TE Bvwg Erkenntnis 2019/10/15 G307 2222696-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.10.2019
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

15.10.2019

Norm

BFA-VG §18 Abs3
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §70 Abs3

Spruch

G307 2222696-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Markus MAYRHOLD als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX, geb. am XXXX, StA.: Rumänien, vertreten durch den Verein Menschenrechte in 1090 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.08.2019, Zahl XXXX Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

I. Verfahrensgang und Sachverhalt

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) wurde am 13.08.2019 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich, Außenstelle Schwechat (im Folgenden: BFA) zu der in Aussicht genommenen Erlassung eines Aufenthaltsverbotes sowie seinen persönlichen und finanziellen Verhältnissen befragt. Zuvor wurde er gemäß § 34 Abs. 3 Z 1 BFA-VG festgenommen.

2. Mit dem im Spruch angeführten Bescheid, dem BF persönlich zugestellt am 14.08.2019, wurde gegen diesen gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein 10jähriges Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 70 Abs. 3 FPG kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.) und der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III.).

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht eingebrachte Beschwerde der Rechtsvertretung (RV) des BF vom 22.08.2019, welche am selben Tag bei der belangten Behörde eingebracht wurde. Darin wurde beantragt, den Bescheid ersatzlos zu beheben, in eventu die Dauer des verhängten Aufenthaltsverbotes zu reduzieren, in eventu den angefochtenen Bescheid zu beheben und zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

4. Das BFA legte die Beschwerde und den dazugehörigen Verwaltungsakt dem BVwG am 22.08.2019 vor, wo diese am 23.08.2019 einlangte.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Feststellungen: 1.1. Der BF führt die im Spruch angegebene Identität, ist mit XXXX, geb. am XXXX verheiratet, hat mit dieser eine am XXXX geborene Tochter namens XXXX und lebte bis zum 15.08.2019 mit den Genannten im gemeinsamen Haushalt in XXXX. In Rumänien besuchte der BF 4 Jahre die Grund-, danach 7 Jahre die Hauptschule und absolvierte danach die Lehre zum qualifizierten Dreher.

1.2. Der BF hielt von 14.02.2018 bis zum 15.08.2019 durchgehend in Österreich auf, wobei er vom 04.09.2018 bis 05.02.2018 im Bundesgebiet gemeldet war. Davon abgesehen war er vom 17.04.2015 bis 21.07.2016 in Österreich aufhältig und gemeldet.

1.3. Der BF war - beginnend mit 20.10.2015 bis 21.08.2019 in 5 Arbeitsverhältnissen bei ebenso vielen Arbeitgebern für insgesamt 623 Tagen beschäftigt. Zuletzt war er bei der XXXX im Arbeiterdienstverhältnis zu einem monatlichen Nettolohn in der Höhe von rund € 1.400,00 tätig.

1.4. Dem BF liegen folgende strafrechtliche Verurteilungen zur Last:

* am XXXX2005 wegen Diebstahls unter Gewaltanwendung oder unter Einsatz von Waffen oder unter Gewaltdrohung oder Androhung des Einsatzes von Waffen gegen Personen von einem nicht näher bekannten rumänischen Gericht zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr,

* am XXXX2007 vom XXXX wegen Diebstahls unter Gewaltanwendung oder unter Einsatz von Waffen oder unter Gewaltandrohung oder Androhung des Einsatzes von Waffen gegen Personen zu einer Freiheitsstrafe von insgesamt 7 Jahren,

* am XXXX2012 vom XXXX wegen Einbruchsdiebstahls zu einer Freiheitsstrafe von 28 Tagen sowie

* amXXXX2014 vom AmtsgerichtXXXX wegen gemeinschaftlichen, gewerbsmäßigen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von 7 Monaten.

In Österreich ist der BF unbescholten.

1.5. Es konnte nicht festgestellt werden, dass der BF über Deutschkenntnisse eines bestimmten Niveaus verfügt.

1.6. Der BF ist gesund und arbeitsfähig.

1.7. Der BF wurde am XXXX2019 auf dem Luftweg nach Rumänien abgeschoben.

2. Beweiswürdigung

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl sowie des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zu Identität, Staatsangehörigkeit, Schul- und Berufsausbildung, Familienstand, Bestand einer Tochter, gemeinsame Haushaltsführung, jeweilige Aufenthaltsdauer und Meldung im Bundesgebiet getroffen wurden, ergeben sich diese aus dem Vorbringen in der Einvernahme vor der belangten Behörde, dem Inhalt des auf den Namen des BF lautenden Auszuges aus dem Zentralen Melderegister (ZMR) wie der Beschwerde.

Wenn im Rechtsmittel vermeint wird, der BF lebe schon seit Februar 2014 durchgehend in Österreich, kann diese Behauptung nicht nachvollzogen werden. Abgesehen davon, dass der BF erstmalig mit 17.04.2015 in Österreich gemeldet und im Anschluss immer wieder teils mehrmonatige dahingehenden Lücken im Zentralen Melderegister auftauchten, konnten diese auch unter Zuhilfenahme der Beschäftigungszeiten des BF nicht geschlossen werden. Es ist jedoch davon auszugehen, dass der BF innerhalb jenes unter Punkt I.1.2 angeführten Zeitraums, innerhalb dessen er auch erwerbstätig, war, auch im Bundesgebiet wohnhaft war.

Der BF legte einen auf seinen Namen lautenden rumänischen Personalausweis vor, an dessen Echtheit und Richtigkeit keine Zweifel aufgekommen sind.

Die Verurteilungen folgen dem im Akt einliegenden Informationen aus dem internationalen Strafregister (ECRIS). Das österreichische Strafregister weist keine Verurteilung des BF aus.

Die bisher ausgeübten Erwerbstätigkeiten ergeben sich aus dem Inhalt des auf den Namen des BF lautenden Sozialversicherungsdatenauszugs. Wegen der - ebenso im Akt von Seiten des Stadtpolizeikommandos XXXX dokumentierten - Abschiebung endete das jüngste Arbeitsverhältnis des BF am XXXX2019.

Der BF gab zwar im Zuge seiner Einvernahme an, Deutsch zu sprechen, lieferte hiefür jedoch keinen Beweis für das Vorliegen eines bestimmten dahingehenden Niveaus.

Die aktuell ausgeübte Beschäftigung, die Höhe des zuletzt bezogenen Lohnes wie die bisherigen Erwerbstätigkeiten folgen dem Inhalt des auf den Namen des BF lautenden Sozialversicherungsdatenauszuges.

Dass der BF arbeitsfähig ist, ergibt sich aus seiner bis zuletzt ausgeübten Beschäftigung. In der Einvernahme vor dem Bundesamt hat der BF angegeben, gesund zu sein.

Im Hinblick auf die Beweiswürdigung wurden in der Beschwerde keine Fragen aufgeworfen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

3.1. Der mit "Aufenthaltsverbot" betitelte § 67 FPG lautet:

"(1) Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

(2) Ein Aufenthaltsverbot kann, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden.

(3) Ein Aufenthaltsverbot kann unbefristet erlassen werden, wenn insbesondere

1. der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist;

2. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§ 278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§ 278e StGB);

3. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet oder

4. der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt.

(4) Bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes ist auf die für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen. Die Frist beginnt mit Eintritt der Durchsetzbarkeit zu laufen.

(5) (Anm.: aufgehoben durch BGBl. I Nr. 87/2012)"

Bei Erlassung eines Aufenthaltsverbots ist eine einzelfallbezogene Gefährdungsprognose zu erstellen, bei der das Gesamtverhalten des Betroffenen in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen ist, ob und im Hinblick auf welche Umstände die maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache einer Verurteilung oder Bestrafung, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (VwGH 19.02.2014, 2013/22/0309).

Der mit "Schutz des Privat- und Familienlebens" betitelte § 9 BFA-VG lautet:

"§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 Abs. 1a FPG nicht erlassen werden, wenn

1. ihm vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG), BGBl. Nr. 311, verliehen hätte werden können, oder

2. er von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist.

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt."

3.2. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens war der Beschwerde stattzugeben, dies aus folgenden Gründen:

Für den BF, der aufgrund seiner rumänischen Staatsangehörigkeit in den persönlichen Anwendungsbereich von § 67 FPG fällt, kommt der Prüfungsmaßstab des § 67 Abs. 1., 1. und 2 Satz FPG für Unionsbürger zur Anwendung, weil er sich durchgehend seit weniger als 10 Jahren in Österreich aufgehalten hat.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist (vgl dazu etwa VwGH 25.04.2014, Ro 2014/21/0039).

Die Zulässigkeit der Verhängung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist dann gegeben, wenn vom Fremden auf Grund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet wird. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.

In diesem Zusammenhang weist das erkennende Gericht der Vollständigkeit halber darauf hin, dass es die fremdenpolizeilichen Beurteilungen unabhängig und eigenständig von den die des Strafgerichts für die Strafbemessung, die bedingte Strafnachsicht und den Aufschub des Strafvollzugs betreffenden Erwägungen zu treffen hat (vgl. Erkenntnis des VwGH v. 6.Juli 2010, Zl. 2010/22/0096). Es obliegt daher dem erkennenden Gericht festzustellen, ob eine Gefährdung im Sinne des FPG vorliegt oder nicht. Es geht bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes in keiner Weise um eine Beurteilung der Schuld des Fremden an seinen Straftaten und auch nicht um eine Bestrafung (vgl. Erkenntnis des VwGH vom 8. Juli 2004, 2001/21/0119).

Die letzte Verurteilung des BF liegt mehr als 5 Jahre zurück, wurde in Deutschland ausgesprochen und führte zur Verhängung einer Freiheitsstrafe von 7 Monaten. Die gravierendste Verurteilung, welche eine 7jährige Freiheitsstrafe zur Folge hatte, datiert aus dem Jänner 2007, liegt also mittlerweile mehr als 12 1/2 Jahre zurück. Es wird diesen Ahndungen keineswegs deren Gewicht abgesprochen, doch muss die seitdem verstrichene Zeitspanne ebenso in Anschlag gebracht werden, wie der nunmehr geänderte Umstand, dass der BF bis zuletzt berufstätig war, verheiratet und Vater einer aktuell 4 Monate alten Tochter ist. In Österreich kann ihm kein strafbares Verhalten zum Vorwurf gemacht werden.

Die belangte Behörde hielt in ihrer Entscheidung zwar fest, dass der BF die oben angeführten Delikte begangen hat und daher von einer aktuellen, gegenwärtigen Gefahr gesprochen werden könne. Sie ließ jedoch außer Betracht, wie sie zu diesem Schluss gelangt. Gegenständlich bedarf es des Vorliegens einer tatsächlichen, gegenwärtigen und erheblichen Gefahr auf Seiten des BF. Dem Wortlaut dieser Bestimmung des § 67 Abs. 1, 2. Satz FPG ist unmissverständlich zu entnehmen, dass diese Komponenten kumulativ gegeben sei müssen. Das scheitert gegenständlich jedoch schon an der Gegenwärtigkeit. Abgesehen davon, dass es sogar die deutschen Behörden im Jahr 2014 nicht als notwendig erachtet haben, ein Aufenthaltsverbot für Deutschland auszusprechen, sind mittlerweile wieder 5 Jahre verstrichen, in welchen der BF nicht straffällig geworden ist. Seinem aktuellen Verhalten kann auch keine erhebliche Gefahr attestiert werden, weist sein Gesamtverhalten schon nicht darauf hin. Damit scheitert die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes schon aus diesen Gründen.

Auch im Lichte der in § 9 BFA-VG gebotenen Abwägung der privaten und familiären Interessen des BF mit den entgegenstehenden öffentlichen Interessen ist zu berücksichtigen, dass er für eine Frau und einen Sohn sorgeplichtig ist, mit denen er bis zuletzt im gemeinsamen Haushalt wohnte. Da sich die Erlassung des Aufenthaltsverbotes schon dem Grunde nach als unzulässig erweist, war auf die Relation des Privat- und Familienlebens zu den öffentlichen Interessen nicht (mehr näher) einzugehen.

Im Ergebnis und vor dem Hintergrund der zu Beginn zitierten VwGH-Judikatur erweist sich die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes vorliegend somit nicht als verhältnismäßig.

Wegen der untrennbaren Verbindung des § 55 Abs. 1 und 3 FPG mit dem Bestand eines Aufenthaltsverbotes war der Bescheid auch dahingehend aufzuheben.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

3.3. Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint, konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG eine mündliche Verhandlung unterbleiben.

Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat in Bezug auf § 41 Abs. 7 AsylG 2005 in der Fassung bis 31.12.2013 unter Berücksichtigung des Art. 47 iVm. Art. 52 der Grundrechte-Charta der Europäischen Union (im Folgenden: GRC) ausgesprochen, dass das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung in Fällen, in denen der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde erklärt erscheint oder sich aus den Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen tatsachenwidrig ist, im Einklang mit Art. 47 Abs. 2 GRC steht, wenn zuvor bereits ein Verwaltungsverfahren stattgefunden hat, in dessen Rahmen Parteiengehör gewährt wurde. Hat die beschwerdeführende Partei hingegen bestimmte Umstände oder Fragen bereits vor der belangten Behörde releviert oder sind solche erst nachträglich bekannt geworden, ist die Durchführung einer mündlichen Verhandlung erforderlich, wenn die von der beschwerdeführenden Partei bereits im Verwaltungsverfahren oder in der Beschwerde aufgeworfenen Fragen - allenfalls mit ergänzenden Erhebungen - nicht aus den Verwaltungsakten beantwortet werden können, und insbesondere, wenn der Sachverhalt zu ergänzen oder die Beweiswürdigung mangelhaft ist (VfGH 14.03.2012, U 466/11-18, U 1836/11-13).

Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) hat mit Erkenntnis vom 28.05.2014, Zl. Ra 2014/20/0017 und 0018-9, für die Auslegung der in § 21 Abs. 7 BFA-VG enthaltenen Wendung "wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint" unter Bezugnahme auf das Erkenntnis des VfGH vom 12.03.2012, Zl. U 466/11 ua., festgehalten, dass der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen muss. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Schließlich ist auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen.

Im gegenständlichen Fall ist dem angefochtenen Bescheid ein umfassendes Ermittlungsverfahren durch die belangte Behörde vorangegangen. Der Sachverhalt wurde nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens unter schlüssiger Beweiswürdigung der belangten Behörde festgestellt und es wurde in der Beschwerde auch kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der belangten Behörde entgegenstehender oder darüber hinaus gehender Sachverhalt in konkreter und substantiierter Weise behauptet.

Es konnte daher die gegenständliche Entscheidung auf Grund der Aktenlage getroffen und von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.

Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

Aufenthaltsverbot, Behebung der Entscheidung, strafrechtliche
Verurteilung, Voraussetzungen, Wegfall der Gründe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:G307.2222696.1.00

Zuletzt aktualisiert am

27.02.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten