Entscheidungsdatum
29.10.2019Norm
AsylG 2005 §35 Abs1Spruch
W241 2224279-1/2E
W241 2224280-1/2E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Hafner als Einzelrichter nach Beschwerdevorentscheidung der Österreichischen Botschaft Islamabad vom 11.07.2019, Islamabad-OB/KONS/ 3749/2018, aufgrund des Vorlageantrags von 1.) XXXX , geb. XXXX , 2.) mj. XXXX , geb. XXXX , gesetzlich vertreten durch die Mutter XXXX , beide StA. Afghanistan, vertreten durch das Österreichische Rote Kreuz, über die Beschwerden gegen den Bescheid der Österreichischen Botschaft Islamabad vom 23.04.2019, Zl. Islamabad-ÖB/KONS/3749/2018, beschlossen:
A) Den Beschwerden wird gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG stattgegeben, der
bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit zur Erlassung einer neuen Entscheidung an die Behörde zurückverwiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang und Sachverhalt:
1. Die Erstbeschwerdeführerin (in der Folge: BF1) ist laut eigenen Angaben die Mutter des minderjährigen Zweitbeschwerdeführers (in der Folge: BF2), beide sind Staatsangehörige von Afghanistan. Sie stellten am 03.10.2018 bei der Österreichischen Botschaft Islamabad (im Folgenden: ÖB Islamabad) jeweils einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels gemäß § 35 Abs. 1 Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl, BGBl. I Nr. 100/2005 (in der Folge: AsylG).
Als Bezugsperson wurde der angebliche Ehegatte der BF1 bzw. leibliche Vater des mj. BF2 XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, namhaft gemacht, welchem mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 15.04.2015, Zahl W126 1435604-1/11E, der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde. Die Bezugsperson hatte am 12.03.2013 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich gestellt.
2. Mit Erledigung vom 23.01.2019 wurde seitens des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) mitgeteilt, dass die Gewährung des Status subsidiär Schutzberechtigter oder Asylberechtigter nicht wahrscheinlich sei, da die BF die Erfüllung der Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z 1-3 AsylG, nämlich eine Unterkunft, die für eine vergleichbar große Familie als ortsüblich angesehen werde, und einen alle Risiken abdeckenden Krankenversicherungsschutz nicht nachgewiesen habe. Darüber hinaus habe die Ehe zwischen "dem Antragsteller" und der Bezugsperson nicht bereits vor Einreise der Bezugsperson bestanden, weshalb "der Antragsteller" kein Familienangehöriger iSd AsylG sei.
Begründend führte das BFA zusammengefasst aus, dass die Bezugsperson in einer 30 m2 großen Mietwohnung lebe, was für eine dreiköpfige Familie nicht ausreichend sei. Weiters sei nicht nachgewiesen worden, dass die BF von der gesetzlichen Pflichtversicherung umfasst seien bzw. eine Selbstversicherung oder eine private Krankenversicherung abgeschlossen hätten. Die Bezugsperson habe weder in der Erstbefragung noch in der Einvernahme Daten der BF1 als Familienmitglied angegeben. Darüber hinaus sei es nicht nachvollziehbar, weshalb die BF erst drei Jahre nach Zuerkennung des Asylstatus an die Bezugsperson den gegenständlichen Antrag eingebracht hätten. Die behauptete Eheschließung habe am 11.01.2012, die Registrierung am 03.12.2017 stattgefunden. Es gebe keinen Beweis der Eheschließung, da das Brautpaar in der Heiratsurkunde nicht in den dafür vorgesehenen Spalten erwähnt werde. Es befände sich auch keine Fotos des Paares auf der Urkunde. Weiters wäre die BF1 bei der Hochzeit erst 14 Jahre und somit minderjährig gewesen. Die Ehe zwischen der BF1 und der Bezugsperson habe daher nicht bereits im Herkunftsstaat bestanden.
3. Mit Schreiben vom 25.01.2019, wurde den BF die Möglichkeit zur Stellungnahme (Parteiengehör) eingeräumt, wobei auf die beiliegende Stellungnahme des BFA verwiesen wurden.
4. In einer Stellungnahme vom 08.02.2019 führten die BF aus, dass es sich bei den BF und der Bezugsperson um ein Ehepaar mit einem wenige Monate alten Baby handle. Diese sollten lediglich in der Anfangsphase die derzeitige Wohnung der Bezugsperson bewohnen. Die Bezugsperson sei ohnehin bemüht, eine größere Wohnung zu finden. Eine vollumfängliche Versicherung der Bezugsperson liege über den Arbeitsvertrag vor. Gemäß § 123 ASVG verfüge die Bezugsperson über einen Nachweis, dass die Familienmitglieder nach der Einreise mitversichert werden könnten.
Die Bezugsperson habe im Verfahren sehr wohl angegeben, verheiratet zu sein. Hierzu wurde auf die Entscheidung des BVwG verwiesen. Bei der Eheschließung sei die BF1 erst 14 Jahre alt gewesen, was für Afghanistan nicht ungewöhnlich sei. Auch die spätere Registrierung entspreche der üblichen Praxis in Afghanistan. Betreffend Art. 8 EMRK sei im gegenständlichen Fall auch das Kindeswohl des BF2 zu beachten.
5. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 23.04.2019 verweigerte die ÖB Islamabad die Erteilung des Einreisetitels gemäß § 26 FPG iVm § 35 AsylG mit der Begründung, dass die Stattgebung eines Antrages auf internationalen Schutz durch Zuerkennung des Status von Asylberechtigten oder subsidiäre Schutzberechtigten nicht wahrscheinlich sei.
6. Gegen den Bescheid richtet sich die am 21.05.2019 eingebrachte Beschwerde, in welcher im Wesentlichen das Vorbringen in der Stellungnahme vom 08.02.2019 wiederholt wurde.
7. In der Folge erließ die ÖB Islamabad am 11.07.2019 eine Beschwerdevorentscheidung gemäß § 14 Abs. 1 VwGVG, mit welcher die Beschwerde gemäß § 14 Abs. 1 VwGVG abgewiesen wurde. Die Behörde gründete ihre Entscheidung im Wesentlichen auf das Vorliegen der negativen Wahrscheinlichkeitsprognose des BFA, welche auch nach Einräumung von Parteiengehör zum allein wesentlichen Umstand der fehlenden Angehörigeneigenschaft im Verfahren aufrecht geblieben sei. Unabhängig von der Bindungswirkung der Wahrscheinlichkeitsprognose teile die ÖB die Ansicht des BFA, dass die Familienangehörigeneigenschaft nicht vorliege. Im vorliegenden Fall handle es sich um eine Kinderehe, die dem ordre public widerspreche. Weiters seien die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 Z 1-3 AsylG nicht erfüllt worden.
8. Dagegen brachten die BF am 19.07.2019 einen Vorlageantrag gemäß § 15 VwGVG ein.
9. Mit Schreiben des Bundesministeriums für Inneres, am 10.10.2019 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt, wurde dem Bundesverwaltungsgericht der gegenständliche Verwaltungsakt übermittelt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Zu A) Behebung des Bescheides und Zurückverweisung:
1. § 34 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 145/2017:
"(1) Stellt ein Familienangehöriger von
1. einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist;
2. einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8) zuerkannt worden ist oder
3. einem Asylwerber
einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.
(2) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn
1. dieser nicht straffällig geworden ist und
(Anm.: Z 2 aufgehoben durch Art. 3 Z 13, BGBl. I Nr. 84/2017)
3. gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 7).
(3) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn
1. dieser nicht straffällig geworden ist;
(Anm.: Z 2 aufgehoben durch Art. 3 Z 13, BGBl. I Nr. 84/2017)
3. gegen den Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 9) und
4. dem Familienangehörigen nicht der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen ist.
(4) Die Behörde hat Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 4 zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen.
(5) Die Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 gelten sinngemäß für das Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht.
(6) Die Bestimmungen dieses Abschnitts sind nicht anzuwenden:
1. auf Familienangehörige, die EWR-Bürger oder Schweizer Bürger sind;
2. auf Familienangehörige eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder der Status des subsidiär Schutzberechtigten im Rahmen eines Verfahrens nach diesem Abschnitt zuerkannt wurde, es sei denn es handelt sich bei dem Familienangehörigen um ein minderjähriges lediges Kind;
3. im Fall einer Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft oder Aufenthaltsadoption (§ 30 NAG)."
§ 35 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 56/2018 lautet:
"(1) Der Familienangehörige gemäß Abs. 5 eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde und der sich im Ausland befindet, kann zwecks Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz gemäß § 34 Abs. 1 Z 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels bei einer mit konsularischen Aufgaben betrauten österreichischen Vertretungsbehörde im Ausland (Vertretungsbehörde) stellen. Erfolgt die Antragstellung auf Erteilung eines Einreisetitels mehr als drei Monate nach rechtskräftiger Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, sind die Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 zu erfüllen.
(2) Der Familienangehörige gemäß Abs. 5 eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde und der sich im Ausland befindet, kann zwecks Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz gemäß § 34 Abs. 1 Z 2 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 frühestens drei Jahre nach rechtskräftiger Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels bei der Vertretungsbehörde stellen, sofern die Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 erfüllt sind. Diesfalls ist die Einreise zu gewähren, es sei denn, es wäre auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht mehr vorliegen oder in drei Monaten nicht mehr vorliegen werden. Darüber hinaus gilt Abs. 4.
(2a) Handelt es sich beim Antragsteller um den Elternteil eines unbegleiteten Minderjährigen, dem der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, gelten die Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 als erfüllt.
(3) Wird ein Antrag nach Abs. 1 oder Abs. 2 gestellt, hat die Vertretungsbehörde dafür Sorge zu tragen, dass der Fremde ein in einer ihm verständlichen Sprache gehaltenes Befragungsformular ausfüllt; Gestaltung und Text dieses Formulars hat der Bundesminister für Inneres im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres und nach Anhörung des Hochkommissärs der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (§ 63) so festzulegen, dass das Ausfüllen des Formulars der Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts dient. Außerdem hat die Vertretungsbehörde auf die Vollständigkeit des Antrages im Hinblick auf den Nachweis der Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 hinzuwirken und den Inhalt der ihr vorgelegten Dokumente aktenkundig zu machen. Der Antrag auf Einreise ist unverzüglich dem Bundesamt zuzuleiten.
(4) Die Vertretungsbehörde hat dem Fremden aufgrund eines Antrags auf Erteilung eines Einreisetitels nach Abs. 1 oder 2 ohne weiteres ein Visum zur Einreise zu erteilen (§ 26 FPG), wenn das Bundesamt mitgeteilt hat, dass die Stattgebung eines Antrages auf internationalen Schutz durch Zuerkennung des Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten wahrscheinlich ist. Eine derartige Mitteilung darf das Bundesamt nur erteilen, wenn
1. gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§§ 7 und 9),
2. das zu befassende Bundesministerium für Inneres mitgeteilt hat, dass eine Einreise den öffentlichen Interessen nach Art. 8 Abs. 2 EMRK nicht widerspricht und
3. im Falle eines Antrages nach Abs. 1 letzter Satz oder Abs. 2 die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 erfüllt sind, es sei denn, die Stattgebung des Antrages ist gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten.
Bis zum Einlangen dieser Mitteilung ist die Frist gemäß § 11 Abs. 5 FPG gehemmt. Die Vertretungsbehörde hat den Fremden über den weiteren Verfahrensablauf in Österreich gemäß § 17 Abs. 1 und 2 zu informieren.
(5) Nach dieser Bestimmung ist Familienangehöriger, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat."
§ 75 Abs. 24 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 24/2016 lautet:
"(24) Auf Fremde, denen der Status des Asylberechtigten bereits vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 24/2016 zuerkannt wurde und auf Fremde, die einen Antrag auf internationalen Schutz vor dem 15. November 2015 gestellt haben, sind die §§ 2 Abs. 1 Z 15, 3 Abs. 4 bis 4b, 7 Abs. 2a und 51a in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 24/2016 nicht anzuwenden. Für diese Fremden gilt weiter § 2 Abs. 1 Z 15 in der Fassung vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 24/2016. §§ 17 Abs. 6 und 35 Abs. 1 bis 4 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 24/2016 sind auf Verfahren, die bereits vor dem 1. Juni 2016 anhängig waren, nicht anzuwenden. Auf Verfahren gemäß § 35, die bereits vor dem 1. Juni 2016 anhängig waren, ist § 35 Abs. 1 bis 4 in der Fassung vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 24/2016 weiter anzuwenden. Handelt es sich bei einem Antragsteller auf Erteilung des Einreisetitels gemäß § 35 Abs. 1 um den Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten bereits vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 24/2016 rechtskräftig zuerkannt wurde, sind die Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 nicht zu erfüllen, wenn der Antrag auf Erteilung
des Einreisetitels innerhalb von drei Monaten nach Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 24/2016 gestellt wurde. § 22 Abs. 1 gilt für Verfahren, die mit Ablauf des 31. Mai 2018 bereits anhängig waren, auch noch nach dem 31. Mai 2018 weiter."
§ 11 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) idF BGBl. I Nr. 56/2018 lautet:
"Verfahren vor den österreichischen Vertretungsbehörden in Visaangelegenheiten
§ 11 (1) In Verfahren vor österreichischen Vertretungsbehörden haben Antragsteller unter Anleitung der Behörde die für die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes erforderlichen Urkunden und Beweismittel selbst vorzulegen; in Verfahren zur Erteilung eines Visums D ist Art. 19 Visakodex sinngemäß anzuwenden. In Verfahren zur Erteilung eines Visums gemäß § 20 Abs. 1 Z 9 sind Art. 9 Abs. 1 erster Satz und Art. 14 Abs. 6 Visakodex sinngemäß anzuwenden. Der Antragssteller hat über Verlangen der Vertretungsbehörde vor dieser persönlich zu erscheinen, erforderlichenfalls in Begleitung eines Dolmetschers (§ 39a AVG). § 10 Abs. 1 letzter Satz AVG gilt nur für in Österreich zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugte Personen. Die Vertretungsbehörde hat nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht. Eine Entscheidung, die dem Standpunkt des Antragstellers nicht vollinhaltlich Rechnung trägt, darf erst ergehen, wenn die Partei Gelegenheit zur Behebung von Formgebrechen und zu einer abschließenden Stellungnahme hatte.
(2) Partei in Verfahren vor der Vertretungsbehörde ist ausschließlich der Antragssteller.
(3) Die Ausfertigung bedarf der Bezeichnung der Behörde, des Datums der Entscheidung und der Unterschrift des Genehmigenden; an die Stelle der Unterschrift kann das Siegel der Republik Österreich gesetzt werden, sofern die Identität des Genehmigenden im Akt nachvollziehbar ist. Die Zustellung hat durch Übergabe in der Vertretungsbehörde oder, soweit die internationale Übung dies zulässt, auf postalischem oder elektronischem Wege zu erfolgen; ist dies nicht möglich, so ist die Zustellung durch Kundmachung an der Amtstafel der Vertretungsbehörde vorzunehmen.
(4) Vollinhaltlich ablehnende Entscheidungen gemäß Abs. 1 betreffend Visa D sind schriftlich in einer Weise auszufertigen, dass der Betroffene deren Inhalt und Wirkung nachvollziehen kann. Dem Betroffenen sind die Gründe der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit, die der ihn betreffenden Entscheidung zugrunde liegen, genau und umfassend mitzuteilen, es sei denn, dass Gründe der Sicherheit der Republik Österreich dieser Mitteilung entgegenstehen. In der schriftlichen Ausfertigung der Begründung sind auch die Rechtsmittelinstanz und die Rechtsmittelfrist anzugeben.
...
§ 11a Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) idF BGBl. I Nr. 68/2013 lautet:
Beschwerden gegen Bescheide österreichischer Vertretungsbehörden in Visaangelegenheiten
§ 11a (1) Der Beschwerdeführer hat der Beschwerde gegen einen Bescheid einer österreichischen Vertretungsbehörde sämtliche von ihm im Verfahren vor der belangten Vertretungsbehörde vorgelegten Unterlagen samt Übersetzung in die deutsche Sprache anzuschließen.
(2) Beschwerdeverfahren sind ohne mündliche Verhandlung durchzuführen. Es dürfen dabei keine neuen Tatsachen oder Beweise vorgebracht werden.
(3) Sämtliche Auslagen der belangten Vertretungsbehörde und des Bundesverwaltungsgerichtes für Dolmetscher und Übersetzer sowie für die Überprüfung von Verdolmetschungen und Übersetzungen sind Barauslagen im Sinn des § 76 AVG.
(4) Die Zustellung der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes hat über die Vertretungsbehörde zu erfolgen. § 11 Abs. 3 gilt."
Die maßgeblichen Bestimmungen (§§ 6 und 17) des Bundesgesetzes vom 15. Juni 1978 über das internationale Privatrecht (IPR-Gesetz) idgF lauten wie folgt:
Form der Eheschließung:
§ 16 (1) Die Form einer Eheschließung im Inland ist nach den inländischen Formvorschriften zu beurteilen.
(2) Die Form einer Eheschließung im Ausland ist nach dem Personalstatus jedes der Verlobten zu beurteilen; es genügt jedoch die Einhaltung der Formvorschriften des Ortes der Eheschließung.
Vorbehaltsklausel (ordre public)
§ 6 Eine Bestimmung des fremden Rechtes ist nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führen würde, das mit den Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung unvereinbar ist. An ihrer Stelle ist erforderlichenfalls die entsprechende Bestimmung des österreichischen Rechtes anzuwenden.
Die maßgeblichen Bestimmungen (§§ 17 und 21) des Ehegesetzes idgF lauten wie folgt:
§ 17 Form der Eheschließung
(1) Die Ehe wird dadurch geschlossen, dass die Verlobten vor dem Standesbeamten persönlich und bei gleichzeitiger Anwesenheit erklären, die Ehe miteinander eingehen zu wollen.
(2) Die Erklärungen können nicht unter einer Bedingung oder einer Zeitbestimmung abgegeben werden.
§ 21 Mangel der Form
(1) Eine Ehe ist nichtig, wenn die Eheschließung nicht in der durch
§ 17 vorgeschriebenen Form stattgefunden hat.
(2) Die Ehe ist jedoch als von Anfang an gültig anzusehen, wenn die Ehegatten nach der Eheschließung fünf Jahre oder, falls einer von ihnen vorher verstorben ist, bis zu dessen Tode, jedoch mindestens drei Jahre, als Ehegatten miteinander gelebt haben, es sei denn, dass bei Ablauf der fünf Jahre oder zur Zeit des Todes des einen Ehegatten die Nichtigkeitsklage erhoben ist.
§ 28 Abs. 1 bis 3 VwGVG:
(1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
(4) Gelingt es einem Fremden nicht, ein behauptetes Verwandtschaftsverhältnis, auf das er sich in einem Verfahren vor dem Bundesamt oder dem Bundesverwaltungsgericht oder in einem Verfahren gemäß § 35 AsylG 2005 beruft, durch unbedenkliche Urkunden oder sonstige geeignete und gleichwertige Bescheinigungsmittel nachzuweisen, so hat ihm das Bundesamt oder das Bundesverwaltungsgericht auf sein Verlangen und auf seine Kosten die Vornahme einer DNA-Analyse zu ermöglichen. Der Fremde ist über diese Möglichkeit zu belehren. Das mangelnde Verlangen des Fremden auf Vornahme einer DNA-Analyse ist keine Weigerung des Fremden, an der Klärung des Sachverhaltes mitzuwirken. Im weiteren Verfahren darf nur die Information über das Verwandtschaftsverhältnis verarbeitet werden; allenfalls darüber hinaus gehende Daten sind zu löschen. Das Bundesamt oder das Bundesverwaltungsgericht hat dem Fremden die Kosten der DNA-Analyse auf Antrag zu erstatten, wenn das behauptete Verwandtschaftsverhältnis durch das auf der DNA-Analyse beruhende Gutachten festgestellt wurde und sich der Fremde im Bundesgebiet aufhält.
2. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die österreichische Vertretungsbehörde im Ausland in Bezug auf die Erteilung eines Einreisetitels nach § 35 AsylG an die Mitteilung des Bundesasylamtes (nunmehr: des Bundeamtes für Fremdenwesen und Asyl) über die Prognose einer Asylgewährung bzw. Gewährung subsidiären Schutzes gebunden, und zwar auch an eine negative Mitteilung. Diesbezüglich kommt ihr keine eigene Prüfungskompetenz zu (vgl. VwGH 17.10.2013, 2013/21/0152 uvam).
Mit dem Fremdenbehördenneustrukturierungsgesetz - FNG, BGBl. I Nr. 87/2012, wurde in § 9 Abs. 3 FPG jedoch für Fremde (ohne Unterschied) die Möglichkeit geschaffen, gegen ablehnende Entscheidungen der österreichischen Vertretungsbehörden in Visaangelegenheiten Beschwerde an das BVwG zu erheben; dies gilt auch für die Ablehnung eines Einreisetitels nach § 35 AsylG. Das Gesetz sieht nun ein geschlossenes Rechtsschutzsystem vor, in dem das Zusammenwirken zweier Behörden (der unmittelbaren Bundesverwaltung), wie es in § 35 Abs. 4 AsylG angeordnet wird, vor einem gemeinsamen, zuständigen Verwaltungsgericht, nämlich dem BVwG, angefochten und dort überprüft werden kann. Dabei steht es dem BVwG offen, auch die Einschätzung des BFA über die Wahrscheinlichkeit der Gewährung internationalen Schutzes an den Antragsteller auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen, was voraussetzt, dass das BFA seine Mitteilung auch entsprechend begründet und dem Antragsteller Gelegenheit geboten wird, davon Kenntnis zu erlangen und dazu Stellung nehmen zu können. Wird dieses Parteiengehör nicht gewährt, könnte einem bestreitenden Vorbringen des Antragstellers in der Beschwerde an das BVwG gegen eine abweisende Entscheidung in Bezug auf den Einreisetitel nach § 35 AsylG das Neuerungsverbot nach § 11a Abs. 2 FPG nicht entgegen gehalten werden (vgl. auch VwGH vom 04.08.2016, Ra 2016/21/0083 bis 0086-12).
Der VfGH hat in seiner jüngeren Rechtsprechung bereits wiederholt gefordert, im Visaverfahren nach § 35 AsylG auch die Einhaltung des Art. 8 EMRK zu berücksichtigen und sicherzustellen (vgl. insbesondere auch VfGH vom 6. Juni 2014, B 369/2013, und vom 23. November 2015, E 1510- 1511/2015-15).
3. Im gegenständlichen Fall ist zunächst festzuhalten, dass die Beurteilung der belangten Behörde im Hinblick auf die vorgebrachte Eheschließung zwischen der BF1 und der Bezugsperson korrekt ist:
Die vorgelegte afghanische Heiratsurkunde vom 03.12.2017 enthält die an diesem Tag vor einem Gericht in der Provinz Logar erstatteten Aussagen von drei namentlich genannten Personen, wonach die am 11.01.2012, also fünf Jahre zuvor, erfolgte Eheschließung der BF1 mit der Bezugsperson bestätigt werde. Die Urkunde entspricht insofern nicht den üblicherweise vorgelegten Urkunden dieser Art, als die Personaldaten der Eheleute, die unter den Personaldaten der Zeugen einzutragen wären, zur Gänze fehlen. Dies ist sowohl im Originaldokument in Farsi als auch in der englischen und deutschen Übersetzung zu erkennen, da die dafür vorgesehenen Felder leer sind. Auch die auf dieser Art von Urkunde angebrachten Fotos und Unterschriften bzw. Fingerabdrücke der Eheleute fehlen gänzlich, es wurde nicht einmal ein Foto der BF1 angebracht. Die Eheleute werden im Text der Urkunde namentlich genannt, allerdings nur durch den Vornamen und die Vornamen von Vater und Großvater identifiziert. Die Nachnamen fehlen ebenso wie Altersangaben oder die Nummern von Identitätsdokumenten.
Die Beweiskraft derartiger, allein auf Zeugenaussagen basierender Urkunden ist generell gering, weil der Wahrheitsgehalt solcher Zeugenaussagen vor Ausstellung der Urkunden nicht überprüft wird, afghanische Personenstandsurkunden unwahren Inhalts weit verbreitet sind und derartige Dokumente von den Behörden ohne adäquaten Nachweis ausgestellt werden (z.B. deutsches Auswärtiges Amt, 06.11.2015, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, S. 27). Abgesehen davon deuten die oben genannten Merkmale zusätzlich darauf hin, dass diese Urkunde ohne jeglichen Nachweis, insbesondere zur Person der Bezugsperson, die sich zum Ausstellungszeitpunkt schon in Österreich befand, ausgestellt wurde.
Aufgrund der oben angeführten Mängel ist die vorgelegte Heiratsurkunde daher nicht geeignet, die angeblich fünf Jahre zuvor stattgefundene traditionelle Eheschließung zwischen der BF1 und der Bezugsperson nachzuweisen. Weitere schriftliche Nachweise der traditionellen Eheschließung wurden nicht vorgelegt. Auch die Angaben der Bezugsperson im Verfahren, traditionell verheiratet zu sein, sind für sich allein nicht geeignet, eine Eheschließung nachzuweisen.
Urkunden über eine Registrierung der Ehe wurden nicht vorgelegt. Die gerichtlich beurkundeten Zeugenaussagen vom 03.12.2017 über eine Eheschließung stellen keine staatliche Registrierung der Ehe dar.
Gemäß § 16 Abs. 2 IPRG ist die Form einer Eheschließung im Ausland nach dem Personalstatut jedes der Verlobten zu beurteilen; es genügt jedoch die Einhaltung der Formvorschriften des Ortes der Eheschließung. Im vorliegenden Fall ist also die Gültigkeit der behaupteten Ehe nach afghanischem Recht zu beurteilen.
Die maßgeblichen Bestimmungen des afghanischen Zivilgesetzbuches (Madani Qanun) vom 05.01.1977, Amtsblatt der Republik Afghanistan Band 19 (1977) Nr. 353, lauten in der unverändert in Geltung stehenden Stammfassung folgendermaßen:
"Art. 61
(1) Der Eheschließungsvertrag wird in einer öffentlichen Heiratsurkunde von der zuständigen Behörde in drei Kopien ausgefertigt und registriert; das Original wird bei der zuständigen Behörde verwahrt, und jeder der Vertragsparteien wird eine Kopie übergeben. Der Eheschließungsvertrag wird nach der Registrierung der in Art. 46 dieses Gesetzes vorgesehenen zuständigen Personenstandsbehörde mitgeteilt.
(2) Wenn die Registrierung des Eheschließungsvertrages in dieser Weise nicht möglich ist, findet sie in der für die Registrierung öffentlicher Urkunden vorgesehenen Weise statt.
...
Art. 66
Der Eheschließungsvertrag wird in einer einzigen Zusammenkunft durch ausdrückliches Angebot und ausdrückliche Annahme, welche Unverzüglichkeit und Dauerhaftigkeit, aber keine Zeitbegrenzung beinhalten, geschlossen.
...
Art. 77
Für die Ordnungsgemäßheit und Gültigkeit der Eheschließung sind folgende Voraussetzungen erforderlich:
1. Ordnungsgemäße Abgabe von Angebot und Annahme durch die Vertragsparteien oder durch ihre Vormünder bzw. Vertreter,
2. die Anwesenheit zweier geschäftsfähiger Zeugen,
3. das Nichtvorhandensein von dauerhaften oder zeitweiligen Ehehindernissen zwischen den Eheschließenden."
Nach Art. 61 Abs. 2 afghanisches Zivilgesetzbuch ist also für die Gültigkeit des Eheschließungsvertrages seine Registrierung vorgeschrieben, und zwar zumindest "in der für die Registrierung öffentlicher Urkunden vorgesehenen Weise". Ohne den Nachweis durch eine öffentliche Urkunde ist die Ehe nach staatlichem afghanischem Recht ungültig (vgl. Bergman/Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Loseblattsammlung, Afghanistan, 1990, S. 16).
In der Praxis registriert allerdings die große Mehrheit der afghanischen Bevölkerung die Eheschließung nicht bei den staatlichen Behörden, weil die Form der Ehe nach islamischem Recht (Scharia-Familienrecht) für alltägliche Angelegenheiten ausreichend ist, sodass in Afghanistan eine gültige Ehe nach staatlichem Recht die Ausnahme darstellt (vgl. Rights & Democracy, A Woman's Place:
Perspectives on Afghanistan's Evolving Legal Framework, 2010, S. 27-36; Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, Family Structures and Family Law in Afghanistan - A Report of the Fact-Finding Mission to Afghanistan January - March 2005, S. 19-20).
Die vorgelegte "Heiratsurkunde" soll zwar eine traditionell geschlossene Ehe bestätigen, eine Registrierung als öffentliche Urkunde wurde jedoch nicht vorgenommen, obwohl, wie oben angeführt, im noch immer geltenden afghanischen Zivilgesetzbuch von 1977 nicht registrierte Ehen erst als gültig betrachtet werden, wenn ihr Abschluss durch eine öffentliche Urkunde nachgewiesen werden kann. Beispielsweise verlangen daher Schweizer Behörden als Nachweis einer in Afghanistan geschlossenen Ehe eine "Nikah Nama" sowie das grüne Büchlein der Heiratsurkunde im Original samt Übersetzung, beglaubigt durch das "Estra Mahakma" (Supreme Court).
Darüber hinaus läge schon aufgrund des Alters der BF1 zum Zeitpunkt der angeblichen Eheschließung keine in Afghanistan gültige Ehe vor:
Das afghanische Zivilgesetzbuch vom 05.01.1977 führt in Art. 70 aus, dass die Ehefähigkeit bei Frauen eintritt, wenn sie das 16. Lebensjahr vollendet haben, und bei Männern, wenn sie das 18. Lebensjahr vollendet haben. Eine Eheschließung von Mädchen unter 15 Jahren ist ausgeschlossen (vgl. dazu den Bericht des Refugee Documentation Centre (Irland), Country Marriage Pack Afghanistan,
April 2015, in dem es heißt: Article 70 of the Civil Code of
Afghanistan states: "Marriage shall not be considered adequate until the male [has reached] the age of 18 and the female the age of 16."
See also Article 71 which states: "(1) Where the girl does not complete the age provided under Article 70 of this law, the marriage may be concluded only through her father or the competent court. (2) The marriage of a minor girl whose age is less then 15 shall never be permissible.")
Aus den von der BF1 mit dem Antrag vorgelegten Unterlagen zur Eheschließung ergibt sich, dass diese im Zeitpunkt ihrer Eheschließung im Jänner 2012 erst 14 Jahre alt und somit nicht ehemündig war. Es würde daher auch nach afghanischem Recht keine gültige Ehe vorliegen. Auch nach österreichischen Recht ist eine Ehe, die von einer 14-Jährigen geschlossen wird, keinesfalls gültig und widerspricht den Grundwerten der österreichischen Rechtsordnung.
Der Oberste Gerichtshof hat jeweils unter Verweis auf Art 16 Haager Minderjährigenschutzabkommen und § 6 IPRG in seinen Entscheidungen OGH 7Ob 600/86, 9 Ob 34/10f und 6 Ob 138/13g dargelegt, dass außerhalb der verfassungsrechtlich geschützten Grundwertungen etwa die Einehe, das Verbot der Kinderehe und des Ehezwanges, der Schutz des Kindeswohles im Kindschaftsrecht oder das Verbot der Ausbeutung der wirtschaftlichen und sozial schwächeren Partei zum Inhalt der geschützten Grundwertungen des österreichischen Rechts zählen.
Es ist daher im gegenständlichen Verfahren davon auszugehen, dass keine rechtskonforme Ehe gemäß dem Internationalen Privatrechtsgesetz mit einem anerkannten Flüchtling in Österreich besteht. Nach § 6 IPRG ist eine Bestimmung des fremden Rechtes dann nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führen würde, das mit den Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung unvereinbar ist. Eine Kinderehe widerspricht eindeutig den Grundwerten der österreichischen Rechtsordnung, und folgt aus § 6 IPRG, dass die von der BF1 angegebene, in Afghanistan geschlossene Ehe hier keinen Rechtsbestand hat.
Der Verwaltungsgerichtshof hat zuletzt bei einem analogen Sachverhalt in Bezug auf eine traditionell nach islamischem Recht geschlossene Ehe in seiner Entscheidung vom 11.10.2016, Ra 2016/01/0025 bis 0026-11, die Revision gegen eine Entscheidung, in welcher eine "Ehe auf Zeit" als dem ordre public im Sinne des § 6 IPRG widersprechend angesehen wurde, zurückgewiesen.
Auch aus der Entscheidung des EGMR vom 08.12.2009 (Case of Munoz Diaz vs. Spain, No. 49.151/07) geht hervor, dass keine Verpflichtung besteht, Eheschließungen auf Grundlage fremder Rechtsordnungen anzuerkennen, die den Grundwerten der nationalen Rechtsordnung widersprechen.
Der BF1 ist es daher nicht gelungen, eine Eheschließung mit der Bezugsperson nachzuweisen, und läge auch bei Wahrunterstellung keine der afghanischen oder österreichischen Rechtsordnung entsprechende, gültige Eheschließung vor.
4. Im gegenständlichen Fall hat die belangte Behörde jedoch keinerlei Ausführungen bzw. Feststellungen darüber, ob der minderjährige BF2 der Sohn der in Österreich asylberechtigten Bezugsperson ist, getroffen, sondern den angefochtenen Bescheid lediglich damit begründet, dass das behauptete Eheverhältnis zwischen der BF1 und der Bezugsperson vor Ausreise der Bezugsperson nicht nachgewiesen werden habe können, bzw. die behauptete Eheschließung den Grundsätzen des "ordre public" widersprochen habe. Die belangte Behörde hat lediglich betreffend die BF1 Ermittlungen angestellt und Feststellungen getroffen und es gänzlich unterlassen, sich mit der Familieneigenschaft des BF2 auseinanderzusetzen. Eine allein darauf gestützte Begründung und damit ein Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt würde die Entscheidung jedoch mit Willkür belasten (vgl. dazu VfGH 11.06.2018, E3362/2017; VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001). Der belangten Behörde ist dadurch eine besonders gravierende Ermittlungslücke unterlaufen, die mit einer gänzlichen Unterlassung eines Ermittlungsschrittes gleichzusetzen ist.
Hinzuweisen ist in dem Zusammenhang auf die ständige Rechtsprechung des EGMR, wonach ein von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschütztes Familienleben zwischen Eltern und Kind mit dem Zeitpunkt der Geburt entsteht (vgl. EGMR 21.6.1988, Fall Berrehab, Appl. 10730/84 [Z 21]; 26.5.1994, Fall Keegan, Appl. 16969/90 [Z 44]). Diese besonders geschützte Verbindung kann in der Folge nur unter außergewöhnlichen Umständen als aufgelöst betrachtet werden (EGMR 19.2.1996, Fall Gül, Appl. 23218/94 [Z 32]).
Falls die Beweismittel als nicht geeignet befunden wurden, um das behauptete Verwandtschaftsverhältnis zwischen dem BF2 und der Bezugsperson nachzuweisen, wäre eine DNA-Analyse zum Nachweis der Familienangehörigeneigenschaft erforderlich gewesen. Bevor ein Antrag gemäß § 35 AsylG aufgrund von Zweifeln an einem Verwandtschaftsverhältnis abgewiesen wird, hat jedenfalls gemäß § 13 Abs. 4 BFA-VG eine organisatorische Hilfestellung zur Beibringung des DNA-Nachweises und die entsprechende Belehrung zu erfolgen (arg:
"hat ihm (...) zu ermöglichen"; "ist (...) zu belehren"). Aus den vorgelegten Verfahrensakten ist nicht ersichtlich, dass die BF über die Möglichkeit einer DNA-Analyse belehrt wurden. Insoweit liegt ein Verstoß gegen die Regelung des § 13 Abs. 4 BFA-VG vor.
Die Behörde wird daher im fortgesetzten Verfahren - unter Berücksichtigung der höchstgerichtlichen Judikatur (vgl. VwGH 22.02.2018, RA2017/18/0131) - eine entsprechende Belehrung gemäß § 13 Abs. 4 BFA-VG durchzuführen und den BF Gelegenheit zur Vornahme einer solchen DNA-Analyse zu geben haben.
Sollte es im fortgesetzten Verfahren im Zuge der DNA-Gutachtensergebnisse erweislich sein, dass der BF2 der Sohn der Bezugsperson und der BF1 ist, könnte die Frage der Visaerteilung an die BF1 neu zu beurteilen sein.
Im Hinblick auf die Familieneigenschaft zwischen der BF1 und dem BF2 ist darauf zu verweisen, dass der VfGH in seiner jüngeren Rechtsprechung bereits wiederholt gefordert hat, in Visa-Verfahren nach § 35 AsylG auch die Einhaltung des Art. 8 EMRK zu berücksichtigen und sicherzustellen (vgl. insbesondere VfGH 06.06.2014, B369/2013; 23.11.2015, E1510-1511/2015-15; 27.11.2017, E1001-1005/2017). Aus der Judikatur des VfGH ergibt sich zumindest, dass eine konkrete und individuelle Prüfung der beteiligten Interessen nach den Kriterien des Art. 8 EMRK stattzufinden hat und eine eventuelle Ablehnung eines Einreisetitels entsprechend begründet werden muss.
Der Bezugsperson wurde per 15.04.2015 mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts W126 1435604-1/11E der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Der Einreiseantrag wurde am 03.10.2018, somit jedenfalls außerhalb der in § 35 Abs. 1 AsylG vorgesehenen dreimonatigen Frist und auch außerhalb der in § 75 Abs. 24 AsylG vorgesehenen dreimonatigen Übergangsfrist nach Inkrafttreten des BGBL I. Nr. 24/2016 am 01.06.2016, innerhalb derer die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 AsylG nicht erfüllt werden müssten, gestellt. Im vorliegenden Fall wurden bereits diverse Unterlagen vorgelegt, anhand derer die Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 AsylG überprüft werden können. Im fortgesetzten Verfahren sind diese Voraussetzungen jedoch einer aktuellen Prüfung zu unterziehen.
Aus obgenannten Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG aufzuheben und der ÖB Islamabad die Erlassung eines neuen Bescheides aufzutragen.
Gemäß § 11a Abs. 2 FPG war das Beschwerdeverfahren ohne mündliche Verhandlung durchzuführen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
In den rechtlichen Ausführungen zu Spruchteil A) wurde ausgeführt, dass die Feststellung des entscheidungswesentlichen Sachverhalts durch das Bundesverwaltungsgericht selbst im Rahmen des Beschwerdeverfahrens in Visaangelegenheiten nicht im Interesse der Raschheit und der Kostenersparnis gelegen ist. Im Übrigen trifft § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG eine klare, im Sinne einer eindeutigen, Regelung (vgl. OGH 22.03.1992, 5Ob105/90), weshalb keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vorliegt.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, individuelleEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W241.2224280.1.00Zuletzt aktualisiert am
28.02.2020