TE Bvwg Erkenntnis 2019/10/7 W133 2190326-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.10.2019
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Entscheidungsdatum

07.10.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W133 2190326-1/16E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Natascha GRUBER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch den XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.03.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 30.10.2018 zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX , gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass dem Beschwerdeführer damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer stellte am 11.11.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Am 12.11.2015 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers statt. Dabei gab er an, die afghanische Staatsangehörigkeit zu besitzen. Seine Muttersprache sei Farsi, er sei Moslem schiitischer Ausrichtung. Zuletzt habe er als Hirte gearbeitet. Sein Vater sei verstorben, er habe noch seine Mutter sowie drei Brüder. Er habe Afghanistan vor circa drei Monaten verlassen, die letzten zwei Monate habe er illegal im Iran gelebt. Er habe sich selbst einen Schlepper organisiert. Befragt zu seinem Fluchtgrund brachte der Beschwerdeführer vor, dass er seinen Vater im Krieg verloren habe. In Afghanistan herrsche Krieg. Seine Mutter habe zu ihm gesagt, dass er das Land verlassen solle, da es sein könne, dass auch er sterben werde. Sie habe ihren Grund verkauft und habe ihm Geld gegeben, damit er Afghanistan verlassen könne. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan fürchte er, im Krieg zu sterben.

Mit einem im Akt aufliegenden Schreiben erteilte die Bezirkshauptmannschaft XXXX als regionale Organisationseinheit des Landes XXXX als Kinder- und Jugendhilfeträger als gesetzlicher Vertreter des damals minderjährigen Beschwerdeführers der XXXX die Vollmacht ihn im Asylverfahren zu vertreten.

Am 27.12.2016 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) im Asylverfahren niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er an, am XXXX in der Provinz XXXX in Afghanistan geboren worden zu sein und die afghanische Staatsangehörigkeit zu besitzen. Er sei schiitischer Moslem und gehöre der Volksgruppe der Hazara an. Seine Muttersprache sei Dari, er spreche auch ein wenig Deutsch. Er sei von Afghanistan vier Monate lang nach Österreich unterwegs gewesen, zwei Monate davon habe er sich im Iran aufgehalten. In Österreich würde er vier Mal pro Woche die Schule besuchen, er mache gerade seinen Hauptschulabschluss. Der Beschwerdeführer führte weiters aus, dass er in Österreich gerne mit einer Lehre beginnen würde. Er wolle in Österreich jede Arbeit annehmen, auch als Bauarbeiter, er habe bereits zwei Monate lang im Iran "am Bau" gearbeitet. Er sei gesund. Betreffend sein Leben in Afghanistan gab der Beschwerdeführer an, dass er in Afghanistan keine Schule besucht habe, er habe nur den Koran gelesen. Er sei eineinhalb Jahre lang jeden Tag in die Moschee gegangen. Sein Vater sei vor circa zwei Jahren aufgrund eines Schlaganfalls verstorben, seine Mutter sowie seine drei Brüder würden sich nach wie vor in der Provinz XXXX in Afghanistan aufhalten. Seine Familie besitze in Afghanistan eine Landwirtschaft, von der sie leben würde. Auch der Beschwerdeführer habe dort mitgearbeitet. Ein Onkel mütterlicherseits würde im Iran, eine Tante mütterlicherseits in Pakistan leben. Seit seiner Ankunft in Europa habe er nur einmal mit seiner Mutter telefoniert. Sie sei wütend auf ihn gewesen, da sie nicht gewollt habe, dass er nach Europa gehe und er der Grund dafür wäre, dass die ganze Familie jetzt von den Nachbarn gehänselt werde. Sein Vater sei sehr konservativ gewesen und habe nicht gewollt, dass er die Schule besuche. Er habe auch nicht gewollt, dass der Beschwerdeführer nach Europa reise, da dort alle ungläubig seien. Dies sei die Einstellung seiner Eltern und der ungebildeten Menschen in Afghanistan gewesen, dies sei jedoch nicht seine Einstellung. Betreffend seine Ausreise aus Afghanistan gab der Beschwerdeführer an, dass er zuhause, ohne jemanden zu fragen, Geld genommen habe und mit zwei Burschen aus dem Nachbardorf auf die Reise gegangen sei. Im Iran habe er seinen dort lebenden Onkel angerufen und ihn gebeten, sich um die Schlepperkosten zu kümmern. Dann habe er im Iran zwei Monate lang gearbeitet. Von diesem Gehalt und dem Geld seines Onkels habe er die Weiterreise finanziert. Er habe eigentlich im Iran bleiben wollen, aber in den zwei Monaten, die er dort verbracht habe, habe er gemerkt, dass es schwer sei, dort zu leben. Es habe ständig Kontrollen durch die Polizei gegeben, außerdem seien die Afghanen im Iran sehr belästigt worden. Weiters habe er Angst gehabt, dass er nach Syrien in den Krieg geschickt werde. Befragt zu seinem Fluchtgrund aus Afghanistan führte der Beschwerdeführer aus, dass die Sicherheitslage in Afghanistan, vor allem in seinem Heimatdorf, sehr schlecht gewesen sei. Es seien sehr viele Taliban dort gewesen, es habe täglich Anschläge und Vorfälle gegeben. Die Straßen von seinem Heimatdorf nach Kabul oder in andere Provinzen seien von den Taliban kontrolliert und überwacht worden. Man habe immer wieder gehört, dass Hazara unterwegs von den Taliban entführt oder getötet worden seien. Außerdem habe es Probleme mit den Paschtunen gegeben. Wenn die Familie des Beschwerdeführers etwas angebaut habe, hätten die Paschtunen das zerstört. Die Probleme hätten zugenommen, als sein Vater verstorben sei. Sie hätten sich, wenn sie die Felder bewässern hätten wollen, an eine bestimmte Reihenfolge halten müssen. Diese Reihenfolge sei von den Paschtunen aber nicht eingehalten worden. Wenn sie an der Reihe gewesen sei, hätten sie ihnen das Wasser für die Bewässerung weggenommen. Im Rahmen der Einvernahme vor dem BFA wurden betreffend den Beschwerdeführer Teilnahmebestätigungen der Volkshochschule sowie drei Empfehlungsschreiben vorgelegt.

Das BFA wies den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 12.11.2015 mit dem Bescheid vom 07.03.2018 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab. Weiters wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gegenüber dem Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Schließlich sprach das BFA aus, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

Mit Schriftsatz vom 21.03.2018 erhob der Beschwerdeführer im Wege seiner damaligen Rechtsvertretung gegen den oben genannten Bescheid fristgerecht eine Beschwerde.

Die gegenständliche Beschwerde und die bezughabenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 22.03.2018 vom BFA vorgelegt.

Im Akt befindet sich eine Vollmachtsbekanntgabe der neuen Rechtsvertretung des Beschwerdeführers vom 10.04.2018.

Mit Schreiben vom 22.07.2018 wurden im Wege der Rechtvertretung des Beschwerdeführers Unterlagen zu seiner Integration in Österreich vorgelegt, und zwar ein ÖSD Zertifikat Deutsch Österreich B1 vom 31.10.2017, ein Zeugnis über die Pflichtschulabschluss-Prüfung sowie zwei Lohn/Gehaltsabrechnungen von Mai und Juni 2018.

Am 07.08.2018 wurde dem erkennenden Gericht von der belangten Behörde eine Meldung über eine Beschäftigungsbewilligung des AMS betreffend den Beschwerdeführer übermittelt. Mit Bescheid vom 02.08.2018 wurde dem Beschwerdeführer die Beschäftigungsbewilligung für die berufliche Tätigkeit als Restaurantfachmann (Lehrling/Auszubildender) für die Zeit vom 06.08.2018 bis 05.11.2022 erteilt.

Das Bundesverwaltungsgericht brachte dem Beschwerdeführer das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan im Rahmen der Ladung zur mündlichen Verhandlung zur Kenntnis.

Mit Schreiben vom 12.10.2018 wurden im Wege der Rechtvertretung des Beschwerdeführers weitere Unterlagen zu seiner Integration in Österreich vorgelegt, und zwar eine Bestätigung einer näher genannten Pfarre über die Teilnahme an den Katechesen für Taufwerber vom 15.07.2018, ein Lehrvertrag vom 07.08.2018 und eine Lohn/Gehaltsabrechnung von August 2018.

Am 24.10.2018 langte beim erkennenden Gericht eine Stellungnahme der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers betreffend die Situation in Afghanistan ein.

Am 30.10.2018 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, an der der Beschwerdeführer, dessen Rechtsvertretung und ein Dolmetscher für die Sprachen Dari/Farsi teilnahmen. Die belangte Behörde blieb entschuldigt der Verhandlung fern. In der mündlichen Verhandlung wurde der Beschwerdeführer eingehend zu seiner Konversion befragt. Im Rahmen der Verhandlung wurden eine Austrittserklärung aus der islamischen Glaubensgemeinschaft sowie eine Bestätigung über das Katechumenat vorgelegt.

Mit Urkundenvorlage vom 06.05.2019 wurden im Wege der Rechtvertretung des Beschwerdeführers sein am 03.05.2019 ausgestellter Taufschein sowie drei Lohn/Gehaltsabrechnungen von Jänner, Februar und März 2019 vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

Zur Person des Beschwerdeführers:

Der nunmehr volljährige Beschwerdeführer führt den Namen XXXX in der Provinz XXXX in Afghanistan. Er ist Staatsangehöriger von Afghanistan und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara. Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder.

Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Dari, er spricht weiters Deutsch auf dem Niveau B1. Der Beschwerdeführer hat in Afghanistan keine Schule besucht, er hat bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan 2015 in der Landwirtschaft seiner Familie gearbeitet. Bevor der Beschwerdeführer nach Europa gekommen ist, hat er zwei Monate lang im Iran als Bauarbeiter gearbeitet. In Österreich hat der Beschwerdeführer im Jahr 2018 seinen Pflichtschulabschluss absolviert. Danach hat er am 06.08.2018 eine Lehre als Restaurantfachmann begonnen, welche er voraussichtlich am 05.08.2021 abschließen wird. Wegen seiner Lehrstelle ist der Beschwerdeführer vom Burgenland nach Oberösterreich gezogen.

Der Vater des Beschwerdeführers ist vor mehreren Jahren aufgrund einer Erkrankung verstorben, seine Mutter sowie seine drei Brüder leben mittlerweile in Pakistan. Der Beschwerdeführer hatte seit seiner Ankunft in Österreich nur einmal Kontakt zu seiner Familie. Ein Onkel väterlicherseits des Beschwerdeführers lebt im Iran, der Beschwerdeführer hatte zuletzt im Sommer 2018 Kontakt mit seinem Onkel.

Im Jahr 2015 verließ der Beschwerdeführer Afghanistan. Er reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und stellte am 11.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

Zur Konversion zum Christentum:

Der Beschwerdeführer wuchs in Afghanistan als schiitischer Moslem in einer religiösen Familie auf. In seiner Heimat entstand bei ihm der Eindruck, dass es beim islamischen Glauben Gewalt, Nationalismus und Rassismus im Vordergrund stehen. Als er Österreich erreicht hatte, besonders im zweiten Jahr seines Aufenthaltes, bemerkte er große Unterschiede zwischen dem Islam und dem Christentum. Bei seiner Ankunft in Österreich bekam er große Unterstützung und Hilfe, diese Unterstützung hatte er in Afghanistan und im Iran von den Muslimen nicht bekommen. Er wollte schließlich die Unterschiede zwischen den Religionen herausfinden und begann, in diesem Bereich zu recherchieren. Der Beschwerdeführer hat die Bibel gelesen und verstanden, dass Christentum für ihn Liebe, Freundschaft und Menschlichkeit bedeutet. Zu dieser Zeit wurde eine Person in das damalige Flüchtlingsheim des Beschwerdeführers im Burgenland verlegt, die bereits eine Kirche besuchte. Mit dieser Person konnte der Beschwerdeführer seine Fragen betreffend das Christentum besprechen, er wurde schließlich von der Person auch in die Kirche eingeladen. Als der Beschwerdeführer an einem Sonntag das erste Mal die Kirche besucht hat, hat er dies für sich als gut und richtig erkannt und an diesem Tag entschieden, aus dem Islam auszutreten und Christ werden zu wollen. Anfang Juni 2018 begann der Beschwerdeführer an einem Kurs für Taufwerber teilzunehmen. Am 18.10.2018 ist er schließlich aus der islamischen Glaubensgemeinschaft ausgetreten. Am 30.04.2019 wurde der Beschwerdeführer christlich getauft, er hatte dafür fast ein Jahr lang regelmäßig Taufvorbereitungskurse besucht. Der Beschwerdeführer nimmt sonntags regelmäßig an Gottesdiensten teil, die christliche Religion hat in seinem Leben eine besondere Bedeutung. Bei seinem letzten Telefonat mit seinem Onkel väterlicherseits, welcher im Iran lebte, teilte der Beschwerdeführer diesem mit, dass er Christ werden möchte. Er wurde dafür von seinem streng religiösen Onkel beschimpft, dieser brach schließlich den Kontakt zum Beschwerdeführer ab.

Der Beschwerdeführer hat sich während seines Aufenthaltes in Österreich aus tiefer freier persönlicher Überzeugung und von Ernsthaftigkeit und Nachhaltigkeit getragen in identitätsprägender Weise vom islamischen Glauben ab- und dem Christentum zugewendet. Es ist nicht anzunehmen, dass der Beschwerdeführer seine Konversion zum Christentum in seinem Herkunftsstaat Afghanistan verleugnen würde bzw. dauerhaft verleugnen könnte.

Dem Beschwerdeführer droht bei einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund seiner Abwendung vom Islam und seiner Konversion zum Christentum physische und/oder psychische Gewalt.

Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Religionsfreiheit

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten (CIA 2017; vgl. USCIRF 2017). Schätzungen zufolge sind etwa 10 - 19% der Bevölkerung Schiiten (AA 5.2018; vgl. CIA 2017). Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen machen ca. 0,3% der Bevölkerung aus. Offiziell lebt noch ein Jude in Afghanistan (USDOS 15.8.2017).

Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (USDOS 15.8.2017). Der politische Islam behält in Afghanistan die Oberhand; welche Gruppierung - die Taliban (Deobandi-Hanafismus), der IS (Salafismus) oder die afghanische Verfassung (moderater Hanafismus) - religiös korrekter ist, stellt jedoch weiterhin eine Kontroverse dar. Diese Uneinigkeit führt zwischen den involvierten Akteuren zu erheblichem Streit um die Kontrolle bestimmter Gebiete und Anhängerschaft in der Bevölkerung (BTI 2018).

Das afghanische Strafgesetzbuch, das am 15.2.2018 in Kraft getreten ist, enthält keine Definition von Apostasie (vgl. MoJ 15.5.2017). Laut der sunnitisch-hanafitischen Rechtsprechung gilt die Konversion vom Islam zu einer anderen Religion als Apostasie. Jeder Konvertit soll laut islamischer Rechtsprechung drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken. Des Weiteren ist gemäß hanafitischer Rechtssprechung Proselytismus (Missionierung, Anm.) illegal. Dasselbe gilt für Blasphemie, die in der hanafitischen Rechtssprechungnter die Kapitalverbrechen fällt (USDOS 15.8.2017) und auch nach dem neuen Strafgesetzbuch unter der Bezeichnung "religionsbeleidigende Verbrechen" verboten ist (MoJ 15.5.2017: Art. 323). Zu Verfolgung von Apostasie und Blasphemie existieren keine Berichte (USDOS 15.8.2017).

Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformerische Muslime behindert (FH 11.4.2018).

Anhänger religiöser Minderheiten und Nicht-Muslime werden durch das geltende Recht diskriminiert (USDOS 15.8.2017; vgl. AA 5.2018); so gilt die sunnitisch-hanafitische Rechtsprechung für alle afghanischen Bürger/innen unabhängig von ihrer Religion (AA 5.2018). Wenn weder die Verfassung noch das Straf- bzw. Zivilgesetzbuch bei bestimmten Rechtsfällen angewendet werden können, gilt die sunnitisch-hanafitische Rechtsprechung. Laut Verfassung sind die Gerichte dazu berechtigt, das schiitische Recht anzuwenden, wenn die betroffene Person dem schiitischen Islam angehört. Gemäß der Verfassung existieren keine eigenen, für Nicht-Muslime geltende Gesetze (USDOS 15.8.2017).

Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin einer anderen abrahamitischen Religion (Christentum oder Judentum) ist. Einer Muslima ist es nicht erlaubt, einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten (USDOS 15.8.2017). Ehen zwischen zwei Nicht-Muslimen sind legal, solange das Paar nicht öffentlich ihren nicht-muslimischen Glauben deklariert (HO U.K. 2.2017; vgl. USDOS 10.8.2016). Die nationalen Identitätsausweise beinhalten Informationen über die Konfession des/der Inhabers/Inhaberin. Das Bekenntnis zum Islam wird für den Erwerb der Staatsbürgerschaft nicht benötigt (USDOS 15.8.2017). Religiöse Gemeinschaften sind gesetzlich nicht dazu verpflichtet, sich registrieren zu lassen (USDOS 15.8.2017).

Laut Verfassung soll der Staat einen einheitlichen Lehrplan, der auf den Bestimmungen des Islam basiert, gestalten und umsetzen; auch sollen Religionskurse auf Grundlage der islamischen Strömungen innerhalb des Landes entwickelt werden. Der nationale Bildungsplan enthält Inhalte, die für Schulen entwickelt wurden, in denen die Mehrheiten entweder schiitisch oder sunnitisch sind; ebenso konzentrieren sich die Schulbücher auf gewaltfreie islamische Bestimmungen und Prinzipien. Der Bildungsplan beinhaltet Islamkurse, nicht aber Kurse für andere Religionen. Für Nicht-Muslime an öffentlichen Schulen ist es nicht erforderlich, am Islamunterricht teilzunehmen (USDOS 15.8.2017).

Christen berichteten, die öffentliche Meinung stehe ihnen und der Missionierung weiterhin feindselig gegenüber. Mitglieder der christlichen Gemeinschaft, die meistens während ihres Aufenthalts im Ausland zum Christentum konvertierten, würden aus Furcht vor Vergeltung ihren Glauben alleine oder in kleinen Kongregationen in Privathäusern ausüben (USDOS 15.8.2017).

Hindus, Sikhs und Schiiten, speziell jene, die den ethnischen Hazara angehören, sind Diskriminierung durch die sunnitische Mehrheit ausgesetzt (CRS 13.12.2017).

Beobachtern zufolge sinkt die gesellschaftliche Diskriminierung gegenüber der schiitischen Minderheit weiterhin; in verschiedenen Gegenden werden dennoch Stigmatisierungsfälle gemeldet (USDOS 15.8.2017).

Mitglieder der Taliban und des IS töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung (USDOS 15.8.2017; vgl. CRS 13.12.2017, FH 11.4.2018). Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen (USDOS 15.8.2017).

Christentum und Konversionen zum Christentum

Nichtmuslimische Gruppierungen wie Sikhs, Baha'i, Hindus und Christen machen ca. 0.3% der Bevölkerung aus. Genaue Angaben zur Größe der christlichen und Bahai-Gemeinschaften sind nicht vorhanden (USDOS 15.8.2017; vgl. USCIRF 2017). Die einzige im Land bekannte christliche Kirche hat ihren Sitz in der italienischen Botschaft (USCIRF 2017) und wird von der katholischen Mission betrieben (FT 27.10.2017; vgl. AIK o.D.). Die afghanischen Behörden erlaubten die Errichtung einer katholischen Kapelle unter den strengen Bedingungen, dass sie ausschließlich ausländischen Christen diene und jegliche Form des Proselytismus vermieden werde (vertrauliche Quelle 8.11.2017). Öffentlich zugängliche Kirchen existieren in Afghanistan nicht (USDOS 15.8.2017). Für christliche Afghanen gibt es keine Möglichkeit der Religionsausübung außerhalb des häuslichen Rahmens, da es in Afghanistan keine Kirchen gibt (abgesehen von einer katholischen Kapelle auf dem Gelände der italienischen Botschaft). Zu Gottesdiensten, die in Privathäusern von internationalen NGOs abgehalten werden, erscheinen sie meist nicht oder werden aus Sicherheitsgründen nicht eingeladen (AA 5.2018). Ausländische Christen dürfen ihren Glauben diskret ausüben (FT 27.10.2017).

Berichten zufolge gibt es im Land weiterhin keine christlichen Schulen (USDOS 15.8.2017); ein christliches Krankenhaus ist in Kabul aktiv (NYP 24.4.2014; vgl. CNN 24.4.2014, CURE o.D.). Auch gibt es in Kabul den Verein "Pro Bambini di Kabul", der aus Mitgliedern verschiedener christlicher Orden besteht, und eine Schule für Kinder mit Behinderung betreibt (PBK o.D.; vgl. FT 27.10.2017). Des Weiteren sind je zwei jesuitische und evangelische Missionare in Afghanistan aktiv (FT 27.10.2017).

Neben der drohenden strafrechtlichen Verfolgung werden Konvertiten in der Gesellschaft ausgegrenzt und zum Teil angegriffen (AA 5.2018). Christen berichteten von einer feindseligen Haltung gegenüber christlichen Konvertiten und der vermeintlichen christlichen Proselytenmacherei (USDOS 15.8.2017). Zu einer Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis, die speziell Christen diskriminiert, kommt es in Afghanistan in der Regel nur deshalb nicht, weil sich Christen nicht offen zu ihrem Glauben bekennen. In städtischen Gebieten sind Repressionen gegen Konvertiten aufgrund der größeren Anonymität weniger zu befürchten als in Dorfgemeinschaften (AA 9.2016). Beobachtern zufolge hegen muslimische Ortsansässige den Verdacht, Entwicklungsprojekte würden das Christentum verbreiten und Proselytismus betreiben (USDOS 15.8.2017).

Afghanische Christen sind in den meisten Fällen vom Islam zum Christentum konvertiert (AA 5.2018). Quellen zufolge müssen Christen ihren Glauben unbedingt geheim halten. Konvertiten werden oft als geisteskrank bezeichnet, da man davon ausgeht, dass sich niemand bei klarem Verstand vom Islam abwenden würde; im Falle einer Verweigerung, zu ihrem alten Glauben zurückzukehren, können Christen in psychiatrische Kliniken zwangseingewiesen, von Nachbarn oder Fremden angegriffen und ihr Eigentum oder Betrieb zerstört werden; es kann auch zu Tötungen innerhalb der Familie kommen. Andererseits wird auch von Fällen berichtet, wo die gesamte Familie den christlichen Glauben annahm; dies muss jedoch absolut geheim gehalten werden (OD 2018).

Mitglieder der christlichen Gemeinschaft, die oft während ihres Aufenthalts im Ausland konvertierten, üben aus Angst vor Diskriminierung und Verfolgung ihre Religion alleine oder in kleinen Kongregationen in Privathäusern aus (USDOS 15.8.2017). Zwischen 2014 und 2016 gab es keine Berichte zu staatlicher Verfolgung wegen Apostasie oder Blasphemie (USDOS 15.8.2017). Der Druck durch die Nachbarschaft oder der Einfluss des IS und der Taliban stellen Gefahren für Christen dar (OD 2018).

Die im Libanon geborene Rula Ghani, Ehefrau von Staatspräsident Ashraf Ghani, entstammt einer christlich-maronitischen Familie (NPR 19.2.2015; vgl. BBC 15.10.2014). Einige islamische Gelehrte behaupten, es gebe keine öffentlichen Aufzeichnungen ihrer Konvertierung zum Islam (CSR 13.12.2017).

Auszug aus einer ACCORD-Anfragebeantwortung zu Afghanistan zur Situation von 1) vom Islam abgefallenen Personen (Apostaten), 2) christlichen KonvertitInnen, 3) Personen, die Kritik am Islam äußern, 4) Personen, die sich nicht an die Regeln des Islam halten und 5) Rückkehrern aus Europa vom 01.06.2017, a-10159:

"Nach Angaben des US-Nachrichtendiensts Central Intelligence Agency (CIA) seien 99,7 Prozent der Bevölkerung Afghanistans Muslime. Der Anteil der Sunniten liege bei 84,7 bis 89,7 Prozent, während jener der Schiiten bei 10 bis 15 Prozent liege. Nichtmuslimische Gruppen würden 0,3 Prozent der Bevölkerung ausmachen (CIA, Stand 1. Mai 2017). Laut US-Außenministerium (US Department of State, USDOS) würden zu den nichtmuslimischen Gruppen vor allem Hindus, Sikhs, Bahá'í und Christen zählen. Bezüglich Zahl der christlichen Gemeinden im Land würden keine verlässlichen Schätzungen vorliegen (USDOS, 10. August 2016, Section 1). Nach Angaben des niederländischen Außenministeriums handle es sich dabei wahrscheinlich um einige Dutzend Personen (BZ, 15. November 2016, S. 65). Laut Angaben der Evangelischen Allianz in Deutschland (EAD), eines evangelikalen Netzwerks verschiedener Kirchen und Gemeinschaften in Deutschland, gehe "[e]ine optimistische Schätzung [...] davon aus, dass es mehrere Tausend einheimische Christen" im Land gebe (EAD, 9. Juni 2015). Die staatliche United States Commission on International Religious Freedom (USCIRF) schreibt unter Berufung auf Berichte afghanischer Flüchtlinge in Europa, dass unter anderem die Zahl der Christen in Afghanistan seit dem Wiedererstarken der Taliban im Jahr 2015 vermutlich erheblich zurückgegangen sei (USCIRF, 26. April 2017).

1) Vom Islam abfallende Personen (Apostaten)

Das norwegische Herkunftsländerinformationszentrum Landinfo schreibt in einem Bericht vom September 2013, dass Apostasie (Arabisch: ridda) in der klassischen Scharia als "Weggehen" vom Islam verstanden werde und ein Apostat (Arabisch: murtadd) ein Muslim sei, der den Islam verleugne. Apostasie müsse nicht unbedingt bedeuten, dass sich der Apostat einer neuen Glaubensrichtung anschließe:

[...]

Artikel 2 der Verfassung der Islamischen Republik Afghanistan vom Jänner 2004 legt die "heilige Religion des Islam" als Religion Afghanistans fest. Angehörige anderer Glaubensrichtungen steht es frei, innerhalb der Grenzen des Gesetzes ihren Glauben und ihre religiösen Rituale auszuüben. Gemäß Artikel 3 der Verfassung darf kein Gesetz in Widerspruch zu den Lehren und Vorschriften des Islam stehen. Laut Artikel 7 ist Afghanistan indes verpflichtet, die Bestimmungen der Charta der Vereinten Nationen, zwischenstaatlicher Vereinbarungen, internationaler Vertragswerke, deren Vertragsstaat Afghanistan ist, sowie der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte einzuhalten. Artikel 130 der Verfassung schreibt vor, dass die Gerichte bei der Beurteilung von Fällen die Bestimmungen der Verfassung und anderer Gesetze zu berücksichtigen haben. Wenn es jedoch zu einem Fall keine Bestimmungen in der Verfassung oder anderen Gesetzen gibt, so haben die Gerichte entsprechend der (sunnitischen) hanafitischen Rechtssprechungstradition innerhalb der Grenzen der Verfassung auf eine Art und Weise zu entscheiden, welche am besten geeignet ist, Gerechtigkeit zu gewährleisten:

[...]

Bezugnehmend auf den soeben zitierten Artikel 130 der afghanischen Verfassung schreibt Landinfo im August 2014, dass dieser Artikel hinsichtlich Apostasie und Blasphemie relevant sei, da Apostasie und Blasphemie weder in der Verfassung noch in anderen Gesetzen behandelt würden. (Landinfo, 26. August 2014, S. 2). Im afghanischen Strafgesetzbuch existiere keine Definition von Apostasie (Landinfo, 4. September 2013, S. 10; USDOS, 10. August 2016, Section 2). Die US Commission on International Religious Freedom (USCIRF) schreibt, dass das Strafgesetzbuch den Gerichten ermögliche, Fälle, die weder im Strafgesetz noch in der Verfassung explizit erfasst seien, darunter Blasphemie, Apostasie und Konversion, gemäß dem Scharia-Recht der Hanafi-Rechtsschule und den sogenannten "hudud"-Gesetzen, die Vergehen gegen Gott umfassen würden, zu entscheiden (USCIRF, 26. April 2017). Die Scharia zähle Apostasie zu den sogenannten "hudud"-Vergehen (USDOS, 10. August 2016, Section 2) und sehe für Apostasie wie auch für Blasphemie die Todesstrafe vor (Landinfo, 26. August 2014, S. 2).

Die United States Commission on International Religious Freedom (USCIRF), eine staatliche Einrichtung der USA zur Beobachtung der Situation hinsichtlich der Meinungs- Gewissens- und Glaubensfreiheit im Ausland, schreibt in ihrem Jahresbericht vom April 2017, dass staatlich sanktionierte religiöse Führer sowie das Justizsystem dazu ermächtigt seien, islamische Prinzipien und das Scharia-Recht (gemäß Hanafi-Rechtslehre) auszulegen. Dies führe zuweilen zu willkürlichen und missbräuchlichen Auslegungen und zur Verhängung schwerer Strafen, darunter der Todesstrafe (USCIRF, 26. April 2017).

Die Internationale Humanistische und Ethische Union (International Humanist and Ethical Union, IHEU), ein Zusammenschluss von über 100 nichtreligiösen humanistischen und säkularen Organisationen in mehr als 40 Ländern, bemerkt in ihrem im November 2016 veröffentlichten "Freedom of Thought Report 2016", dass sich die Gerichte bei ihren Entscheidungen weiterhin auf Auslegungen des islamischen Rechts nach der Hanafi-Rechtslehre stützen würden. Das Office of Fatwa and Accounts innerhalb des Obersten Gerichtshofs Afghanistans würde die Hanafi-Rechtsprechung auslegen, wenn ein Richter Hilfe dabei benötige, zu verstehen, wie die Rechtsprechung umzusetzen sei:

[...]

Thomas Ruttig, Ko-Direktor des Afghanistan Analysts Network (AAN), einer unabhängigen, gemeinnützigen Forschungsorganisation mit Hauptsitz in Kabul, die Analysen zu politischen Themen in Afghanistan und der umliegenden Region erstellt, bemerkte in einem Expertengespräch vom Mai 2016 (veröffentlicht im Juni 2016) Folgendes bezüglich der Rechtspraxis:

‚Zwar gibt es drei parallele Rechtssysteme (staatliches Recht, traditionelles Recht und islamisches Recht/Scharia), doch letztendlich ziehen sich viele Richter, wenn die Lage irgendwie politisch heikel wird, auf das zurück, was sie selber als Scharia ansehen, statt sich etwa auf die Verfassung zu berufen. Die Scharia ist nicht gänzlich kodifiziert, obwohl verschiedenste Rechtskommentare etc. existieren, und zudem gibt es zahlreiche Widersprüche in den Lehrmeinungen.' (ACCORD, Juni 2016, S. 10)

Michael Daxner, Sozialwissenschaftler, der das Teilprojekt C9 "Sicherheit und Entwicklung in Nordost-Afghanistan" des Sonderforschungsbereichs 700 der Freien Universität Berlin leitet, bemerkte beim selben Expertengespräch vom Mai bezüglich der Auslegung des islamischen Rechts und islamischer Prinzipien:

‚Sehr oft stammen die liberalsten Auslegungen von Personen, die etwa an einer Einrichtung wie der Al-Azhar in Kairo studiert haben und daher mit den Rechtskommentaren vertraut sind. Man kann sich indes kaum vorstellen, wie wenig theologisch und religionswissenschaftlich versiert die Geistlichen auf den unteren Ebenen sind. Wenn ein Rechtsgelehrter anwesend ist, der etwa von der Al-Azhar kommt, kann er die Sache auch ein Stück weit zugunsten des Beschuldigten drehen, denn je mehr glaubwürdige Kommentare dem Scharia-Text zugefügt werden, desto besser sieht es für die Betroffenen aus.' (ACCORD, Juni 2016, S. 10)

Das UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UN High Commissioner for Refugees, UNHCR) geht in seinen im April 2016 veröffentlichten Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender wie folgt auf die strafrechtlichen Konsequenzen von Apostasie bzw. Konversion vom Islam ein:

‚Eine Konversion vom Islam wird als Apostasie betrachtet und gemäß den Auslegungen des islamischen Rechts durch die Gerichte mit dem Tod bestraft. Zwar wird Apostasie im afghanischen Strafgesetzbuch nicht ausdrücklich als Straftat definiert, fällt jedoch nach allgemeiner afghanischer Rechtsauffassung unter die nicht weiter definierten ‚ungeheuerlichen Straftaten', die laut Strafgesetzbuch nach der islamischen Hanafi-Rechtslehre bestraft werden und in den Zuständigkeitsbereich der Generalstaatsanwalt-schaft fallen.

Damit wird Apostasie als Straftat behandelt, obwohl nach der afghanischen Verfassung keine Handlung als Straftat eingestuft werden darf, sofern sie nicht als solche gesetzlich definiert ist.'

(UNHCR, 19. April 2016, S. 61)

Das US-Außenministerium (US Department of State, USDOS) schreibt in seinem im August 2016 veröffentlichten Länderbericht zur internationalen Religionsfreiheit (Berichtsjahr 2015), dass laut Hanafi-Rechtlehre Männer bei Apostasie mit Enthauptung und Frauen mit lebenslanger Haft zu bestrafen seien, sofern die Betroffenen keine Reue zeigen würden. Richter könnten zudem geringere Strafen verhängen, wenn Zweifel am Vorliegen von Apostasie bestünden. Laut der Auslegung des islamischen Rechts durch die Gerichte würde der Übertritt vom Islam zu einer anderen Religion Apostasie darstellen. In diesem Fall habe die betroffene Person drei Tage Zeit, um die Konversion zu widerrufen. Widerruft sie nicht, so habe sie die für Apostasie vorgesehene Strafe zu erhalten. Die genannten Entscheidungsempfehlungen würden in Bezug auf Personen gelten, die geistig gesund und vom Alter her "reif" seien. Dieses Alter werde im Zivilrecht mit 18 Jahren (bei Männern) bzw. 16 Jahren (bei Frauen) festgelegt. Gemäß islamischem Recht erreiche eine Person dieses Alter, sobald sie Anzeichen von Pubertät zeige:

[...]

Auch der Bericht von Landinfo vom September 2013 behandelt unter Berufung auf verschiedene Quellen die rechtlichen Folgen von Apostasie. Das Strafrecht sehe gemäß Scharia die Todesstrafe für erwachsene zurechnungsfähige Männer vor, die den Islam freiwillig verlassen hätten. Diese Rechtsauffassung gelte sowohl für die schiitisch-dschafaritische als auch für die (in Afghanistan dominierende) sunnitisch-hanafitische Rechtsschule. Nach einer Einschätzung in einer Entscheidung des britischen Asylum and Immigration Tribunal aus dem Jahr 2008 sei das Justizwesen in Afghanistan mehrheitlich mit islamischen Richtern besetzt, die den Doktrinen der hanafitischen bzw. dschafaritischen Rechtssprechung folgen würden, welche die Hinrichtung von muslimischen Konvertiten empfehlen würden. Die Strafen für Frauen im Falle von Apostasie seien indes weniger schwer: sie würden "gefangen gehalten". Die sunnitisch-hanafitische Rechtslehre sehe dabei eine mildere Bestrafung vor als die schiitisch-dschafaritische. Während letztere vorsehe, dass (weibliche) Apostatinnen täglich jeweils zu den Gebetszeiten ausgepeitscht würden, sehe die hanafitische Lehre vor, dass sie jeden dritten Tag geschlagen würden, um sie zu zur Rückkehr zum Islam zu bewegen. Neben Frauen seien auch Kinder, androgyne Personen und nichtgebürtige Muslime im Fall von Apostasie von der Todesstrafe ausgenommen. Bezüglich der Anwendung der Scharia und der strafrechtlichen Konsequenzen für Apostasie liege kein Erfahrungsmaterial speziell zu Afghanistan vor. Zugleich sei Landinfo der Auffassung, es gebe Grund zur Annahme, dass etwaige gerichtliche Entscheidungen in diesem Bereich unterschiedlich ausgefallen seien, jedoch den soeben beschriebenen Richtlinien entsprechen würden, wobei die Variationen eventuell weniger ausgeprägt sein könnten. Dies gelte auch für die zivilrechtlichen Folgen von Apostasie. Wie Landinfo bemerkt, könne in Afghanistan gemäß Verfassung und religiösen Rechtsmeinungen die Todesstrafe verhängt werden, wenn ein Fall von Konversion vor Gericht komme. Dies gelte sowohl für das staatliche als auch für das traditionelle Rechtssystem:

[...]

Dem USDOS zufolge seien aus dem Berichtsjahr 2015 keine Fälle von tätlichen Übergriffen, Inhaftierungen, Festnahmen oder Strafverfolgung wegen Apostasie bekannt (USDOS, 10. August 2016, Section 2).

UNHCR schreibt in seinen Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender Folgendes über zivilrechtliche und gesellschaftliche Folgen einer (vermeintlichen) Apostasie bzw. Konversion:

‚Geistig zurechnungsfähige männliche Bürger über 18 Jahren und weibliche Bürger über 16 Jahren, die vom Islam konvertieren und ihre Konversion nicht innerhalb von drei Tagen widerrufen, riskieren die Annullierung ihrer Ehe und eine Enteignung ihres gesamten Grundes und sonstigen Eigentums. Außerdem können sie von ihren Familien und Gemeinschaften zurückgewiesen werden und ihre Arbeit verlieren.

Berichten zufolge herrscht in der öffentlichen Meinung eine feindliche Einstellung gegenüber missionarisch tätigen Personen und Einrichtungen. Rechtsanwälte, die Angeklagte vertreten, denen Apostasie zur Last gelegt wird, können Berichten zufolge selbst der Apostasie bezichtigt und mit dem Tod bedroht werden. [...]

Darüber hinaus besteht für Personen, denen Verstöße gegen die Scharia wie Apostasie, Blasphemie, einvernehmliche gleichgeschlechtliche Beziehungen oder Ehebruch (zina) vorgeworfen werden, nicht nur die Gefahr der strafrechtlichen Verfolgung, sondern auch der gesellschaftlichen Ächtung und Gewalt durch Familienangehörige, andere Mitglieder ihrer Gemeinschaften, die Taliban und andere regierungsfeindliche Kräfte (AGEs).' (UNHCR, 19. April 2016, S. 61-62)

Landinfo schreibt in einem Bericht vom September 2013, dass die Situation von Apostaten, die hin zu einer anderen Religion konvertieren, eine andere sei als jene von Atheisten oder säkular eingestellten Personen. Mit dem Negieren bzw. Bezweifeln der Existenz Gottes würden keine Erwartungen an ein bestimmtes Verhalten im Alltag einhergehen. Eine Konversion zu einer Religion hingegen sei mit Verhaltensvorschriften, kirchlichen Traditionen und Ritualen zu verbinden, die schwieriger zu verbergen seien:

[...]

Die IHEU bemerkt in ihrem Bericht vom November 2016, dass nur sehr wenige Fälle von "Ungläubigen" bzw. Apostaten verzeichnet würden, was wahrscheinlich jedoch bedeute, dass viele Konvertiten und Andersgläubige zu viel Angst davor hätten, ihren Glauben öffentlich kundzutun. Der Übertritt vom Islam werde selbst von vielen Personen, die sich allgemein zu demokratischen Werten bekennen würden, als Tabu angesehen. (IHEU, 1. November 2016)

Laut einem Artikel von BBC News vom Jänner 2014 stelle Konversion bzw. Apostasie in Afghanistan nach islamischem Recht eine Straftat dar, die mit der Todesstrafe bedroht sei. In manchen Fällen würden die Leute jedoch die Sache selbst in die Hand nehmen und einen Apostaten zu Tode prügeln, ohne dass die Angelegenheit vor Gericht gelange:

[...]

Weiters bemerkt BBC News, dass für gebürtige Muslime ein Leben in der afghanischen Gesellschaft eventuell möglich sei, ohne dass sie den Islam praktizieren würden oder sogar dann, wenn sie "Apostaten" bzw. "Konvertiten" würden. Solche Personen seien in Sicherheit, solange sie darüber Stillschweigen bewahren würden. Gefährlich werde es dann, wenn öffentlich bekannt werde, dass ein Muslim aufgehört habe, an die Prinzipien des Islam zu glauben. Es gebe kein Mitleid mit Muslimen, die "Verrat an ihrem Glauben" geübt hätten, indem sie zu einer anderen Religion konvertiert seien oder aufgehört hätten, an den einen Gott und an den Propheten Mohammed zu glauben. In den meisten Fällen werde ein Apostat von seiner Familie verstoßen:

[...]

2) Christliche KonvertitInnen

Thomas Ruttig vom Afghanistan Analysts Network (AAN) bemerkte in einem Expertengespräch vom Mai 2016 (veröffentlicht im Juni 2016), dass Christen als religiöse Gruppe in der afghanischen Verfassung "(wohl bewusst) nicht genannt" würden, während Sikhs und Hindus in der Verfassung genannt würden und die gleichen Rechte hinsichtlich der Religionsausübung zuerkannt bekämen wie Muslime schiitischer Konfession. Da es jedoch niemanden gebe, der in der Lage sei, die Verfassung umzusetzen, könne "die Verfassung einen Christen wohl auch dann nicht schützen, wenn die Verfassung die Religionsausübung von Christen garantieren würde und sich ein Christ auf die Verfassung berufen könnte". (ACCORD, Juni 2016, S. 10)

UNHCR bemerkt in seinen im April 2016 veröffentlichten Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, dass nichtmuslimische religiöse Minderheiten, darunter Christen, "weiterhin im geltenden Recht diskriminiert" würden. Die sunnitische Hanafi-Rechtssprechung gelte für "alle afghanischen Bürger, unabhängig von ihrer Religion". Die "einzige Ausnahme" würden "Personenstandsachen [bilden], bei denen alle Parteien Schiiten sind", in diesem Fall würde "das schiitische Recht für Personenstandsachen angewendet". Für andere religiöse Gruppen gebe es "kein eigenes Recht". Wie UNHCR weiter ausführt, würden unabhängig davon "nicht-muslimische Minderheiten Berichten zufolge weiterhin gesellschaftliche Schikanierung und in manchen Fällen Gewalt" erfahren. So würden Mitglieder religiöser Minderheiten wie etwa der Christen "aus Angst vor Diskriminierung, Misshandlung, willkürlicher Verhaftung oder Tötung" es vermeiden, "sich öffentlich zu ihrer Religion zu bekennen oder sich offen zum Gebet zu versammeln". (UNHCR, 19. April 2016, S. 57-58)

Ähnlich schreibt das US-Außenministerium (USDOS) in seinem im August 2016 veröffentlichten Jahresbericht zur Religionsfreiheit (Berichtsjahr: 2015) unter Berufung auf Vertreter von Minderheitenreligionen, dass die afghanischen Gerichte Nichtmuslimen nicht dieselben Rechte wie Muslimen zugestehen würden und Nichtmuslime häufig der sunnitisch-hanafitischen Rechtsprechung unterworfen würden (USDOS, 10. August 2016, Section 2).

Ruttig geht im Expertengespräch vom Mai 2016 (veröffentlicht im Juni 2016) wie folgt auf die Lage von christlichen Konvertiten ein:

‚Die Gleichberechtigung gilt nicht für die zunehmende Zahl von Christen, bei denen es sich ausschließlich um Konvertiten (oft durch evangelikale Gruppen; aber auch bewusste Abwendungen vom Islam unter Gebildeten) und nicht um autochthone Gruppen handelt. Als ehemalige Muslime gelten sie als Abtrünnige, worauf nach der Scharia (siehe Rechtssysteme) die Todesstrafe stehen kann. Ihre Zahl ist nicht bekannt. Es gibt heute eine ganze Reihe von Afghanen, die zum Christentum übergetreten sind. Sie tun alle sehr wohl daran, ihren Glaubensübertritt nicht (weitestgehend nicht einmal gegenüber der eigenen Familie) bekanntzugeben. Es handelt sich zum Teil um Angehörige stark unterprivilegierter Gruppen (Straßenkinder, sehr arme Familien), die über humanitäre Ausreichungen konvertiert worden sind und ich habe auch Leute von denen getroffen, die oft nur geringe Kenntnisse über das Christentum haben. Aber es gibt auch sehr bewusste Entscheidungen unter gebildeten Afghanen, die sich bewusst vom Islam abwenden und Christen werden. Mir sind persönlich Fälle von drei oder vier Leuten bekannt (aber es gibt natürlich viel mehr!), deren Konversion bekannt geworden ist, die dann aus Afghanistan gerettet und ausgeflogen werden mussten. Konversion ist einfach nicht vorgesehen, deswegen stehen diese Christen unter starkem Verfolgungsdruck.' (ACCORD, Juni 2016, S. 8-9)

‚Afghanen, die einer Konversion beschuldigt werden, stehen völlig im Regen. Es gibt niemanden, der ihnen helfen kann. Falls die Sache vor ein staatliches Gericht kommt (was unwahrscheinlich ist), dann sehen sich die Richter ideologisch derart gezwungen, nach der Scharia zu urteilen, dass der Fall nur schlecht für den Betroffenen ausgehen kann.' (ACCORD, Juni 2016, S. 10)

Wie UNHCR bemerkt, dürften Nichtmuslime "Berichten zufolge nur dann untereinander heiraten, wenn sie sich nicht öffentlich zu ihren nicht-islamischen Überzeugungen bekennen" würden (UNHCR, 19. April 2016, S. 58).

[...]

UNHCR schreibt Folgendes über gesellschaftliche Haltungen gegenüber Christen sowie über das Vorgehen der Taliban gegen (vermeintlich) christliche ausländische Hilfsorganisationen:

‚Die gesellschaftliche Einstellung gegenüber Christen ist Berichten zufolge weiterhin offen feindlich. Christen werden gezwungen, ihren Glauben zu verheimlichen. In Afghanistan existieren keine öffentlichen Kirchen mehr und Christen beten allein oder in kleinen Versammlungen in Privathäusern. Im Jahr 2013 riefen vier Parlamentsmitglieder Berichten zufolge zur Hinrichtung von Personen auf, die zum Christentum konvertiert sind. Die Taliban haben Berichten zufolge ausländische Hilfsorganisationen und ihre Gebäude auf der Grundlage angegriffen, dass diese Zentren des christlichen Glaubens seien.' (UNHCR, 19. April 2016, S. 58-59)

Die staatliche United States Commission on International Religious Freedom (USCIRF) schreibt im April 2017, dass nichtmuslimische religiöse Gemeinschaften weiterhin von gesellschaftlicher Diskriminierung, Schikanierung und mitunter auch Gewalt betroffen seien. Es würden unter anderem Berichte über Schikanen gegen vom Islam konvertierte Personen vorliegen. Mitglieder nichtmuslimischer Gemeinschaften hätten berichtet, dass allgemein vorherrschende Unsicherheit und Mangel an wirtschaftlichen Möglichkeiten sie dazu bewegt hätten, das Land zu verlassen:

[...]

Das USDOS bemerkt, dass Christen aus Angst vor staatlichen Repressalien weiterhin Situationen aus dem Weg gehen würden, die geeignet wären, bei der Regierung den Eindruck zu erwecken, sie würden versuchen, ihre Religion zu verbreiten. Weiters hätten Christen angegeben, dass die öffentliche Meinung gegenüber christlichen Konvertiten und der Idee der christlichen Missionierung feindselig sei. Mitglieder der kleinen christlichen Gemeinde, von denen viele im Ausland zum Christentum konvertiert seien, würden aus Angst vor Diskriminierung oder Verfolgung weiterhin alleine oder in kleinen Gruppen in Privathäusern Gottesdienst halten. Es gebe weiterhin keine öffentlichen christlichen Kirchen in Afghanistan. Für nichtafghanische Staatsangehörige unterschiedlicher Glaubensrichtungen gebe es Gebetsstätten innerhalb von Militäreinrichtungen der Koalitionstruppen sowie in Botschaften in Kabul:

[...]

Laut Angaben der USCIRF befinde sich die einzige bekannte christliche Kirche im Land auf dem Gelände der italienischen Botschaft (USCIRF, 26. April 2017).

Der Deutschlandfunk, ein öffentlich-rechtlicher Radiosender mit Sitz in Köln, zitiert im Februar 2017 den deutschen reformierten Theologen und Religionswissenschaftler Thomas Schirrmacher mit folgender Aussage, die sich auf Übertritte afghanischer Asylwerber zum Christentum bezieht:

‚Für viele Muslime ist die Sache hoch gefährlich, weil im Islam eine Strafe auf Apostasie und Blasphemie steht. Und sie können dann so oder so nicht mehr in ihre Länder zurück. Im Regelfall wird aber auch die Familie sie verstoßen. In Afghanistan gibt es - ja man kann schon sagen - ein Kampf auf Leben und Tod zwischen dem offiziellen Islam und allen abweichenden Formen und der zweitgrößten Religion im Land, dem Christentum.' (Deutschlandfunk, 13. Februar 2017)

Die Evangelische Allianz in Deutschland (EAD) beschreibt die Lage von Christen wie folgt:

‚Gemeinden leben fast ausschließlich als Untergrundkirche, und es gab nur eine leichte Verbesserung seit dem Sturz der Taliban. Gläubige aus dem Ausland, die stark zugenommen haben, können nur sehr vorsichtig ihren Glauben bezeugen. Die Zahl der afghanischen Gläubigen wächst, ebenso die Mittel, die zur Verfügung stehen, um ihnen zu helfen. [...] Werden spirituellen Aktivitäten unter den Gläubigen entdeckt, wird auf dem muslimischen Hintergrund in den Medien intensiv darüber berichtet und versichert, hart durchzugreifen bis hin zur Todesstrafe.' (EAD, 9. Juni 2015)

Landinfo schreibt in einem Bericht vom September 2013, dass sich die religiösen, kulturellen und gesellschaftlichen Beschränkungen, denen Christen in Afghanistan unterworfen seien, nicht anders gestalten würden als für andere Gruppen mit Meinungen, Weltansichten, politischen Überzeugungen und Glaubensvorstellungen, die als Abfall vom Islam wahrgenommen werden könnten. Ebenso wie Personen mit säkularen Ansichten, Atheisten und nichtgläubige Afghanen müssten auch Christen ständige Selbstzensur üben und könnten sich wegen drohender Angriffe nicht zu ihrem Verhältnis zum bzw. ihrer Sicht auf den Islam äußern. Angehörige solcher Gruppen seien gezwungen, sich konform mit dem Islam, d.h. so zu verhalten, als wären sie Muslime. Nach außen hin müssten alle Afghanen die religiösen Erwartungen ihrer lokalen Gemeinschaft hinsichtlich religiösen Verhaltensweisen, Gebeten etc. erfüllen. Laut Angaben unter anderem der norwegischen Kulturberatungsfirma Hansen Cultural Coaching (HCC) gebe es viele Afghanen (nicht nur christliche Konvertiten), die lokale religiöse Sitten befolgen und an religiösen Ritualen teilnehmen, ohne dass diese Handlungen ihre tatsächlichen inneren Glaubensvorstellungen und Überzeugungen widerspiegeln würden:

[...]

Die US-Tageszeitung New York Times (NYT) berichtet in einem älteren Artikel vom Juni 2014, dass es aus offizieller Sicht keine afghanischen Christen gebe. Die wenigen Afghanen, die das Christentum praktizieren würden, würden dies aus Angst vor Verfolgung im Privaten tun und eine der wenigen Untergrundkirchen besuchen, von denen man annehme, dass sie im Land existieren würden. Ausländische Christen würden Kapellen in Botschaftseinrichtungen besuchen, doch diese seien für Afghanen praktisch unzugänglich. Im vergangenen Jahrzehnt seien nur wenige Fälle von Konversion öffentlich bekannt geworden. In der Regel sei die Regierung dann rasch und lautlos vorgegangen: Die Betroffenen seien dazu aufgefordert worden, ihren Glaubensübertritt zu widerrufen, und wenn sie sich geweigert hätten, seien sie aus dem Landes vertrieben worden, in der Regel nach Indien:

[...]"

2. Beweiswürdigung

Der Beweiswürdigung liegen folgende maßgebliche Erwägungen zu

Grunde:

Zum Verfahrensgang:

Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichts.

Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zu Identität, zum Geburtsort des Beschwerdeführers, zu seiner Staatsangehörigkeit und zu seiner Volksgruppenzugehörigkeit ergeben sich aus dem diesbezüglich übereinstimmenden und glaubhaften Vorbringen des Beschwerdeführers im Rahmen der Einvernahme vor dem BFA und in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Betreffend den Geburtstag war zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer während seines gesamten Verfahrens unter dem Geburtsdatum XXXX registriert wurde. Sein Vorbringen im Rahmen der Verhandlung, er sei nicht am XXXX , sondern am XXXX geboren worden, konnte er nicht durch entsprechende identitätsbezeugende Dokumente belegen, sodass das bisherige Geburtsdatum beibehalten werden musste. Der Beschwerdeführer brachte im Verfahren weiters glaubhaft vor, dass er ledig sei und keine Kinder habe.

Die Feststellungen zur bisherigen Berufstätigkeit des Beschwerdeführers in Afghanistan und im Iran ergeben sich aus seinen diesbezüglich gleichbleibenden Aussagen im Laufe des Verfahrens. Der Beschwerdeführer gab glaubhaft an, dass er in Afghanistan gemeinsam mit seiner Familie eine Landwirtschaft bewirtschaftet und im Iran zwei Monate lang am Bau gearbeitet hatte. Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer im Jahr 2018 in Österreich seinen Pflichtschulabschluss absolviert hat, ergibt sich aus seinen glaubhaften Angaben und aus dem vorgelegten Abschlusszeugnis. Es konnte weiters festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer seit dem 06.08.2018 in Oberösterreich eine Lehre zum Restaurantfachmann macht, welche er voraussichtlich am 05.08.2021 abschließen wird. Diesbezüglich wurden ein Bescheid vom 02.08.2018, mit welchem dem Beschwerdeführer die Beschäftigungsbewilligung für die berufliche Tätigkeit als Restaurantfachmann erteilt wurde, sein Lehrvertrag vom 07.08.2018 sowie Lohn/Gehaltsabrechnungen vorgelegt.

Betreffend die Feststellung zu den Deutschkenntnissen des Beschwerdeführers ist festzuhalten, dass dieser am 31.10.2017 die B1 Deutschprüfung gut bestanden hat, das entsprechende ÖSD Zertifikat wurde vorgelegt. Das erkennende Gericht konnte sich in der mündlichen Beschwerdeverhandlung selbst ein Bild von den Deutschkenntnissen des Beschwerdeführers machen. Er konnte in der Verhandlung die Fragen des Gerichts zu seiner Integration in Österreich einwandfrei in deutscher Sprache beantworten.

Die Feststellung, dass der Vater des Beschwerdeführers vor mehreren Jahren aufgrund einer Krankheit verstorben ist, ergibt sich aus den glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers vor dem BFA. In der mündlichen Verhandlung gab der Beschwerdeführer glaubhaft an, dass sich seine Familie (Mutter sowie drei Brüder) mittlerweile in Pakistan aufhält. Dies habe er von seinem Onkel, welcher im Iran lebt, im Sommer 2018 erfahren, als der das letzte Mal Kontakt zu diesem gehabt hatte.

Das Datum der Antragstellung ergibt sich aus dem Akteninhalt.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer strafgerichtlich unbescholten ist, ergibt sich aus einem aktuell vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Auszug aus dem Strafregister.

Zu den Feststellungen zur Konversion zum Christentum:

Die Feststellungen zum religiösen Hintergrund des Beschwerdeführers, zu seinem ersten Kontakt mit dem Christentum und seinem Kirchenbesuch, zu seinem Austritt aus der islamischen Glaubensgemeinschaft, zu seiner Einstellung zum christlichen Glauben, zur Taufvorbereitung und Taufe des Beschwerdeführers, zu seinen Besuchen von Gottesdiensten und zur Reaktion seines im Iran lebenden Onkels betreffen sein Interesse am Christentum, stützen sich auf die diesbezüglich glaubhaften Ausführungen des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, die Bestätigungen über die Teilnahme an Taufvorbereitungskursen vom 15.07.2018 und 22.10.2018, die Austrittserklärung aus der islamischen Glaubensgemeinschaft vom 18.10.2018 und das Taufzeugnis vom 03.05.2019. An der Echtheit und Richtigkeit der vorgelegten Dokumente bestehen beim erkennenden Gericht keine Zweifel.

Aus der Bestätigungen über die Teilnahme an einem Taufvorbereitungskurs vom 15.07.2018 ergibt sich, dass der Beschwerdeführer ab Anfang Juni 2018 begonnen hat, an den Katechesen für Taufwerber in einer näher genannten Dompfarre teilzunehmen. Es wird bestätigt, dass der Beschwerdeführer ein reges Interesse an Jesus Christus und an einer Beziehung zu ihm zeigt. Nach einem Umzug in ein anderes Bundesland setzte der Beschwerdeführer seinen Taufvorbereitungskurs in einer anderen Kirche fort, dies ergibt sich aus der vorgelegten Bestätigung über das Katechumenat vom 22.10.2018.

Aus den Aussagen des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung lässt sich ableiten, dass er sich während seines Aufenthalts in Österreich aus freier persönlicher Überzeugung, faktisch und für Dritte wahrnehmbar zum christlichen Glauben hingewandt hat und die Konversion nicht bloß zum Schein erfolgen sollte, und dass der Beschwerdeführer ein fortgesetztes Interesse und auch einen nachhaltigen Willen zur Ausübung des christlichen Glaubens hat:

Der Beschwerdeführer konnte in der mündlichen Verhandlung ein gutes inhaltliches Wissen über den christlichen Glauben unter Beweis stellen, welches eine vorhergehende eingehende Auseinandersetzung mit diesem voraussetzt. Ein solches Wissen erachtet das erkennende Gericht als starkes Indiz für einen aus innerer Überzeugung vollzogenen Religionswechsel. Der Beschwerdeführer hat sich auch nicht auf die Wiedergabe von leicht verfügbarem Faktenwissen beschränkt, sondern sich glaubhaft darauf berufen, dass der christliche Glaube in seinem Leben eine besondere Bedeutung hat und dass er danach leben möchte und auch danach lebe.

Der Beschwerdeführer legte in der mündlichen Verhandlung weiters glaubhaft dar, dass er seinen Onkel väterlicherseits, welcher im Iran lebt, bei ihrem letzten Telefonat im Sommer 2018 darüber informiert hat, dass er Christ werden möchte und sich für das Christentum interessiere. Er gab glaubhaft an, dass er daraufhin von seinem streng religiösen Onkel beschimpft worden sei und der Onkel schließlich den Kontakt zu ihm abgebrochen habe.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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