TE Bvwg Erkenntnis 2019/9/30 W261 2189675-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.09.2019
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Entscheidungsdatum

30.09.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

Spruch

W261 2189675-1/16E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Karin GASTINGER, MAS über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.02.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der nunmehrige Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste nach eigenen Angaben am 22.11.2015 als Unbegleiteter Minderjähriger Flüchtling in die Republik Österreich ein und stellte am 25.11.2015 Tag gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Bei der Erstbefragung am 26.11.2015 vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der BF im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari an, dass er aus der Provinz Logar stamme und Afghanistan verlassen habe, weil dort Krieg herrsche und die Taliban die Kontrolle über die Ortschaften innehätten. Sein Cousin sei vor zwei Jahren im Rahmen eines Selbstmordattentates ums Leben gekommen. Er habe nicht leicht zur Schule gehen können, weil auch die Schule bombardiert worden sei.

Aufgrund von Zweifeln an den Altersangaben des BF veranlasste das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge belangte Behörde) eine medizinische Volljährigkeitsbeurteilung. Im Gutachten des XXXX vom 18.05.2016 kommt der medizinische Sachverständige zum Ergebnis, dass das höchstmögliche Mindestalter des BF zum Untersuchungszeitpunkt ( XXXX ) 16 Jahre betragen habe. Das fiktive Geburtsdatum des BF sei der XXXX , der BF sei zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjährig gewesen.

Am 08.11.2017 erfolgte die niederschriftliche Ersteinvernahme des BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge belangte Behörde) im Beisein seiner gesetzlichen Vertreterin sowie eines Dolmetschers für die Sprache Dari. Er gab an, er sei in der Provinz Logar geboren und sei Hazara. Er habe seinen Glauben als Schiit nicht ausüben können, was ihn letztendlich dazu gebracht habe, Afghanistan zu verlassen. Er habe bereits einmal davor heimlich Afghanistan in Richtung Iran verlassen wollen, was letztendlich gescheitert sei. Er habe Taliban in seinem Heimatdorf gesehen, sie würden schlimm aussehen, er habe jedoch nie mit diesen gesprochen. Der BF legte eine Reihe von Integrationsunterlagen vor.

Mit Eingabe vom 22.11.2017 gab die BH XXXX als gesetzliche Vertretung des BF, diese vertreten durch die Caritas der Diözese Graz-Seckau/Rechtsberatung, eine umfassende Stellungnahme ab, wonach der BF der Risikogruppe der Männer und Jungen im wehrfähigen Alter angehöre und als solcher in Afghanistan eine asylrelevante Verfolgung zu befürchten habe. Er werde von den Taliban verfolgt, und sei von Zwangsrekrutierung bedroht. Komme er dieser Aufforderung nicht nach, so werde ihm eine pro-westliche Gesinnung von den Taliban unterstellt. Der mj. BF könne vor dieser Bedrohung, welche ihm seitens der Taliban drohe, nicht hinreichend geschützt werden. Er könne auch in keinem anderen Teil Afghanistans Schutz finden. Er führte unter Zitierung von Länderinformationen zu Hazara aus, dass er in Afghanistan einer verfolgten Minderheit angehöre, und ihm auch aus diesem Grund internationaler Schutz zu gewähren sei. Seine Heimatprovinz Logar sei als volatil einzustufen, weswegen er nicht dorthin zurückkehren könne. Eine innerstaatliche Fluchtalternative bestehe nicht, wie die zitierten Erkenntnisse und Länderinformationen belegen würden. Die Sicherheitslage sei allgemein in Afghanistan sehr prekär. Es werde beantragt, dem mj. BF den Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, in eventu dem mj. BF subsidiären Schutz zu gewähren und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung zu erteilen, in eventu die Erlassung der Rückkehrentscheidung gegen den mj. BF auf Dauer für unzulässig zu erklären und ihm einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG 2005 zu erteilen.

Mit Verfahrensanordnung vom 20.12.2017 stellte die belangte Behörde fest, dass der BF spätestens am XXXX geboren sei.

Mit nunmehr angefochtenem Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab. Gemäß § 57 AsylG 2005 erteilte die belangte Behörde dem BF keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.) und erließ gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG, gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.). Die belangte Behörde stellte fest, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters sprach die belangte Behörde aus, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des BF gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI).

Zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates bzw. zu der Situation im Falle einer Rückkehr stellte die belangte Behörde insbesondere fest, der BF habe eine Furcht vor Verfolgung durch die Taliban nicht glaubhaft gemacht. Ihm drohe auf Grund der Volksgruppenzugehörigkeit als Hazara in Afghanistan keine konkret gegen ihn gerichtete psychische oder physische Gewalt. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der BF einer konkreten persönlichen asylrelevanten Bedrohung in Afghanistan ausgesetzt gewesen sei, bzw. eine solche zukünftig zu befürchten hätte. Zudem bestehe für den BF eine taugliche innerstaatliche Flucht- und Schutzalternative. Er liefe nicht Gefahr, in eine wirtschaftliche oder finanziell ausweglose Situation zu geraten.

Der BF erhob mit Eingabe vom 12.03.2018 durch seine gesetzliche Vertretung, die BH XXXX , diese vertreten durch die Caritas der Diözese Graz-Seckau, gegen diesen Bescheid fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde und führte begründend aus, dass der Bescheid vollinhaltlich wegen Verletzung der Verfahrensvorschriften und wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes angefochten werde. Der BF führte ausführlich und unter Zitierung von Judikatur und Länderinformationen aus, weswegen im internationaler Schutz zu gewähren sei, in eventu jedenfalls subsidiärer Schutz, zumal weder Kabul, noch Mazar-e Sharif noch Herat als innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung stehen würden. Der BF verfüge in diesen Städten auch über kein soziales und familiäres Netzwerk. Es werde die Anberaumung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung ebenso beantragt, wie der Beschwerde stattzugeben.

Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt langten am 19.03.2018 beim Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) ein.

Das BVwG führte am 18.09.2018 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an der die belangte Behörde entschuldigt nicht teilnahm. Der BF wurde im Beisein seiner bevollmächtigten Vertreterin der Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH und einer Dolmetscherin für die Sprache Dari zu seinen Fluchtgründen und zu seiner Situation in Österreich befragt und wurde ihm Gelegenheit gegeben, zu den aktuellen Feststellungen zur Situation in Afghanistan Stellung zu nehmen. Der BF legte eine Reihe von Integrationsunterlagen vor.

Das BVwG legte im Rahmen der Verhandlung die aktuellen Länderinformationen zu Afghanistan, genauer das Länderinformationsblatt Afghanistan in der Fassung vom 11.09.2018, einen Auszug aus der UNHCR Richtlinie vom 30.08.2018, eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 12.07.2017 zu Afghanistan: Christen, Konvertiten und Abtrünnige in Afghanistan vor und räumte den Parteien des Verfahrens die Möglichkeit ein, hierzu innerhalb einer Frist von drei Wochen eine schriftliche Stellungnahme abzugeben.

Die belangte Behörde gab mit Schreiben vom 01.10.2018 eine Stellungnahme ab, in welcher sie im Wesentlichen zu den UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018 und der EASO Guidance ausführte. Weiters wurde angeführt, dass sich aus Sicht des BFA die gesamte Familie des BF nach wie vor im Heimatdorf aufhalte. Es bestehe für den BF eine innerstaatliche Fluchtalternative nach Mazar-e Sharif oder Herat. Es könne weiters nicht festgestellt werden, dass der behauptete Abfall vom Islamischen Glauben fester Bestandteil der Identität des Beschwerdeführers geworden sei und sein derzeitiges behauptetes Desinteresse für den islamischen Glauben im Falle der Rückkehr nach Afghanistan weiter nach außen zur Schau stellen würde. Zudem könne nicht automatisch davon ausgegangen werden, dass jeder, der Afghanistan verlasse, vom islamischen Glauben abgefallen sei. Der BF sei auch die Antwort schuldig geblieben, wie die Taliban von seinem aktuellen Aufenthaltsort erfahren haben sollten.

Der BF, bevollmächtigt vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, führte in seiner Stellungnahme vom 01.10.2018 im Wesentlichen aus, dass beim BF die Gefahr einer aslyrelevante Verfolgung bestehe, weil er glaubwürdig und nachvollziehbar vom Glauben abgefallen sei. Er bekenne sich nicht mehr zum Islam, es könne nicht erwartet werden, dass er sich im Falle einer Rückkehr den in Afghanistan vorherrschenden, religiösen Zwängen beugen und diese wieder annehmen würde. Der BF sehe sich selbst nicht mehr als Moslem. Ihm drohe sowohl vom Staat als auch der Gesellschaft eine Bedrohung, wobei die staatlichen Behörden nicht in der Lage seien, den BF davor zu beschützen. Dem BF drohe in seiner Heimat die Todesstrafe. In ähnlich gelagerten Fällen hätte das BVwG Beschwerdeführern Asyl zuerkannt. Auch ACCORD und UNHCR würden davon ausgehen, dass Personen, welche vom Glauben abgefallen sind, in Afghanistan verfolgt werden würden. Dem BF sei daher internationaler Schutz zu gewähren. Der BF würde auch die Voraussetzungen für subsidiären Schutz erfüllen, da keine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative bestehe.

Das BVwG übermittelte mit Schreiben vom 04.09.2019 ergänzend das Länderinformationsblatt Afghanistan in der Fassung vom 04.06.2019, Auszüge aus den aktuellen EASO Leitlinien zu Afghanistan vom Juni 2018 und ein ecoi.net Themendossier zur Sicherheitslage und sozioökonomische Lage in Herat und Masar-e Sharif, vom 30.04.2019 und räumte den Parteien die Möglichkeit ein hierzu innerhalb einer Frist von zwei Wochen eine schriftliche Stellungnahme abzugeben.

Das BVwG führte am 05.09.2019 eine Abfrage im GVS System durch, wonach der BF seit 25.11.2015 Leistungen aus der vorübergehenden Grundversorgung bezieht.

Aus dem vom BVwG am 05.09.2019 eingeholten Auszug aus dem Strafregister ist ersichtlich, dass im Strafregister der Republik Österreich für den BF keine Verurteilungen aufscheinen.

Der BF führte durch seine bevollmächtige Vertretung in seiner Stellungnahme vom 19.09.2019 im Wesentlichen aus, dass die aktuellen Länderinformationen über Afghanistan zur Kenntnis genommen würden. Er legte dabei eine Ausbildungsbestätigung des bfi vom 18.12.2018 über einen Kurs zum Pflichtschulabschlusskurs vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1 Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers

Der BF führt den Namen XXXX , geboren im Dorf XXXX , in der Region um XXXX , im Distrikt XXXX , in der Provinz Logar, ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Hazara an, ist schiitischer Moslem, gesund, kinderlos und ledig. Der BF kennt sein Geburtsdatum nicht, für Identifikationszwecke wird dieses mit XXXX festgelegt. Die Muttersprache des BF ist Dari. Der BF ist Zivilist.

Der BF wuchs in seinem Heimatdorf auf. Er lebte gemeinsam mit seiner Familie im eigenen Haus. Der BF besuchte fünf Jahre lang die Schule. Er half seinem Vater im Glasereigeschäft.

Der Vater des BF heißt XXXX . Seine Mutter heißt XXXX . Der BF hat Geschwister, einen Bruder, XXXX , er ist ca. 14 Jahre alt, eine Schwester, XXXX , sie ist ca. 20 Jahre alt, und Zwillingsschwestern, XXXX und XXXX , welche ca. 9 Jahre alt sind. Der aktuelle Aufenthaltsort der Familienangehörigen des BF in Afghanistan kann nicht festgestellt werden.

Der Vater des BF besitzt ein Geschäft, eine Glaserei. Die Mutter des BF ist Hausfrau. Die Familie des BF ist Eigentümerin von Grundstücken im Heimatdorf des BF.

Der BF reiste im Oktober 2015 aus Afghanistan aus und gelangte über Pakistan, den Iran, die Türkei, Griechenland, Mazedonien und weitere Staaten nach Österreich, wo er spätestens am 22.11.2015 irregulär einreiste und am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

1.2 Zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers

Das vom BF dargelegte Fluchtvorbringen betreffend die Gefahr, von den Taliban verfolgt und getötet zu werden, ist nicht glaubhaft.

Es ist nicht glaubhaft, dass der BF sich aus innerster Überzeugung vom Islam abgewendet hat, und dass er diese Abkehr vom Glauben offen auslebt.

Der BF war in seinem Heimatland Afghanistan keiner psychischen oder physischen Gewalt aus Gründen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe ausgesetzt, noch hat er eine solche, im Falle seiner Rückkehr, zu befürchten.

Der BF wurde in Afghanistan nie persönlich bedroht oder angegriffen, es droht ihm auch künftig keine psychische oder physische Gewalt von staatlicher Seite, oder von Aufständischen, oder von sonstigen privaten Verfolgern in seinem Herkunftsstaat.

Dem BF droht wegen der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara oder zur schiitischen Religion konkret und individuell keine physische oder psychische Gewalt in Afghanistan. Nicht jeder Angehörige der Volksgruppe der Hazara oder der schiitischen Religion ist in Afghanistan physischer oder psychischer Gewalt ausgesetzt.

Auch sonst haben sich keine Hinweise für eine dem BF in Afghanistan individuell drohende Verfolgung ergeben.

1.3 Zum (Privat)Leben des Beschwerdeführers in Österreich:

Der BF befindet sich seit seiner Antragstellung im November 2015 auf Grund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG 2005 durchgehend rechtmäßig im Bundesgebiet. Er bezieht seit seiner Einreise Leistungen aus der vorübergehenden Grundversorgung.

Der BF besuchte Deutschkurse, zuletzt auf Niveau B1, und verfügt über gute Kenntnisse der deutschen Sprache. Er arbeitet ehrenamtlich für die Gemeinde, in welcher er wohnt. Er besuchte in XXXX die Bundeshandelsschule aus außerordentlicher Schüler. Derzeit besucht er einen Pflichtschulabschlusskurs. Er war in XXXX Mitglied im Fußballverein. Da der BF keine Arbeitserlaubnis hat, kann er in Österreich nicht arbeiten. Der BF hat einen in Österreich lebenden Cousin, der ebenfalls Asylwerber ist. Neben Freundschaften konnten keine weiteren substantiellen Anknüpfungspunkte im Bereich des Privatlebens des BF in Österreich festgestellt werden.

Der BF wird von seinen Vertrauenspersonen als motiviert, hilfsbereit, brav, sehr ehrgeizig, pflichtbewusst, umgänglich, beliebt, introvertiert, offen, herzlich, sympathisch, sehr wissbegierig, aufgeschlossen, verlässlich, friedfertig, aufrecht, schüchtern, freundlich und zuvorkommend beschrieben.

Der BF ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

1.4 Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

Es kann nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass dem BF bei einer Überstellung in seine Herkunftsprovinz Logar aufgrund der volatilen Sicherheitslage und der dort stattfinden willkürlichen Gewalt im Rahmen von internen bewaffneten Konflikten ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen würde.

Dem BF steht als interstaatliche Flucht- und Schutzalternative eine Rückkehr in der Stadt Mazar-e Sharif zur Verfügung, wo es ihm möglich ist, ohne Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können bzw. in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten, zu leben. Dem BF droht bei seiner Rückkehr in diese Stadt mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit kein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit.

Der BF ist jung und arbeitsfähig. Seine Existenz kann er in Mazar-e Sharif - zumindest anfänglich - mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern. Er ist auch in der Lage, eine einfache Unterkunft zu finden. Der BF hat auch die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form der Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen, sodass er im Falle der Rückkehr - neben den eigenen Ressourcen - auf eine zusätzliche Unterstützung zur Existenzsicherung greifen kann. Diese Rückkehrhilfe umfasst jedenfalls auch die notwendigen Kosten der Rückreise. Er hat eine fünfjährige Schulausbildung, weiters hat er bereits Berufserfahrung im Glasereigeschäft seines Vaters gesammelt, die er auch in Mazar-e Sharif wird nutzen können.

Der BF ist gesund. Der BF läuft im Falle der Rückkehr nach Mazar-e Sharif nicht Gefahr, aufgrund seines derzeitigen Gesundheitszustandes in einen unmittelbar lebensbedrohlichen Zustand zu geraten, oder dass sich eine Erkrankung in einem lebensbedrohlichen Ausmaß verschlechtern wird. Es sind auch sonst keine objektivierten Hinweise hervorgekommen, dass allenfalls andere schwerwiegende körperliche oder psychische Erkrankungen einer Rückführung des BF in den Herkunftsstaat entgegenstehen würden.

1.5 Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:

Zur Lage in Afghanistan werden die im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation in der Gesamtaktualisierung vom 29.06.2018 mit Stand vom 04.06.2019 (LIB), in den UNHCR Richtlinien vom 30.08.2018 (UNHCR), den EASO Leitlinien zu Afghanistan vom Juni 2018 (EASO 2018), den notorischen EASO Leitlinie zu Afghanistan vom Juni 2019 (EASO 2019), in der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Afghanistan: Christen, Konvertiten und Abtrünnige in Afghanistan vom 12.07.2017 (Staatendokumentation) und im ecoi.net Themendossier vom 30.04.2019 zur Sicherheitslage und sozioökonomische Lage in Herat und Masar-e Sharif (ECOI 2019) enthaltenen folgenden Informationen als entscheidungsrelevant festgestellt:

1.5.1 Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen andere gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren. Ausländische Streitkräfte und Regierungsvertreter sowie die als ihre Verbündeten angesehenen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte und Vertreter der afghanischen Regierung sind prioritäre Ziele der Aufständischen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen auf staatliche Einrichtungen aus. In einigen Teilen des Landes ist fehlende Sicherheit die größte Bewegungseinschränkung. In bestimmten Gebieten machen Gewalt durch Aufständische, Landminen und improvisierte Sprengfallen (IEDs) das Reisen besonders gefährlich, speziell in der Nacht. Bewaffnete Aufständischengruppen betreiben illegale Checkpoints und erpressen Geld und Waren. (LIB)

1.5.1.1 Herkunftsprovinz Logar

Logar befindet sich 65 km südlich von Kabul. Die Provinz grenzt im Norden an Kabul, im Osten an Nangarhar, im Süden an Paktia, im Westen an Maidan Wardak und im Südwesten an Ghazni. Logar besteht aus folgenden Distrikten: Mohammad Agha/Mohammadagha, Sarkh/Charkh, Kharwar, Baraki Barak/Barakibarak, Khwaki/Khoshi, Azrah/Azra und Pole Alam/Pul-e-Alam. Die Provinzhauptstadt ist Pole Alam und befindet sich im gleichnamigen Distrikt. In Barakibarak befindet sich ein Militärflughafen. Verschiedene Teilstämme der Paschtunen, Tadschiken, Hazara und Kuchi leben in der Provinz. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 405.109 geschätzt. Logar gehörte 2017 zu den Opium-freien Provinzen.

Logar gehört zu den volatilen Provinzen Afghanistans. Einem hochrangigen Polizeibeamten zufolge hat sich die Sicherheitslage im Vergleich zur Vergangenheit verbessert. Außerdem plane man, Operationen gegen die Taliban zu verstärken. Aufgrund der Nähe zu den Außendistrikten der Stadt Kabul, fanden in Logar heftige Gefechte zwischen Taliban und Sicherheitskräften statt. Im Jahr 2017 gehörte Logar zu den Provinzen mit der höchsten Anzahl registrierter Anschläge. Obwohl die Gefechte u.a. in Logar stiegen, sank in der Provinz die Anzahl der zivilen Opfer in Folge von Bodenoffensiven. ANA-Beamten zufolge verstärken afghanische Truppen ihre militärischen Operationen gegen die Taliban in der volatilen Provinz, um die Stellungen der Aufständischen zu zerstören. So werden in Logar regelmäßig militärische Operationen durchgeführt, um bestimmte Gegenden von Aufständischen zu befreien, dabei wurden Talibananführer und Mitglieder des Haqqani-Netwerkes getötet. Luftangriffe werden durchgeführt, dabei wurden Aufständische getötet. Zusammenstöße zwischen den Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften finden statt. Talibankämpfer sind in einigen Distrikten der Provinz aktiv. In einigen abgelegenen Distrikten der Provinz versuchten Taliban, ihre religiösen Ansichten in den Schulen zu verbreiten. Im März 2017 versuchte der IS, junge Männer in der Provinz Logar zu rekrutieren, auch wurden tschetschenische Staatsbürger, möglicherweise Anhänger des IS, in der Provinz Logar verhaftet (LIB).

Die Provinz Logar zählt laut EASO zu jenen Provinzen Afghanistans, wo willkürliche Gewalt stattfindet und allenfalls eine reelle Gefahr festgestellt werden kann, dass der BF ernsthaften Schaden im Sinne von Art. 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie nehmen könnte - vorausgesetzt, dass er aufgrund seiner persönlichen Verhältnisse von derartigen Risikofaktoren konkret betroffen ist (EASO 2018 und EASO 2019).

1.5.1.2 Provinz Balkh bzw. Stadt Mazar-e Sharif

Bei der Provinz Balkh handelt es sich um eine jener Provinzen, in denen es zu willkürlicher Gewalt kommt, jedoch nicht auf hohem Niveau, und dementsprechend ist ein höheres Maß an Einzelelementen erforderlich ist, um wesentliche Gründe für die Annahme aufzuzeigen, dass ein in dieses Gebiet zurückgekehrter Zivilist einem realen ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, Schaden im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie zu nehmen (EASO 2019).

Die Stadt Mazar-e Sharif wird von EASO als eine jener Regionen eingestuft, in welcher willkürliche Gewalt auf einem so niedrigen Niveau stattfindet, dass im Allgemeinen kein reales Risiko besteht, dass ein Zivilist aufgrund willkürlicher Gewalt im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie persönlich betroffen wird (EASO 2019).

Am 31. März 2019 wurden laut ACLED im Distrikt Nahri Shahi drei "Arbaki"-Kämpfer von Taliban-Kämpfern getötet. Am 27. März 2019 wurde laut ACLED im Dorf Kampirak im Distrikt Nahri Shahi ein afghanischer Polizist von Taliban-Kämpfern getötet und zwei weitere verwundet. Am 27. März 2019 wurden laut ACLED im Distrikt Masar-e Scharif zwei afghanische Polizisten von Taliban-Kämpfern getötet und ein weiterer verwundet. Am 16. März 2019 wurde laut ACLED in der Stadt Masar-e Scharif ein "Arbaki" von Taliban-Kämpfern getötet. Im März 2019 kam es laut RFE/RL in der Stadt Masar-e Scharif zu einem Feuergefecht zwischen der Polizei, die dem einflussreichen ehemaligen Provinzgouverneur Atta Mohammad Noor die Treue hält, und den Streitkräften des Innenministeriums, die geschickt wurden, um einen neuen von Präsident Ashraf Ghani ernannten Polizeichef zu unterstützen. Dabei haben nach Angaben von Krankenhaus-Sprechern mindestens 13 Menschen Schusswunden erlitten, darunter fünf Zivilistlnnen und acht Polizistlnnen. (ECOI 2019)

1.5.2 Sichere Einreise

Die Stadt Mazar-e Sharif ist über den internationalen Flughafen sicher erreichbar. Der Flughafen von Mazar-e Sharif (MRZ) liegt 9 km östlich der Stadt im Bezirk Marmul. Die Befahrung der Straßen von diesem Flughafen bis zur Stadt Mazar-e Sharif ist zur Tageszeit im Allgemeinen sicher. (EASO 2018 und EASO 2019)

1.5.3 Wirtschafts- und Versorgungslage

Zur Wirtschafts- und Versorgungslage ist festzuhalten, dass Afghanistan weiterhin ein Land mit hoher Armutsrate und Arbeitslosigkeit ist. Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Nichtsdestotrotz bleiben bedeutende Herausforderungen bestehen, da das Land weiterhin von Konflikten betroffen, arm und von Hilfeleistungen abhängig ist. Während auf nationaler Ebene die Armutsrate in den letzten Jahren etwas gesunken ist, stieg sie in Nordostafghanistan in sehr hohem Maße. Im Norden und im Westen des Landes konnte sie hingegen reduziert werden. Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut auch im Jahr 2018 weiterhin zu.

In den Jahren 2016-2017 wuchs die Arbeitslosenrate, die im Zeitraum 2013-2014 bei 22,6% gelegen hatte, um 1%. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet. Über 40% der erwerbstätigen Bevölkerung gelten im Jahr 2018 als arbeitslos oder unterbeschäftigt. Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können.

Die afghanische Regierung hat Bemühungen zur Armutsreduktion gesetzt und unterstützt den Privatsektor weiterhin dabei, nachhaltige Jobs zu schaffen und das Wirtschaftswachstum voranzutreiben. Die Ausstellung von Gewerbeberechtigungen soll gesteigert, steuerliche Sanktionen abgeschafft und öffentlich-private Partnerschaften entwickelt werden; weitere Initiativen sind geplant. (LIB)

1.5.3.1 Wirtschafts- und Versorgungslage der Stadt Mazar-e Sharif

Mazar-e Sharif ist ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst. Die Infrastruktur ist jedoch noch unzureichend und behindert die weitere Entwicklung der Region. (LIB)

In Mazar-e Sharif besteht laut EASO grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum zu mieten. Als Alternative dazu stehen ferner günstige Unterkünfte in "Teehäusern" zur Verfügung. die mit 30 Afghani (das sind ca. € 0,35) bis 100 Afghani (das sind ca. € 1,20) pro Nacht relativ günstig sind. "Teehäuser" werden von Reisenden, Tagesarbeitern, Straßenhändlern, jungen Menschen, alleinstehenden Männern und anderen Personen, die in der Gegend keine ständige Unterkunft haben, als vorübergehende Unterkunft genutzt. Generell besteht in Mazar-e Sharif laut EASO, trotz der im Umland herrschenden Dürre, keine Lebensmittelknappheit. In Mazar-e Sharif haben die meisten Leute laut EASO Zugang zu erschlossenen Wasserquellen sowie auch zu besseren Sanitäreinrichtungen. Schulische Einrichtungen sind in Mazar-e Sharif vorhanden. (EASO 2018 und EASO 2019)

Mazar-e Sharif befand sich im Februar 2019 in Phase 2 des von FEWS NET verwendeten Klassifizierungssystems. In Phase 2, auch "Stressed" genannt, weisen Haushalte nur einen gerade noch angemessenen Lebensmittelverbrauch auf und seien nicht in der Lage sich wesentliche, nicht nahrungsbezogenen Güter zu leisten ohne irreversible Bewältigungsstrategien anzuwenden. (ECOI 2019)

1.5.4 Medizinische Versorgung

Medizinische Versorgung ist in Afghanistan insbesondere in größeren Städten wie etwa auch in Mazar-e Sharif sowohl in staatlichen als auch privaten Krankenhäusern verfügbar. In Mazar-e Sharif zählt dazu das Alemi Krankenhaus. Psychische Krankheiten wie posttraumatische Belastungsstörung, Depression und Angstzustände - die oft durch den Krieg hervorgerufen wurden - sind in Afghanistan weit verbreitet, es gibt aber nur geringe Kapazitäten zur Behandlung dieser Erkrankungen. Spezifische Medikamente sind grundsätzlich verfügbar.

(LIB)

1.5.5 Ethnische Minderheiten

In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2017 mehr als 34,1 Millionen Menschen. Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht.

Schätzungen zufolge, sind: 40% Paschtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara, 9% Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Art. 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht. Diese weiteren in der Verfassung genannten Sprachen sind Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri. Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen.

Die schiitische Minderheit der Hazara, zu welchen der BF zählt, macht etwa 10% der Bevölkerung aus. Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt und unter der Bezeichnung Hazaradschat (azarajat) bekannt ist. Das Kernland dieser Region umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz Wardak. Es können auch einzelne Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul dazugerechnet werden. Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind einerseits ihr ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild, woraus gern Schlussfolgerungen über eine turko-mongolische Abstammung der Hazara gezogen werden. Eine Minderheit der Hazara, die vor allem im nordöstlichen Teil des Hazaradschat leben, sind Ismailiten.

Die Hazara-Gemeinschaft/Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Familie bzw. dem Klan. Die sozialen Strukturen der Hazara werden manchmal als Stammesstrukturen bezeichnet; dennoch bestehen in Wirklichkeit keine sozialen und politischen Stammesstrukturen. Das traditionelle soziale Netz der Hazara besteht größtenteils aus der Familie, obwohl gelegentlich auch politische Führer einbezogen werden können.

Nicht weniger wichtig als Religion und Abstammung ist für das ethnische Selbstverständnis der Hazara eine lange Geschichte von Unterdrückung, Vertreibung und Marginalisierung. Jahrzehntelange Kriege und schwere Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben. Dennoch hat sich die Lage der Hazara, die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgt waren, grundsätzlich verbessert; vornehmlich aufgrund von Bildung und vor allem auf ökonomischem und politischem Gebiet. Hazara in Kabul gehören jetzt zu den am besten gebildeten Bevölkerungsgruppen und haben auch eine Reihe von Dichtern und Schriftstellern hervorgebracht. Auch wenn es nicht allen Hazara möglich war diese Möglichkeiten zu nutzen, so haben sie sich dennoch in den Bereichen Bildung, öffentliche Verwaltung und Wirtschaft etabliert.

So haben Hazara eine neue afghanische Mittelklasse gegründet. Im Allgemeinen haben sie, wie andere ethnische Gruppen auch, gleichwertigen Zugang zum Arbeitsmarkt. Nichtsdestotrotz, sind sie von einer allgemein wirtschaftlichen Verschlechterung mehr betroffen als andere, da für sie der Zugang zu Regierungsstellen schwieriger ist - außer ein/e Hazara ist selbst Abteilungsleiter/in. Einer Quelle zufolge existiert in der afghanischen Gesellschaft die Auffassung, dass andere ethnische Gruppierungen schlecht bezahlte Jobs Hazara geben. Einer weiteren Quelle zufolge, beschweren sich Mitglieder der Hazara-Ethnie über Diskriminierung während des Bewerbungsprozesses, da sie anhand ihrer Namen leicht erkennbar sind. Die Ausnahme begründen Positionen bei NGOs und internationalen Organisationen, wo das Anwerben von neuen Mitarbeitern leistungsabhängig ist. Arbeit für NGOs war eine Einnahmequelle für Hazara - nachdem nun weniger Hilfsgelder ausbezahlt werden, schrauben auch NGOs Jobs und Bezahlung zurück, was unverhältnismäßig die Hazara trifft. So berichtet eine weitere Quelle, dass Arbeitsplatzanwerbung hauptsächlich über persönliche Netzwerke erfolgt. Hazara haben aber aufgrund vergangener und anhaltender Diskriminierung eingeschränkte persönliche Netzwerke.

Gesellschaftliche Spannungen bestehen fort und leben lokal in unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf; soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten finden ihre Fortsetzung in Erpressungen (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Festnahmen.

Die Hazara sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 10% in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert.

(LIB)

1.5.6 Religion

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 10-15 % Schiiten, wie es auch der BF ist. (LIB)

Beobachtern zufolge ist die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit zurückgegangen; dennoch existieren Berichte zu lokalen Diskriminierungsfällen. Afghanischen Schiiten ist es möglich, ihre Feste öffentlich zu feiern; einige Paschtunen sind jedoch wegen der Feierlichkeiten missgestimmt, was gelegentlich in Auseinandersetzungen mündet. In den Jahren 2016 und 2017 wurden schiitische Muslime, hauptsächlich ethnische Hazara, oftmals Opfer von terroristischen Angriffen u.a. der Taliban und des IS. (LIB)

1.5.7 Rückkehrer/innen

In der Zeit von 2012 bis 2017 sind 1.821.011 Personen nach Afghanistan zurückgekehrt, wobei der Großteil der Rückkehrer/innen aus Pakistan und dem Iran kommen. Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück. In der Provinz Balkh ließen sich von den insgesamt ca. 1,8 Millionen Rückkehrer/innen in der Zeit von 2012 bis 2017 109.845 Personen nieder.

Aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen besteht auch für zurückkehrende Flüchtlinge das Risiko, in die Armut abzurutschen. Sowohl das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (United Nations World Food Programme) als auch andere UN-Organisationen arbeiten mit der afghanischen Regierung zusammen, um die Kapazität humanitärer Hilfe zu verstärken, rasch Unterkünfte zur Verfügung zu stellen und Hygiene- und Nahrungsbedürfnisse zu stillen.

Die afghanische Regierung kooperierte mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Fähigkeit der afghanischen Regierung vulnerable Personen zu unterstützen, einschließlich Rückkehrer/innen aus Pakistan und dem Iran, bleibt begrenzt und ist weiterhin auf die Hilfe der internationalen Gemeinschaft angewiesen. Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig (BFA Staatendokumentation 4.2018). Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (z. B. IPSO und AMASO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung. Neue politische Rahmenbedingungen für Rückkehrer/innen und IDPs wurden von unterschiedlichen afghanischen Behörden, dem Ministerium für Flüchtlinge und Repatriierung (MoRR) und internationalen Organisationen geschaffen und sind im Dezember 2016 in Kraft getreten. Diese Rahmenbedingungen gelten sowohl für Rückkehrer/innen aus der Region (Iran und Pakistan), als auch für jene, die aus Europa zurückkommen oder IDPs sind. Soweit dies möglich ist, sieht dieser mehrdimensionale Ansatz der Integration unter anderem auch die individuelle finanzielle Unterstützung als einen Ansatz der "whole of community" vor. Demnach sollen Unterstützungen nicht nur Einzelnen zugutekommen, sondern auch den Gemeinschaften, in denen sie sich niederlassen. Die Rahmenbedingungen sehen die Grundstücksvergabe als entscheidend für den Erfolg anhaltender Lösungen. Hinsichtlich der Grundstücksvergabe wird es als besonders wichtig erachtet, das derzeitige Gesetz zu ändern, da es als anfällig für Korruption und Missmanagement gilt. Auch wenn nicht bekannt ist, wie viele Rückkehrer/innen aus Europa Grundstücke von der afghanischen Regierung erhalten haben - und zu welchen Bedingungen - sehen Experten dies als möglichen Anreiz für jene Menschen, die Afghanistan schon vor langer Zeit verlassen haben und deren Zukunftsplanung von der Entscheidung europäischer Staaten über ihre Abschiebungen abhängig ist.

Die Großfamilie ist für Zurückkehrende die zentrale soziale Institution in Afghanistan und bildet das wichtigste soziale Sicherheitsnetz der Afghanen. Alle Familienmitglieder sind Teil des familiären Netzes. Die Großfamilie trägt zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder bei. Sie bildet auch eine wirtschaftliche Einheit; die Männer der Familie sind verpflichtet, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen und die Familie in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Auslandsafghanen pflegen zumeist enge Kontakte mit ihren Verwandten in Afghanistan. Quellen zufolge verlieren nur sehr wenige Afghanen in Europa den Kontakt zu ihrer Familie. Die Qualität des Kontakts mit der Familie hängt möglicherweise auch davon ab, wie lange die betreffende Person im Ausland war bzw. wie lange sie tatsächlich in Afghanistan lebte, bevor sie nach Europa migrierte. Der Faktor geographische Nähe verliert durch technologische Entwicklungen sogar an Wichtigkeit. Der Besitz von Mobiltelefonen ist mittlerweile "universell" geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten. Ein fehlendes familiäres Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Reintegration von Migrant/innen in Afghanistan dar. Quellen zufolge haben aber alleinstehende afghanische Männer, egal ob sie sich kürzer oder länger außerhalb der Landesgrenzen aufhielten, sehr wahrscheinlich eine Familie in Afghanistan, zu der sie zurückkehren können. Eine Ausnahme stellen möglicherweise jene Fälle dar, deren familiäre Netze in den Nachbarstaaten Iran oder Pakistan liegen. Quellen zufolge halten Familien in Afghanistan in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren.

Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere, wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z. B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen "professionellen" Netzwerken (Kolleg/innen, Kommilitonen etc.) sowie politische Netzwerke usw. Die unterschiedlichen Netzwerke haben verschiedene Aufgaben und unterschiedliche Einflüsse - auch unterscheidet sich die Rolle der Netzwerke zwischen den ländlichen und städtischen Gebieten. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind einige Rückkehrer/innen auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer/innen dar, was möglicherweise zu einem neuerlichen Verlassen des Landes führen könnte. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer/innen besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden. (LIB)

1.5.8 Terroristische und aufständische Gruppierungen

Terroristische und aufständische Gruppierungen stellen Afghanistan und die Koalitionskräfte grundsätzlich vor erhebliche Herausforderungen. Derzeit sind rund 20 terroristische Organisationen in Afghanistan zu finden: das von außen unterstützte Haqqani-Netzwerk stellt nach wie vor die größte Gefährdung für afghanische und internationale Kräfte dar. Die Verflechtung von Taliban und Haqqani-Netzwerk ist so intensiv, dass diese beiden Gruppierungen als Fraktionen ein und derselben Gruppe angesehen werden. Wenn auch die Taliban öffentlich verkündet haben, sie würden zivile Opfer einschränken, so führt das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin Angriffe in bevölkerungsreichen Gegenden aus. Die Taliban haben hauptsächlich in Faryab und Sar-i-Pul, wo die Mehrheit der Bevölkerung usbekischer Abstammung ist, ihre Reihen für nicht-paschtunische Kämpfer geöffnet. Schätzungen von SIGAR zufolge kontrollierten im Oktober 2017 und im Jänner 2018 die Taliban 14% der Distrikte Afghanistans. Die Taliban selbst verlautbarten im März 2017, dass sie beinahe 10% der afghanischen Distrikte kontrollierten. (LIB)

1.5.9 Abtrünnige

Abtrünnige bekennen sich üblicherweise in Afghanistan nicht öffentlich. Sollten sie ihre Meinung öffentlich kundtun und sich auf Diskussionen einlassen, um ihren abtrünnigen Glauben vergleichend mit dem Islam zu verteidigen, werden sie von der Gesellschaft schlecht behandelt. Staatliche Behörden werden nur dann eingreifen, wenn sich Abtrünnige öffentlich äußern und soziale Probleme hervorrufen.

Abtrünnige haben Zugang zu staatlichen Leistungen. Es gibt in Afghanistan viele Menschen, die während des Ramadans nicht fasten und freitags nicht beten. In ländlichen Gebieten wird diesen Personen von der Gesellschaft nahegelegt, (zumindest) das Freitags- und Ramadan-Gebet einzuhalten. Die Gesellschaft behandelt das Nichtbeten als kleine Vergehen. Das Nicht-Fasten ist in ländlichen Gebieten eine heiklere Angelegenheit. Vorfälle schlechter Behandlung wegen Nicht-Fastens durch die Gesellschaft kommen vor. Es gibt keine Berichte zur offiziellen Strafverfolgung wegen des Nicht-Fastens zu Ramadan. In städtischen Gebieten ist die Gesellschaft flexibler und weniger streng (Staatendokumentation).

2. Beweiswürdigung:

2.1 Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, Herkunft, ethnischen und religiösen Zugehörigkeit sowie zu den Aufenthaltsorten, Sprachkenntnissen, der Schulbildung und Berufserfahrung des BF beruhen auf dessen plausiblen, im Wesentlichen gleichbleibenden Angaben im Laufe des Asylverfahrens. Die Angaben dienen zur Identifizierung im Asylverfahren.

Der BF gab erstmals in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem BVwG an, dass seine Familie - drei Wochen vor der Verhandlung am 18.09.2018 - in den Iran gegangen sei und seither dort lebe (vgl. S 7 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vor dem BVwG am 18.09.2019). Zunächst führte der BF dazu aus, seine Familie habe Afghanistan verlassen, nachdem die Taliban gekommen seien und den BF töten wollten. Die Taliban hätten erfahren, dass der BF geflüchtet sei und hätten seinen Bruder mitnehmen und töten wollen (vgl. S 7 der Beschwerdeverhandlung vor dem BVwG). Auf weitere Nachfrage, warum seine Eltern aus Afghanistan weggegangen seien, steigerte der BF seine Angaben weiter: Die Taliban hätten erfahren, dass er in Europa sei und kein Moslem mehr sei. Deshalb hätten sie seinen Bruder mitnehmen und töten wollen, der jedoch nicht zuhause gewesen sei (vgl. S 12 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vor dem BVwG). Neben der Widersprüchlichkeit des Vorbringens betreffend die Verfolgung durch die Taliban - diesbezüglich wird auf die Ausführungen unter Punkt 2.2. verwiesen - konnte der BF nicht schlüssig darlegen, warum seine Familie, welche nach seiner Flucht drei Jahre lang unbehelligt im Heimatdorf gelebt hatte, plötzlich von den Taliban aufgesucht worden sei, und wie die Taliban vom vorgebrachten Abfall vom Glauben des BF erfahren hätten. Dies vor allem, da der BF auf die anschließende Frage der erkennenden Richterin, woher die Taliban den BF kennen würden, angab, dies nicht zu wissen (vgl. S 12 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vor dem BVwG). Vielmehr sind die Angaben des BF zum Aufenthaltsort seiner Familienangehörigen als Schutzbehauptungen zu werten, um für den BF die Anzahl der noch in Afghanistan bestehenden familiären Anknüpfungspunkte möglichst gering zu halten. Es ist daher davon auszugehen, dass der BF Verwandte in Afghanistan hat und zu diesen auch Kontakt besteht.

2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 idF BGBl. I Nr. 145/2017, (in der Folge: AsylG 2005) liegt es auch am BF, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht.

Das Asylverfahren bietet, wie der VwGH erst jüngst in seinem Erkenntnis vom 27.05.2019, Ra 2019/14/0143-8, wieder betonte, nur beschränkte Möglichkeiten, Sachverhalte, die sich im Herkunftsstaat des Asylwerbers ereignet haben sollen, vor Ort zu verifizieren. Hat der Asylwerber keine anderen Beweismittel, so bleibt ihm lediglich seine Aussage gegenüber den Asylbehörden, um das Schutzbegehren zu rechtfertigen. Diesen Beweisschwierigkeiten trägt das österreichische Asylrecht in der Weise Rechnung, dass es lediglich die Glaubhaftmachung der Verfolgungsgefahr verlangt. Um den Status des Asylberechtigten zu erhalten, muss die Verfolgung nur mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit drohen. Die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt jedoch nicht. Dabei hat der Asylwerber im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach § 15 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen.

Mit der Glaubhaftmachung ist demnach die Pflicht der Verfahrenspartei verbunden, initiativ alles darzulegen, was für das Zutreffen der behaupteten Voraussetzungen spricht und diesbezüglich konkrete Umstände anzuführen, die objektive Anhaltspunkte für das Vorliegen dieser Voraussetzung liefern. Insoweit trifft die Partei eine erhöhte Mitwirkungspflicht. Allgemein gehaltene Behauptungen reichen für eine Glaubhaftmachung nicht aus (vgl. VwGH 17.10.2007, 2006/07/0007).

Die Glaubhaftmachung hat das Ziel, die Überzeugung von der Wahrscheinlichkeit bestimmter Tatsachenbehauptungen zu vermitteln. Glaubhaftmachung ist somit der Nachweis einer Wahrscheinlichkeit. Dafür genügt ein geringerer Grad der Wahrscheinlichkeit als der, der die Überzeugung von der Gewissheit rechtfertigt (VwGH 29.05.2006, 2005/17/0252). Im Gegensatz zum strikten Beweis bedeutet Glaubhaftmachung ein reduziertes Beweismaß und lässt durchwegs Raum für gewisse Einwände und Zweifel am Vorbringen des Asylwerbers. Entscheidend ist, ob die Gründe, die für die Richtigkeit der Sachverhaltsdarstellung sprechen, überwiegen oder nicht. Dabei ist eine objektivierte Sichtweise anzustellen.

Unter diesen Maßgaben ist das Vorbringen eines Asylwerbers also auf seine Glaubhaftigkeit hin zu prüfen. Dabei ist vor allem auf folgende Kriterien abzustellen: Das Vorbringen des Asylwerbers muss - unter Berücksichtigung der jeweiligen Fähigkeiten und Möglichkeiten - genügend substantiiert sein; dieses Erfordernis ist insbesondere dann nicht erfüllt, wenn der Asylwerber den Sachverhalt sehr vage schildert oder sich auf Gemeinplätze beschränkt, nicht aber in der Lage ist, konkrete und detaillierte Angaben über seine Erlebnisse zu machen. Das Vorbringen hat zudem plausibel zu sein, muss also mit den Tatsachen oder der allgemeinen Erfahrung übereinstimmen; diese Voraussetzung ist u.a. dann nicht erfüllt, wenn die Darlegungen mit den allgemeinen Verhältnissen im Heimatland nicht zu vereinbaren sind oder sonst unmöglich erscheinen. Schließlich muss das Fluchtvorbringen in sich schlüssig sein; der Asylwerber darf sich demgemäß nicht in wesentlichen Aussagen widersprechen.

Der BF gibt als Fluchtgrund im Wesentlichen an, dass die Taliban in seinem Heimatdorf aktiv gewesen seien, sie hätten die Schule bombardiert, auch sein Cousin sei bei einem Selbstmordanschlag der Taliban ums Leben gekommen. Aus diesem Vorbringen lässt sich jedoch keine individuelle, asylrelevante Verfolgung des BF ableiten. Der BF gab selbst an, sein Cousin sei mit dem Fahrrad in die Schule gefahren und bei einem Anschlag ums Leben gekommen, der den Amerikanern gegolten habe (vgl. S 6 der Einvernahme vor dem BFA am 08.11.2017 und S 11 der Einvernahme vor dem BVwG), eine persönliche Verfolgung seines Verwandten lag daher ebenfalls nicht vor. Dass die Taliban die Schule im Dorf niedergebrannt hätten, da sie nicht wollten, dass jemand, insbesondere die Mädchen, zur Schule gehen, ist zwar vor dem Hintergrund der Länderberichte grundsätzlich glaubhaft, hat jedoch ebenfalls nichts mit der Person des BF zu tun. Der BF gab selbst sowohl vor der belangten Behörde als auch in der Beschwerdeverhandlung an, nie mit den Taliban gesprochen zu haben (vgl. S 6 der Einvernahme vor dem BFA und S 11 der Einvernahme vor dem BVwG) und in Afghanistan nie persönlich physisch oder psychisch bedroht worden zu sein (vgl. S 7 der Einvernahme vor dem BFA und S 12 der Einvernahme vor dem BVwG).

Dem in der Stellungnahme vom 22.11.2017 sowie in der Beschwerde getätigte Vorbringen, der BF sei von Zwangsrekrutierung bedroht, ist entgegen zu halten, dass der BF persönlich in sämtlichen Befragungen keine diesbezüglichen Befürchtungen geäußert hat und sich auch sonst keine Anhaltspunkte dafür finden. Beim BF, der vor seiner Ausreise fünf Jahre die Schule besucht und seinem Vater in dessen Glaserei geholfen hat, handelt es sich nicht um eine exponierte Person, der speziell als Individuum ins Visier der Taliban geraten ist oder im Falle einer Rückkehr geraten würde.

Während der BF in seiner Erstbefragung als Fluchtgrund lediglich die Taliban nannte, gab er im Rahmen der Einvernahme vor dem BFA erstmals an, Afghanistan auch deshalb verlassen zu haben, da er seinen Glauben als Schiit nicht frei ausleben habe können, die Schiiten hätten zum Beispiel keine Trauerfeierlichkeiten durchführen dürfen, außerdem sei er vom Imam der Moschee geschlagen worden (vgl. S 5 der Einvernahme vor dem BFA). In der mündlichen Beschwerdeverhandlung wiederholte der BF, in der Moschee geschlagen worden zu sein, brachte hingegen nicht mehr vor, in seinem schiitischen Glauben behindert worden zu sein, sondern im Gegenteil, nicht mehr religiös zu sein. Der BF, der somit in jeder Befragung die Gründe des Verlassens seines Herkunftsstaates änderte und erweiterte, muss sich daher eine Steigerung seines Vorbringens vorhalten lassen, was nach Ansicht des BVwG zumindest als Indiz für ein insgesamt nicht glaubhaftes Vorbringen zu werten ist.

Gemäß § 19 Abs. 1 AsylG 2005 dient die Erstbefragung zwar "insbesondere" der Ermittlung der Identität und der Reiseroute eines Fremden und hat sich nicht auf die "näheren" Fluchtgründe zu beziehen (vgl. hierzu auch VfGH 27.06.2012, U 98/12), ein Beweisverwertungsverbot ist damit jedoch nicht normiert; die Verwaltungsbehörde bzw. das BVwG können in ihrer Beweiswürdigung also durchaus die Ergebnisse der Erstbefragung in ihre Beurteilung miteinbeziehen. Es wird im vorliegenden Fall zwar nicht verkannt, dass sich die Erstbefragung des BF nicht in erster Linie auf seine Fluchtgründe bezog, und diese daher nur in aller Kürze angegeben und protokolliert wurden. Dass der BF zunächst jedoch nicht einmal ansatzweise Angaben zu seiner Einstellung zum Glauben und Misshandlungen in der Moschee, welche in weiterer Folge als Hauptgründe seiner Flucht vorgebracht wurden, erwähnte, ist jedoch nicht nachvollziehbar.

So erscheint es im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht unschlüssig, wenn den ersten Angaben, die ein Asylwerber nach seiner Ankunft in Österreich macht, gegenüber späteren Steigerungen erhöhte Bedeutung beigemessen wird (VwGH 08.07.1993, 92/01/1000; 30.11.1992, 92/01/0832; 20.05.1992, 92/01/0407; 19.09.1990, 90/01/0133). Der Umstand, dass ein Asylwerber bei der Erstbefragung gravierende Angriffe gegen seine Person unerwähnt gelassen hat, spricht gegen seine Glaubwürdigkeit (VwGH 16.09.1992, 92/01/0181).

Dass der BF und die anderen Schüler vom Imam geschlagen worden seien, wenn sie keine Antwort gewusst oder den Koran falsch zitiert hätten, ist kein asylrelevantes Vorbringen. Der ebenfalls der Volksgruppe der Hazara und der Glaubensrichtung der Schiiten angehörige Imam diskriminierte den BF nicht aufgrund seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit und war, wie der BF selbst vorbringt, sämtlichen Schülern gegenüber gewalttätig, die seinen Aufforderungen nicht korrekt Folge leisteten. Eine individuelle Verfolgung des BF aufgrund eines Konventionsgrundes ist damit nicht erkennbar.

Der BF konnte auch nicht glaubhaft darlegen, dass ihm die Ausübung seines Glaubens als Schiit nicht frei möglich gewesen sei. Seine diesbezüglichen Angaben blieben vage und unsubstantiiert. Der BF erhielt in der schiitischen Moschee in seinem Dorf Unterricht und vermochte auf Befragen nicht darlegen, inwiefern seine Religionsausübung gestört worden sei (vgl. S 6 der Einvernahme vor dem BFA: LA: "Hatten die Taliban kein Problem damit, dass dort der schiitische Glauben unterrichtet wurde?" VP: "Das weiß ich nicht?"

LA: "Kamen die Taliban einmal in diese Moschee?" VP: "Sie kamen hin und wieder, schauten nur kurz in die Moschee und gingen wieder.").

Darüber hinaus ist das diesbezügliche Fluchtvorbringen auch in sich nicht schlüssig, da der BF in der mündlichen Beschwerdeverhandlung dem widersprechend erstmals angab, kein religiöses Leben mehr führen zu wollen (vgl. S 12 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung). Auch diesbezüglich kommt der BF aber keine Glaubwürdigkeit zu, bezeichnete er sich doch selbst auf die Frage nach seinem Religionsbekenntnis im gesamten Verfahren hindurch als schiitischen Moslem, was nicht auf eine ausdrückliche Distanzierung von dieser Religion schließen lässt (vgl. Seite 1 der Erstbefragung am 26.11.2015, Seite 3 der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 08.11.2017, Seiten 5 und 13 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vom 18.09.2018). Auch wenn der BF tatsächlich nicht sonderlich religiös ist, so ist aus seinen Angaben trotzdem zu schließen, dass er nicht gänzlich vom islamischen Glauben abgefallen ist. Wäre er tatsächlich vom islamischen Glauben abgefallen, und wäre das wichtig für ihn gewesen, so hätte er dies, schon im eigenen Interesse, bereits vor der belangten Behörde entsprechend dargetan, was nicht erfolgte. Er gab - im Gegenteil -vor der belangten Behörde noch an, Afghanistan verlassen zu haben, da er seinen schiitischen Glauben nicht habe frei ausüben können. Auch vor dem BVwG bezeichnete er sich nach seinem Religionsbekenntnis befragt weiterhin als schiitischer Moslem und bejahte die Frage, ob er Moslem sei. Dabei ergänzte er jedoch, nicht mehr Moslem sein zu wollen und den Koran lesen und fasten zu wollen bzw. nichts mit "religiösen Sachen" zu tun haben zu wollen (vgl. S 13 der Einvernahme vor dem BVwG). Der BF hat mit seinen afghanischen Freunden seine Einstellung zur Religion nicht besprochen (vgl. S 13 der Einvernahme vor dem BVwG), was ebenfalls darauf schließen lässt, dass ihm dieses Thema schlichtweg nicht wichtig ist. Nur der Umstand, dass der BF Religion keinen großen Stellenwert in seinem Leben einräumt, bedingt noch nicht, dass er als ein vom "Glauben Abgefallener" anzusehen ist.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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