TE Bvwg Erkenntnis 2019/10/18 W279 2188867-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 18.10.2019
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Entscheidungsdatum

18.10.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W279 2188867-1/15E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. KOREN als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX 1995, StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX 09.2018, Zl XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 06.03.2019, zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (BF) stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das österreichische Bundesgebiet am XXXX 11.2015 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 24/2016BF.

2. Bei der mit einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes durchgeführten Erstbefragung des Beschwerdeführers am XXXX 12.2015 führte dieser zu seinem Fluchtgrund befragt zusammenfassend aus, dass er Afghanistan verlassen habe, da er vom islamischen Emirat bedroht worden sei. Er habe nach Abschluss einer Fachausbildung in der Apotheke mit seinem Vater zusammengearbeitet und sich auf Suchtmittel spezialisiert, da sein Bruder vor fünf Jahre an Drogen gestorben sei. Seine Aufgabe sei gewesen, den Anbau von Drogen zu verhindern, was den Interessen der Taliban jedoch widersprochen habe, woraufhin sie den Beschwerdeführer bedroht hätten. Auf Anraten seines Vaters habe er daher das Land verlassen. Bei einer Rückkehr fürchte er, von den Taliban verfolgt und bedroht zu werden. Zu seinen Lebensumständen im Herkunftsstaat befragt, erklärte der Beschwerdeführer, dass er aus der Provinz Ghazni stamme und sein Vater und seine Schwester nach wie vor in Afghanistan wohnhaft seien.

3. Am XXXX 11.2017 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: "BFA" genannt), im Asylverfahren niederschriftlich einvernommen. Dabei führte er zusammenfassend aus, dass er gesund sei und keine Medikamente einnehme. Er habe im bisherigen Verfahren die Wahrheit angegeben und sei in Kabul geboren worden. Vor seiner Ausreise habe er ca. acht oder neun Jahre in einem Haus in Ghazni gewohnt und in Kabul eine Ausbildung gemacht. Der Beschwerdeführer gehöre der Volksgruppe der Tadschiken und der Religionszugehörigkeit der Sunniten an und habe in Afghanistan nie Probleme wegen seiner Religions-oder Volksgruppenzugehörigkeit gehabt. Er spreche sowohl Dari, Farsi, Paschtu als auch Englisch und Deutsch und habe im Heimatstaat 14 Jahre Schulen besucht. Der Beschwerdeführer habe seinen Lebensunterhalt nach Ableistung seiner Schulzeit durch seine Mithilfe im Geschäft seines Vaters verdient. Zur Frage, was seine genaue Aufgabe gewesen sei, entgegnete der Beschwerdeführer, dass sein Vater Landwirtschaftsartikel einschließlich Traktoren verkauft habe, er die genauen Markenbezeichnungen jedoch nicht wisse. Befragt, ob er Kontakt zu seinen Familienangehörigen im Herkunftsstaat habe, erklärte der Beschwerdeführer, dass er mit diesen über das Internet in Kontakt stehe und es ihnen gut gehe. Sein Vater und seine Schwester seien nach wie vor in der Provinz Ghazni aufhältig. Die Mehrheit seiner Verwandten würden sich in Kabul, Mazar-e Sharif und Ghazni befinden und er stehe auch zu in Kabul ansässigen Familienmitgliedern noch in Kontakt. Zur Frage, ob seine Familienmitglieder in Afghanistan Besitztümer hätten, erwiderte der Beschwerdeführer, dass sie ein Grundstück, ein Haus und eine Mietwohnung gehabt hätten. Die Fragen, ob er in Afghanistan politisch oder religiös tätig gewesen sei, Probleme mit afghanischen Behörden, Gerichten oder der Polizei gehabt habe oder gerichtlich verurteilt worden sei, wurden von ihm verneint. Er sei seit XXXX 11.2015 in Österreich aufhältig.

Zum Fluchtgrund befragt, führte der Beschwerdeführer aus, dass sein Bruder bereits vor sieben Jahren wegen Drogenproblemen gestorben sei und seine Mutter kurze Zeit später auch krank geworden und gestorben sei. Nach Abschluss einer landwirtschaftlichen Schule habe sich der Beschwerdeführer gegen den Anbau von Drogen eingesetzt und in verschiedenen Distrikten Aufklärungsarbeit geleistet. Da die Taliban jedoch für den Drogenanbau verantwortlich seien, hätten sie seine Arbeit jedoch verhindern wollen und seinem Vater Drohbriefe übermittelt, welche dieser dem Beschwerdeführer jedoch vorenthalten habe. Eines Tages habe der Beschwerdeführer jedoch bemerkt, dass sein Vater ihm mithilfe eines Freundes ein iranisches Visum sowie ein Flugticket besorgt habe. Nach einem zweitägigen Aufenthalt im Iran sei er schlepperunterstützt in die Türkei und in weiterer Folge nach Europa gereist. Auf Aufforderung, die Koknar-Pflanze zu beschreiben, entgegnete der Beschwerdeführer, dass diese hauptsächlich im Süden angepflanzt werde, wo die Taliban an der Macht sei. Die Farbe der Pflanze sei hellrosa und viele Arme würden die Milch der Pflanze gegen Bezahlung einer geringen Geldleistung abzweigen. Wie die Droge konkret gewonnen werde, könne der Beschwerdeführer nicht angeben. Befragt, ob er selbst auch Tätigkeiten gegen den Drogenanbau im Auftrag eines Anderen durchgeführt habe oder selbstständig tätig gewesen sei, erwiderte der Beschwerdeführer, dass er eigenständig im Namen des Geschäfts seines Vaters tätig gewesen sei. Hauptberuflich habe er Werbung für das Geschäft gemacht und sich einmal in der Woche gegen Drogenanbau engagiert und an verschiedenen Orten Seminare gehalten. Seine Seminare seien dreiteilig gewesen, der erste Teil sei Werbung für das Geschäft gewesen, der zweite Teil seien allgemeine Ausführungen über die Verbreitung Drogen gewesen und der dritte Teil habe die Konsequenzen von Drogenmissbrauch umfasst. Zur Frage, wann und wie sein Vater den Drohbrief der Taliban erhalten habe, erklärte der Beschwerdeführer, dass er dies nicht erfragt habe. Er könne auch den Inhalt des Briefs oder den Adressaten nicht genau wiedergeben, da er die Schriftart nicht lesen könne. Im Allgemeinen würden die Taliban den Beschwerdeführer im Brief jedoch auffordern, seine Arbeitstätigkeit zu beenden. Auf Vorhalt, wie er den Inhalt wissen könne, obwohl er nicht fähig sei, die Schriftart zu verstehen, erwiderte der Beschwerdeführer, dass er zwar mache Wörter darin nicht verstehe, aber den Kontext im Zusammenhang verstehe. Zudem habe er neben dem Erhalt des Briefes auch über dritte Personen Drohungen erhalten. Zum weiteren Vorhalt, dass man in Afghanistan auf dem Schwarzmarkt auf einfache Weise falsche Drohbriefe erhalten könne, entgegnete der Beschwerdeführer, dass der Brief gestempelt und daher echt sei. Die Fragen, ob er im Heimatland jemals direkt bedroht, verletzt oder entführt worden sei, wurden vom Beschwerdeführer verneint. Er habe sich nach Erhalt des Drohbriefes auch nicht an die Polizei gewandt und Anzeige erstattet, da man sich auf die afghanische Polizei nicht verlassen könne. Es wäre dem Beschwerdeführer jedoch möglich gewesen, sich an die örtliche Polizei in Ghazni zu wenden.

Zu seinen Lebensumständen in Österreich befragt, gab der Beschwerdeführer an, dass er seinen Lebensunterhalt von der Grundversorgung bestreite und ehrenamtlich in einem Pflegeheim gearbeitet habe. Er sei kein Mitglied in einem Verein oder einer sonstigen Organisation und lebe in keiner Lebensgemeinschaft. Zweimal in der Woche besuche er einen Deutschkurs.

Befragt, ob er die Möglichkeit gehabt hätte, sich in einen anderen Landesteil Afghanistans zu begeben, entgegnete der Beschwerdeführer, dass er in Kabul keine Wohnung finden würde. Bei seiner Rückkehr nach Afghanistan würden die Leute vermuten, dass er den Glauben gewechselt habe.

Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme wurden vom BF eine Tazkira und mehrere schulische Dokumente in Originalsprache, eine Bestätigung über die freie Mitarbeit in der Seniorenbetreuung vom 21.11.2017, eine Kursbestätigung vom 13.11.2017, wonach der Beschwerdeführer den Kurs "Star Wien, Integration" von 18.09.2017 bis einschließlich 13.11.2017 absolviert habe, eine Kurbesuchsbestätigung der Veterinärmedizinischen Universität Wien vom 13.11.2017 über die regelmäßige Teilnahme am Deutschkurs A1 und A2, eine Anmeldung für einen Deutschkurs für Anfänger vom 16.02.2017, ein Abschlusszeugnis einer landwirtschaftlichen Schule in Originalsprache und englischer Sprache sowie ein Zertifikat über die Absolvierung der Prüfung auf dem Niveau A1 vom 31.07.2017 zur Vorlage gebracht.

4. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Dem BF wurde gemäß §§ 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und weiters gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt IV.). Weiters wurde ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des BF gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

5. Zusammenfassend führte das BFA aus, dass die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz im Wesentlichen damit zu begründen sei, dass es dem Beschwerdeführer nicht gelungen sei, ein fundiertes und substantiiertes Vorbringen rund um seine etwaige Fluchtgründe darzulegen. Sein Vorbringen sei in keinster Weise geeignet gewesen, die geforderten Anforderungen zu erfüllen und sei auch mit den tatsächlichen Verhältnissen in Afghanistan nicht zu vereinbaren gewesen. Bezüglich seines Vorbringens sei anzuführen, dass er in seiner freien Erzählung von sich aus keine Einzelheiten genannt habe. Der Beschwerdeführer habe lediglich einen allgemeinen Sachverhalt geschildert und sei in seinen Angaben äußerst unkonkret und vage gewesen. Er sei nicht in der Lage gewesen, einen nachvollziehbaren Sachverhalt zu schildern, der erkennen lasse, warum er in Gefahr sein sollte. Die Angaben bezüglich seines Fluchtvorbringens seien lediglich allgemeine Schilderungen ohne jegliche Details. Der Beschwerdeführer habe zwar angegeben, dass er Drogen genommen habe und deshalb verstorben sei, welche Drogen es jedoch genau gewesen seien und weshalb er gestorben sei, sei jedoch vom Beschwerdeführer nicht zu Protokoll gegeben worden. Es sei nicht logisch, dass er während der Tätigkeit im Geschäft seines Vaters nie mitbekommen habe, welche Marken er verkauft habe. Nicht nachvollziehbar sei zudem, dass der Beschwerdeführer nicht wisse, wie Drogen gewonnen werden würden, obwohl er zuvor angegeben habe, eine landwirtschaftliche Ausbildung genossen zu haben. Weiters sei es nicht logisch nachvollziehbar, dass man nicht dem Beschwerdeführer direkt einen Drohbrief zukommen lassen sollte, sondern seinem Vater, obwohl dieser in der nicht lesbaren Schriftart Farsi verfasst sei. Besonders auffällig in Bezug auf den angeblichen Drohbrief sei jedenfalls, dass er ursprünglich angegeben habe, die Schriftart nicht lesen zu können und wenig später im Widerspruch dazu behauptet habe, er könne nun doch einige Sätze lesen und verstehen. Eine Erklärung, warum er nicht in der Lage gewesen sei, den Inhalt des Schreibens vor dem Bundesamt fließend vorzulesen, bleibe der Beschwerdeführer schuldig. Dass er seinen Vater nicht gefragt haben soll, wie er an den Brief gekommen sei, sei ebenso wenig glaubhaft wie der Umstand, dass er bis zu seiner Ausreise keine Möglichkeit gefunden haben wolle, seinen Vater zu fragen, wie er an den Brief gekommen sei. In diesem Zusammenhang dürfe auch keinesfalls unerwähnt bleiben, dass er die Frage, ob er in Afghanistan jemals persönlich bedroht, verletzt oder entführt worden sei, verneint habe. Auch wenn dem Beschwerdeführer eine Rückkehr nach Ghazni zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht zuzumuten sei, werde eine Rückkehr nach Kabul, Balkh oder Herat als möglich erachtet, zumal er ja auch über ein umfangreiches Netzwerk in Afghanistan in Form seines Vaters, seiner verheirateten Schwester und nicht zuletzt seiner Onkel und Tanten verfüge. Diese würden mit ihm auch nach wie vor in telefonischem Kontakt stehen und der Beschwerdeführer könnte bei einer Rückkehr auch durch Geldüberweisungen unterstützt werden. Es sei zudem notorisch, dass er bei einer freiwilligen Rückkehr nach negativem Verfahrensausgang Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen bzw. die Aufnahme in ein Reintegrationsprojekt beantragen könnte. Der Beschwerdeführer habe keine Angehörigen in Österreich, es bestehe daher kein Eingriff in sein Familienleben. Auch würden aus dem sonstigen Ermittlungsverfahren keine Hinweise auf familiäre Anknüpfungspunkte vorliegen und es könne daher das Vorliegen eines schützenswerten Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK nicht festgestellt werden. Der Beschwerdeführer sei in Afghanistan geboren, dort aufgewachsen und habe den überwiegenden Teil in seinem Herkunftsstaat verbracht. Es sei daher in seinem Fall davon auszugehen, dass die anhaltende Bindung zum Herkunftsstaat, der Beziehung zum Bundesgebiet gegenüberstellt, überwiegt.

6. Gegen den oben genannten Bescheid richtet sich die erhobene Beschwerde, welche fristgerecht beim BFA einlangte. In dieser wird zusammenfassend insbesondere ausgeführt, dass die Anzweifelung der Glaubwürdigkeit der belangten Behörde nicht nachvollziehbar sei, da der Beschwerdeführer während seiner Einvernahme seine Fluchtgründe möglichst detailliert und ausführlich geschildert habe. Dass die Behörde ihm das Nichtwissen der Namen der Traktoren, die verkauft worden seien, vorwerfe, sei nicht nachvollziehbar, da diese Verkäufe nicht in seinen Aufgabenbereich gefallen seien und er vielmehr mit Landwirtschaftsprodukten zu tun gehabt habe. Der Grund, wieso sich der Beschwerdeführer nicht an staatliche Behörden gewendet habe, sei jener, dass diese in Ghazni den Taliban gegenüber machtlos gewesen seien. Bezüglich der Aussage der Behörde, dass Drohbriefe leicht zu fälschen seien, habe der Beschwerdeführer angegeben, dass ein Sachverständiger die Echtheit dieses Drohbriefes feststellen könne. Eine Abschiebung nach Ghazni sei aufgrund der enorm volatilen Lage nicht möglich, aber auch aus anderen Gründen sei die Abschiebung nach Afghanistan nicht zulässig. Die derzeitige Situation in Kabul wirke sich so aus, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr einem Klima ständiger Bedrohung, struktureller Gewalt und unmittelbaren Einschränkungen sowie einer Reihe von Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt wäre.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 06.03.2019 brachte der Beschwerdeführer nach Erläuterung des bisherigen Akteninhaltes im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari auf richterliche Befragung im Wesentlichen zusammengefasst vor, dass er gesund sei und nach Erlassung des Bescheides seine Religion gewechselt habe. Zur Frage, ob er in Österreich Verwandte habe oder in einer Lebensgemeinschaft sei, entgegnete der Beschwerdeführer, dass er eine Freundin habe, mit der er jedoch nicht zusammenlebe. Seinen Alltag in Österreich verbringe er mit dem Besuch eines Deutschkurses, kochen und dem Besuch eines Fitnesscenters. Zudem helfe er im Flüchtlingsheim anderen Asylwerbern beim Lernen und habe bereits ehrenamtliche Tätigkeiten für ein Altersheim absolviert. Mit seiner in Afghanistan lebenden Familie habe er seit einem Jahr aufgrund seines Glaubenswechsels keinen Kontakt mehr. Die Fragen, ob er in Österreich straffällig geworden oder ein Opfer von Gewalt gewesen sei, wurden vom Beschwerdeführer verneint.

Zu seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl befragt, erklärte der Beschwerdeführer, dass er insgesamt bereits drei Befragungen gehabt habe und die ersten beiden Dolmetscher nicht gut verstanden habe. Ein Vertreter des BFA brachte vor, dass der Beschwerdeführer bereits öfter gefragt worden sei, ob er den Dolmetscher verstehe und dies immer bejaht worden sei. Zudem habe er angegeben, dass ihm die Erstbefragung korrekt rückübersetzt worden sei und alles, bis auf das Geburtsdatum, richtig protokolliert worden sei. Befragt, ob sich an den Gründen seiner Asylantragstellung seit Erhalt des angefochtenen Bescheides etwas geändert habe, erwiderte der Beschwerdeführer, dass er wegen der Religion keinen Kontakt mehr mit seiner Familie habe. Er könne keine identitätsbezeugenden Dokumente zur Vorlage bringen.

Zu seinen Lebensumständen in Afghanistan befragt, erklärte der Beschwerdeführer, dass er in der Provinz Kabul geboren worden sei und vor seiner Ausreise in der Provinz Ghazni gelebt habe. Im Herkunftsstaat würden nach wie vor sein Vater und seine Schwester samt ihrer Familie in Kabul leben und seine Mutter sowie sein Bruder seien bereits verstorben. Befragt, ob er mit seiner Familie in Kontakt stehe, erwiderte der Beschwerdeführer, dass die letzte Kommunikation ungefähr zu Ramadan im Juni 2018 erfolgt sei. Zur Frage, welcher Religionsgemeinschaft er angehört habe, entgegnete der Beschwerdeführer, dass er früher ein sunnitischer Moslem gewesen und nunmehr Atheist sei. Er gehöre der Volksgruppe der Tadschiken an. Auf Aufforderung, einen kurzen Lebenslauf bezüglich seiner Person zu schildern, führte der Beschwerdeführer aus, dass er in Kabul geboren sei und dort die Schule besucht habe. Nach dem Abschluss sei er in die Provinz Ghazni gegangen und habe dort die neunte Klasse abgeschlossen. In Kabul habe er eine Agrarschule absolviert und anschließend im Geschäft des Vaters gearbeitet, in welchem sie landwirtschaftliche Produkte verkauft hätten. Befragt, welche Tätigkeiten er im Geschäft des Vaters vorgenommen habe, erklärte der Beschwerdeführer, dass er Verkäufer gewesen sei und gelegentlich Pestizide wie Sulfat, Ammoniaksäure oder Eisen auf Feldern oder im Garten eingesetzt habe. Die Fragen, ob er jemals von afghanischen Behörden verfolgt worden sei oder Probleme aufgrund seiner Religion oder Volksgruppe gehabt habe, verneinte der Beschwerdeführer, gab jedoch zu Protokoll, dass es Rassismus gebe, der von den Behörden ausgehe. Tadschiken oder Hazara würden in den Schulen schlechter bewertet werden als die Volksgruppe der Paschtunen. Zur Frage, wann und wie er Drohbriefe erhalten habe, erklärte der Beschwerdeführer, dass er sich nicht genau erinnern könne, es jedoch zum islamischen Opferfest im Jahr 2015 gewesen sei. Sein Vater habe die Briefe von den Taliban erhalten.

Zur Fluchtroute befragt, gab der Beschwerdeführer zu Protokoll, dass er zunächst über Ghazni in Richtung Kabul gelangt sei. Von dort aus habe er sich auf dem Luftweg in den Iran begeben und sei anschließend schlepperunterstützt über die Türkei in Griechenland eingereist. Anschließend sei er mit dem Schlepper über Mazedonien nach Serbien und weitere Länder, die er sich nicht mehr in Erinnerung rufen könne, nach Österreich gefahren. Die gesamte Flucht habe ihm insgesamt 7.000 US-Dollar gekostet, die Geldsumme habe er von seinem Vater erhalten.

Zum Fluchtgrund befragt, führte der Beschwerdeführer aus, dass er die bisherigen Angaben aufrecht halte. Sein Bruder sei drogensüchtig gewesen, weshalb der Beschwerdeführer Agrarwissenschaften studiert habe, um sich gegen den Drogenanbau in Afghanistan einzusetzen. Nach Studienanschluss sei er im Geschäft seines Vaters tätig gewesen und habe Bauern dazu motiviert, statt Drogenanbau normales Getreide anzubauen. Da die Taliban jedoch teilweise für den Drogenanbau verantwortlich seien, hätten sie den Beschwerdeführer bedroht, damit dieser seine Maßnahmen gegen die Sucht in Zukunft unterlasse. Da sein Vater gefürchtet habe, auch seinen zweiten Sohn zu verlieren, habe er den Beschwerdeführer dazu aufgefordert, das Land zu verlassen. Auf Aufforderung, die Bedrohungen durch die Taliban konkreter zu schildern, brachte der Beschwerdeführer vor, dass er im Zuge seiner Arbeitstätigkeit zwei bis dreimal bedroht worden sei. Bei der ersten Bedrohung hätten Taliban sein Auto angehalten und beim zweiten Vorfall hätten ihn Bauern, die gute Kontakte zu den Taliban gepflegt hätten, gedroht, um seinen Einsatz gegen den Drogenanbau zu beenden. Zur Frage, wie er sich jene Bauern, mit denen er in Kontakt getreten sei, ausgesucht habe, erklärte der Beschwerdeführer, dass er für die ausgewählten Leute eine Zusammenkunft organisiert habe, die in einer Moschee oder in Gärten stattgefunden habe. Bei den Versammlungen habe sich der Beschwerdeführer direkt an die Bauern gewandt und auch Pestizide mitgenommen, um sie zu verkaufen. Auf Vorhalt eines Vertreters des BFA, dass er im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme zu Protokoll gegeben habe, niemals persönlich bedroht worden zu sein und nunmehr angebe, dass die Taliban eine Durchsuchung seines Autos vorgenommen hätten, gab der Beschwerdeführer zu Protokoll, dass das BFA ihn nicht nach einer persönlichen Bedrohung gefragt habe und überdies Probleme mit dem Dolmetscher gehabt habe.

Befragt, welchen Bezug er in seiner Kindheit zur Religion gehabt habe, gab der Beschwerdeführer an, dass seine Psyche bereits als Kind durch die islamische Religion negativ beeinflusst worden sei, da er mitansehen habe müssen, wie Tiere geschlachtet worden und verblutet seien. Zudem seien Fehler wie das Vorbeigehen an Betenden verpönt und man würde hart bestraft werden. Überdies hätten ihn islamische Friedhöfe Angst eingejagt und sein Vater habe ihn darüber aufgeklärt, dass Kinder im Alter von sieben Jahren von ihren Eltern dazu gezwungen werden müssten, zu beten. Da der Beschwerdeführer Schwierigkeiten gehabt habe, im Alter von sieben Jahren Gebete in arabischer Sprache wiederzugeben und im Zuge dessen viele Fehler gemacht habe, sei er von seinem Vater oftmals geschlagen worden. Sowohl sein Vater als auch der Imam bzw. "Vorbeter" seiner Moschee hätten betont, dass Fehler unverzeihlich seien. Sobald der Beschwerdeführer Fragen zur islamischen Religion gehabt habe und sein Vater und der Imam diese nicht beantworten hätten können, sei er geschlagen worden. Im Fach "Islamischer Glaube" habe er gelernt, dass die Frau des Propheten Mohammad bereits im Alter von neun Jahren an ihn verheiratet worden sei und Araber ihre Töchter bei lebendigem Leibe begraben hätten, weil sie keine Mädchen als Kinder gewollt hätten. Da der Beschwerdeführer im Unterricht hinterfragt habe, dass ein Prophet wie Mohammad zwar 13 Ehefrauen haben könne, währenddessen andere Araber ihre Töchter jedoch lebendig begraben würden, sei er schlecht benotet worden und habe das Schuljahr negativ abgeschlossen. Aufgrund des Umstandes, dass ihn oftmals solche Fragen beschäftigt hätten und ihm erst in Österreich der Zugang zu Lernmedien eröffnet worden sei, sodass er den Koran auf Farsi lesen habe können und daraufhin begonnen habe, dieses Werk sowie die gesamte islamische Religion zu hassen. Er habe die unterschiedlichen Suren miteinander verglichen und dabei zahlreiche Widersprüche gefunden, wie beispielsweise die unterschiedliche Schilderung der Erschaffung des Menschen, da an einer Stelle geschrieben stehe, dass Gott die Menschen aus Wasser erschaffen habe und an einer anderen Stelle die betont worden sei, dass Gott den Menschen aus Blutegel erschaffen habe und in einer weiteren Sure die Rede von einer Erschaffung der Menschen aus der Erde gewesen sei. Überdies werde in einer Passage des Korans erzählt, dass Gott seinen Geist in den Bauch der Mutter Maria eingehaucht habe und dadurch der Prophet Jesus erschaffen worden sei, weshalb der Beschwerdeführer den islamischen Glauben nicht für logisch nachvollziehbar halte. Der Koran könne weder das Sonnensystem noch Planeten näher erläutern und viele Thesen davon seien nicht mit wissenschaftlichen Grundsätzen in Einklang zu bringen. Befragt, wie die Erde seiner Meinung nach erschaffen worden sei, entgegnete der Beschwerdeführer, dass er die Theorien von Charles Darwin vertrete und davon ausgehe, dass die Erde durch die Kollision von Planeten entstanden sei. Da er sich nunmehr gänzlich vom Islam abgewandt habe, wolle er sein Wissen nunmehr durch wissenschaftliche Erklärungen erweitern. Zur Frage, wann er den Entschluss gefasst habe, nicht mehr Moslem, sondern Atheist zu sein, entgegnete der Beschwerdeführer, dass er im April des vergangenen Jahres eine Gruppe im Internet gefunden habe und eine E-Mail an diese Gruppierung verfasst habe. In weiterer Folge habe er einmal im Monat an einer Sitzung teilgenommen und auch Recherchen zu diversen Themen vorgenommen. Befragt, ob er wisse, was Agnostizismus sei, gab der Beschwerdeführer an, dass Agnostiker lediglich an Gott, jedoch nicht an Religionen glauben würden und Atheisten weder an Gott noch Religionen glauben würden. Zur Frage, wie seine Eltern ihre Religion ausleben würden, erklärte der Beschwerdeführer, dass seine Mutter nicht so strenggläubig gewesen sei wie sein Vater, der neben fünf Gebeten am Tag zudem auch noch optionale Gebete in der Nacht verrichte. Befragt, ob sein Vater von seinem Abfall vom Glauben wisse, erwiderte der Beschwerdeführer, dass er ihn eines Tages mittels Videoanruf kontaktiert habe und bemerkt habe, dass er einen Kaffee trinke und nicht faste. Ein anderes Mal habe sein Vater einen Facebook Eintrag gelesen, in dem sich der Beschwerdeführer zum Atheismus bekannt habe, woraufhin er von diesem als Sohn geächtet worden sei. Zur Frage, welche Aktivitäten bei Veranstaltungen der atheistischen Gruppe am Programm stehen würden, erklärte der Beschwerdeführer, dass man über allgemeine Themen debattiere und gemeinsam esse. Bei einer Zusammenkunft mit einem Priester der Kirche habe er auch Wein getrunken. Auf Frage des BFA, was das ausschlaggebende Ereignis für seinen Glaubenswechsel gewesen sei, entgegnete der Beschwerdeführer, dass er alle Religionen respektiere und man niemandem mit Feindschaft begegnen sollte, er selbst jedoch nicht an eine Religion glaube. Auf Vorhalt, dass es fragwürdig sei, dass er einerseits gesagt habe, den Islam zu hassen, nunmehr jedoch behaupte, dass er trotz dieser Ablehnung alle Religionen respektiere, brachte der Beschwerdeführer vor, dass er seinen Hass auf Religionen nicht vor anderen Menschen zum Ausdruck bringe, da er Menschen möge und nicht deren Gefühle verletzen wolle, weshalb er auch zum Schein vorgebe, dass er deren Religion respektiere. Rein sachlich gesehen hasse er jedoch alle religiösen Lehren. Seine Begleitperson könne er namentlich nicht nennen. Zur Frage, wie oft er in Ghazni eine Moschee besucht habe, entgegnete der Beschwerdeführer, dass er von seinem Vater zwangsweise zu Gebeten geschickt worden sei. Seine Abneigung gegenüber allen Religionen bestehe jedoch erst seit 2018, nachdem er den Koran in der Sprache Farsi gelesen habe. Im Herkunftsland sei zwar auf Farsi gepredigt worden, der Koran sei jedoch nur in arabischer Sprache geschrieben gewesen und man habe ausschließlich positive Aspekte vom Jenseits vorgetragen. Befragt, ob er seinem Vater dezidiert gesagt habe, dass er vom Glauben abgefallen sei, entgegnete der Beschwerdeführer, dass er ihm dies erklärt habe, nachdem er etwas auf Facebook gepostet habe. Der Beschwerdeführer brachte daraufhin sein Mobiltelefon samt Profil mitsamt einem Beitrag über durchgestrichene kulturelle und religiöse Symbole in Vorlage. Zur Frage, ob er jemand von seinen afghanischen Freunden nach diesen Posts kontaktiert oder mit ihnen gesprochen habe, gab der Beschwerdeführer an, dass es Freunde im Flüchtlingsheim gebe, die sich seitdem nicht mehr mit ihm unterhalten hätten.

In weiterer Folge wurde eine Zeugin einvernommen, die angab, dass sie den Beschwerdeführer aus der atheistischen Religionsgemeinschaft Österreich kenne, die monatlich ein Treffen für Suchende, Agnostiker sowie Esoteriker organisiere. Befragt, wieso sie heute hier sei, entgegnete die Zeugin, dass sie mit dem Beschwerdeführer befreundet sei.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung wurden vom Beschwerdeführer eine Religionsaustrittsbescheinigung über den Austritt aus der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich vom 20.02.2019, eine Teilnahmebestätigung vom 01.03.2019 über einen absolvierten Kurs auf dem Niveau A2 vom 14.01.2019 bis zum 05.04.2019, ein Zertifikat vom 28.06.2018 über einen absolvierten Deutschkurs auf dem Niveau B1 vom 09.04.2018 bis zum 28.06.2018, ein Zertifikat vom 16.04.2018 über eine bestandene Prüfung auf dem Niveau A2, ein Zertifikat vom 31.07.2017 über eine bestandene Prüfung auf dem Niveau A1 zur Vorlage gebracht.

In einer Stellungnahme vom 19.03.2019 wurde vom Beschwerdeführer ausgeführt, dass der Auftrag seines Vaters an ihn gewesen sei, Düngemittel und Pestizide zu verkaufen, was einen Interessenskonflikt mit den Taliban bedeutet habe, die Mohn anbauen hätten wollen. Der Stellungnahme wurden eine Tazkira sowie die Anmeldebestätigung für einen Kurs auf dem Niveau B1 angeschlossen.

1. Feststellungen:

Das Bundesverwaltungsgericht geht aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens von folgendem für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt aus:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan und gehört der Volksgruppe der Tadschiken an. Der Beschwerdeführer ist in der Stadt Kabul geboren und hat in der Provinz Ghazni zehn Jahre die Grundschule besucht und anschließend fünf Jahre eine Fachausbildung für Land-und Forstwirtschaft in Kabul absolviert. In weiterer Folge war er im Geschäft seines Vaters in der Provinz Ghazni als Verkäufer tätig.

Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder. Der Vater und seine Schwester samt Familie leben nach den Angaben des Beschwerdeführers in Kabul. Seine Mutter und sein Bruder sind bereits verstorben. Der Beschwerdeführer hat keinen Kontakt mehr zu seinen in Afghanistan lebenden Verwandten.

Der Beschwerdeführer ist gesund, verfügt über Deutschkenntnisse und hat in Österreich diverse Deutsch-Kurse besucht. Er hat ehrenamtliche Tätigkeiten in einem Altersheim verrichtet, besucht monatlich eine Zusammenkunft der atheistischen Religionsgemeinschaft und hat österreichische Freunde. Er ist aus der islamischen Glaubensgemeinschaft ausgetreten. Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich unbescholten und nimmt Leistungen aus der Grundversorgung in Anspruch.

1.2. Zur Situation des Beschwerdeführers im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan:

Der Beschwerdeführer bekannte sich früher zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islams, folgt aber nunmehr keiner Religion (mehr). Er hat sich aus freier persönlicher Überzeugung und von Ernsthaftigkeit und Nachhaltigkeit getragen, von seiner (bisherigen) Religion des Islams abgewendet. Er lehnt den konservativen Islam ab und haben für ihn Religion und Glauben keine Bedeutung. Der Beschwerdeführer fastet nicht, er betet nicht und besucht keine Moschee. Weiters entspricht die Einstellung des Beschwerdeführers, insbesondere seine Moral- und Wertehaltung, nicht dem in Afghanistan vorherrschenden traditionell-konservativen Gesellschaftssystem. Die vom Beschwerdeführer angenommene Lebensweise ist zu einem wesentlichen Bestandteil seiner Identität geworden und er kann sich nicht vorstellen, nach der konservativ-afghanischen Tradition zu leben. In dieser Hinsicht ist er bereits aus eigenem Antrieb aktiv geworden und hat sich bereits Kenntnisse der deutschen Sprache angeeignet und den Koran in der Sprache Farsi gelesen. Dem Beschwerdeführer kann nicht zugemutet werden, seine bereits verinnerlichte liberale Weltanschauung zu unterdrücken. Aufgrund dieser Einstellung, die sich vor allem durch eine liberale Einstellung zu den Themen Religion, Frauen und Bildung manifestiert, besteht für den Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan die Gefahr, Opfer ernsthafter psychischer und physischer Gewalt zu werden.

Dem Beschwerdeführer droht bei einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund seiner Wertehaltung und seiner Abwendung vom islamischen Glauben eine Verfolgung aus religiösen und/oder politischen Gründen. Vom afghanischen Staat kann er keinen effektiven Schutz erwarten. Es besteht keine innerstaatliche Fluchtalternative.

1.3. Zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers:

Aufgrund der mit der Ladung übermittelten Länderfeststellungen zur Lage in Afghanistan und den in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht zusätzlich in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers getroffen:

Friedensgespräche

Kurz nach der Friedensgesprächsrunde zwischen Taliban und Vertretern der USA in Katar Ende Jänner 2019 fand Anfang Februar in Moskau ein Treffen zwischen Taliban und bekannten afghanischen Politikern der Opposition, darunter der ehemalige Staatspräsident Hamid Karzai und mehrere "Warlords", statt (Qantara 12.2.201). Quellen zufolge wurde das Treffen von der afghanischen Diaspora in Russland organisiert. Taliban-Verhandlungsführer Sher Muhammad Abbas Stanaksai wiederholte während des Treffens schon bekannte Positionen wie die Verteidigung des "Dschihad" gegen die "US-Besatzer" und die gleichzeitige Weiterführung der Gespräche mit den USA. Des Weiteren verkündete er, dass die Taliban die Schaffung eines "islamischen Regierungssystems mit allen Afghanen" wollten, obwohl sie dennoch keine "exklusive Herrschaft" anstrebten. Auch bezeichnete er die bestehende afghanische Verfassung als "Haupthindernis für den Frieden", da sie "vom Westen aufgezwungen wurde"; Weiters forderten die Taliban die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Führer und die Freilassung ihrer gefangenen Kämpfer und bekannten sich zur Nichteinmischung in Angelegenheiten anderer Länder, zur Bekämpfung des Drogenhandels, zur Vermeidung ziviler Kriegsopfer und zu Frauenrechten. Diesbezüglich aber nur zu jenen, "die im Islam vorgesehen seien" (z.B. lernen, studieren und sich den Ehemann selbst auswählen). In dieser Hinsicht kritisierten sie dennoch, dass "im Namen der Frauenrechte Unmoral verbreitet und afghanische Werte untergraben würden" (Taz 6.2.2019).

Ende Februar 2019 fand eine weitere Friedensgesprächsrunde zwischen Taliban und US-Vertretern in Katar statt, bei denen die Taliban erneut den Abzug der US-Truppen aus Afghanistan forderten und betonten, die Planung von internationalen Angriffen auf afghanischem Territorium verhindern zu wollen. Letzterer Punkt führte jedoch zu Meinungsverschiedenheiten: Während die USA betonten, die Nutzung des afghanischen Territoriums durch "terroristische Gruppen" vermeiden zu wollen und in dieser Hinsicht eine Garantie der Taliban forderten, behaupteten die Taliban, es gebe keine universelle Definition von Terrorismus und weigerten sich gegen solch eine Spezifizierung. Sowohl die Taliban- als auch die US-Vertreter hielten sich gegenüber den Medien relativ bedeckt und betonten ausschließlich, dass die Friedensverhandlungen weiterhin stattfänden. Während es zu Beginn der Friedensgesprächsrunde noch Hoffnungen gab, wurde mit Voranschreiten der Verhandlungen immer klarer, dass sich eine Lösung des Konflikts als "frustrierend langsam" erweisen würde (NYT 7.3.2019).

Die afghanische Regierung war weder an den beiden Friedensgesprächen in Doha noch an dem Treffen in Moskau beteiligt (Qantara 12.2.2019; vgl. NYT 7.3.2019), was Unbehagen unter einigen Regierungsvertretern auslöste und die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Regierungen beeinträchtigte (Reuters 18.3.2019; vgl. WP 18.3.2019). Beispielsweise erklärte US-Unterstaatssekretär David Hale am 18.3.2019 die Beendigung der Kontakte zwischen US-Vertretern und dem afghanischen nationalen Sicherheitsberater Hamdullah Mohib, nachdem dieser US-Chefunterhändler Zalmay Khalilzad und den Ausschluss der afghanischen Regierung aus den Friedensgesprächen öffentlich kritisiert hatte (Reuters 18.3.2019).

Quellen:

AJ - Al Jazeera (21.3.2019): Blasts in Afghan capital Kabul kill six during new year festival,

https://www.aljazeera.com/news/2019/03/blasts-afghan-capital-kabul-kill-6-year-festival-190321064823472.html, Zugriff 26.3.2019

AJ - Al Jazeera (8.3.2019): Death toll rises to 11 in attack on Shia gathering in Kabul,

https://www.aljazeera.com/news/2019/03/death-toll-rises-11-afghan-capital-attack-shia-gathering-190308102222870.html, Zugriff 26.3.2019

NYT - The New York Times (7.3.2019): U.S. Peace Talks With Taliban Trip Over a Big Question: What Is Terrorism?, https://www.nytimes.com/2019/03/07/world/asia/taliban-peace-talks-afghanistan.html, Zugriff 26.3.2019

IFRCRCS - International Federation of Red Cross and Red Crescent Societies (17.3.2019): Emergency Appeal Afghanistan: Drought and Flash Floods,

https://reliefweb.int/report/afghanistan/afghanistan-drought-and-flash-floods

Qantara (12.02.2019): Any deal will do, https://en.qantara.de/print/34493, Zugriff 26.3.2019

Reuters (21.3.2019): Explosions in Afghan capital Kabul kills six during new year festival,

https://www.reuters.com/article/us-afghanistan-attack/explosions-in-afghan-capital-kabul-kill-6-during-new-year-festival-idUSKCN1R20GL, Zugriff 26.3.2019

Reuters (18.3.2019): U.S. freezes out top Afghan official in peace talks feud: sources,

https://www.reuters.com/article/us-usa-afghanistan/us-freezes-out-top-afghan-official-in-peace-talks-feud-sources-idUSKCN1QZ2OU, Zugriff 26.3.2019

Taz - Die Tagezeitung (6.2.2019): Auch Moskau spielt die Taliban-Karte,

https://www.taz.de/Gespraeche-zwischen-Taliban-und-Russland/!5568633/, Zugriff 26.3.2019

TDP - The Defense Post (21.3.2019): Bomb blasts around Afghanistan capital kill 6 during Nowruz celebrations, https://thedefensepost.com/2019/03/21/afghanistan-kabul-bombings-nowruz/, Zugriff 26.3.2019

UN OCHA - United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (19.3.2019): Afghanistan: Flash Floods, Update No. 7 (as of 19 March 2019),

https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/afg_flash_floods_update_7_19_mar_2019_web.pdf, Zugriff 26.3.2019

WP - The Washington Post (18.3.2019): Afghan government, shut out of U.S.-Taliban peace talks, running short on options, https://www.washingtonpost.com/world/afghan-government-shut-out-of-us-taliban-peace-talks-running-short-on-options/2019/03/18/92cd6128-497d-11e9-8cfc-2c5d0999c21e_story.html?noredirect=on&utm_term=.ffa121b12dbc, Zugriff 26.3.2019

Kommentar:

Die Lage vor Ort wird weiterhin beobachtet und gegebenenfalls wird mit weiteren Kurzinformationen reagiert. Weiterführende Informationen zu der Friedensgesprächsrunde von Jänner 2019 können der KI vom 31.1.2019 entnommen werden.

KI vom 1.3.2019, Aktualisierung: Sicherheitslage in Afghanistan - Q4.2018 (relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage)

Allgemeine Sicherheitslage und sicherheitsrelevante Vorfälle

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil. Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum 16.8.2018 - 15.11.2018 5.854 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 2% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 5% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (63%) aus. Selbstmordanschläge gingen um 37% zurück, was möglicherweise an erfolgreichen Bekämpfungsmaßnahmen in Kabul-Stadt und Jalalabad liegt. Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Streitkräfte stiegen um 25%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten. In der Provinz Kandahar entstand die Befürchtung, die Sicherheitsbedingungen könnten sich verschlechtern, nachdem der Polizeichef der Provinz und der Leiter des National Directorate for Security (NDS) im Oktober 2018 ermordet worden waren (UNGASC 7.12.2018). Gemäß dem Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (SIGAR) fanden bis Oktober 2018 die meisten Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen in den Provinzen Badghis, Farah, Faryab, Ghazni, Helmand, Kandahar, Uruzgan und Herat statt. Von Oktober bis Dezember 2018 verzeichneten Farah, Helmand und Faryab die höchste Anzahl regierungsfeindlicher Angriffe (SIGAR 30.1.2019).

Nach dem Taliban-Angriff auf Ghazni-Stadt im August 2018, bestand weiterhin die Befürchtung, dass die Taliban großangelegte Angriffe im Südosten des Landes verüben könnten. Dies war zwar nicht der Fall, dennoch setzten Talibankämpfer die afghanischen Sicherheitskräfte am Stadtrand von Ghazni, in Distrikten entlang des Highway One nach Kabul und durch die Einnahme des Distrikts Andar in Ghazni im Oktober weiterhin unter Druck. Im Westen der Provinz Ghazni, wo die ethnische Gruppierung der Hazara eine Mehrheit bildet, verschlechterten sich die Sicherheitsbedingungen wegen großangelegter Angriffe der Taliban, was im November zur Vertreibung zahlreicher Personen führte. In Folge eines weiteren Angriffs der Taliban im Distrikt Khas Uruzgan der Provinz Uruzgan im selben Monat wurden ebenfalls zahlreiche Hazara-Familien vertrieben. Des Weiteren nahmen Talibankämpfer in verschiedenen Regionen vorübergehend strategische Positionen entlang der Hauptstraßen ein und behinderten somit die Bewegungsfreiheit zwischen den betroffenen Provinzen. Beispiele dafür sind Angriffe entlang Hauptstraßen nach Kabul in den Distrikten Daymirdad und Sayyidabad in Wardak, der Route Mazar - Shirbingham und Maimana - Andkhoy in den nördlichen Provinzen Faryab, Jawzjan und Balkh und der Route Herat - Qala-e-Naw im westlichen Herat und Badghis (UNGASC 7.12.2018). Trotz verschiedener Kampfhandlungen und Bedrohungen blieben mit Stand Dezember 2018 gemäß SIGAR die Provinzzentren aller afghanischen Provinzen unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.1.2019).

Im Laufe des Wahlregistrierungsprozesses und während der Wahl am 20. und am 21. Oktober wurden zahlreiche sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, welche durch die Taliban und den Islamischen Staat - Provinz Khorasan (ISKP) beansprucht wurden (UNGASC 7.12.2018; vgl. UNAMA 10.10.2018, UNAMA 11.2018). Während der Wahl in der Provinz Kandahar, die wegen Sicherheitsbedenken auf den 27. Oktober verschoben worden war, wurden keine sicherheitsrelevanten Vorfälle registriert. Die afghanischen Sicherheitskräfte entdeckten und entschärften einige IED [Improvised Explosive Devices - Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen] in Kandahar-Stadt und den naheliegenden Distrikten (UNAMA 11.2018). Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) hatte zwischen 1.1.2018 und 30.9.2018 im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen insgesamt 366 zivile Opfer (126 Tote und 240 Verletzte) registriert (UNAMA 10.10.2018). Am offiziellen Wahltag, dem 20. Oktober, wurden 388 zivile Opfer (52 Tote und 336 Verletzte) registriert, darunter 117 Kinder (21 Tote und 96 Verletzte) und 48 Frauen (2 Tote und 46 Verletzte). Am folgenden Wahltag, dem 21. Oktober, wurden 47 weitere zivile Opfer (4 Tote und 43 Verletzte) verzeichnet, inklusive 17 Kinder (2 Tote und 15 Verletzte) und Frauen (3 Verletzte). Diese Zahlen beinhalten auch Opfer innerhalb der Afghan National Police (ANP) und der Independet Electoral Commission (IEC) (UNAMA 11.2018). Die am 20. Oktober am meisten von sicherheitsrelevanten Vorfällen betroffenen Städte waren Kunduz und Kabul. Auch wenn die Taliban in den von ihnen kontrollierten oder beeinflussten Regionen die Wählerschaft daran hinderten, am Wahlprozess teilzunehmen, konnten sie die Wahl in städtischen Gebieten dennoch nicht wesentlich beeinträchtigen (trotz der hohen Anzahl von Sicherheitsvorfällen) (UNGASC 7.12.2018).

Die Regierung kontrolliert bzw. beeinflusst - laut Angaben der Resolute Support (RS) Mission - mit Stand 22.10.2018 53,8% der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 bedeutet. 33,9% der Distrikte sind umkämpft und 12,3% befinden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 63,5% der Bevölkerung leben in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befinden; 10,8% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 25,6% leben in umkämpften Gebieten. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Kontrolle bzw. Einfluss von Aufständischen sind Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).

Der ISKP ist weiterhin im Osten des Landes präsent und bekennt sich zu Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen in Nangarhar und zu sechs Angriffen in Kabul-Stadt. Des Weiteren finden in den Provinzen Nangarhar und Kunar weiterhin Kämpfe zwischen ISKP- und Talibankämpfern statt. Die internationalen Streitkräfte führten Luftangriffe gegen den ISKP in den Distrikten Deh Bala, Achin, Khogyani, Nazyan und Chaparhar der Provinz Nangarhar aus (UNGASC 7.12.2018).

Global Incident Map zufolge wurden im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) 4.436 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Durch die folgende kartografische Darstellung der Staatendokumentation soll die Verteilung des Konflikts landesweit veranschaulicht werden.

(BFA Staatendokumentation 20.02.2019a

In der folgenden Grafik der Staatendokumentation wird das Verhältnis zwischen den vier Quartalen des Jahres 2018 anhand der registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle für den Zeitraum 1.1.2018 - 31.12.2018 veranschaulicht.

Zivile Opfer

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte), eine allgemeine Steigerung von 5% sowie eine Steigerung der Zahl der Toten um 11% gegenüber dem Vorjahreswert. 42% der zivilen Opfer (4.627 Opfer;

1.361 Tote und 3.266 Verletzte) wurden durch IED im Zuge von Anschlägen und Selbstmordanschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich ISKP) verursacht. Die Anzahl der Selbstmordanschläge unter Einsatz von IED stieg dabei um 22% und erreichte somit einen Rekordwert. Diese Art von Anschlägen verursachte 26% aller zivilen Opfer, während IED, die bei Nichtselbstmordanschlägen verwendet wurden, 16% der zivilen Opfer forderten. Kabul war mit insgesamt 1.866 Opfern (596 Tote und 1.270 Verletzte) die Provinz mit der höchsten Anzahl an Selbstmordanschlägen durch IED, während die Zahl der Opfer in Nangarhar mit insgesamt 1.815 (681 Tote und 1.134 Verletzte) zum ersten Mal fast die Werte von Kabul erreichte (hauptsächlich wegen des Einsatzes von IED bei Nichtselbstmordanschlägen). Kabul-Stadt verzeichnete insgesamt 1.686 zivile Opfer (554 Tote und 1.132 Verletzte) wegen komplexen und Selbstmordangriffen (UNAMA 24.2.2019).

Zusammenstöße am Boden (hauptsächlich zwischen regierungsfreundlichen und regierungsfeindlichen Gruppierungen) verursachten 31% der zivilen Opfer (insgesamt 3.382; davon 814 Tote und 2.568 Verletzte), was einen Rückgang um 3% im Vergleich mit dem Vorjahreswert bedeutet. Grund dafür war der Versuch regierungsfreundlicher Gruppierungen, die zivile Bevölkerung zu schonen. Die Verlagerung der Kämpfe in dünn besiedelte Gebiete, die Vorwarnung der lokalen Zivilbevölkerung bei Kampfhandlungen und die Implementierung von Strategien zum Schutz der Bevölkerung waren einige der bestimmenden Faktoren für den Rückgang bei zivilen Opfern. Jedoch ist die Opferzahl bei gezielt gegen die Zivilbevölkerung gerichteten komplexen Angriffen und Selbstmordanschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen gestiegen (plus 48% gegenüber 2017; 4.125 Opfer insgesamt, davon 1.404 Tote und 2.721 Verletzte). Sowohl der ISKP als auch die Taliban griffen gezielt Zivilisten an: Der ISKP war für 1.871 zivile Opfer verantwortlich, darunter waren u.a. Mitglieder der schiitischen Gemeinschaft, und die Taliban für 1.751. Obwohl die Gesamtzahl der zivilen Opfer durch gezielte Tötungen von Einzelpersonen (hauptsächlich durch Erschießung) zurückging, blieben Zivilisten inklusive religiöser Führer und Stammesältester weiterhin Ziele regierungsfeindlicher Gruppierungen. Die Gesamtzahl der durch Luftangriffe verursachten zivilen Opfer stieg im Vergleich mit dem Vorjahreswert um 61% und die Zahl der Todesopfer erreichte 82%. 9% aller zivilen Opfer wurden Luftangriffen (mehrheitlich der internationalen Luftwaffe) zugeschrieben, der höchste Wert seit 2009 (UNAMA 24.2.2019).

Regierungsfeindliche Gruppierungen waren im UNAMA-Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) für 6.980 zivile Opfer (2.243 Tote und 4.737 Verletzte) verantwortlich. Das entspricht 63% der gesamten zivilen Opfer. 37% davon werden den Taliban, 20% dem ISKP und 6% unbestimmten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben. Im Laufe des Jahres 2018 wurden vermehrt Anschläge gegen Bildungseinrichtungen verzeichnet, meist durch Talibankämpfer, da in Schulen Registrierungs- und Wahlzentren untergebracht waren. Der ISKP attackierte und bedrohte Bildungseinrichtungen als Reaktion auf militärische Operationen afghanischer und internationaler Streitkräfte. UNAMA berichtet auch über anhaltende Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen, welche Auswirkungen auf einen Großteil der zivilen Bevölkerung haben. Trotzdem die Taliban nach eigenen Angaben Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung ergriffen haben, attackierten diese weiterhin Zivilisten, zivile Einrichtungen und regierungsfreundliche Gruppierungen in Zivilgebieten (UNAMA 24.2.2019).

Ungefähr 24% der zivilen Opfer (2.612, davon 1.185 Tote und 1.427 Verletzte), werden regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben: 14% den afghanischen Sicherheitskräften, 6% den internationalen Streitkräften und 4% unbestimmten regierungsfreundlichen Gruppierungen. Die Steigerung um 4% gegenüber dem Vorjahr geht auf Luftangriffe der internationalen Streitkräfte und Fahndungsaktionen der afghanischen Sicherheitskräfte und regierungsfreundlicher Gruppierungen zurück (UNAMA 24.2.2019).

Die verbleibenden 13% der verzeichneten zivilen Opfer wurden im Kreuzfeuer während Zusammenstößen am Boden (10%), durch Beschuss aus Pakistan (1%) und durch die Explosion von Blindgängern verursacht (UNAMA 24.2.2019).

(UNAMA 24.2.2019

Quellen:

BFA Staatendokumentation (20.02.2019a): kartografische Darstellung der sicherheitsrelevanten Vorfälle Jänner-Dezember 2018, liegt im Archiv der Staatendokumentation vor

BFA Staatendokumentation (20.02.2019b): grafische Darstellung der sicherheitsrelevanten Vorfälle Q1 bis Q4, liegt im Archiv der Staatendokumentation vor

SIGAR - Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (30.1.2019): Quarterly Report to the United States Congress, https://www.sigar.mil/pdf/quarterlyreports/2019-01-30qr.pdf, Zugriff 20.2.2019

UNAMA - United Nations Assistance Mission in Afghanistan (24.2.2019): Afghanistan, Protection of civilians in armed conflict, Annual report 2018,

https://unama.unmissions.org/sites/default/files/afghanistan_protection_of_civilians_annual_report_2018_final_24_feb_2019_v3.pdf, Zugriff 25.2.2019

UNAMA - United Nations Assistance Mission in Afghanistan (11.2018):

Afghanistan, Protection of civilians in armed conflict, Special report: 2018 elections violence, https://unama.unmissions.org/sites/default/files/special_report_on_2018_elections_violence_november_2018.pdf, Zugriff 20.2.2019

UNAMA - United Nations Assistance Mission in Afghanistan (10.10.2018): Quarterly report on the protection of civilians in armed conflict: 1 January to 30 September 2018, https://unama.unmissions.org/sites/default/files/unama_protection_of_civilians_in_armed_conflict_3rd_quarter_report_2018_10_oct.pdf, Zugriff 20.2.2019

UNGASC - United Nations General Assembly Security Council (7.12.2018): The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security, Report of the Secretary General, https://undocs.org/S/2018/1092, Zugriff 20.2.2019

KI vom 31.1.2019, Friedensgespräche zwischen den USA und den Taliban (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage und Abschnitt 3/Sicherheitslage)

Am Samstag dem 26.1.2019 endete die sechstägige Friedensgesprächsrunde in Doha, Katar, zwischen dem U.S.-Chefunterhändler Zalmay Khalilzad und den Taliban-Vertretern (DP 28.1.2019; vgl. NYT 28.1.2019, CNN 27.1.2019, Tolonews 28.1.2019). Quellen zufolge wurde ein erster Vertragsentwurf ausgehandelt, wonach sich die Taliban dazu verpflichten würden, ausländische Terrororganisationen von Afghanistan fernzuhalten, und die USA würden im Gegenzug dazu ihren Truppenabzug aus Afghanistan innerhalb von 18 Monaten garantieren. Dieser sei jedoch an weitere Bedingungen gebunden, die noch genau besprochen werden müssen, wie die Ausrufung eines Waffenstillstands zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung sowie die Forderung von direkten Gesprächen zwischen diesen beiden Akteuren (NYT 28.1.2019; vgl. DP 28.1.2019, FP 29.1.2019). Inoffiziellen Quellen zufolge wurde bei den Gesprächen u.a. die Schaffung einer Interimsregierung, in der auch die Taliban vertreten sein sollen, angedacht, was jedoch von Khalilzad dementiert wurde (NYT 28.1.2019; vgl. DP 28.1.2019). Die nächste Friedensgesprächsrunde wird voraussichtlich Ende Februar 2019 stattfinden (NYT 28.1.2019; vgl. FP 29.1.2019). Der afghanische Präsident Ashraf Ghani äußerte während einer Fernsehansprache am 28.1.2019 sein Unbehagen bzgl. eines voreiligen Abzugs der U.S.-Truppen aus Afghanistan und erinnerte an die dramatischen Auswirkungen des sowjetischen Abzuges Ende der 1980er Jahre, dem Anarchie und die Ermordung des ehemaligen Präsidenten Mohammad Najibullah folgten (NYT 28.1.2019). Ghani, der die Taliban mehrmals dazu aufgefordert hatte, direkt mit seiner Regierung zu verhandeln, zeigte sich des Weiteren über den Ausschluss der afghanischen Regierung aus den Friedensgesprächen besorgt (NYT 28.1.2019; vgl. DP 28.1.2019, IM 28.1.2019). Während sich einige Quellen hinsichtlich gründlicher Friedensgespräche und eines effizient ausgehandelten Abkommens optimistisch zeigen (Internazionale 30.1.2019; vgl. WP 30.1.2019), fürchten andere, dass ein Abzug der amerikanischen Truppen den Zusammenbruch der afghanischen Regierung wegen der Taliban und vorhersehbarer Machtkämpfe zwischen den verschiedenen lokalen Akteuren zur Folge haben könnte (DP 28.1.2019; vgl. FP 29.1.2019).

Quellen:

CNN - Cable News Network (27.1.2019): US-Taliban peace talks in Doha a 'significant step',

https://edition.cnn.com/2019/01/27/asia/us-taliban-afghan-peace-talks-doha-intl/index.html, Zugriff 31.1.2019

DP - Die Presse (28.1.2019): Afghanistan vor dramatischer Wende, https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5570225/Afghanistan-vor-dramatischer-Wende, Zugriff 31.1.2019

FP - Foreign Policy (29.1.2019): Will Zalmay Khalilzad Be Known as the Man Who Lost Afghanistan?,

https://foreignpolicy.com/2019/01/29/will-zalmay-khalilzad-be-known-as-the-man-who-lost-afghanistan-envoy-taliban/, Zugriff 31.1.2019

IM - Il Messaggero (28.1.2019): Afghanistan, fonti Difesa: "Entro un anno via truppe italiane". Moavero: "Apprendo ora". Lega: "Nessuna decisione",

https://www.ilfattoquotidiano.it/2019/01/28/afghanistan-entro-un-anno-ritiro-del-contingente-italiano-moavero-lo-apprendo-ora-trenta-non-ne-ha-parlato-con-me/4930395/, Zugriff 31.1.2019

Internazionale (30.1.2019): La trattativa in Afghanistan arriva con 17 anni di ritardo,

https://www.internazionale.it/opinione/gwynne-dyer/2019/01/30/trattativa-afghanistan-ritardo, Zugriff 31.1.2019

NYT - The New York Times (28.1.2019): U.S. and Taliban Agree in Principle to Peace Framework, Envoy Says, https://www.nytimes.com/2019/01/28/world/asia/taliban-peace-deal-afghanistan.html, Zugriff 31.1.2019

Tolonews (28.1.2019): US Peace Envoy Visits Kabul To Consult On Talks With Taliban,

https://www.tolonews.com/afghanistan/us-peace-envoy-visits-kabul-consult-talks-taliban, Zugriff 31.1.2019

WP - The Washington Post (30.1.2019): The real challenge for Afghanistan isn't negotiating with the Taliban, https://www.washingtonpost.com/opinions/global-opinions/the-real-challenge-for-afghanistan-isnt-negotiating-with-the-taliban/2019/01/30/12229732-23ee-11e9-ad53-824486280311_story.html?noredirect=on&utm_term=.b049b43b3c79, Zugriff 31.1.2019

KI vom 22.1.2019, Anschlag auf Ausbildungszentrum des National Directorate of Security (NDS) in der Provinz Wardak und weitere (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage und Abschnitt 3/Sicherheitslage)

Bei einem Anschlag auf einen Stützpunk des afghanischen Sicherheitsdienstes (NDS, National Directorate of Security) in der zentralen Provinz Wardak (auch Maidan Wardak) kamen am 21.1.2019 zwischen zwölf und 126 NDS-Mitarbeiter ums Leben (TG 21.1.2019; vgl. IM 22.1.2019). Quellen zufolge begann der Angriff am Montagmorgen, als ein Humvee-Fahrzeug der U.S.-amerikanischen Streitkräfte in den Militärstützpunkt gefahren und in die Luft gesprengt wurde. Daraufhin eröffneten Angreifer das Feuer und wurden in der Folge von den Sicherheitskräften getötet (TG 21.1.2019; vgl. NYT 21.1.2019). Die Taliban bekannten sich zum Anschlag, der, Quellen zufolge, einer der tödlichsten Angriffe auf den afghanischen Geheimdienst der letzten 17 Jahre war (NYT 21.1.2019; vgl. IM 22.1.2019). Am selben Tag verkündeten die Taliban die Wiederaufnahme der Friedensgespräche mit den U.S.-amerikanischen Vertretern in Doha, Katar (NYT 21.1.2019; vgl. IM 22.1.2019, Tolonews 21.1.2019).

Am Vortag, dem 20.1.2019, war der Konvoi des Provinzgouverneurs der Provinz Logar, Shahpoor Ahmadzai, auf dem Autobahnabschnitt zwischen Kabul und Logar durch eine Autobombe der Taliban angegriffen worden. Die Explosion verfehlte die hochrangigen Beamten, tötete jedoch acht afghanische Sicherheitskräfte und verletzte zehn weitere (AJ 20.1.2019; vgl. IM 22.1.2019).

Des Weiteren detonierte am 14.1.2019 vor dem gesicherten Green Village in Kabul, w

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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