TE Bvwg Erkenntnis 2019/10/18 W279 2205807-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 18.10.2019
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Entscheidungsdatum

18.10.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W279 2205807-1/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. KOREN als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX 1979, StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX .08.2018, Zl XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 11.03.2019, zu Recht:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (BF) stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das österreichische Bundesgebiet am XXXX .10.2016 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 24/2016BF.

2. Bei der mit einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes durchgeführten Erstbefragung des Beschwerdeführers am selben Tag führte dieser zu seinem Fluchtgrund befragt zusammenfassend aus, dass ihm von den Taliban die Ermordung angedroht worden sei, da seine Ehefrau für eine Firma gearbeitet habe, die eine Kooperation mit ausländische Medien gehabt habe und eine berufstätige Frau für die Taliban inakzeptabel sei.

3. Am XXXX .05.2018 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: "BFA" genannt), im Asylverfahren niederschriftlich einvernommen. Dabei führte er zusammenfassend aus, dass er aufgrund psychischer Probleme Medikamente einnehme. Er sei seit seiner Einreise in Österreich in ärztlicher Behandlung, könne der durchgeführten Einvernahme ohne Probleme folgen und habe im bisherigen Verfahren die Wahrheit angegeben. Der Beschwerdeführer gehöre der Volksgruppe der Tadschiken und der Religionszugehörigkeit der Sunniten an. Er sei in Kabul geboren und aufgewachsen, habe keine Schule besucht und seinen Lebensunterhalt durch die Herstellung von Heizöfen erwirtschaftet. Seine Familie und er hätten in einer Mietwohnung in Kabul gewohnt.

Zu seiner Reiseroute befragt, gab der Beschwerdeführer zu Protokoll, dass er von Kabul aus legal in den Iran gereist sei und sich von dort aus weiter nach Europa begeben habe. Der Beschwerdeführer sei verheiratet und habe drei Kinder, den genauen Aufenthaltsort seiner Familie wisse er jedoch nicht, da ihnen die Weiterreise ab Griechenland untersagt worden sei. Befragt, welche Familienangehörigen noch in seiner Heimat leben würden, erwiderte der Beschwerdeführer, dass drei seiner Schwestern und vier seiner Brüder in Kabul leben würden, mit denen er in telefonischen Kontakt stehe. Zudem würden eine Tante und ein Onkel in Afghanistan wohnen. Die Schwestern des Beschwerdeführers würden nach wie vor im Elternhaus leben, eine davon arbeite in einer Bank und seine Brüder würden Heizöfen herstellen. Die Fragen, ob er vorbestraft sei, von der Polizei gesucht werde oder jemals verhaftet worden sei, wurden vom Beschwerdeführer verneint. Er habe auch niemals Probleme mit den Behörden gehabt, sei nie wegen seiner politischen Gesinnung, seiner Religion, Rasse oder Nationalität (Volksgruppe, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe) verfolgt worden und sei niemals Opfer grenzüberschreitender Prostitution oder Menschenhandel gewesen.

Zum Fluchtgrund befragt, brachte der Beschwerdeführer vor, dass er im Herkunftsstaat Heizöfen hergestellt habe und seine Ehefrau für ein ausländisches Büro gearbeitet habe. Da sie Frauen über ihre Rechte informiert habe, sei sie mehrere Male von den Taliban bedroht worden, was sie jedoch anfangs nicht erzählt habe. Eines Abends habe sie den Beschwerdeführer jedoch über die Drohungen aufgeklärt und sei in weiterer Folge eine Woche nicht mehr zur Arbeit gegangen. Die Taliban hätten den Beschwerdeführer mit einer Waffe bedroht, als sie bemerkt hätten, dass der Beschwerdeführer seine Frau bei der Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit unterstütze. Nach diesem Vorfall habe er sich dazu entschlossen, das Land zu verlassen. Beweismittel für Ehe und seine Kinder könne er nicht vorlegen. Zur Frage, weshalb er nicht zu seiner Familie zurückgegangen sei, entgegnete der Beschwerdeführer, dass er nicht wisse, wo sich diese aufhalte. In Deutschland habe er bereits versucht, seine Familie zu finden. In Österreich habe er bereits beim Roten Kreuz um Unterstützung bei der Suche angefragt. Befragt, weshalb er nicht die Polizei aufgesucht habe, nachdem ihn die Taliban bedroht habe, erklärte der Beschwerdeführer, dass eine Einzelperson in Afghanistan keinen Wert habe. Seine Ehefrau habe trotz Gefährdung nicht gekündigt, da sie den Beschwerdeführer unterstützen habe wollen. Zum Vorhalt, weshalb er nicht innerhalb Afghanistans ein neues Leben angefangen habe, entgegnete der Beschwerdeführer, dass seine Frau im Heimatland auch getötet worden wäre, wenn sie ihrer Tätigkeit aufgegeben hätte, da sie Informationen zu Frauenrechten verbreitet habe. Eine ihrer Kolleginnen sei nach einer Übersiedelung in die Stadt Jalalabad umgebracht worden. Die Frage, ob er vor dem besagten Vorfall Kontakte mit den Taliban gehabt habe, wurde vom Beschwerdeführer verneint. Weder er selbst noch seine Ehegattin seien in Afghanistan bekannte Persönlichkeiten. Die Taliban habe er im Zuge des Vorfalls ausschließlich durch Fernsehberichte wiedererkannt.

Zu seinen Lebensumständen in Österreich befragt, erwiderte der Beschwerdeführer, dass er im Bundesgebiet keine Familienangehörigen oder sonstige Verwandte habe und eigenständig Deutsch lerne. Er lebe von der Grundversorgung und versuche in seiner Freizeit Deutsch zu lernen.

Mit Schriftsatz vom XXXX .05.2018, eingelangt am XXXX .06.2018, wurde von der bevollmächtigten Vertreterin des Beschwerdeführers ein Arztbrief vom XXXX .11.2017 mit der Diagnose "Depressive Episode" mit Schlafstörung unter Verschreibung einer diesbezüglichen Medikation sowie ein Empfehlungsschreiben vorgelegt und in einer Stellungnahme ausgeführt, dass es in Kabul zahlreiche Anschläge durch die Taliban gebe und die Polizei untätig sei. Rückkehrer hätten nicht die ihnen zustehende Geldmittel bekommen und das Schulsystem in Afghanistan funktioniere nicht. Überdies gebe es in Afghanistan keine ausreichende medizinische Versorgung und man müsste Ärzte selbst bezahlen.

Aus einem eingeholten neurologisch-psychiatrischen Gutachten vom XXXX .06.2018 geht hervor, dass der Allgemein-sowie der Ernährungszustand des Beschwerdeführers unauffällig sei. In Zusammenschau mit der Anamnese, der Klinik und dem Status sowie unter Zuhilfenahme des strukturierten Interviews für eine posttraumatische Belastungsstörung, aber auch unter Zuhilfenahme der Symptomliste für eine chronische posttraumatische Belastungsstörung lasse sich eine posttraumatische Belastungsstörung aktuell nicht diagnostizieren. Die psychischen Beschwerden würden in Zusammenhang mit der Trennungssituation von seinen Familienangehörigen stehen. Eine medikamentöse, antidepressive und neuroleptische Therapie sei bereits eingeleitet worden. Er sei beim Hausarzt in Behandlung gewesen, auch ambulant in einer Fachabteilung. Im neurologischen Status zeige sich aktuell ein unauffälliger Befund. Aus neurologisch-psychiatrischer Sicht bestehe im Falle einer Überstellung aber nicht die reale Gefahr, dass der Beschwerdeführer aufgrund der psychischen Störung in einen lebensbedrohlichen Zustand geraten oder sich die Krankheit in einem lebensbedrohlichen Ausmaß verschlechtern könnte. Es sei nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan am täglichen Leben beeinträchtigt wäre. Die Rückführung nach Afghanistan sei aus medizinischer Sicht möglich.

In einer weiteren Stellungnahme vom XXXX .07.2018 wurde vom Beschwerdeführer ausgeführt, dass er an Depressionen leide und oft Schlafprobleme habe. Bei einer Rückkehr habe er nicht die Möglichkeit, medizinische Versorgung in Anspruch zu nehmen und werde als Verräter abgestempelt. Er sei in Österreich bereits integriert, da er bereits österreichische Freunde habe und mit Einheimischen in Kontakt getreten sei. Im Rahmen der Stellungnahme wurden vom Beschwerdeführer ein Befundbericht vom XXXX .07.2018 mit der Diagnose "Depressive Episode mit Schlafstörung" unter Verschreibung einer entsprechenden Medikation übermittelt.

4. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Dem BF wurde gemäß §§ 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV) und weiters gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters wurde ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des BF gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

5. Zusammenfassend führte das BFA aus, dass die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz im Wesentlichen damit zu begründen sei, dass dem Vorbringen des Beschwerdeführers keine Asylrelevanz zuzubilligen sei. Der Beschwerdeführer habe nur oberflächliche Informationen zu den Taliban angegeben und habe auf weitere Befragung angegeben, dass er die Hilfe der Polizei nicht in Anspruch genommen habe. Dies werde von Seiten der Behörde als bedenklich eingestuft, da die Sicherheitsbehörden in Kabul sehr präsent seien und vor allem gegen mögliche Taliban Vorkommnisse vorgehen würden. Auf die Frage hin, woher er wisse, dass es sich um die Taliban gehandelt haben soll, habe der Beschwerdeführer zu Protokoll gegeben, dass er im Fernsehen deren Aussehen gesehen habe. Es werde ebenfalls als nicht nachvollziehbar angesehen, dass die angebliche Ehefrau des Beschwerdeführers weiterhin ihrem Beruf nachgehen sollte und nicht einen neuen, sicheren Beruf gesucht habe. In Gesamtbetrachtung könne das Bundesamt daher nur zur Ansicht gelangen, dass sein Vorbringen durchwegs unglaubhaft sei und somit nicht ausreiche, um Asylrelevanz zu erreichen. Der Beschwerdeführer habe angegeben, dass drei Schwestern und vier Brüder nach wie vor in der Provinz Kabul leben würden. Zumindest seine Brüder seien bereits im erwerbsfähigen Alter, weshalb von der Behörde angenommen werde, dass der Beschwerdeführer entsprechende familiäre Anknüpfungspunkte bei einer Rückkehr nach Afghanistan haben werde. Es sei darauf zu verweisen, dass der Beschwerdeführer bereits jahrelang als Hersteller von Heizöfen tätig gewesen sei und für seinen Lebensunterhalt gesorgt habe. Aus Sicht des Bundesamtes spreche somit nicht dagegen, weshalb der Beschwerdeführer dies nicht auch wieder in der Provinz Mazar-e Sharif tun könnte. Es bestehe kein Rückkehrhindernis nach Mazar-e Sharif. Zur Aktualität der Quellen, die für die Feststellungen herangezogen worden seien, werde angeführt, dass diese, soweit sich die erkennende Behörde auf Quellen älteren Datums beziehe, aufgrund der sich nicht geänderten Verhältnisse nach wie vor als aktuell bezeichnet werden könnten. Der Beschwerdeführer habe keine Angehörigen in Österreich.

6. Gegen den oben genannten Bescheid richtet sich die erhobene Beschwerde, welche fristgerecht beim BFA einlangte. In dieser wird zusammenfassend insbesondere ausgeführt, dass die Lage in Afghanistan und auch in Kabul immer noch prekär sei. Zur Sicherheitslage in Afghanistan und vor allem in Kabul wurde vom Beschwerdeführer auf die Länderberichte in Afghanistan und auf das aktualisierte Länderinformationsblatt verwiesen. Eine Abschiebung nach Afghanistan würde eine ernsthafte Bedrohung des Lebens des Beschwerdeführers infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen Konflikts mit sich bringen, weshalb dem Beschwerdeführer zumindest subsidiärer Schutz zu gewähren sei. Eine innerstaatliche Fluchtalternative stehe ihm nicht zu Verfügung, weshalb er bei einer Rückkehr in eine aussichtslose Notlage geraten könnte.

7. Am 11.03.2019 wurde durch das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung mit dem BF durchgeführt. Das BFA verzichtete auf die Teilnahme an der Verhandlung. Im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung wurde der Beschwerdeführer im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari u.a. zu seiner Identität und Herkunft, zu seinen persönlichen Lebensumständen, zu seinem Gesundheitszustand, seinen Familienangehörigen und insbesondere zu seinen Fluchtgründen und Rückkehrbefürchtungen unter Zugrundelegung der aktuellen Länderfeststellungen der Staatendokumentation mit konkreten Hinweisen auf die allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan befragt. Hierbei wiederholte der BF zusammenfassend die bereits während der Befragung durch das BFA erstatteten Ausführungen. Der Beschwerdeführer führte insbesondere aus, dass er Medikamente aufgrund von Problemen beim Einschlafen einnehme.

Zu seinen familiären Umständen befragt, erklärte der Beschwerdeführer, dass er seit Griechenland keine Informationen mehr über seine Familie habe. Sie hätten mit dem Boot weiterreisen müssen, weshalb sie vom Schlepper getrennt worden seien und der Beschwerdeführer am Festland zurückgeblieben sei und erst am nächsten Tag ein Boot nehmen habe können.

Zu seinen Lebensumständen in Österreich befragt, gab der Beschwerdeführer an, dass er keine Familie im Bundesgebiet habe, keiner Erwerbstätigkeit nachgehe und von Leistungen der Grundversorgung lebe. Er lerne Deutsch und treffe österreichische Freunde. Die Fragen, ob er in Österreich straffällig geworden oder mit Drogen in Verbindung gekommen sei, wurden vom Beschwerdeführer verneint. Er sei in einem Strafverfahren als Zeuge vorgeladen worden.

Zu seiner bisherigen Einvernahme vor dem BFA befragt, brachte der Beschwerdeführer vor, dass er im bisherigen Verfahren die Wahrheit angegeben habe und Probleme mit dem iranischen Dolmetscher gehabt habe, da dieser nicht verstanden habe, dass er Metallarbeiter sei. Er könne keine identitätsbezeugenden Dokumente vorlegen.

Zu seinen Lebensumständen im Herkunftsstaat befragt, gab der Beschwerdeführer zu Protokoll, dass er in Kabul gelebt habe und seine drei Schwestern und vier Brüder nach wie vor im Heimatland leben würden. Seine Eltern seien bereits verstorben und seine Ehefrau und seine Kinder habe er seit seiner Weiterreise in Griechenland nicht mehr gesehen. Der Beschwerdeführer gehöre der Volksgruppe der Tadschiken und der Religionszugehörigkeit der Sunniten an. Er sei in Kabul geboren und aufgewachsen und sei bis zu seiner Ausreise 2016 Metallarbeiter in der Herstellung von Öfen gewesen. Die Fragen, ob er in Afghanistan jemals durch Behörden verfolgt worden sei oder gegen ihn Übergriffe stattgefunden hätten, wurden vom Beschwerdeführer verneint. Er habe auch nie Probleme aufgrund seiner Volksgruppe oder Religion gehabt.

Zur Fluchtroute befragt, erklärte der Beschwerdeführer, dass er von Griechenland aus mit einem Rettungswagen nach Europa gefahren sei. Für die Kosten seiner Reise, die in etwa 23.000 Dollar betragen hätten, habe der Beschwerdeführer sein Auto und sein Geschäft verkauft, zudem habe er die Kaution für sein Haus zurückbekommen. Sowohl er selbst als auch sein Sohn hätten auf der Flucht nach Europa ein Mobiltelefon besessen.

Zu seinem Fluchtgrund befragt, führte der Beschwerdeführer aus, dass er als Metallarbeiter tätig gewesen sei und seine Frau für eine amerikanische Firma namens " XXXX " als Journalistin gearbeitet habe und afghanische Frauen über ihre Rechte und die Anwesenheit der Amerikaner befragt habe. Sie sei jedoch im Zuge ihrer Tätigkeit mehrere Male von den Taliban bedroht worden, was sie dem Beschwerdeführer jedoch vorenthalten habe. In weiterer Folge sei sie eine Woche nicht zur Arbeit gegangen und habe den Beschwerdeführer über die vorangegangenen Vorfälle informiert, der ihr seine Unterstützung zugesichert habe. Anschließend hätten ihn die Taliban jedoch im Geschäft aufgelauert und mit einer Pistole bedroht, ihn zu töten, falls seine Ehefrau weiterhin ihrer Arbeit nachgehe. Auf Nachfrage gab der Beschwerdeführer zu Protokoll, dass es sich lediglich um einen Täter gehandelt habe, der maskiert gewesen sei. Zu der Berufstätigkeit seiner Ehegattin befragt, erwiderte der Beschwerdeführer, dass diese studiert und sich für Frauenrechte eingesetzt habe. Bei seiner Frau handle es sich gleichzeitig um die Cousine des Beschwerdeführers. Zur Frage, wie er die Tätigkeit seiner Frau beschreiben würde, entgegnete der Beschwerdeführer, dass sie Umfragen bezüglich Frauenrechten durchgeführt und Formulare ausgefüllt habe. Befragt, wie das Mitglied der Taliban sein Geschäft gefunden hätten, erklärte der Beschwerdeführer, dass diese Gruppierung über umfassende Informationen verfüge und sein Geschäft in der näheren Umgebung bekannt sei. Auf Vorhalt, wie er sich als Analphabet mit seinem Mobiltelefon zurechtfinden könne, entgegnete der Beschwerdeführer, dass ihm von einem Freund geholfen werde.

Zur Frage, wie er sich sein Leben in Österreich vorstelle, erklärte der Beschwerdeführer, dass er die Sprache beherrschen wolle und eine Arbeitstätigkeit aufnehmen wolle. Befragt, was geschehen würde, wenn er in seine Heimat zurückkehren müsste, entgegnete der Beschwerdeführer, dass sein Leben in Gefahr sein würde, da die Brüder seiner Frau ihn töten würden, da er seine Ehefrau und Kinder im Stich gelassen habe. Befragt, ob er vor den Taliban ebenfalls Angst habe, entgegnete der Beschwerdeführer, dass diese Gruppierung bereits viele Menschen getötet habe und ihnen zahlreiche Informationen vorliegen würden. Die Frage, ob er wegen der geschilderten Vorfälle Anzeige bei den afghanischen Behörden erstattet habe, wurde vom Beschwerdeführer verneint.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung wurden vom Beschwerdeführer eine Teilnahmebestätigung vom 17.12.2018 über den Besuch der Bildungsveranstaltung Alpha Teil 2 für AsylwerberInnen, zwei Empfehlungsschreiben sowie Fotos mit Abbildungen der Ehefrau und der Kinder des Beschwerdeführers sowie ein Befundbericht eines Arztes für Allgemeinmedizin vom 28.02.2019 mit den Diagnosen "chronische Pharyngitis" (Entzündung der Rachenschleimhaut) und Depressive Episode mit Schlafstörung mit dazugehöriger Verordnung von Arzneien zur Vorlage gebracht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan, ist in der Stadt Kabul geboren und aufgewachsen und gehört der Volksgruppe der Tadschiken an. Seine Identität steht nicht fest. Der Beschwerdeführer hat keine Schule besucht und seinen Lebensunterhalt durch die Herstellung von Heizöfen verdient. Die Geschwister des Beschwerdeführers leben nach wie vor im Herkunftsstaat, der Beschwerdeführer steht mit diesen in telefonischen Kontakt. Der Beschwerdeführer ist verheiratet und hat drei Kinder. Der Aufenthaltsort der Ehefrau und der Kinder des Beschwerdeführers ist unbekannt.

Der Beschwerdeführer hält sich seit Oktober 2016 im Bundesgebiet auf. Bei dem Beschwerdeführer handelt es sich um einen gesunden Mann im arbeitsfähigen Alter. Dem Beschwerdeführer ist eine Teilnahme am Erwerbsleben im Herkunftsstaat zumutbar.

Der Beschwerdeführer lebt in Österreich zum überwiegenden Teil aus den Mitteln der Grundversorgung und ist nicht selbsterhaltungsfähig.

Der Beschwerdeführer leidet an keinen schweren körperlichen oder psychischen Erkrankungen. Der Beschwerdeführer leidet an Depressionen und nimmt diesbezüglich Medikamente ein.

Der Beschwerdeführer hat in Österreich keine Personen, zu denen ein besonders zu berücksichtigendes Nahe - bzw. Abhängigkeitsverhältnis besteht.

Der strafrechtlich unbescholtene Beschwerdeführer ist seit seiner Antragstellung durchgehend ausschließlich nur auf Grund des vorläufigen Aufenthaltsrechts während des Asylverfahrens rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig.

Das Bestehen von besonderen Gründen, die für ein Verbleiben des Beschwerdeführers im Bundesgebiet sprechen, sind dem vorliegenden Verwaltungsakt nicht zu entnehmen.

Das Vorliegen einer insgesamt besonders berücksichtigungswürdigen Integration in Österreich kann in casu nicht festgestellt werden.

1.2. Zu den angegebenen Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer war in Afghanistan keiner konkreten ihn persönlich, unmittelbar betreffenden asylrechtlich relevanten individuellen Verfolgung ausgesetzt und wurden von ihm asylrelevante Gründe für das Verlassen des Heimatstaates Afghanistan insgesamt glaubhaft nicht dargetan.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer Afghanistan aufgrund einer unmittelbaren Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verlassen hat.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht wäre.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer wegen der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Tadschiken konkret und individuell bedroht wurde oder bei einer Rückkehr bedroht wird bzw. dass jedem Angehörigen der Volksgruppe der Tadschiken physische und/oder psychische Gewalt in Afghanistan droht.

Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer aufgrund der Tatsache, dass er nunmehr in Europa gelebt hat, konkret und individuell bzw. dass jedem afghanischen Rückkehrer aus Europa physische und/oder psychische Gewalt in Afghanistan droht.

Das Vorliegen einer den Beschwerdeführer unmittelbar und konkret betreffenden asylrechtlich relevanten Gefährdung in Afghanistan konnte dieser insgesamt glaubhaft und nachvollziehbar nicht darlegen, bzw. wurde das Vorliegen einer solchen insgesamt nicht dargelegt.

1.3 Zur Rückkehrsituation

Der Beschwerdeführer ist im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan keinen unmittelbar individuell gegen ihn gerichteten physischen und/oder psychischen Gewalthandlungen ausgesetzt.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Niederlassung insbesondere in der Stadt Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat, besteht für den Beschwerdeführer als arbeitsfähigen Mann im berufsfähigen Alter ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf keine berücksichtigungswürdige Bedrohungssituation, bzw. läuft dieser dort auch nicht in Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

Das BFA hat ein insgesamt mängelfreies Verfahren durchgeführt. Die belangte Behörde ist im gegenständlichen Verfahren ihrer Ermittlungspflicht durch die Vornahme einer detaillierten Befragung nachgekommen und dem angefochtenen Bescheid ist ein im vorliegenden Verwaltungsakt dokumentiert umfassendes Ermittlungsverfahren vorangegangen. Der Sachverhalt wurde unter schlüssiger Beweiswürdigung des Bundesamtes festgestellt und rechtlich korrekt durch das BFA gewürdigt.

In der Beschwerde konnten glaubhaft keine wesentlichen, bzw. verfahrensrelevant neuen Sachverhaltselemente glaubhaft bzw. substantiiert begründet dargelegt werden, welche geeignet wären, die von der belangten Behörde getroffenen Entscheidungen grundlegend in Frage zu stellen.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Niederlassung insbesondere in der Stadt Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat besteht für den BF als arbeitsfähigen Mann im berufsfähigen Alter ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf keine berücksichtigungswürdige Bedrohungssituation, bzw. läuft dieser dort auch nicht in Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

Die Städte Kabul, Mazar - e Sharif als auch Herat sind über internationale Flughäfen erreichbar.

Der strafrechtlich unbescholtene BF ist seit seiner Antragstellung durchgehend ausschließlich nur auf Grund des vorläufigen Aufenthaltsrechts während des Asylverfahrens rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig. Der BF verfügt über Deutschkenntnisse; er hat in Österreich Deutschkurse besucht. Das Bestehen von besonderen Gründen, die für ein Verbleiben des BF im Bundesgebiet sprechen, sind dem vorliegenden Verwaltungsakt nicht zu entnehmen. Das Vorliegen einer insgesamt besonders berücksichtigungswürdigen Integration in Österreich kann in casu nicht festgestellt werden.

1.3. Zur Situation im Herkunftsstaat wird Folgendes festgestellt:

(gekürzt und zusammengefasst durch das BVwG)

Allgemeine Sicherheitslage und sicherheitsrelevante Vorfälle

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil. Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum 16.8.2018 - 15.11.2018 5.854 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 2% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 5% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (63%) aus. Selbstmordanschläge gingen um 37% zurück, was möglicherweise an erfolgreichen Bekämpfungsmaßnahmen in Kabul-Stadt und Jalalabad liegt. Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Streitkräfte stiegen um 25%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten. In der Provinz Kandahar entstand die Befürchtung, die Sicherheitsbedingungen könnten sich verschlechtern, nachdem der Polizeichef der Provinz und der Leiter des National Directorate for Security (NDS) im Oktober 2018 ermordet worden waren (UNGASC 7.12.2018). Gemäß dem Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (SIGAR) fanden bis Oktober 2018 die meisten Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen in den Provinzen Badghis, Farah, Faryab, Ghazni, Helmand, Kandahar, Uruzgan und Herat statt. Von Oktober bis Dezember 2018 verzeichneten Farah, Helmand und Faryab die höchste Anzahl regierungsfeindlicher Angriffe (SIGAR 30.1.2019).

Nach dem Taliban-Angriff auf Ghazni-Stadt im August 2018, bestand weiterhin die Befürchtung, dass die Taliban großangelegte Angriffe im Südosten des Landes verüben könnten. Dies war zwar nicht der Fall, dennoch setzten Talibankämpfer die afghanischen Sicherheitskräfte am Stadtrand von Ghazni, in Distrikten entlang des Highway One nach Kabul und durch die Einnahme des Distrikts Andar in Ghazni im Oktober weiterhin unter Druck. Im Westen der Provinz Ghazni, wo die ethnische Gruppierung der Hazara eine Mehrheit bildet, verschlechterten sich die Sicherheitsbedingungen wegen großangelegter Angriffe der Taliban, was im November zur Vertreibung zahlreicher Personen führte. In Folge eines weiteren Angriffs der Taliban im Distrikt Khas Uruzgan der Provinz Uruzgan im selben Monat wurden ebenfalls zahlreiche Hazara-Familien vertrieben. Des Weiteren nahmen Talibankämpfer in verschiedenen Regionen vorübergehend strategische Positionen entlang der Hauptstraßen ein und behinderten somit die Bewegungsfreiheit zwischen den betroffenen Provinzen. Beispiele dafür sind Angriffe entlang Hauptstraßen nach Kabul in den Distrikten Daymirdad und Sayyidabad in Wardak, der Route Mazar - Shirbingham und Maimana - Andkhoy in den nördlichen Provinzen Faryab, Jawzjan und Balkh und der Route Herat - Qala-e-Naw im westlichen Herat und Badghis (UNGASC 7.12.2018). Trotz verschiedener Kampfhandlungen und Bedrohungen blieben mit Stand Dezember 2018 gemäß SIGAR die Provinzzentren aller afghanischen Provinzen unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.1.2019).

Im Laufe des Wahlregistrierungsprozesses und während der Wahl am 20. und am 21. Oktober wurden zahlreiche sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, welche durch die Taliban und den Islamischen Staat - Provinz Khorasan (ISKP) beansprucht wurden (UNGASC 7.12.2018; vgl. UNAMA 10.10.2018, UNAMA 11.2018). Während der Wahl in der Provinz Kandahar, die wegen Sicherheitsbedenken auf den 27. Oktober verschoben worden war, wurden keine sicherheitsrelevanten Vorfälle registriert. Die afghanischen Sicherheitskräfte entdeckten und entschärften einige IED [Improvised Explosive Devices - Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen] in Kandahar-Stadt und den naheliegenden Distrikten (UNAMA 11.2018). Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) hatte zwischen 1.1.2018 und 30.9.2018 im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen insgesamt 366 zivile Opfer (126 Tote und 240 Verletzte) registriert (UNAMA 10.10.2018). Am offiziellen Wahltag, dem 20. Oktober, wurden 388 zivile Opfer (52 Tote und 336 Verletzte) registriert, darunter 117 Kinder (21 Tote und 96 Verletzte) und 48 Frauen (2 Tote und 46 Verletzte). Am folgenden Wahltag, dem 21. Oktober, wurden 47 weitere zivile Opfer (4 Tote und 43 Verletzte) verzeichnet, inklusive 17 Kinder (2 Tote und 15 Verletzte) und Frauen (3 Verletzte). Diese Zahlen beinhalten auch Opfer innerhalb der Afghan National Police (ANP) und der Independet Electoral Commission (IEC) (UNAMA 11.2018). Die am 20. Oktober am meisten von sicherheitsrelevanten Vorfällen betroffenen Städte waren Kunduz und Kabul. Auch wenn die Taliban in den von ihnen kontrollierten oder beeinflussten Regionen die Wählerschaft daran hinderten, am Wahlprozess teilzunehmen, konnten sie die Wahl in städtischen Gebieten dennoch nicht wesentlich beeinträchtigen (trotz der hohen Anzahl von Sicherheitsvorfällen) (UNGASC 7.12.2018).

Die Regierung kontrolliert bzw. beeinflusst - laut Angaben der Resolute Support (RS) Mission - mit Stand 22.10.2018 53,8% der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 bedeutet. 33,9% der Distrikte sind umkämpft und 12,3% befinden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 63,5% der Bevölkerung leben in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befinden; 10,8% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 25,6% leben in umkämpften Gebieten. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Kontrolle bzw. Einfluss von Aufständischen sind Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).

Der ISKP ist weiterhin im Osten des Landes präsent und bekennt sich zu Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen in Nangarhar und zu sechs Angriffen in Kabul-Stadt. Des Weiteren finden in den Provinzen Nangarhar und Kunar weiterhin Kämpfe zwischen ISKP- und Talibankämpfern statt. Die internationalen Streitkräfte führten Luftangriffe gegen den ISKP in den Distrikten Deh Bala, Achin, Khogyani, Nazyan und Chaparhar der Provinz Nangarhar aus (UNGASC 7.12.2018).

Zivile Opfer

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte), eine allgemeine Steigerung von 5% sowie eine Steigerung der Zahl der Toten um 11% gegenüber dem Vorjahreswert. 42% der zivilen Opfer (4.627 Opfer;

1.361 Tote und 3.266 Verletzte) wurden durch IED im Zuge von Anschlägen und Selbstmordanschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich ISKP) verursacht. Die Anzahl der Selbstmordanschläge unter Einsatz von IED stieg dabei um 22% und erreichte somit einen Rekordwert. Diese Art von Anschlägen verursachte 26% aller zivilen Opfer, während IED, die bei Nichtselbstmordanschlägen verwendet wurden, 16% der zivilen Opfer forderten. Kabul war mit insgesamt 1.866 Opfern (596 Tote und 1.270 Verletzte) die Provinz mit der höchsten Anzahl an Selbstmordanschlägen durch IED, während die Zahl der Opfer in Nangarhar mit insgesamt 1.815 (681 Tote und 1.134 Verletzte) zum ersten Mal fast die Werte von Kabul erreichte (hauptsächlich wegen des Einsatzes von IED bei Nichtselbstmordanschlägen). Kabul-Stadt verzeichnete insgesamt 1.686 zivile Opfer (554 Tote und 1.132 Verletzte) wegen komplexen und Selbstmordangriffen (UNAMA 24.2.2019).

Zusammenstöße am Boden (hauptsächlich zwischen regierungsfreundlichen und regierungsfeindlichen Gruppierungen) verursachten 31% der zivilen Opfer (insgesamt 3.382; davon 814 Tote und 2.568 Verletzte), was einen Rückgang um 3% im Vergleich mit dem Vorjahreswert bedeutet. Grund dafür war der Versuch regierungsfreundlicher Gruppierungen, die zivile Bevölkerung zu schonen. Die Verlagerung der Kämpfe in dünn besiedelte Gebiete, die Vorwarnung der lokalen Zivilbevölkerung bei Kampfhandlungen und die Implementierung von Strategien zum Schutz der Bevölkerung waren einige der bestimmenden Faktoren für den Rückgang bei zivilen Opfern. Jedoch ist die Opferzahl bei gezielt gegen die Zivilbevölkerung gerichteten komplexen Angriffen und

Selbstmordanschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen gestiegen (plus 48% gegenüber 2017; 4.125 Opfer insgesamt, davon 1.404 Tote und 2.721 Verletzte). Sowohl der ISKP als auch die Taliban griffen gezielt Zivilisten an: Der ISKP war für 1.871 zivile Opfer verantwortlich, darunter waren u.a. Mitglieder der schiitischen Gemeinschaft, und die Taliban für 1.751. Obwohl die Gesamtzahl der zivilen Opfer durch gezielte Tötungen von Einzelpersonen (hauptsächlich durch Erschießung) zurückging, blieben Zivilisten inklusive religiöser Führer und Stammesältester weiterhin Ziele regierungsfeindlicher Gruppierungen. Die Gesamtzahl der durch Luftangriffe verursachten zivilen Opfer stieg im Vergleich mit dem Vorjahreswert um 61% und die Zahl der Todesopfer erreichte 82%. 9% aller zivilen Opfer wurden Luftangriffen (mehrheitlich der internationalen Luftwaffe) zugeschrieben, der höchste Wert seit 2009 (UNAMA 24.2.2019).

Regierungsfeindliche Gruppierungen waren im UNAMA-Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) für 6.980 zivile Opfer (2.243 Tote und 4.737 Verletzte) verantwortlich. Das entspricht 63% der gesamten zivilen Opfer. 37% davon werden den Taliban, 20% dem ISKP und 6% unbestimmten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben. Im Laufe des Jahres 2018 wurden vermehrt Anschläge gegen Bildungseinrichtungen verzeichnet, meist durch Talibankämpfer, da in Schulen Registrierungs- und Wahlzentren untergebracht waren. Der ISKP attackierte und bedrohte Bildungseinrichtungen als Reaktion auf militärische Operationen afghanischer und internationaler Streitkräfte. UNAMA berichtet auch über anhaltende Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen, welche Auswirkungen auf einen Großteil der zivilen Bevölkerung haben. Trotzdem die Taliban nach eigenen Angaben Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung ergriffen haben, attackierten diese weiterhin Zivilisten, zivile Einrichtungen und regierungsfreundliche Gruppierungen in Zivilgebieten (UNAMA 24.2.2019).

Ungefähr 24% der zivilen Opfer (2.612, davon 1.185 Tote und 1.427 Verletzte), werden regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben: 14% den afghanischen

Sicherheitskräften, 6% den internationalen Streitkräften und 4% unbestimmten regierungsfreundlichen Gruppierungen. Die Steigerung um 4% gegenüber dem Vorjahr geht auf Luftangriffe der internationalen Streitkräfte und Fahndungsaktionen der afghanischen Sicherheitskräfte und regierungsfreundlicher Gruppierungen zurück (UNAMA 24.2.2019).

Die verbleibenden 13% der verzeichneten zivilen Opfer wurden im Kreuzfeuer während Zusammenstößen am Boden (10%), durch Beschuss aus Pakistan (1%) und durch die Explosion von Blindgängern verursacht (UNAMA 24.2.2019).

Quellen:

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https://www.albawaba.com/news/dozens-afghan-soldiers-killed-ghazni-clashes-taliban-1174140, Zugriff 21.8.2018

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AJ - Al Jazeera (23.7.2018): Several dead in Kabul suicide blast as exiled VP Dostum returns,

https://www.aljazeera.com/news/2018/07/blast-heard-kabul-airport-exiled-vp-dostrum-returns-180722123819595.html, Zugriff 20.8.2018

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ANSA - Agenzia Nazionale Stampa Associata (13.8.2018): Afghanistan:

a Ghazni 120 morti,

http://www.ansa.it/sito/notizie/mondo/asia/2018/08/13/afghanistan-a-ghazni-120-morti_695579f5-407b-4e4f-8814-afcd60397435.html, Zugriff 21.8.2018

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BZ - Berliner Zeitung (15.8.2018): Erneute Attacken Mindestens 40 Tote bei Taliban-Angriffen in Afghanistan, https://www.berliner-zeitung.de/politik/erneute-attacken-mindestens-40-tote-bei-taliban-angriffen-in-afghanistan-31111842, Zugriff 21.8.2018

CBS - CBS News (14.8.2018): Taliban overruns Afghan base, killing 17 soldiers,

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DS - Der Standard (13.8.2018): Taliban töten mindestens 100 Sicherheitskräfte in afghanischer Stadt Ghazni, https://derstandard.at/2000085221814/Dutzende-Tote-bei-Gefechten-um-ostafghanische-Stadt-Ghazni, Zugriff 21.8.2018

FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (3.8.2018): Totei bei Angriff auf Schiiten-Moschee,

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NZZ - Neue Zürcher Zeitung (16.8.2018): Bewaffnete greifen Geheimdienst-Einrichtung in Kabul an, https://www.nzz.ch/international/dutzende-tote-bei-selbstmordanschlag-in-kabul-ld.1411834, Zugriff 20.8.2018

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Repubblica (13.8.2018): Afghanistan, Ghazni sotto assedio da quattro giorni,

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Reuters (3.8.2018): Suicide bomb attack on Afghan Shi'ite mosque kills 39, 80 injured,

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SI - Sicurezza Internazionale (4.8.2018): Afghanistan: attentato Isis moschea schiita, 39 morti e 80 feriti, http://sicurezzainternazionale.luiss.it/2018/08/04/afghanistan-attentato-moschea-sciita-39-morti-80-feriti/, Zugriff 21.8.2018

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Tolonews (19.8.2018): Ghani Announces Conditional Ceasefire, https://www.tolonews.com/afghanistan/ghani-announces-conditional-ceasefire, Zugriff 22.8.2018

Tolonews (12.8.2018): 17 Soldiers Killed in Faryab Army Base Attack, https://www.tolonews.com/afghanistan/17-soldiers-killed-faryab%C2%A0army-base-attack, Zugriff 21.8.2018

Xinhua - Xinhuanet (15.8.2018): Life returns normal in Ghazni city as Afghan forces drive out militants, http://www.xinhuanet.com/english/2018-08/15/c_137392677_2.htm, Zugriff 21.8.2018

ZO - Zeit Online(15.8.2018): Viele Tote und Verletzte bei Anschlag in Kabul,

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Politische Lage

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung ausgearbeitet und im Jahr 2004 angenommen (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. Casolino 2011). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahr 1964. Bei der Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015).

Nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2014 einigten sich die beiden Kandidaten Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah Mitte 2014 auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) (AM 2015; vgl. DW 30.9.2014). Mit dem RNE-Abkommen vom 21.9.2014 wurde neben dem Amt des Präsidenten der Posten des CEO (Chief Executive Officer) eingeführt, dessen Befugnisse jenen eines Premierministers entsprechen. Über die genaue Gestalt und Institutionalisierung des Postens des CEO muss noch eine loya jirga [Anm.: größte nationale Versammlung zur Klärung von wichtigen politischen bzw. verfassungsrelevanten Fragen] entscheiden (AAN 13.2.2015; vgl. AAN o. D.), doch die Einberufung einer loya jirga hängt von der Abhaltung von Wahlen ab (CRS 13.12.2017).

Die afghanische Innenpolitik war daraufhin von langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Regierungslagern unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah geprägt. Kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 wurden schließlich alle Ministerämter besetzt (AA 9.2016).

Parlament und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus dem Unterhaus, auch wolesi jirga, "Kammer des Volkes", genannt, und dem Oberhaus, meshrano jirga auch "Ältestenrat" oder "Senat" genannt. Das Unterhaus hat 250 Sitze, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz im Unterhaus reserviert (AAN 22.1.2017; vgl. USDOS 20.4.2018, USDOS 15.8.2017, CRS 13.12.2017, Casolino 2011). Die Mitglieder des Unterhauses haben ein Mandat von fünf Jahren (Casolino 2011). Die verfassungsmäßigen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von ca. 25% im Unterhaus (AAN 22.1.2017).

Das Oberhaus umfasst 102 Sitze (IPU 27.2.2018). Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Das verbleibende Drittel, wovon 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst. Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für behinderte Personen bestimmt. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 20.4.2018; vgl. USDOS 15.8.2017).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Zugleich nutzt das Parlament seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z.T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die RNE als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leider die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 5.2018).

Die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen konnten wegen ausstehender Wahlrechtsreformen nicht am geplanten Termin abgehalten werden. Daher bleibt das bestehende Parlament weiterhin im Amt (AA 9.2016; vgl. CRS 12.1.2017). Im September 2016 wurde das neue Wahlgesetz verabschiedet und Anfang April 2018 wurde von der unabhängigen Wahlkommission (IEC) der 20. Oktober 2018 als neuer Wahltermin festgelegt. Gleichzeitig sollen auch die Distriktwahlen stattfinden (AAN 12.4.2018; vgl. AAN 22.1.2017, AAN 18.12.2016).

Parteien

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 15.8.2017). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (AE o. D.). Der Terminus "Partei" umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einer Anzahl von ihnen war es möglich, die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen (USIP 3.2015).

Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren, denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen traditionell mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des sich noch entwickelnden Parteiensystems ist auf strukturelle Elemente (wie z.B. das Fehlen eines Parteienfinanzierungsgesetzes) zurückzuführen sowie auf eine allgemeine Skepsis der Bevölkerung und der Medien. Reformversuche sind im Gange, werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen immer wieder gestört, etwa durch das Unterhaus selbst (AA 9.2016). Ein hoher Grad an Fragmentierung sowie eine Ausrichtung auf Führungspersönlichkeiten sind charakteristische Merkmale der afghanischen Parteienlandschaft (AAN 6.5.2018).

Mit Stand Mai 2018 waren 74 Parteien beim Justizministerium (MoJ) registriert (AAN 6.5.2018).

Parteienlandschaft und Opposition

Nach zweijährigen Verhandlungen unterzeichneten im September 2016 Vertreter der afghanischen Regierung und der Hezb-e Islami ein Abkommen (CRS 12.1.2017), das letzterer Immunität für "vergangene politische und militärische" Taten zusichert. Dafür verpflichtete sich die Gruppe, alle militärischen Aktivitäten einzustellen (DW 29.9.2016). Das Abkommen beinhaltete unter anderem die Möglichkeit eines Regierungspostens für den historischen Anführer der Hezb-e-Islami, Gulbuddin Hekmatyar; auch soll sich die afghanische Regierung bemühen, internationale Sanktionen gegen Hekmatyar aufheben zu lassen (CRS 12.1.2017). Tatsächlich wurde dieser im Februar 2017 von der Sanktionsliste des UN-Sicherheitsrates gestrichen (AAN 3.5.2017). Am 4.5.2017 kehrte Hekmatyar nach Kabul zurück (AAN 4.5.2017). Die Rückkehr Hekmatyars führte u.a. zu parteiinternen Spannungen, da nicht alle Fraktionen innerhalb der Hezb-e Islami mit der aus dem Friedensabkommen von 2016 erwachsenen Verpflichtung sich unter Hekmatyars Führung wiederzuvereinigen, einverstanden sind (AAN 25.11.2017; vgl. Tolonews 19.12.2017, AAN 6.5.2018). Der innerparteiliche Konflikt dauert weiter an (Tolonews 14.3.2018).

Ende Juni 2017 gründeten Vertreter der Jamiat-e Islami-Partei unter Salahuddin Rabbani und Atta Muhammad Noor, der Jombesh-e Melli-ye Islami-Partei unter Abdul Rashid Dostum und der Hezb-e Wahdat-e Mardom-Partei unter Mardom Muhammad Mohaqeq die semi-oppositionelle "Coalition for the Salvation of Afghanistan", auch "Ankara Coalition" genannt. Diese Koalition besteht aus drei großen politischen Parteien mit starker ethnischer Unterstützung (jeweils Tadschiken, Usbeken und Hazara) (AB 18.11.2017; vgl. AAN 6.5.2018).

Unterstützer des weiterhin politisch tätigen ehemaligen Präsidenten Hamid Karzai gründeten im Oktober 2017 eine neue politische Bewegung, die Mehwar-e Mardom-e Afghanistan (The People's Axis of Afghanistan), unter der inoffiziellen Führung von Rahmatullah Nabil, des ehemaligen Chefs des afghanischen Geheimdienstes (NDS). Später distanzierten sich die Mitglieder der Bewegung von den politischen Ansichten Hamid Karzais (AAN 6.5.2018; vgl. AAN 11.10.2017).

Anwarul Haq Ahadi, der langjährige Anführer der Afghan Mellat, eine der ältesten Parteien Afghanistans, verbündete sich mit der ehemaligen Mujahedin-Partei Harakat-e Enqilab-e Eslami-e Afghanistan. Gemeinsam nehmen diese beiden Parteien am New National Front of Afghanistan teil (NNF), eine der kritischsten Oppositionsgruppierungen in Afghanistan (AAN 6.5.2018; vgl. AB 29.5.2017).

Eine weitere Oppositionspartei ist die Hezb-e Kongara-ya Melli-ye Afghanistan (The National Congress Party of Afghanistan) unter der Führung von Abdul Latif Pedram (AB 15.1.2016; vgl. AB 29.5.2017).

Auch wurde die linksorientierte Hezb-e-Watan-Partei (The Fatherland Party) wieder ins Leben gerufen, mit der Absicht, ein wichtiges Segment der ehemaligen linken Kräfte in Afghanistan zusammenzubringen (AAN 6.5.2018; vgl. AAN 21.8.2017).

Friedens- und Versöhnungsprozess

Am 28. Februar 2018 machte Afghanistans Präsident Ashraf Ghani den Taliban ein Friedensangebot (NYT 11.3.2018; vgl. TS 28.2.2018). Die Annahme des Angebots durch die Taliban würde, so Ghani, diesen verschiedene Garantien gewähren, wie eine Amnestie, die Anerkennung der Taliban-Bewegung als politische Partei, eine Abänderung der Verfassung und die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Anführer (TD 7.3.2018). Quellen zufolge wird die Annahme bzw. Ablehnung des Angebots derzeit in den Rängen der Taliban diskutiert (Tolonews 16.4.2018; vgl. Tolonews 11.4.2018). Anfang 2018 fanden zwei Friedenskonferenzen zur Sicherheitslage in Afghanistan statt: die zweite Runde des Kabuler Prozesses [Anm.: von der afghanischen Regierung ins Leben gerufene Friedenskonferenz mit internationaler Beteiligung] und die Friedenskonferenz in Taschkent (TD 24.3.2018; vgl. TD 7.3.2018, NZZ 28.2.2018). Anfang April rief Staatspräsident Ghani die Taliban dazu auf, sich für die Parlamentswahlen im Oktober 2018 als politische Gruppierung registrieren zu lassen, was von diesen jedoch abgelehnt wurde (Tolonews 16.4.2018). Ende April 2018 kam es in diesem Zusammenhang zu Angriffen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich des IS, aber auch der Taliban) auf mit der Wahlregistrierung betraute Behörden in verschiedenen Provinzen (vgl. Kapitel 3. "Sicherheitslage").

Am 19.5.2018 erklärten die Taliban, sie würden keine Mitglieder afghanischer Sicherheitskräfte mehr angreifen, wenn diese ihre Truppen verlassen würden, und gewährten ihnen somit eine "Amnestie". In ihrer Stellungnahme erklärten die Aufständischen, dass das Ziel ihrer Frühlingsoffensive Amerika und ihre Alliierten seien (AJ 19.5.2018).

Am 7.6.2018 verkündete Präsident Ashraf Ghani einen Waffenstillstand mit den Taliban für den Zeitraum 12.6.2018 - 20.6.2018. Die Erklärung erfolgte, nachdem sich am 4.6.2018 über 2.000 Religionsgelehrte aus ganz Afghanistan in Kabul versammelt hatten und eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aussprachen (Tolonews 7.6.2018; vgl. Reuters 7.6.2018, RFL/RL 5.6.2018). Durch die Fatwa wurden Selbstmordanschläge für ungesetzlich (nach islamischem Recht, Anm.) erklärt und die Taliban dazu aufgerufen, den Friedensprozess zu unterstützen (Reuters 5.6.2018). Die Taliban selbst gingen am 9.6.2018 auf das Angebot ein und erklärten einen Waffenstillstand von drei Tagen (die ersten drei Tage des Eid-Fests, Anm.). Der Waffenstillstand würde sich jedoch nicht auf die ausländischen Sicherheitskräfte beziehen; auch würden sich die Taliban im Falle eines militärischen Angriffs verteidigen (HDN 10.6.2018; vgl. TH 10.6.2018, Tolonews 9.6.2018).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (5.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/document/1434081.html, Zugriff 4.6.2018

-

AA - Auswärtiges Amt (9.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/file/local/1253781/4598_1478857553_3-deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-afghanistan-19-10-2016.pdf, Zugriff 23.4.2018

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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