales Handelszentrum für Nordafghanistan und ein Industriezentrum mit großen Produktionsbetrieben und einer großen Anzahl kleiner und mittlerer Unternehmen, die Kunsthandwerk, Teppiche und Teppiche anbieten. Mazar-e Sharif gilt im Vergleich zu Herat oder Kabul als relativ stabiler. Die größte Gruppe von Arbeitern in der Stadt Mazar-e Sharif sind im Dienstleistungsbereich und als Verkäufer tätig. In Mazar-e Sharif besteht laut EASO grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum zu mieten. Darüber hinaus bietet die Stadt Mazar-e Sharif die Möglichkeit von "Teehäusern", die mit 30 Afghani (das sind ca. € 0,35) bis 100 Afghani (das sind ca. € 1,20) pro Nacht relativ günstig sind. "Teehäuser" werden von Reisenden, Tagesarbeitern, Straßenhändlern, jungen Menschen, alleinstehenden Männern und anderen Personen, die in der Gegend keine ständige Unterkunft haben, als vorübergehende Unterkunft genutzt. Die meisten Menschen in Mazar-e Sharif haben Zugang zu erschlossener Wasserversorgung (76%), welche in der Regel in Rohrleitungen oder aus Brunnen erfolgt. 92% der Haushalte haben Zugang zu besseren Sanitäreinrichtungen (EASO 2019).

Mazar-e Sharif befand sich im Februar 2019 in Phase 2 des von FEWS NET verwendeten Klassifizierungssystems. In Phase 2, auch "Stressed" genannt, weisen Haushalte nur einen gerade noch angemessenen Lebensmittelverbrauch auf und seien nicht in der Lage sich wesentliche, nicht nahrungsbezogenen Güter zu leisten ohne irreversible Bewältigungsstrategien anzuwenden. (ECOI 2019)

1.5.4 Medizinische Versorgung

Medizinische Versorgung ist in Afghanistan insbesondere in größeren Städten wie etwa auch in Mazar-e Sharif sowohl in staatlichen als auch privaten Krankenhäusern verfügbar. In Mazar-e Sharif zählt dazu das Alemi Krankenhaus. Psychische Krankheiten wie posttraumatische Belastungsstörung, Depression und Angstzustände - die oft durch den Krieg hervorgerufen wurden - sind in Afghanistan weit verbreitet, es gibt aber nur geringe Kapazitäten zur Behandlung dieser Erkrankungen. Spezifische Medikamente sind grundsätzlich verfügbar.

(LIB)

1.5.5 Ethnische Minderheiten

In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2017 mehr als 34,1 Millionen Menschen. Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht.

Schätzungen zufolge, sind: 40% Paschtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara, 9% Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Art. 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht. Diese weiteren in der Verfassung genannten Sprachen sind Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri. Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen.

Ethnische Paschtunen sind die größte Ethnie Afghanistans. Sie sprechen Paschtu/Pasht. Die Paschtunen sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 44% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert. Paschtunen siedeln in einem halbmondförmigen Gebiet, das sich von Nordwestafghanistan über den gesamten Süden und die Gebiete östlich von Kabul bis in den Nordwesten Pakistans erstreckt. Kleinere Gruppen sind über das gesamte Land verstreut, auch im Norden des Landes, wo Paschtunen Ende des 19. Jahrhunderts speziell angesiedelt wurden, und sich seitdem auch selbst angesiedelt haben.

Grundlage des paschtunischen Selbstverständnisses sind ihre genealogischen Überlieferungen und die darauf beruhende Stammesstruktur. Eng mit der Stammesstruktur verbunden ist ein komplexes System von Wertvorstellungen und Verhaltensrichtlinien, die häufig unter dem Namen Pashtunwali zusammengefasst werden und die besagen, dass es für einen Paschtunen nicht ausreicht, Paschtu zu sprechen, sondern dass man auch die Regeln dieses Ehren- und Verhaltenskodex befolgen muss. Die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Stammlinienverband bedeutet viele Verpflichtungen, aber auch Rechte, weshalb sich solche Verbände als Solidaritätsgruppen verstehen lassen. (LIB)

1.5.6 Religion

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten, wie es auch der BF ist. (LIB)

1.5.7 Rückkehrer/innen

In der Zeit von 2012 bis 2017 sind 1.821.011 Personen nach Afghanistan zurückgekehrt, wobei der Großteil der Rückkehrer/innen aus Pakistan und dem Iran kommen. Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück. In der Provinz Balkh ließen sich von den insgesamt ca. 1,8 Millionen Rückkehrer/innen in der Zeit von 2012 bis 2017 109.845 Personen nieder.

Aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen besteht auch für zurückkehrende Flüchtlinge das Risiko, in die Armut abzurutschen. Sowohl das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (United Nations World Food Programme) als auch andere UN-Organisationen arbeiten mit der afghanischen Regierung zusammen, um die Kapazität humanitärer Hilfe zu verstärken, rasch Unterkünfte zur Verfügung zu stellen und Hygiene- und Nahrungsbedürfnisse zu stillen.

Die afghanische Regierung kooperierte mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Fähigkeit der afghanischen Regierung vulnerable Personen zu unterstützen, einschließlich Rückkehrer/innen aus Pakistan und dem Iran, bleibt begrenzt und ist weiterhin auf die Hilfe der internationalen Gemeinschaft angewiesen. Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig (BFA Staatendokumentation 4.2018). Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (z. B. IPSO und AMASO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung. Neue politische Rahmenbedingungen für Rückkehrer/innen und IDPs wurden von unterschiedlichen afghanischen Behörden, dem Ministerium für Flüchtlinge und Repatriierung (MoRR) und internationalen Organisationen geschaffen und sind im Dezember 2016 in Kraft getreten. Diese Rahmenbedingungen gelten sowohl für Rückkehrer/innen aus der Region (Iran und Pakistan), als auch für jene, die aus Europa zurückkommen oder IDPs sind. Soweit dies möglich ist, sieht dieser mehrdimensionale Ansatz der Integration unter anderem auch die individuelle finanzielle Unterstützung als einen Ansatz der "whole of community" vor. Demnach sollen Unterstützungen nicht nur Einzelnen zugutekommen, sondern auch den Gemeinschaften, in denen sie sich niederlassen. Die Rahmenbedingungen sehen die Grundstücksvergabe als entscheidend für den Erfolg anhaltender Lösungen. Hinsichtlich der Grundstücksvergabe wird es als besonders wichtig erachtet, das derzeitige Gesetz zu ändern, da es als anfällig für Korruption und Missmanagement gilt. Auch wenn nicht bekannt ist, wie viele Rückkehrer/innen aus Europa Grundstücke von der afghanischen Regierung erhalten haben - und zu welchen Bedingungen - sehen Experten dies als möglichen Anreiz für jene Menschen, die Afghanistan schon vor langer Zeit verlassen haben und deren Zukunftsplanung von der Entscheidung europäischer Staaten über ihre Abschiebungen abhängig ist.

Die Großfamilie ist für Zurückkehrende die zentrale soziale Institution in Afghanistan und bildet das wichtigste soziale Sicherheitsnetz der Afghanen. Alle Familienmitglieder sind Teil des familiären Netzes. Die Großfamilie trägt zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder bei. Sie bildet auch eine wirtschaftliche Einheit; die Männer der Familie sind verpflichtet, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen und die Familie in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Auslandsafghanen pflegen zumeist enge Kontakte mit ihren Verwandten in Afghanistan. Quellen zufolge verlieren nur sehr wenige Afghanen in Europa den Kontakt zu ihrer Familie. Die Qualität des Kontakts mit der Familie hängt möglicherweise auch davon ab, wie lange die betreffende Person im Ausland war bzw. wie lange sie tatsächlich in Afghanistan lebte, bevor sie nach Europa migrierte. Der Faktor geographische Nähe verliert durch technologische Entwicklungen sogar an Wichtigkeit. Der Besitz von Mobiltelefonen ist mittlerweile "universell" geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten. Ein fehlendes familiäres Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Reintegration von Migrant/innen in Afghanistan dar. Quellen zufolge haben aber alleinstehende afghanische Männer, egal ob sie sich kürzer oder länger außerhalb der Landesgrenzen aufhielten, sehr wahrscheinlich eine Familie in Afghanistan, zu der sie zurückkehren können. Eine Ausnahme stellen möglicherweise jene Fälle dar, deren familiäre Netze in den Nachbarstaaten Iran oder Pakistan liegen. Quellen zufolge halten Familien in Afghanistan in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren.

Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere, wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z. B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen "professionellen" Netzwerken (Kolleg/innen, Kommilitonen etc.) sowie politische Netzwerke usw. Die unterschiedlichen Netzwerke haben verschiedene Aufgaben und unterschiedliche Einflüsse - auch unterscheidet sich die Rolle der Netzwerke zwischen den ländlichen und städtischen Gebieten. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind einige Rückkehrer/innen auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer/innen dar, was möglicherweise zu einem neuerlichen Verlassen des Landes führen könnte. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer/innen besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden. (LIB)

Es liegen zwar laut UNCHR Berichte über Personen vor, die aus westlichen Ländern nach Afghanistan zurückkehrten und von regierungsfeindlichen Gruppen bedroht, gefoltert oder getötet wurden, weil sie sich vermeintlich die diesen Ländern zugeschriebenen Werte zu eigen gemacht hätten, "Ausländer" geworden seien oder als Spione oder auf andere Weise ein westliches Land unterstützten. Heimkehrern wird Berichten zufolge von der örtlichen Gemeinschaft, aber auch von Staatsbeamten oft Misstrauen entgegengebracht, was zu Diskriminierung und Isolierung führt

(UNHCR).

1.5.8 Terroristische und aufständische Gruppierungen

Terroristische und aufständische Gruppierungen stellen Afghanistan und die Koalitionskräfte grundsätzlich vor erhebliche Herausforderungen. Derzeit sind rund 20 terroristische Organisationen in Afghanistan zu finden: das von außen unterstützte Haqqani-Netzwerk stellt nach wie vor die größte Gefährdung für afghanische und internationale Kräfte dar. Die Verflechtung von Taliban und Haqqani-Netzwerk ist so intensiv, dass diese beiden Gruppierungen als Fraktionen ein und derselben Gruppe angesehen werden. Wenn auch die Taliban öffentlich verkündet haben, sie würden zivile Opfer einschränken, so führt das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin Angriffe in bevölkerungsreichen Gegenden aus. Die Taliban haben hauptsächlich in Faryab und Sar-i-Pul, wo die Mehrheit der Bevölkerung usbekischer Abstammung ist, ihre Reihen für nicht-paschtunische Kämpfer geöffnet. Schätzungen von SIGAR zufolge kontrollierten im Oktober 2017 und im Jänner 2018 die Taliban 14% der Distrikte Afghanistans. Die Taliban selbst verlautbarten im März 2017, dass sie beinahe 10% der afghanischen Distrikte kontrollierten. (LIB)

Im Grunde steht jeder auf der schwarzen Liste, der (aus Sicht der Taliban) ein "Übeltäter" ist, und dessen Identität und Anschrift die Taliban ausfindig machen können. (Landinfo)

Es ist davon auszugehen, dass Sippenhaftung in Afghanistan ein weit verbreitetes Phänomen ist, und die Taliban neben Regierungsmitarbeitern, Sicherheitskräften und anderen, der Kollaboration oder "Spionage" bezichtigten Personen auch deren Angehörige gezielt verfolgen und bedrohen. (Landinfo)

2. Beweiswürdigung:

2.1 Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, Herkunft, ethnischen und religiösen Zugehörigkeit sowie zu den Aufenthaltsorten, Familienangehörigen, Sprachkenntnissen, der Schulbildung und Berufserfahrung des BF beruhen auf dessen plausiblen, im Wesentlichen gleichbleibenden Angaben im Laufe des Asylverfahrens. Die Angaben dienen zur Identifizierung im Asylverfahren.

2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 idF BGBl. I Nr. 145/2017, (in der Folge: AsylG 2005) liegt es auch am BF, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht.

Das Asylverfahren bietet, wie der VwGH erst jüngst in seinem Erkenntnis vom 27.05.2019, Ra 2019/14/0143-8, wieder betonte, nur beschränkte Möglichkeiten, Sachverhalte, die sich im Herkunftsstaat des Asylwerbers ereignet haben sollen, vor Ort zu verifizieren. Hat der Asylwerber keine anderen Beweismittel, so bleibt ihm lediglich seine Aussage gegenüber den Asylbehörden, um das Schutzbegehren zu rechtfertigen. Diesen Beweisschwierigkeiten trägt das österreichische Asylrecht in der Weise Rechnung, dass es lediglich die Glaubhaftmachung der Verfolgungsgefahr verlangt. Um den Status des Asylberechtigten zu erhalten, muss die Verfolgung nur mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit drohen. Die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt jedoch nicht. Dabei hat der Asylwerber im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach § 15 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen.

Mit der Glaubhaftmachung ist demnach die Pflicht der Verfahrenspartei verbunden, initiativ alles darzulegen, was für das Zutreffen der behaupteten Voraussetzungen spricht und diesbezüglich konkrete Umstände anzuführen, die objektive Anhaltspunkte für das Vorliegen dieser Voraussetzung liefern. Insoweit trifft die Partei eine erhöhte Mitwirkungspflicht. Allgemein gehaltene Behauptungen reichen für eine Glaubhaftmachung nicht aus (vgl. VwGH 17.10.2007, 2006/07/0007).

Die Glaubhaftmachung hat das Ziel, die Überzeugung von der Wahrscheinlichkeit bestimmter Tatsachenbehauptungen zu vermitteln. Glaubhaftmachung ist somit der Nachweis einer Wahrscheinlichkeit. Dafür genügt ein geringerer Grad der Wahrscheinlichkeit als der, der die Überzeugung von der Gewissheit rechtfertigt (VwGH 29.05.2006, 2005/17/0252). Im Gegensatz zum strikten Beweis bedeutet Glaubhaftmachung ein reduziertes Beweismaß und lässt durchwegs Raum für gewisse Einwände und Zweifel am Vorbringen des Asylwerbers. Entscheidend ist, ob die Gründe, die für die Richtigkeit der Sachverhaltsdarstellung sprechen, überwiegen oder nicht. Dabei ist eine objektivierte Sichtweise anzustellen.

Unter diesen Maßgaben ist das Vorbringen eines Asylwerbers also auf seine Glaubhaftigkeit hin zu prüfen. Dabei ist vor allem auf folgende Kriterien abzustellen: Das Vorbringen des Asylwerbers muss - unter Berücksichtigung der jeweiligen Fähigkeiten und Möglichkeiten - genügend substantiiert sein; dieses Erfordernis ist insbesondere dann nicht erfüllt, wenn der Asylwerber den Sachverhalt sehr vage schildert oder sich auf Gemeinplätze beschränkt, nicht aber in der Lage ist, konkrete und detaillierte Angaben über seine Erlebnisse zu machen. Das Vorbringen hat zudem plausibel zu sein, muss also mit den Tatsachen oder der allgemeinen Erfahrung übereinstimmen; diese Voraussetzung ist u.a. dann nicht erfüllt, wenn die Darlegungen mit den allgemeinen Verhältnissen im Heimatland nicht zu vereinbaren sind oder sonst unmöglich erscheinen. Schließlich muss das Fluchtvorbringen in sich schlüssig sein; der Asylwerber darf sich demgemäß nicht in wesentlichen Aussagen widersprechen.

Der BF gibt als Fluchtgrund im Wesentlichen an, dass er von Zwangsrekrutierung durch die Taliban bedroht gewesen sei.

Dieses Vorbringen des BF ist aus folgenden Gründen nicht glaubhaft:

In der Erstbefragung gab der BF zu seinem Fluchtgrund befragt noch an, er habe in Afghanistan nicht lernen können und es gebe Krieg (vgl. S 5 der Erstbefragung am 10.12.2015).

Gemäß § 19 Abs. 1 AsylG 2005 dient die Erstbefragung zwar "insbesondere" der Ermittlung der Identität und der Reiseroute eines Fremden und hat sich nicht auf die "näheren" Fluchtgründe zu beziehen (vgl. hierzu auch VfGH 27.06.2012, U 98/12), ein Beweisverwertungsverbot ist damit jedoch nicht normiert; die Verwaltungsbehörde bzw. das BVwG können in ihrer Beweiswürdigung also durchaus die Ergebnisse der Erstbefragung in ihre Beurteilung miteinbeziehen.

So erscheint es im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht unschlüssig, wenn den ersten Angaben, die ein Asylwerber nach seiner Ankunft in Österreich macht, gegenüber späteren Steigerungen erhöhte Bedeutung beigemessen wird (VwGH 08.07.1993, 92/01/1000; 30.11.1992, 92/01/0832; 20.05.1992, 92/01/0407; 19.09.1990, 90/01/0133). Der Umstand, dass ein Asylwerber bei der Erstbefragung gravierende Angriffe gegen seine Person unerwähnt gelassen hat, spricht gegen seine Glaubwürdigkeit (VwGH 16.09.1992, 92/01/0181).

Es wird im vorliegenden Fall zwar nicht verkannt, dass sich die Erstbefragung des BF nicht in erster Linie auf seine Fluchtgründe bezog, und diese daher nur in aller Kürze angegeben und protokolliert wurden. Zudem ist zu berücksichtigen, dass der BF zum Zeitpunkt der Erstbefragung noch minderjährig war. Dass der BF jedoch eine Bedrohung in Form von Zwangsrekrutierung durch die Taliban - und damit seinen in weiterer Folge einzigen Fluchtgrund - zunächst nicht einmal ansatzweise erwähnte, ist nicht nachvollziehbar. Dabei ist hervorzuheben, dass der BF grundsätzlich in der Lage sein muss, umfassende und inhaltlich übereinstimmende Angaben zu den konkreten Umständen und dem Grund der Ausreise aus dem Herkunftsstaat zu machen, zumal eine Person, die aus Furcht vor Verfolgung ihren Herkunftsstaat verlassen hat, gerade in ihrer ersten Einvernahme auf konkrete Befragung zu ihrer Flucht die ihr gebotene Möglichkeit wohl kaum ungenützt lassen wird, die Umstände und Gründe ihrer Flucht in umfassender und in sich schlüssiger Weise darzulegen, um den beantragten Schutz vor Verfolgung möglichst rasch erhalten zu können. Es entspricht auch der allgemeinen Lebenserfahrung, dass eine mit Vernunft begabte Person, die behauptet, aus Furcht vor Verfolgung aus ihrem Herkunftssaat geflüchtet zu sein, über wesentlich Ereignisse im Zusammenhang mit ihrer Flucht, die sich im Bewusstsein dieser Person einprägen, selbst nach einem längeren Zeitraum noch ausreichend konkrete, widerspruchsfreie und nachvollziehbare Angaben machen kann.

Auf Vorhalt in der mündlichen Beschwerdeverhandlung, warum er den später genannten Fluchtgrund in der Erstbefragung unerwähnt gelassen habe, behauptete der BF zunächst, dies sehr wohl erwähnt zu haben, um nach weiterem Vorhalt, wonach die Niederschrift rückübersetzt worden sei und der BF verneint habe, Ergänzungen vorbringen zu wollen, anzugeben, dass der Dolmetscher ein Perser gewesen sei und er vor der Polizei Angst gehabt habe und sich nicht getraut habe, dort alles zu sagen (vgl. S 11 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vor dem BVwG am 22.11.2018). Mit diesen abermals widersprüchlichen Angaben konnte der BF jedoch nicht überzeugend darlegen, warum er sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens steigerte und seinen Fluchtgrund änderte.

Das Vorbringen des BF zu einer versuchten Zwangsrekrutierung zeigte sich sowohl vor der belangten Behörde als auch vor dem BVwG wenig substantiiert. Der BF berief sich dabei ausschließlich auf Hörensagen und das Wissen bzw. die Angaben seines Vaters. Die Taliban hätten das Haus der Familie aufgesucht, der BF sei aber nicht zuhause gewesen. Sein Vater habe ihn daraufhin gleich angerufen und ihm gesagt, er wäre in Gefahr und solle das Land verlassen (vgl. S 12 der Niederschrift der Einvernahme vor dem BFA; S 10 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung). Der BF gab selbst an, nie persönlichen Kontakt mit den Taliban gehabt zu haben und persönlich in Afghanistan nie verfolgt oder bedroht worden zu sein (vgl. S 13 der Einvernahme vor dem BFA am 24.01.2018: LA: "Sind Sie persönlich mit den Taliban in Kontakt gekommen?" AW: "Nein."; S 14:

LA: "Ist Ihnen persönlich jemals irgendetwas passiert?" AW: "Nein."

LA: "Wurden Sie in Afghanistan persönlich verfolgt oder bedroht?"

AW: "Nein. Nur der Vorfall mit dem Vater."; S 10 der Beschwerdeverhandlung vor dem BVwG am 22.11.2018: RI: "Hatten Sie jemals selbst persönlich Kontakt mit einem Taliban?" BF: "Nein. Mein Vater wurde bedroht und die Taliban fragten nach mir.").

Zwar ist es im Lichte der Länderinformationen durchaus belegt, dass Taliban und andere regierungsfeindliche Kräfte Kinder und Jugendliche, vor allem in unter ihrer Kontrolle stehenden Gebieten wie der Herkunftsprovinz des BF Nangarhar, zu Kämpfern rekrutieren, eine solche konkret den BF betreffende Gefahr konnte er aber nicht glaubhaft darlegen.

Abgesehen davon, dass der BF verneinte, jemals persönlich mit einem Taliban in Kontakt gestanden zu sein, führt er selbst aus, dass generell Jungen in einem bestimmten Alter Ziel der Anwerbungsversuche durch die Taliban und den IS seien (vgl. S 9 und 10 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung: "Weil ich in einem Alter war, dass solche Jungen von den Taliban rekrutiert wurden. Wie Sie wissen, ist die Lage in meiner Heimatprovinz sehr schlecht. Die Regierung hat keine Macht in meinem Heimatbezirk/Umgebung. Dort gibt es Taliban. Jetzt DAESH/ISIS. Die beiden Gruppen rekrutieren die Jungen zu sich."). Selbst bei hypothetischer Annahme der Glaubhaftigkeit des Fluchtvorbringens folgt daraus wiederum, dass es sich beim BF in den Augen der Taliban um keine exponierte Person gehandelt hätte, die speziell als Individuum in ihr Visier geraten sei, sondern er einzig aufgrund seines Alters als möglicher Kämpfer interessant gewesen wäre. Der BF konnte einen tatsächlich stattgefundenen Rekrutierungsversuch der Taliban an seiner Person jedoch ohnehin nicht glaubhaft machen.

Im Gesamtzusammenhang betrachtet ist daher nicht davon auszugehen, dass dem BF im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan Übergriffe durch die die Taliban drohen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass, wie vom BF zu Beginn angegeben, tatsächlich sein eigener und der Wunsch seiner Eltern nach Bildung im Zusammenhang mit der schlechten Sicherheitslage in Afghanistan Grund für seine Ausreise war (vgl. Erstbefragung am 10.12.2015: "Weil es in Afghanistan Krieg gibt, bin ich geflüchtet. Dort konnte ich nicht lernen. Das sind meine Fluchtgründe."; S 12 der Einvernahme vor dem BFA am 24.01.2018: "Das Ziel der Taliban war, dass man keine Schulen aufsucht oder keine Ausbildung genießt. Meine Eltern wollten jedoch, dass ich eine Ausbildung habe und vielleicht Arzt werde und dem Land diene.").

Die Feststellungen hinsichtlich einer nicht bestehenden Gefährdung des BF aufgrund seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seiner Asylantragstellung sowie seiner rechtswidrigen Ausreise beruhen auf den ins Verfahren eingebrachten Länderberichten bzw. wurde vom BF auch keine über die oben dargestellten Fluchtgründe hinausgehende drohende Verfolgung substantiiert vorgebracht.

Der BF bringt in seiner Beschwerde unter anderem vor, dass er zu den Personen zähle, die vermeintlich Werte oder ein Erscheinungsbild angenommen hätten, die mit westlichen Ländern in Verbindung gebracht werden würden, welche nach den UNHCR-Richtlinien als "verwestlicht wahrgenommene" Personen ein sogenanntes potentielles Risikoprofil haben würden, und er deshalb von regierungsfeindlichen Kräften angegriffen werden würde. Dazu ist festzuhalten, dass sich der BF erst seit Dezember 2015 in Österreich aufhält und aufgrund der Kürze dieses Aufenthalts in Zusammenhang mit dem von ihm in der Beschwerdeverhandlung gewonnenen persönlichen Eindruck nicht davon ausgegangen wird, dass der BF eine "westliche Lebenseinstellung" in einer solchen Weise übernommen hätte, dass er alleine deshalb bei einer Rückkehr einer Verfolgungsgefährdung ausgesetzt wäre. Aus den Länderberichten zu Afghanistan lässt sich nicht entnehmen, dass per se jeder Rückkehrer aus Europa, aus diesem Grund einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt wäre. unterstützten. Zwar lässt sich aus den UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018 erkennen, dass Heimkehrern oft Misstrauen entgegengebracht wird und sie diskriminiert werden, eine asylrelevante Verfolgung lässt sich daraus aber nicht ableiten. Der BF, der sich während des gesamten Verfahrens als sunnitischer Moslem bezeichnete und keinen Hinweis darauf bot, vom islamischen Glauben abgefallen zu sein, konnte mit dem diesbezüglichen, sehr allgemein gehaltenen Vorbringen in der Beschwerdeverhandlung, wonach er bei einer Rückkehr beschuldigt würde, Christ geworden zu sein und sich um Islam entfernt zu haben, keine konkrete Verfolgung glaubhaft machen.

Wie die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid bereits richtig anführte, gibt es beim BF abseits dieser oben genannten Fluchtgründe keine besonderen Vulnerabilitäten des BF, die eine asylrelevante Verfolgung in Afghanistan wahrscheinlich erscheinen lassen.

2.3 Zu den Feststellungen zum (Privat)Leben des Beschwerdeführers in Österreich:

Betreffend das Privatleben und insbesondere die Integration des BF in Österreich wurden dessen Angaben in der Beschwerdeverhandlung sowie die vorgelegten Unterlagen den Feststellungen zugrunde gelegt.

Die Feststellung der Unbescholtenheit des BF ergibt sich aus einer aktuellen Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich.

2.4 Zu den Feststellungen zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur Rückkehr des BF nach Afghanistan ergeben sich aus den o.a. Länderfeststellungen unter Berücksichtigung des vom BF in seiner Beschwerde, in seinen Stellungnahmen zur Gefährdungslage in Afghanistan diesbezüglich angeführten Länderberichtsmaterials in Zusammenschau mit den vom BF glaubhaft dargelegten persönlichen Umständen.

Im Einklang mit seinen Stellungnahmen kommt die er

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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