TE Bvwg Erkenntnis 2019/10/8 W216 2180901-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 08.10.2019
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Entscheidungsdatum

08.10.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W216 2180901-1/16E

W216 2180907-1/16E

W216 2180895-1/15E

W216 2180856-1/15E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Marion STEINER als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX , 2.) XXXX , geb. XXXX , 3.) XXXX , geb. XXXX , vertreten durch XXXX , 4.) XXXX , geb. XXXX , vertreten durch XXXX , StA. Afghanistan, alle vertreten durch den Verein ZEIGE, Zentrum für Europäische Integration u. Globalen Erfahrungsaustausch, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl jeweils vom 23.11.2017, Zlen. 1.) XXXX , 2.) XXXX , 3.) XXXX , 4.) XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 27.08.2019, zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerden gegen Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide werden als unbegründet abgewiesen.

II. Den Beschwerden wird hinsichtlich Spruchpunkt II. der angefochtenen Bescheide stattgegeben und XXXX , XXXX , XXXX und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX , XXXX , XXXX und XXXX jeweils eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte bis zum 08.10.2020 erteilt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG (jeweils) nicht

zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Erstbeschwerdeführer ist der Ehemann der Zweitbeschwerdeführerin; der minderjährige Drittbeschwerdeführer und der minderjährige Viertbeschwerdeführer sind ihre gemeinsamen Kinder. Am 17.05.2016 stellten der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin für sich und den mj. Drittbeschwerdeführer die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz in Österreich. Für den in Österreich geborenen Viertbeschwerdeführer wurde am 29.08.2017 ebenso ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

2. Am 17.05.2016 wurden der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin einer Erstbefragung unterzogen. Hierbei gaben sie übereinstimmend an, afghanische Staatsangehörige zu sein und der Volksgruppe der Hazara sowie der schiitischen Glaubensrichtung des Islam anzugehören. Hinsichtlich der Fluchtgründe führte der Erstbeschwerdeführer aus, Afghanistan wegen einer Erbschaftsstreitigkeit mit seinen Cousins, die ihn sogar mit einem Messer verletzt hätten, verlassen zu haben. Die Zweitbeschwerdeführerin gab hiezu wiederum an, dass sie ihre Eltern mit 12 Jahren aus Sicherheitsgründen in den Iran geschickt hätten, wo sie zunächst legal aufhältig gewesen sei, später jedoch keine Möglichkeit gehabt habe, ihre Aufenthaltskarte zu verlängern. Weiters führte sie eine schlechte Behandlung durch Afghanen sowie eine von den iranischen Behörden beabsichtigte Abschiebung ihres Ehemannes nach Afghanistan ins Treffen. Dieser sei letztlich für drei Monate für Kämpfe nach Syrien geschickt worden. Nach seiner Rückkehr habe man von ihrem Ehemann verlangt, einen 5-jährigen Vertrag zu unterschreiben. Letztlich hätten der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sich für die Ausreise aus dem Iran entschlossen.

3. Am 19.07.2016 fand eine Einvernahme des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin zu ihren familiären Verhältnissen sowie ihrer Reisebewegung statt.

4. Im August 2017 wurde der Viertbeschwerdeführer geboren, für ihn am 29.08.2017 ebenso ein Asylantrag gestellt und beantragt, ihm denselben Schutz wie seiner Mutter zu gewähren.

5. Am 25.10.2017 wurden der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin einer weiteren niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl unterzogen (in der Folge: BFA).

Der Erstbeschwerdeführer gab hiebei zusammengefasst an, Afghanistan im Alter von zwei Jahren gemeinsam mit seinen beiden Halbbrüdern verlassen und danach im Iran gelebt zu haben. Nachdem er dort nach 17 Jahren keine Aufenthaltsbewilligung mehr bekommen habe, habe es sowohl berufliche Probleme als auch Probleme mit dem Schulbesuch seiner Kinder gegeben. Er sei vom Iran nach Afghanistan zurückgeschoben worden, wo es schließlich zu Grundstücksstreitigkeiten innerhalb der Familie gekommen sei. Darüber hinaus habe es Schwierigkeiten mit seinem Schwager gegeben, weil der Beschwerdeführer seine Schwester von diesem weggebracht und diese im Iran erneut geheiratet habe. Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan befürchte er zudem eine von den Taliban bzw. der Regierung ausgehende Gefährung, weil er in Syrien gegen die Daesh gekämpft habe. Es gebe ein Beweisfoto für seinen Syrienaufenthalt.

Die Zweitbeschwerdeführerin gab wiederum im Wesentlichen an, mit 12 Jahren verletzt und zur Behandlung von ihrem Vater in den Iran geschickt worden zu sein. Den Iran habe sie schließlich wegen der (später) fehlenden Aufenthaltsberechtigung und aus Angst vor einer Abschiebung nach Afghanistan verlassen. Eine Rückkehr nach Afghanistan sei nicht möglich, zum einen aufgrund der Probleme ihres Mannes, zum anderen wegen der Volkgruppenzugehörigkeit und der Glaubensrichtung der Beschwerdeführer.

Im Zuge dieser Einvernahmen legten die befragten Beschwerdeführer ein Konvolut betreffend ihre Integration in Österreich vor. Ebenso wurden medizinische Unterlagen in Vorlage gebracht.

6. Das BFA hat mit Bescheiden vom 23.11.2017 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.), als auch bezüglich der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde den Beschwerdeführern gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) wurde gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) erlassen. Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt III.) und dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt IV.).

7. Dagegen brachten die Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde ein. Zusammengefasst brachten sie - unter Verweis auf entsprechende Länderinformationen zur allgemeinen Lage von Frauen in Afghanistan, Verfolgung durch die Taliban, Situation von Hazara und Rückkehrern aus Europa sowie zu Familienfehden und Blutrache - vor, dass die Beschwerdeführer in Afghanistan asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt wären. Sie alle würden aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie aufgrund einer Verfolgung durch die Cousins väterlicherseits des Erstbeschwerdeführers wegen einer Erbschaftsstreitigkeit bedroht. Ferner würden die Beschwerdeführer aufgrund der Zugehörigkeit zur Ethnie der Hazara und als Schiiten verfolgt. Darüber hinaus drohe den Beschwerdeführern eine asylrelevante Verfolgung wegen ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der "verwestlichten" Rückkehrer, welche über mehrere Jahre im Ausland gelebt hätten. Es sei auch noch darauf zu verweisen, dass die Zweitbeschwerdeführerin wegen ihrer Zugehöigkeit zur sozialen Gruppe der Frauen verfolgt werde. Im Übrigen müsse berücksichtigt werden, dass es sich beim Erstbeschwerdeführer um einen chronisch kranken Mann handle, der regelmäßig medizinisch versorgt werden müsse. Eine Rückkehr nach Afghanistan komme schon alleine deshalb nicht in Betracht, weil die notwendige medizinische Versorgung des Erstbeschwerdeführers in Afghanistan nur unzureichend und schwer zugänglich sei. Zuletzt wurde die gute Integration der Beschwerdeführer in Österreich ins Treffen geführt und ein Konvolut an integrationsbestätigenden Unterlagen beigefügt.

8. Am 27.08.2019 führte das Bundesverwaltungsgericht (in der Folge: BVwG) eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin und ihr Rechtsvertreter teilnahmen und der eine Dolmetscherin für die Sprachen Dari/Farsi/Paschtu beigezogen wurde. Ein Vertreter der belangten Behörde nahm ebenso an der Verhandlung teil. Die Beschwerdeführer wurden vom erkennenden Gericht eingehend zu ihrer Identität, Herkunft, zu den persönlichen Lebensumständen, zu ihren Fluchtgründen sowie zu ihrem Privat- und Familienleben in Österreich befragt.

Den Beschwerdeführern wurden gemeinsam mit der Ladung Länderberichte zur Situation in Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 29.06.2018; letzte Kurzinformation vom 04.06.2019) übermittelt. Seitens der Beschwerdeführer wurde mit Schreiben vom 06.08.2019 eine schriftliche Stellungnahme hiezu übermittelt. Darin wurde im Wesentlichen auf die schlechte (Sicherheits- und Versorgungs-) Lage in Afghanistan verwiesen und weiter ausgeführt, dass es sich bei den Beschwerdeführern um ein Elternpaar mit zwei minderjährigen Kindern (im Alter von 10 und 2 Jahren handle) und sie somit zu einem vulnerablen Personenkreis zu zählen seien. Kinder seien in Afghanistan insbesondere aufgrund von Mangelernährung und katastrophalen hygienischen Zuständen gefährdet. Die Existenzfähigkeit einer Familie mit Kindern hänge in Afghanistan von der Erwerbsfähigkeit des Familienvaters ab. Diese sei im vorliegenden Fall aufgrund der psychischen und physischen Erkrankung des Erstbeschwerdeführers eingeschränkt. Er leide an einer posttraumatischen Belastungsstörung, Depressionen, Migräne-Attacken und Spannungskopfschmerz sowie regelmäßig an psychogenen Anfällen und dissoziativen Anfällen. Darüber hinaus sei darauf hinzuweisen, dass die Zweitbeschwerdeführerin nunmehr den europäischen Lebensstil der Frauen kennengelernt und angenommen habe. Der Stellungnahme wurden erneut integrationsbestätigende wie auch medizinische Unterlagen beigefügt.

9. Mit Schreiben vom 10.09.2019 sowie vom 13.09.2019 langte eine ergänzende Stellungnahme beim BVwG ein. Darin wurde festgehalten, dass der Erstbeschwerdeführer vom Iran aus als ein "afghanischer schiitischer Söldner" für die religiös-schiitisch geprägten Interessen des Iran im Kriegseinsatz in Syrien gewesen und traumatisiert zurückgekommen sei. Er befinde sich sowohl in psychiatrischer wie auch in psychotherapeutischer Behandlung. Zudem wurde - unter Vorlage entsprechender Bestätigungen - auf die Aktivitäten der Zweitbeschwerdeführerin als eine sprachkundige Dolmetscherin für Landsleute in der Schule, bei Beratungsstellen in der Flüchtlingsbetreuung, Ordinationen und Gesundheitseinrichtungen verwiesen. Ebenso wurde ihre ehrenamtliche Tätigkeit in einem näher bezeichneten Verein ins Treffen geführt.

10. Zuletzt langten am 16.09.2019 integrationsbestätigende Unterlagen betreffend den Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin beim erkennenden Gericht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Beweisaufnahme:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch Einsicht in:

- Die dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakten des BFA, beinhaltend vor allem die Niederschriften der Erstbefragungen am 17.05.2016, die Niederschriften der Einvernahmen vor dem BFA am 25.10.2017 sowie die Beschwerden

Weiters herangezogen wurden die Angaben des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 27.08.2019

2. Feststellungen (Sachverhalt):

2.1. Zur Person der Beschwerdeführer:

Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind Ehegatten; die minderjährigen Dritt- und Viertbeschwerdeführer sind ihre gemeinsamen Kinder. Am 17.05.2016 bzw. am 29.08.2017 stellten die Beschwerdeführer die vorliegenden Anträge auf internationalen Schutz in Österreich.

Die Beschwerdeführer führen die im Spruch genannten Namen, sind Staatsangehörige Afghanistans, Angehörige der Volksgruppen der Hazara und bekennen sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache der Beschwerdeführer ist Dari.

Der Erstbeschwerdeführer wurde im Dorf XXXX , Distrikt XXXX , Provinz XXXX in Afghanistan geboren und verließ Afghanistan im Alter von zwei Jahren. Anschließend lebte er bis zu seinem 18. Lebensjahr im Iran, wo er bis zur fünften Klasse die Schule besuchte und danach verschiedene Hilfstätigkeiten (u.a. in Firmen bzw. im Schusterbereich) ausübte.

In Afghanistan lebt noch die Mutter, ein Halbbruder sowie Cousins des Erstbeschwerdeführers. Die Mutter lebt allein in der Provinz Ghor; der Halbbruder lebt in Herat, in XXXX . Dessen Wohn- wie auch finanzielle Situation ist schlecht. Zudem hat der Erstbeschwerdeführer noch zwei im Iran aufhältige Schwestern. Er hat lediglich zu den beiden letztgenannten Schwestern Kontakt.

Die Zweitbeschwerdeführerin wurde im Dorf XXXX , Distrikt XXXX , Provinz Wardak in Afghanistan geboren. Sie hat im Alter von 12 Jahren Afghanistan verlassen und fortan im Iran gelebt. Sie hat nie eine Schule besucht und ist als Analphabetin nach Österreich gekommen. Sie hat auch keine offizielle berufliche Ausbildung erhalten, selber aber Schneidertätigkeiten erlernt.

Sie hat in Afghanistan keine Verwandten.

Der Drittbeschwerdeführer wurde im Iran und der Viertbeschwerdeführer in Österreich geboren.

Beim Erstbeschwerdeführer wurden folgende Diagnosen gestellt:

1.) Posttraumatische Belastungsstörung

2.) rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode

3.) Migräne ohne Aura/gewöhnliche Migräne

4.) dissoziative Anfälle

5.) psychogener Anfall

6.) Spannungskopfschmerzen

7.) Hörverlust

Ihm wurden u.a. fachärztliche psychiatrische Kontrollen und das Einnehmen entsprechender Medikamente empfohlen. Der Erstbeschwerdeführer nimmt regelmäßig psychiatrische Beratung in Anspruch.

Bei der Zweitbeschwerdeführerin wurden folgende Diagnosen gestellt:

1.) chronische Wirbelsäulenschmerzen sowie zunehmende Fehlhaltung

2.) mittelgradige Depression

3.) Posttraumatische Belastungsstörung

3.) Traumafolgestörung

4.) Schilddrüsenerkrankung

Der Zweitbeschwerdeführer und der Drittbeschwerdeführer sind gesund.

2.2. Zu den geltend gemachten Fluchtgründen:

Vorweg ist festzuhalten, dass für die Dritt- und Viertbeschwerdeführer keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht wurden; diese berufen sich jeweils auf die Fluchtgründe des Erstbeschwerdeführers.

Die Beschwerdeführer waren im Herkunftsstaat weder einer individuellen gegen sie gerichteten Verfolgung - etwa durch die Cousins des Erstbeschwerdeführers oder die Taliban - ausgesetzt noch wären sie im Falle ihrer Rückkehr nach Afghanistan einer solchen ausgesetzt.

Weiters kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer ohne Hinzutreten weiterer wesentlicher individueller Merkmale mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine gegen sie gerichtete Verfolgung oder Bedrohung durch staatliche Organe oder (von staatlichen Organen geduldet:) durch Private, sei es vor dem Hintergrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit (Hazara), ihrer Religion (schiitischer Islam), Nationalität (Afghanistan), Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung zu erwarten hätten.

Bei der Zweitbeschwerdeführerin handelt es sich um keine auf Eigen- und Selbstständigkeit bedachte Frau, die in ihrer persönlichen Wertehaltung und in ihrer Lebensweise an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als "westlich" bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert ist. Es war bei ihr keine derart fortgeschrittene Persönlichkeitsentwicklung zu erkennen, aufgrund derer eine Verinnerlichung eines "westlichen Verhaltens" oder eine "westliche Lebensführung" als wesentlicher Bestandteil ihrer Identität angenommen werden kann.

Es kann auch nicht festgestellt werden, dass die anderen Beschwerdeführer aufgrund der Tatsache, dass sie sich seit einiger Zeit in Europa aufhalten, im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan psychischer und/oder physischer Gewalt oder anderen erheblichen Eingriffen ausgesetzt wären. Sie haben keine "westliche Lebenseinstellung" angenommen, welche im Widerspruch zur Gesellschaftsordnung in Afghanistan steht.

Auch eine asylrelevante Verfolgungsgefahr der minderjährigen Beschwerdeführer aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Kinder kann nicht festgestellt werden.

2.3. Zur Rückkehrsituation:

Eine Rückkehr in die Heimatprovinz des Erstbeschwerdeführers (Ghor) bzw. der Zweitbeschwerdeführerin (Wardak) scheidet aus, weil den Beschwerdeführern dort aufgrund der vorherrschenden Sicherheitslage ein Eingriff in ihre körperliche Unversehrtheit drohen würde.

Bei einer Ansiedelung in der Stadt Mazar-e Sharif oder Herat könnten der Erstbe-schwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin aktuell die grundlegenden und notwen-digen Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung und Unterkunft, für sich und ihre zwei minderjährigen Kinder nicht in ausreichendem Maße befriedigen. Die Beschwerdeführer würden daher aktuell in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation geraten. Die Beschwerdeführer haben keine in Afghanistan lebenden Familienangehörigen, welche im Fall einer Rückkehr der Beschwerdeführer willens und in der Lage wären, diese zu unterstützen.

Beim mj. Drittbeschwerdeführer und beim mj. Viertbeschwerdeführer handelt es sich um unmündige Minderjährige, die im Familienverband mit ihren Eltern leben und naturgemäß weder über eigenes Vermögen noch über eine eigene Möglichkeit der Existenzsicherung verfügen.

2.4. Zur Situation der Beschwerdeführer in Österreich:

Die Beschwerdeführer beziehen in Österreich die Grundversorgung.

Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin haben an Deutschkursen sowie der Erstbeschwerdeführer zusätzlich an einem Werte- und Orientierungskurs teilgenommen.

Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin helfen ehrenamtlich bzw. bei sozialen Veranstaltungen (in ihrer Wohngemeinde) mit.

Der Drittbeschwerdeführer besucht die Volksschule.

Die Beschwerdeführer sind zum Zeitpunkt dieser Entscheidung strafrechtlich unbescholten.

2.5. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Das Bundesverwaltungsgericht trifft folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan vom 29.06.2018 mit letzten Kurzinformationen vom 04.06.2019):

"KI vom 04.06.2019 - Politische Ereignisse, zivile Opfer, Anschläge Kabul, IOM

Politische Ereignisse: Friedensgespräche. Loya Jirga, Ergebnisse Parlamentswahl Ende Mai 2019 fand in Moskau die zweite Runde der Friedensgespräche zwischen den Taliban und afghanischen Politikern (nicht der Regierung. Anm.) statt. Bei dem Treffen äußerte ein Mitglied der Taliban. Amir Khan Muttaqi, den Wunsch der Gruppierung nach Einheit der afghanischen Bevölkerung und nach einer "inklusiven" zukünftigen Regierung. Des Weiteren behauptete Muttaqi. die Taliban würden die Frauenrechte respektieren wollen. Ein ehemaliges Mitglied des afghanischen Parlaments. Fawzia Koofi, äußerte dennoch ihre Bedenken und behauptete. die Taliban hätten kein Interesse daran. Teil der aktuellen Regierung zu sein. und dass die Gruppierung weiterhin für ein islamisches Emirat stünde. (Tolonews 31.5.2019a).

Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die "große Ratsversammlung" (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel. einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den inner-afghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an. betonte aber dennoch. dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 6.5.2019). Einer weiteren Quelle zufolge wurden die kritischen Äußerungen zahlreicher Jirga-Teilnehmer zu den nächtlichen Militäroperationen der USA nicht in den Endbericht aufgenommen. um die Beziehungen zwischen den beiden Staaten nicht zu gefährden. Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil. was wahrscheinlich u.a. mit dem gescheiterten Dialogtreffen. das für Mitte April 2019 in Katar geplant war. zusammenhängt. Dort wäre die Regierung zum ersten Mal an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen. Nachdem erstere jedoch ihre Teilnahme an die Bedingung geknüpft hatte, 250 Repräsentanten nach Doha zu entsenden und die Taliban mit Spott darauf reagierten, nahm letztendlich kein Regierungsmitarbeiter an der Veranstaltung teil. So fanden Gespräche zwischen den Taliban und Exil-Afghanen statt, bei denen viele dieser das Verhalten der Regierung öffentlich kritisierten (Heise 16.5.2019).

Anfang Mai 2019 fand in Katar auch die sechste Gesprächsrunde zwischen den Taliban und den USA statt. Der Sprecher der Taliban in Doha, Mohammad Sohail Shaheen, betonte, dass weiterhin Hoffnung hinsichtlich der inner-afghanischen Gespräche bestünde. Auch konnten sich der Quelle zufolge die Teilnehmer zwar bezüglich einiger Punkte einigen, dennoch müssten andere "wichtige Dinge" noch behandelt werden (Heise 16.5.2019).

Am 14.5.2019 hat die unabhängige Wahlkommission (Independent Electoral Commission, IEC) die Wahlergebnisse der Provinz Kabul für das afghanische Unterhaus (Wolesi Jirga) veröffentlicht (AAN 17.5.2019; vgl. IEC 14.5.2019, IEC 15.5.2019). Somit wurde nach fast sieben Monaten (die Parlamentswahlen fanden am 20.10.2018 und 21.10.2018 statt) die Stimmenauszählung für 33 der 34 Provinzen vervollständigt. In der Provinz Ghazni soll die Wahl zusammen mit den Präsidentschafts- und Provinzialratswahlen am 28.9.2019 stattfinden. In seiner Ansprache zur Angelobung der Parlamentsmitglieder der Provinzen Kabul und Paktya am 15.5.2019 bezeichnete Ghani die siebenmonatige Wahl als "Katastrophe" und die beiden Wahlkommissionen, die IEC und die Electoral Complaints Commission (ECC), als "ineffizient" (AAN 17.5.2019).

Zivile-Opfer, UNAMA-Bericht

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im ersten Quartal 2019 (1.1.2019 - 31.3.2019) 1.773 zivile Opfer (581 Tote und 1.192 Verletzte), darunter waren 582 der Opfer Kinder (150 Tote und 432 Verletzte). Dies entspricht einem Rückgang der gesamten Opferzahl um 23% gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres, welches somit der niedrigste Wert für das erste Jahresquartal seit 2013 ist (UNAMA 24.4.2019).

Diese Verringerung wurde durch einen Rückgang der Zahl ziviler Opfer von Selbstmordanschlägen mit IED (Improvised Explosive Devices - unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung/Sprengfallen) verursacht. Der Quelle zufolge könnten die besonders harten Winterverhältnisse in den ersten drei Monaten des Jahres 2019 zu diesem Trend beigetragen haben. Es ist unklar, ob der Rückgang der zivilen Opfer wegen Maßnahmen der Konfliktparteien zur Verbesserung des Schutzes der Zivilbevölkerung oder durch die laufenden Gespräche zwischen den Konfliktparteien beeinflusst wurde (UNAMA 24.4.2019). Die Zahl der zivilen Opfer aufgrund von Nicht-Selbstmord-Anschlägen mit IEDs durch regierungsfeindliche Gruppierungen und Luft- sowie Suchoperationen durch regierungsfreundliche Gruppierungen ist gestiegen. Die Zahl der getöteten Zivilisten, die regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben wurden, übertraf im ersten Quartal 2019 die zivilen Todesfälle, welche von regierungsfeindlichen Elementen verursacht wurden (UNAMA 24.4.2019).

Kampfhandlungen am Boden waren die Hauptursache ziviler Opfer und machten etwa ein Drittel der Gesamtzahl aus. Der Einsatz von IEDs war die zweithäufigste Ursache für zivile Opfer: Im Gegensatz zu den Trends von 2017 und 2018 wurde die Mehrheit der zivilen Opfer von IEDs nicht durch Selbstmordanschläge verursacht, sondern durch Angriffe, bei denen der Angreifer nicht seinen eigenen Tod herbeiführen wollte. Luftangriffe waren die Hauptursache für zivile Todesfälle und die dritthäufigste Ursache für zivile Opfer (Verletzte werden auch mitgezählt, Anm.), gefolgt von gezielten Morden und explosiven Kampfmittelrückständen (UXO - unexploded ordnance). Am stärksten betroffen waren Zivilisten in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kunduz (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 24.4.2019).

Anschläge in Kabul-Stadt

Ende Mai 2019 fanden in Kabul-Stadt einige Anschläge und gezielte Tötungen in kurzen Abständen zu einander statt: Am 26.5.2019 wurde ein leitender Mitarbeiter einer NGO in Kart-e Naw (PD5, Police District 5) durch unbekannte bewaffnete Männer erschossen (Tolonews 27.5.2019a). Am 27.5.2019 wurden nach der Explosion einer Magnetbombe, die gegen einen Bus von Mitarbeitern des Ministeriums für Hadsch und religiöse Angelegenheiten gerichtet war, zehn Menschen verletzt. Die Explosion fand in Parwana-e Do (PD2) statt. Zum Vorfall hat sich keine Gruppierung bekannt (Tolonews 27.5.2019b).

Des Weiteren wurden im Laufe der letzten zwei Maiwochen vier Kontrollpunkte der afghanischen Sicherheitskräfte durch unbekannte bewaffnete Männer angegriffen (Tolonews 31.5.2019b).

Am 30.5.2019 wurden in Folge eines Selbstmordangriffes nahe der Militärakademie Marshal Fahim im Stadtteil Char Rahi Qambar (PD5) sechs Personen getötet und 16 Personen, darunter vier Zivilisten, verletzt. Die Explosion erfolgte, während die Kadetten die Universität verließen (1 TV NEWS 30.5.2019). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zu dem Anschlag (AJ 30.5.2019).

Am 31.5.2019 wurden sechs Personen, darunter vier Zivilisten, getötet und fünf Personen, darunter vier Mitglieder der US-Sicherheitskräfte, verletzt, nachdem ein mit Sprengstoff beladenes Auto in Qala-e Wazir (PD9) detonierte. Quellen zufolge war das ursprüngliche Ziel des Angriffs ein Konvoi ausländischer Sicherheitskräfte (Tolonews 31.5.2019c).

Am 2.6.2019 kam nach der Detonation von mehreren Bomben eine Person ums Leben und 17 weitere wurden verletzt. Die Angriffe fanden im Westen der Stadt statt, und einer davon wurde von einer Klebebombe, die an einem Bus befestigt war, verursacht. Einer Quelle zufolge transportierte der Bus Studenten der Kabul Polytechnic University (TW 2.6.2019). Der IS bekannte sich zu den Anschlägen und beanspruchte den Tod von "mehr als 30 Schiiten und Mitgliedern der afghanischen Sicherheitskräfte" für sich. Die Operation erfolgte in zwei Phasen: Zuerst wurde ein Bus, der 25 Schiiten transportierte, angegriffen, und darauf folgend detonierten zwei weitere Bomben, als sich "Sicherheitselemente" um den Bus herum versammelten. Vertreter des IS haben u.a. in Afghanistan bewusst und wiederholt schiitische Zivilisten ins Visier genommen und sie als "Polytheisten" bezeichnet. (LWJ 2.6.2019).

Am 3.6.2019 kamen nach einer Explosion auf der Darul Aman Road in der Nähe der American University of Afghanistan fünf Menschen ums Leben und zehn weitere wurden verletzt. Der Anschlag richtete sich gegen einen Bus mit Mitarbeitern der Independent Administrative Reform and Civil Service Commission (Tolonews 3.6.2019)

US-Angaben zufolge ist die Zahl der IS-Anhänger in Afghanistan auf ca. 5.000 gestiegen, fünfmal so viel wie vor einem Jahr. Gemäß einer Quelle profitiert die Gruppierung vom "zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan und von aus Syrien geflohenen Kämpfern". Des Weiteren schließen sich enttäuschte Mitglieder der Taliban sowie junge Menschen ohne Zukunftsperspektive dem IS an, der in Kabul, Nangarhar und Kunar über Zellen verfügt (BAMF 3.6.2019). US-Angaben zufolge ist es "sehr wahrscheinlich", dass kleinere IS-Zellen auch in Teilen Afghanistans operieren, die unter der Kontrolle der Regierung oder der Taliban stehen (VOA 21.5.2019). Eine russische Quelle berichtet wiederum, dass ca. 5.000 IS-Kämpfer entlang der Nordgrenze tätig sind und die Nachbarländer bedrohen. Der Quelle zufolge handelt es sich dabei um Staatsbürger der ehemaligen sowjetischen Republiken, die mit dem IS in Syrien gekämpft haben (Newsweek 21.5.2019).

Anmerkung der Staatendokumentation: Zur besseren Ortung der oben beschriebenen Vorfälle folgt eine kartografische Darstellung der Staatendokumentation mit der Einteilung der Stadt Kabul in Polizeidistrikte:

...

Rückkehr

Die International Organization for Migration (IOM) gewährt seit April 2019 keine temporäre Unterkunft für zwangsrückgeführte Afghanen mehr. Diese erhalten eine Barzuwendung von ca. 150 Euro sowie Informationen über mögliche Unterkunftsmöglichkeiten. Gemäß dem Europäischen Auswärtigen Amt (EAD) nutzten nur wenige Rückkehrer die Unterbringungsmöglichkeiten von IOM (BAMF 20.5.2019).

Quellen:

1 TV NEWS (30.5.2019): At least six killed in suicide blast near military academy in

Kabul,

http://www.1tvnews.af/en/news/afghanistan/38366-breaking-blast-rocks-

kabul, Zugriff 3.6.2019

AAN - Afghanistan Analysts Network (17.5.2019): The Results of Afghanistan's 2018

Parliamentary Elections: A new, but incomplete Wolesi Jirga,

https://www.afghanistan-analysts.org/the-results-of-afghanistans-2018-parliamentary-

elections-a-new-but-incomplete-wolesi-jirga/. Zugriff 22.5.2019

AJ - Al Jazeera (30.5.2019): Suicide bomber targets Afghan military training centre in

Kabul,

https://www.aljazeera.com/news/2019/05/suicide-bomber-targets-afghan-

military-training-centre-kabul-190530082719388.html. Zugriff 3.6.2019

BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (3.6.2019): Briefing Notes, Afghanistan, per E-Mail

BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (20.5.2019): Briefing Notes, Afghanistan, per E-Mail

BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (6.5.2019): Briefing Notes, Afghanistan, per E-Mail

BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Staatendokumentation (13.2.2019): Kabul Police Districts Map, liegt im Archiv der Staatendokumentation auf

Heise (16.5.2019): Afghanistan: Wie viel Macht hat der Präsident?,

https://www.heise.de/tp/features/Afghanistan-Wie-viel-Macht-hat-der-Praesident-

4422023.html, Zugriff 3.6.2019

IEC - Independent Electoral Commission via Facebook (14.5.2019):

Press

Declaration 24/2/139,

https://www.facebook.com/AfghanistanIEC/posts/2361637283896572? tn =-R,

Zugriff 4.6.2019

IEC - Independent Electoral Commission (15.5.2019): Kabul - Wolesi Jirga Final Results,

http://www.iec.org.af/results/en/home/finalresult_by_province/1/2.

Zugriff

4.6.2019

LWJ - Long War Journal (2.6.2019): Islamic State bombs bus, security personnel in western Kabul,

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KI vom 26.3.2019, Anschläge in Kabul, Überflutungen und Dürre, Friedensgespräche, Präsidentschaftswahl

Anschläge in Kabul-Stadt

Bei einem Selbstmordanschlag während des persischen Neujahres-Fests Nowruz in Kabul-Stadt kamen am 21.3.2019 sechs Menschen ums Leben und weitere 23 wurden verletzt (AJ 21.3.2019, Reuters 21.3.2019). Die Detonation erfolgte in der Nähe der Universität Kabul und des Karte Sakhi Schreins, in einer mehrheitlich von Schiiten bewohnten Gegend. Quellen zufolge wurden dafür drei Bomben platziert: eine im Waschraum einer Moschee, eine weitere hinter einem Krankenhaus und die dritte in einem Stromzähler (TDP 21.3.2019; AJ 21.3.2019). Der ISKP (Islamische Staat - Provinz Khorasan) bekannte sich zum Anschlag (Reuters 21.3.2019).

Während eines Mörserangriffs auf eine Gedenkveranstaltung für den 1995 von den Taliban getöteten Hazara-Führer Abdul Ali Mazari im überwiegend von Hazara bewohnten Kabuler Stadtteil Dasht-e Barchi kamen am 7.3.2019 elf Menschen ums Leben und 95 weitere wurden verletzt. Der ISKP bekannte sich zum Anschlag (AJ 8.3.2019).

Überflutungen und Dürre

Nach schweren Regenfällen in 14 afghanischen Provinzen kamen mindestens 63 Menschen ums Leben. In den Provinzen Farah, Kandahar, Helmand, Herat, Kapisa, Parwan, Zabul und Kabul, wurden ca. 5.000 Häuser zerstört und 7.500 beschädigt (UN OCHA 19.3.2019). Dem Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der Vereinten Nationen (UN OCHA) zufolge waren mit Stand 19.3.2019 in der Provinz Herat die Distrikte Ghorvan, Zendejan, Pashtoon Zarghoon, Shindand, Guzarah und Baland Shahi betroffen (UN OCHA 19.3.2019). Die Überflutungen folgten einer im April 2018 begonnen Dürre, von der die Provinzen Badghis und Herat am meisten betroffen waren und von deren Folgen (z.B. Landflucht in die naheliegenden urbanen Zentren, Anm.) sie es weiterhin sind. Gemäß einer Quelle wurden in den beiden Provinzen am 13.9.2018 ca. 266.000 IDPs vertrieben: Davon zogen 84.000 Personen nach Herat-Stadt und 94.945 nach Qala-e-Naw, wo sie sich in den Randgebieten oder in Notunterkünften innerhalb der Städte ansiedelten und auf humanitäre Hilfe angewiesen sind (IFRCRCS 17.3.2019).

Friedensgespräche

Kurz nach der Friedensgesprächsrunde zwischen Taliban und Vertretern der USA in Katar Ende Jänner 2019 fand Anfang Februar in Moskau ein Treffen zwischen Taliban und bekannten afghanischen Politikern der Opposition, darunter der ehemalige Staatspräsident Hamid Karzai und mehrere "Warlords", statt (Qantara 12.2.201). Quellen zufolge wurde das Treffen von der afghanischen Diaspora in Russland organisiert. Taliban-Verhandlungsführer Sher Muhammad Abbas Stanaksai wiederholte während des Treffens schon bekannte Positionen wie die Verteidigung des "Dschihad" gegen die "US-Besatzer" und die gleichzeitige Weiterführung der Gespräche mit den USA. Des Weiteren verkündete er, dass die Taliban die Schaffung eines "islamischen Regierungssystems mit allen Afghanen" wollten, obwohl sie dennoch keine "exklusive Herrschaft" anstrebten. Auch bezeichnete er die bestehende afghanische Verfassung als "Haupthindernis für den Frieden", da sie "vom Westen aufgezwungen wurde"; Weiters forderten die Taliban die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Führer und die Freilassung ihrer gefangenen Kämpfer und bekannten sich zur Nichteinmischung in Angelegenheiten anderer Länder, zur Bekämpfung des Drogenhandels, zur Vermeidung ziviler Kriegsopfer und zu Frauenrechten. Diesbezüglich aber nur zu jenen, "die im Islam vorgesehen seien" (z.B. lernen, studieren und sich den Ehemann selbst auswählen). In dieser Hinsicht kritisierten sie dennoch, dass "im Namen der Frauenrechte Unmoral verbreitet und afghanische Werte untergraben würden" (Taz 6.2.2019).

Ende Februar 2019 fand eine weitere Friedensgesprächsrunde zwischen Taliban und USVertretern in Katar statt, bei denen die Taliban erneut den Abzug der US-Truppen aus Afghanistan forderten und betonten, die Planung von internationalen Angriffen auf afghanischem Territorium verhindern zu wollen. Letzterer Punkt führte jedoch zu Meinungsverschiedenheiten: Während die USA betonten, die Nutzung des afghanischen Territoriums durch "terroristische Gruppen" vermeiden zu wollen und in dieser Hinsicht eine Garantie der Taliban forderten, behaupteten die Taliban, es gebe keine universelle Definition von Terrorismus und weigerten sich gegen solch eine Spezifizierung. Sowohl die Taliban- als auch die US-Vertreter hielten sich gegenüber den Medien relativ bedeckt und betonten ausschließlich, dass die Friedensverhandlungen weiterhin stattfänden. Während es zu Beginn der Friedensgesprächsrunde noch Hoffnungen gab, wurde mit Voranschreiten der Verhandlungen immer klarer, dass sich eine Lösung des Konflikts als "frustrierend langsam" erweisen würde (NYT 7.3.2019).

Die afghanische Regierung war weder an den beiden Friedensgesprächen in Doha noch an dem Treffen in Moskau beteiligt (Qantara 12.2.2019; vgl. NYT 7.3.2019), was Unbehagen unter einigen Regierungsvertretern auslöste und die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Regierungen beeinträchtigte (Reuters 18.3.2019; vgl. WP 18.3.2019). Beispielsweise erklärte USUnterstaatssekretär David Hale am 18.3.2019 die Beendigung der Kontakte zwischen USVertretern und dem afghanischen nationalen Sicherheitsberater Hamdullah Mohib, nachdem dieser US-Chefunterhändler Zalmay Khalilzad und den Ausschluss der afghanischen Regierung aus den Friedensgesprächen öffentlich kritisiert hatte (Reuters 18.3.2019).

Verschiebung der Präsidentschaftswahl

Die Präsidentschaftswahl, welche bereits von April auf Juni 2019 verschoben worden war, soll Quellen zufolge nun am 28.9.2019 stattfinden. Grund dafür seien "zahlreiche Probleme und Herausforderungen" welche vor dem Wahltermin gelöst werden müssten, um eine sichere und transparente Wahl sowie eine vollständige Wählerregistrierung sicherzustellen - so die unabhängige Wahlkommission (IEC) (VoA 20.3.2019; vgl. BAMF 25.3.2019).

Quellen:

AJ - Al Jazeera (21.3.2019): Blasts in Afghan capital Kabul kill six during new year festival,

https://www.aljazeera.com/news/2019/03/blasts-afghan-capital-kabul-kill-6-year-festival-190321064823472.html, Zugriff 26.3.2019

AJ - Al Jazeera (8.3.2019): Death toll rises to 11 in attack on Shia gathering in Kabul,

https://www.aljazeera.com/news/2019/03/death-toll-rises-11-afghan-capital-attack-shia-gathering-190308102222870.html, Zugriff 26.3.2019

BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (25.3.2019): Briefing Notes Afghanistan, liegen im Archiv der Staatendokumentation auf

NYT - The New York Times (7.3.2019): U.S. Peace Talks With Taliban Trip Over a Big Question: What Is Terrorism?, https://www.nytimes.com/2019/03/07/world/asia/taliban-peace-talksafghanistan.html, Zugriff 26.3.2019

IFRCRCS - International Federation of Red Cross and Red Crescent Societies (17.3.2019): Emergency Appeal Afghanistan: Drought and Flash Floods,

https://reliefweb.int/report/afghanistan/afghanistan-drought-and-flash-floods

Qantara (12.02.2019): Any deal will do, https://en.qantara.de/print/34493, Zugriff 26.3.2019

Reuters (21.3.2019): Explosions in Afghan capital Kabul kills six during new year festival,

https://www.reuters.com/article/us-afghanistan-attack/explosions-in-afghan-capital-kabul-kill-6-during-new-year-festival-idUSKCN1R20GL, Zugriff 26.3.2019

Reuters (18.3.2019): U.S. freezes out top Afghan official in peace talks feud: sources,

https://www.reuters.com/article/us-usa-afghanistan/us-freezes-out-top-afghan-official-in-peacetalks-feud-sources-idUSKCN1QZ2OU, Zugriff 26.3.2019

Taz - Die Tagezeitung (6.2.2019): Auch Moskau spielt die Taliban-Karte,

https://www.taz.de/Gespraeche-zwischen-Taliban-und-Russland/!5568633/, Zugriff 26.3.2019

TDP - The Defense Post (21.3.2019): Bomb blasts around Afghanistan capital kill 6 during Nowruz celebrations, https://thedefensepost.com/2019/03/21/afghanistan-kabul-bombings-nowruz/, Zugriff 26.3.2019

UN OCHA - United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (19.3.2019): Afghanistan: Flash Floods, Update No. 7 (as of 19 March 2019),

https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/afg_flash_floods_update_7_19_mar_2019_web.pdf, Zugriff 26.3.2019

VoA - Voice of America (20.3.2019): Afghanistan Again Postpones Presidential Election,

https://www.voanews.com/a/afghanistan-again-postpones-presidential-election/4840141.html, Zugriff 26.3.2019

WP - The Washington Post (18.3.2019): Afghan government, shut out of U.S.-Taliban peace talks, running short on options, https://www.washingtonpost.com/world/afghan-government-shut-out-ofus-taliban-peace-talks-running-short-on-options/2019/03/18/92cd6128-497d-11e9-8cfc-2c5d0999c21e_story.html?noredirect=on&utm_term=.ffa121b12dbc, Zugriff 26.3.2019

Kommentar:

Die Lage vor Ort wird weiterhin beobachtet und gegebenenfalls wird mit weiteren Kurzinformationen reagiert. Weiterführende Informationen zu der Friedensgesprächsrunde von Jänner 2019 können der KI vom 31.1.2019 entnommen werden.

KI vom 1.3.2019, Aktualisierung: Sicherheitslage in Afghanistan

Allgemeine Sicherheitslage und sicherheitsrelevante Vorfälle

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil. Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum 16.8.2018 - 15.11.2018 5.854 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 2% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 5% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (63%) aus. Selbstmordanschläge gingen um 37% zurück, was möglicherweise an erfolgreichen Bekämpfungsmaßnahmen in Kabul-Stadt und Jalalabad liegt. Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Streitkräfte stiegen um 25%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten. In der Provinz Kandahar entstand die Befürchtung, die Sicherheitsbedingungen könnten sich verschlechtern, nachdem der Polizeichef der Provinz und der Leiter des National Directorate for Security (NDS) im Oktober 2018 ermordet worden waren (UNGASC 7.12.2018). Gemäß dem Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (SIGAR) fanden bis Oktober 2018 die meisten Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen in den Provinzen Badghis, Farah, Faryab, Ghazni, Helmand, Kandahar, Uruzgan und Herat statt. Von Oktober bis Dezember 2018 verzeichneten Farah, Helmand und Faryab die höchste Anzahl regierungsfeindlicher Angriffe (SIGAR 30.1.2019).

Nach dem Taliban-Angriff auf Ghazni-Stadt im August 2018, bestand weiterhin die Befürchtung, dass die Taliban großangelegte Angriffe im Südosten des Landes verüben könnten. Dies war zwar nicht der Fall, dennoch setzten Talibankämpfer die afghanischen Sicherheitskräfte am Stadtrand von Ghazni, in Distrikten entlang des Highway One nach Kabul und durch die Einnahme des Distrikts Andar in Ghazni im Oktober weiterhin unter Druck. Im Westen der Provinz Ghazni, wo die ethnische Gruppierung der Hazara eine Mehrheit bildet, verschlechterten sich die Sicherheitsbedingungen wegen großangelegter Angriffe der Taliban, was im November zur Vertreibung zahlreicher Personen führte. In Folge eines weiteren Angriffs der Taliban im Distrikt Khas Uruzgan der Provinz Uruzgan im selben Monat wurden ebenfalls zahlreiche Hazara-Familien vertrieben. Des Weiteren nahmen Talibankämpfer in verschiedenen Regionen vorübergehend strategische Positionen entlang der Hauptstraßen ein und behinderten somit die Bewegungsfreiheit zwischen den betroffenen Provinzen. Beispiele dafür sind Angriffe entlang Hauptstraßen nach Kabul in den Distrikten Daymirdad und Sayyidabad in Wardak, der Route Mazar - Shirbingham und Maimana - Andkhoy in den nördlichen Provinzen Faryab, Jawzjan und Balkh und der Route Herat - Qala-e-Naw im westlichen Herat und Badghis (UNGASC 7.12.2018). Trotz verschiedener Kampfhandlungen und Bedrohungen blieben mit Stand Dezember 2018 gemäß SIGAR die Provinzzentren aller afghanischen Provinzen unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.1.2019).

Im Laufe des Wahlregistrierungsprozesses und während der Wahl am 20. und am 21. Oktober wurden zahlreiche sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, welche durch die Taliban und den Islamischen Staat - Provinz Khorasan (ISKP) beansprucht wurden (UNGASC 7.12.2018; vgl. UNAMA 10.10.2018, UNAMA 11.2018). Während der Wahl in der Provinz Kandahar, die wegen Sicherheitsbedenken auf den 27. Oktober verschoben worden war, wurden keine sicherheitsrelevanten Vorfälle registriert. Die afghanischen Sicherheitskräfte entdeckten und entschärften einige IED [Improvised Explosive Devices - Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen] in Kandahar-Stadt und den naheliegenden Distrikten (UNAMA 11.2018). Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) hatte zwischen 1.1.2018 und 30.9.2018 im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen insgesamt 366 zivile Opfer (126 Tote und 240 Verletzte) registriert (UNAMA 10.10.2018). Am offiziellen Wahltag, dem 20. Oktober, wurden 388 zivile Opfer (52 Tote und 336 Verletzte) registriert, darunter 117 Kinder (21 Tote und 96 Verletzte) und 48 Frauen (2 Tote und 46 Verletzte). Am folgenden Wahltag, dem 21. Oktober, wurden 47 weitere zivile Opfer (4 Tote und 43 Verletzte) verzeichnet, inklusive 17 Kinder (2 Tote und 15 Verletzte) und Frauen (3 Verletzte). Diese Zahlen beinhalten auch Opfer innerhalb der Afghan National Police (ANP) und der Independet Electoral Commission (IEC) (UNAMA 11.2018). Die am 20. Oktober am meisten von sicherheitsrelevanten Vorfällen betroffenen Städte waren Kunduz und Kabul. Auch wenn die Taliban in den von ihnen kontrollierten oder beeinflussten Regionen die Wählerschaft daran hinderten, am Wahlprozess teilzunehmen, konnten sie die Wahl in städtischen Gebieten dennoch nicht wesentlich beeinträchtigen (trotz der hohen Anzahl von Sicherheitsvorfällen) (UNGASC 7.12.2018).

Die Regierung kontrolliert bzw. beeinflusst - laut Angaben der Resolute Support (RS) Mission - mit Stand 22.10.2018 53,8% der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 bedeutet. 33,9% der Distrikte sind umkämpft und 12,3% befinden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 63,5% der Bevölkerung leben in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befinden; 10,8% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 25,6% leben in umkämpften Gebieten. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Kontrolle bzw. Einfluss von Aufständischen sind Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).

Der ISKP ist weiterhin im Osten des Landes präsent und bekennt sich zu Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen in Nangarhar und zu sechs Angriffen in Kabul-Stadt. Des Weiteren finden in den Provinzen Nangarhar und Kunar weiterhin Kämpfe zwischen ISKP- und Talibankämpfern statt. Die internationalen Streitkräfte führten Luftangriffe gegen den ISKP in den Distrikten Deh Bala, Achin, Khogyani, Nazyan und Chaparhar der Provinz Nangarhar aus (UNGASC 7.12.2018).

Global Incident Map zufolge wurden im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) 4.436 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

Zivile Opfer

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte), eine allgemeine Steigerung von 5% sowie eine Steigerung der Zahl der Toten um 11% gegenüber dem Vorjahreswert. 42% der zivilen Opfer (4.627 Opfer;

1.361 Tote und 3.266 Verletzte) wurden durch IED im Zuge von Anschlägen und Selbstmordanschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich ISKP) verursacht. Die Anzahl der Selbstmordanschläge unter Einsatz von IED stieg dabei um 22% und erreichte somit einen Rekordwert. Diese Art von Anschlägen verursachte 26% aller zivilen Opfer, während IED, die bei Nichtselbstmordanschlägen verwendet wurden, 16% der zivilen Opfer forderten. Kabul war mit insgesamt 1.866 Opfern (596 Tote und 1.270 Verletzte) die Provinz mit der höchsten Anzahl an Selbstmordanschlägen durch IED, während die Zahl der Opfer in Nangarhar mit insgesamt 1.815 (681 Tote und 1.134 Verletzte) zum ersten Mal fast die Werte von Kabul erreichte (hauptsächlich wegen des Einsatzes von IED bei Nichtselbstmordanschlägen). Kabul-Stadt verzeichnete insgesamt 1.686 zivile Opfer (554 Tote und 1.132 Verletzte) wegen komplexen und Selbstmordangriffen (UNAMA 24.2.2019).

Zusammenstöße am Boden (hauptsächlich zwischen regierungsfreundlichen und regierungsfeindlichen Gruppierungen) verursachten 31% der zivilen Opfer (insgesamt 3.382; davon 814 Tote und 2.568 Verletzte), was einen Rückgang um 3% im Vergleich mit dem Vorjahreswert bedeutet. Grund dafür war der Versuch regierungsfreundlicher Gruppierungen, die zivile Bevölkerung zu schonen. Die Verlagerung der Kämpfe in dünn besiedelte Gebiete, die Vorwarnung der lokalen Zivilbevölkerung bei Kampfhandlungen und die Implementierung von Strategien zum Schutz der Bevölkerung waren einige der bestimmenden Faktoren für den Rückgang bei zivilen Opfern. Jedoch ist die Opferzahl bei gezielt gegen die Zivilbevölkerung gerichteten komplexen Angriffen und Selbstmordanschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen gestiegen (plus 48% gegenüber 2017; 4.125 Opfer insgesamt, davon 1.404 Tote und 2.721 Verletzte). Sowohl der ISKP als auch die Taliban griffen gezielt Zivilisten an: Der ISKP war für 1.871 zivile Opfer verantwortlich, darunter waren u.a. Mitglieder der schiitischen Gemeinschaft, und die Taliban für 1.751. Obwohl die Gesamtzahl der zivilen Opfer durch gezielte Tötungen von Einzelpersonen (hauptsächlich durch Erschießung) zurückging, blieben Zivilisten inklusive religiöser Führer und Stammesältester weiterhin Ziele regierungsfeindlicher Gruppierungen. Die Gesamtzahl der durch Luftangriffe verursachten zivilen Opfer stieg im Vergleich mit dem Vorjahreswert um 61% und die Zahl der Todesopfer erreichte 82%. 9% aller zivilen Opfer wurden Luftangriffen (mehrheitlich der internationalen Luftwaffe) zugeschrieben, der höchste Wert seit 2009 (UNAMA 24.2.2019).

Regierungsfeindliche Gruppierungen waren im UNAMA-Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) für 6.980 zivile Opfer (2.243 Tote und 4.737 Verletzte) verantwortlich. Das entspricht 63% der gesamten zivilen Opfer. 37% davon werden den Taliban, 20% dem ISKP und 6% unbestimmten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben. Im Laufe des Jahres 2018 wurden vermehrt Anschläge gegen Bildungseinrichtungen verzeichnet, meist durch Talibankämpfer, da in Schulen Registrierungs- und Wahlzentren untergebracht waren. Der ISKP attackierte und bedrohte Bildungseinrichtungen als Reaktion auf militärische Operationen afghanischer und internationaler Streitkräfte. UNAMA berichtet auch über anhaltende Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen, welche Auswirkungen auf einen Großteil der zivilen Bevölkerung haben. Trotzdem die Taliban nach eigenen Angaben Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung ergriffen haben, attackierten diese weiterhin Zivilisten, zivile Einrichtungen und regierungsfreundliche Gruppierungen in Zivilgebieten (UNAMA 24.2.2019).

Ungefähr 24% der zivilen Opfer (2.612, davon 1.185 Tote und 1.427 Verletzte), werden regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben: 14% den afghanischen Sicherheitskräften, 6% den internationalen Streitkräften und 4% unbestimmten regierungsfre

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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