TE Bvwg Beschluss 2019/11/13 W256 2192498-1

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Veröffentlicht am 13.11.2019
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Entscheidungsdatum

13.11.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art. 133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz 2

Spruch

W256 2192498-1/9E

W256 2192496-1/6E

W256 2192497-1/6E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag. Caroline KIMM als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1. XXXX , geboren XXXX 2. XXXX , geboren am XXXX und 3. XXXX , geboren am XXXX , alle StA. Somalia, gegen Spruchpunkt I. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 6. März 2018, 1. Zl. XXXX , 2. Zl. XXXX und 3. Zl. XXXX :

A)

Die angefochtenen Bescheide werden betreffend Spruchpunkt I. gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufgehoben und die Angelegenheiten zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter der minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin und des minderjährigen Drittbeschwerdeführers.

Diese stellte am 21. Dezember 2017 für sich und die Zweit- und Drittbeschwerdeführer jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).

Im Rahmen der Erstbefragung am 22. Dezember 2017 führte die Erstbeschwerdeführerin zu ihren Fluchtgründen befragt im Wesentlichen aus, sie habe mit der Familie ihres Ehemannes, der im Unterschied zu ihr einem Mehrheitsclan angehört habe, Probleme gehabt.

Die Erstbeschwerdeführerin wurden am 28. Februar 2018 durch ein Organ der belangten Behörde befragt. Dabei führte die Erstbeschwerdeführerin zu ihren Fluchtgründen u.a. Folgendes ergänzend aus: "Eines Tages nahmen sie mir die Tochter weg. Sie haben sie von der Schule entführt. Die Nachbarn haben mir das erzählt. Ich lief zur Schule und der Lehrer sagte, dass er glaubt, dass es die Tante war und ich bin dorthin und sah, dass sie meine Tochter beschneiden wollten. Ich habe geschrien und die Nachbarn sind dann gekommen. Ich bin dann mit meiner Tochter nach Hause und die Tante von meinem Mann, seine Schwester und deren Ehemann sind dann gekommen. Ich wusch gerade die Wäsche und der Cousin von meinem Mann hat dann mit einem Messer auf mich eingestochen. Ich fiel in Ohnmacht und weiß nicht, was dann passierte. Ich bin im Spital aufgewacht. Ich war fünf Monate im Spital." Zu den Fluchtgründen ihrer Kinder befragt führte die Erstbeschwerdeführerin aus, dass diese die gleichen Gründe hätten.

Mit den angefochtenen Bescheiden wies die belangte Behörde die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten jeweils ab (Spruchpunkt I.), der Status der subsidiär Schutzberechtigten wurde ihnen dagegen jeweils zuerkannt (Spruchpunkt II.) und eine befristete Aufenthaltsberechtigung jeweils erteilt (Spruchpunkt III). Begründend führte die belangte Behörde - soweit hier wesentlich - aus, die von der Erstbeschwerdeführerin geschilderte Verfolgung sei nicht glaubhaft. Insbesondere spreche u.a. gegen die Ernsthaftigkeit einer Bedrohung durch die Familie, dass die Erstbeschwerdeführerin die Zweitbeschwerdeführerin "einfach" nehmen und nach Hause habe gehen können und damit eine Beschneidung der Zweitbeschwerdeführerin verhindert habe. Zudem führte die belangte Behörde in Bezug auf die Zweitbeschwerdeführerin Folgendes aus:

"Abschließend weist das Bundesamt darauf hin, dass die prekäre Lage von Frauen und Kindern in Somalia wie auch die schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen keineswegs banalisiert werden, allerdings mangelt es ausgehend von den Darlegungen Ihrer Mutter an der besonderen Vulnerabilität, die sie in besonderem Maße als gefährdet erscheinen lässt.

Ergänzend sei an dieser Stelle noch auf die aktuellen Länderfeststellungen der BFA Staatendokumentation im Zusammenhang mit der weiblichen Genitalverstümmelung zu verweisen, die wie folgt anführen:

"Die Hauptrolle bei der Entscheidung, ob eine Beschneidung stattfindet, liegt in erster Linie bei der Mutter, im geringeren Maße bei der Großmutter. Der Vater spielt bei dieser Entscheidung kaum eine Rolle [..]. Um eine Verstümmelung zu vermeiden, kommt es also auf die Standhaftigkeit der Mutter an. Auch der Bildungshintergrund, der soziale Status sowie die kulturelle und geographische Zugehörigkeit spielen eine Rolle. Es gibt sowohl in urbanen als auch ländlichen Gebieten Eltern, die ihre Töchter nicht verstümmeln lassen. Leichter ist dies aber in Städten, wo die Anonymität eher gegeben bzw. die enge soziale Interaktion geringer ist [..]"

In Ihrem Fall kann es mangels Vorliegen einer glaubhaft gemachten Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention aus den oben angeführten Gründen nicht zu einer Zuerkennung des Status des Asylberechtigten kommen."

Es sei daher insgesamt die Zuerkennung des Status von Asylberechtigten für die Beschwerdeführer nicht in Betracht gekommen.

Gegen Spruchpunkt I. dieser Bescheide richtet sich die vorliegende Beschwerde der Beschwerdeführer. Darin wird im Wesentlichen auf eine im Falle einer Rückkehr nach Somalia drohende Verfolgung, insbesondere u.a. der Zweitbeschwerdeführerin im Hinblick auf eine Genitalverstümmelung hingewiesen und habe sich die belangte Behörde damit in keiner Weise auseinandergesetzt.

Die belangte Behörde legte die Beschwerde samt den Verwaltungsakten dem Bundesverwaltungsgericht vor.

Mit Schreiben vom 28. November 2018 wurde über Ersuchen dem Bundeverwaltungsgericht eine ärztliche Bestätigung vom 27. November 2018 durch die Beschwerdeführer vorgelegt. Darin wird ausgeführt, dass aus kinderärztlicher Sicht bei der Zweitbeschwerdeführerin eine Teilbeschneidung ersichtlich sei.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Rechtliche Beurteilung:

1. zu Spruchpunkt A)

zur Zweitbeschwerdeführerin:

Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat. Diese Vorgangsweise setzt nach § 28 Abs. 2 Ziffer 2 voraus, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

In seinem Erkenntnis vom 26. Juni 2014, Zl. Ro 2014/03/0063, hielt der Verwaltungs-gerichtshof fest, dass eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG insbesondere dann in Betracht kommen wird, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. auch den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. Jänner 2017, Zl. Ra 2016/12/0109, Rz 18ff.).

Der angefochtene Bescheid ist aus folgenden Gründen in Bezug auf die Zweitbeschwerdeführerin mangelhaft:

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

Im vorliegenden Fall hat die Erstbeschwerdeführerin als gesetzliche Vertretung auch für ihre minderjährige Tochter, die Zweitbeschwerdeführerin und damit für eine Familienangehörige im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

§ 34 Abs. 4 AsylG 2005 ordnet ausdrücklich an, dass jeder Antrag eines Familienangehörigen gesondert zu prüfen und über jeden mit gesondertem Bescheid abzusprechen ist.

Daraus folgt aber, dass für jeden Familienangehörigen allfällige eigene Fluchtgründe zu ermitteln sind. Nur wenn solche - nach einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren - nicht hervorkommen, ist dem Familienangehörigen jener Schutz zu gewähren, der bereits einem anderen Familienangehörigen gewährt wurde (siehe dazu u.a. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. März 2015, Ra 2014/19/0063 m.v.w.H sowie jüngst das Erkenntnis des Verwaltungsgerichthofes vom 15. Oktober 2018, Ra 2018/14/0143).

Im vorliegenden Fall hat sich die belangte Behörde mit den eigenen Fluchtgründen der Zweitbeschwerdeführerin in keiner Weise auseinandergesetzt.

Die Erstbeschwerdeführerin hat im Rahmen der Befragung vor der belangten Behörde auf die mögliche Gefährdung ihrer Tochter infolge einer Genitalverstümmelung hingewiesen. Dennoch hat sich die belangte Behörde mit einer solchen Gefährdung der Zweitbeschwerdeführerin an sich nicht auseinandergesetzt, sondern die in diesem Zusammenhang geschilderte Gefährdungssituation lediglich als Argument für das unglaubhafte Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin in Bezug auf eine geschilderte generelle Verfolgung durch die Familie des Ehemannes herangezogen.

Die belangte Behörde wäre aber angesichts des Vorbringens der Erstbeschwerdeführerin verpflichtet gewesen, sich mit einer die Zweitbeschwerdeführerin allfällig drohenden Genitalverstümmelung konkret auseinanderzusetzen.

Dies umso mehr, als - wie in der Beschwerde letztlich auch vorgebracht - gerade Mädchen in Somalia eine asylrelevante Verfolgung aufgrund einer Genitalverstümmelung drohen kann (siehe dazu die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. Juni 2017, Ra 2017/01/0039 und vom 1. März 2018, Ra 2017/19/0545 u.v.m.), welche laut den eigenen von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid herangezogenen Länderberichten hauptsächlich durch eine standhafte Weigerung der Mutter unterbunden werden kann.

Daran ändert auch nichts, dass - wie das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgebracht hat - die Zweitbeschwerdeführerin laut Kinderärztin zum Teil beschnitten sei, weil selbst eine (vollständige) Genitalverstümmelung nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes keinesfalls ohne weitere Ermittlungen die Annahme rechtfertige, dass die individuelle Situation der Zweitbeschwerdeführerin von vornherein nicht asylrechtlich relevant wäre (siehe dazu zuletzt VfGH 23.9.2019, E 1948/2018-13).

Dadurch, dass die belangte Behörde dies verkannte und insofern die Erstbeschwerdeführerin zur Gefährdung der Zweitbeschwerdeführerin in Bezug auf eine Genitalverstümmelung nicht einmal befragt hat, wurde der Zweitbeschwerdeführerin aber die Möglichkeit einer eingehenden und gesonderten Auseinandersetzung mit den eigenen Fluchtgründen genommen.

Die belangte Behörde wird daher im fortgesetzten Verfahren angehalten, sich mit den Fluchtgründen der Zweitbeschwerdeführerin (eingehend) auseinanderzusetzen und dazu konkrete Ermittlungsschritte, sei es durch eine gezielte Befragung der Mutter, durch Einholung von entsprechenden Länderberichten oder durch weitere sich daraus ergebender Maßnahmen, zu setzen.

Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Ermittlung und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Denn die belangte Behörde ist als Spezialbehörde im Rahmen der Staatendokumentation gemäß § 5 BFA-Einrichtungsgesetz für die Sammlung relevanter Tatsachen zur Situation in den betreffenden Staaten samt den Quellen zuständig. Überdies soll eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst beim Bundesverwaltungsgericht beginnen und zugleich enden.

Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - auch angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - nicht ersichtlich.

Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind daher im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben. Folglich war das Verfahren betreffend die Zweitbeschwerdeführerin zur neuerlichen Entscheidung an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

zur Erstbeschwerdeführerin und zum Drittbeschwerdeführer:

Wie bereits oben ausgeführt wurde, handelt es sich bei der Erstbeschwerdeführerin als Mutter um eine Familienangehörige der Zweitbeschwerdeführerin im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005. Da das die Zweitbeschwerdeführerin betreffende Verfahren hinsichtlich der Gewährung des Status von Asylberechtigten wieder bei der belangten Behörde anhängig ist und gemäß § 34 Abs. 4 AsylG 2005 Verfahren von Familienangehörigen "unter einem" zu führen sind, war der die Erstbeschwerdeführerin betreffende Bescheid ebenso an die belangte Behörde zurückzuverweisen (siehe dazu die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 30. Juni 2011, 2011/23/0098; vom 25. November 2009, 2007/01/1153; sowie vom 26. Juni 2007, 2007/20/0281, ua). Gleiches gilt für den Drittbeschwerdeführer als minderjährigem ledigen Sohn und damit Familienangehörigen im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG der Erstbeschwerdeführerin (siehe insbesondere § 34 Abs. 6 Z 2 AsylG).

Eine mündliche Verhandlung konnte im vorliegenden Fall gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG unterbleiben, weil bereits aufgrund der Aktenlage feststand, dass die angefochtenen Bescheide "aufzuheben" waren. Dieser Tatbestand ist auch auf Beschlüsse zur Aufhebung und Zurückverweisung anwendbar (vgl. zur gleichartigen früheren Rechtslage Hengstschläger/Leeb, AVG [2007] § 67d Rz 22).

2. zu Spruchpunkt B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist unzulässig, weil keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt: Dass eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG insbesondere dann in Betracht kommt, wenn die Verwaltungsbehörde bloß ansatzweise bzw. unzureichend ermittelt, entspricht der oben zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

3. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, individuelle
Verhältnisse, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W256.2192498.1.00

Zuletzt aktualisiert am

27.02.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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