TE Bvwg Erkenntnis 2019/11/15 W268 2193436-1

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Veröffentlicht am 15.11.2019
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Entscheidungsdatum

15.11.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W268 2193436-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Iris Gachowetz über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Somalia, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.03.2018, XXXX , zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin (BF) stellte am 03.04.2016 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz und wurde am 04.04.2016 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Am 27.02.2018 wurde die BF von der belangten Behörde, dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), zu ihren Fluchtgründen niederschriftlich einvernommen.

Im behördlichen Verfahren gab die BF als Fluchtgrund im Wesentlichen an, sie sei somalische Staatsangehörige und stamme aus Kismayo. Sie habe Somalia aufgrund des Krieges verlassen. Die BF sei außerdem ein uneheliches Kind gewesen und kenne ihre eigene Familie nicht. Sie sei deshalb von einer Pflegefamilie aufgezogen worden. Sie sei als uneheliches Kind oft von den Nachbarn misshandelt und beleidigt worden. Im Rahmen eines Nachbarschaftsstreites sei die BF von der Mutter eines in den Streit involvierten Nachbarschaftsjungen geschlagen worden. Die BF sei in Folge zu einer Schwester ihrer Pflegemutter gekommen. Dort sei sie sehr schlecht von der Schwester ihrer Ziehmutter behandelt worden und der Schwager dieser Schwester habe die BF vergewaltigt. Daraufhin habe der Pflegevater der BF den besagten Schwager erschossen, wobei der Pflegevater ca. 2 Tage später selbst umgebracht worden sei. Die BF sei deshalb von ihrer Pflegemutter verstoßen worden. Auf einer Straße habe die BF einen Mann kennengelernt, bei dem sie wohnen konnte. Die Haushälterin dieses Mannes habe der BF bei der Flucht geholfen. In Folge der Vergewaltigung sei die BF zudem ein weiteres Mal durch ihre Ziehmutter beschnitten worden.

Eine bei der BF durchgeführtes Verfahren zur Volljährigkeitsbeurteilung ergab, dass die BF zum Antragszeitpunkt mit großer Wahrscheinlichkeit minderjährig war.

Im Rahmen des erstinstanzlichen Verfahrens wurden mehrere medizinische Befunde vorgelegt, aus denen sich unter anderem ergab, dass bei der BF am 16.02.2018 eine Defibulation sowie Labienrekonstruktion aufgrund einer vorherigen Beschneidung des Grades III gemäß WHO (Infibulation) durchgeführt worden sei. In der Ambulanzkarte wurde dazu auch ua ausgeführt, dass die BF mit 10 Jahren vergewaltigt worden sei und zwei Monate danach erneut beschnitten worden sei (zugenäht).

Mit Schriftsatz vom 06.03.2018 wurde eine Stellungnahme eingebracht, in welcher neuerlich der Sachverhalt wiederholt und insbesondere auch auf die Minderjährigkeit der BF sowie auf die begründete Furcht der BF vor Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppen der "als Opfer von sexueller Gewalt stigmatisierten Frauen" verwiesen wurde.

Mit dem im Spruch genannten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.03.2018 wurde der Antrag der BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde der BF der Status einer subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II). Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG wurde der BF eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 13.03.2019 erteilt (Spruchpunkt III). In der Beweiswürdigung führte die Behörde aus, dass die BF eine asylrelevante Verfolgungsgefahr nicht glaubhaft habe machen können. Die geschilderte Fluchtgeschichte - eine Vergewaltigung durch den Schwager der Pflegemutter der BF - sei aufgrund der vagen und abstrakten Erzählung nicht glaubhaft. Außerdem sei nicht nachvollziehbar, warum die BF die Vergewaltigung nicht bereits bei der Erstbefragung erwähnte. Zudem habe die BF von sich aus keine konkreten Angaben gemacht, wann diese Ereignisse und Vorfälle stattgefunden hätten. Im Hinblick auf die Feststellungen zur Situation der BF im Falle einer Rückkehr wurde schließlich ausgeführt, dass die BF eine weibliche Person ohne männliche Bezugsperson in ihrem Heimatland sei. Der BF drohe daher die reale Gefahr einer Menschenrechtsverletzung. Die Abschiebung sei somit unzulässig und der BF sei der Status der subsidiär Schutzberechtigen zuzuerkennen.

Mit Verfahrensordnung vom 13.03.2018 wurde der BF gemäß § 63 Abs. 2 AVG amtswegig ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt.

3. Mit Schriftsatz vom 16.04.2018 wurde fristgerecht Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des Bescheides erhoben und Mangelhaftigkeit des Verfahrens und Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend gemacht. Das Fluchtvorbringen der BF sei glaubhaft und so konkret wie möglich geschildert worden. Die BF sei minderjährig gewesen; dies sei bei der Bescheidbegründung nicht ordnungsgemäß berücksichtigt worden. Der BF sei somit der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen gewesen.

Mit Schriftsatz vom 24.04.2018 legte die belangte Behörde dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde mit dem Verwaltungsakt vor und verzichtete auf die Durchführung und Teilnahme an einer mündlichen Beschwerdeverhandlung.

Mit Schriftsatz vom 28.05.2019 wurde eine Kopie eines Mutter-Kind-Passes an das Bundesverwaltungsgericht übermittelt, aus welchem ua ersichtlich ist, dass sich die BF einer Defibulation unterzog und der voraussichtliche Geburtstermin der 23.09.2019 ist.

Hinsichtlich des Verfahrensinhaltes sowie des Inhaltes der Beschwerde im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person der Beschwerdeführerin

Die BF, deren präzise Identität nicht zweifelsfrei festgestellt werden konnte, ist eine weibliche, mittlerweile volljährige somalische Staatsangehörige.

Sie stellte am 03.04.2016 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. Die BF wurde in Somalia geboren und wohnte zunächst XXXX sowie zuletzt bis zu ihrer Ausreise in Kismayo.

Die BF wurde als uneheliches Kind geboren und kennt ihre leiblichen Eltern nicht. Aus diesem Grund kennt die BF auch nicht ihre Stammeszugehörigkeit. Sie wuchs bei einer Pflegefamilie auf. Der Pflegevater verstarb jedoch noch vor der Ausreise der BF, die Pflegemutter verstieß die BF. Die BF hat keinen Kontakt mehr mit der Pflegemutter sowie den Kindern der Pflegefamilie. Sie hat auch keine weiteren Angehörigen oder Kontaktpersonen mehr in Somalia.

Ob die BF vom Ehemann der Schwester ihrer Pflegemutter vergewaltigt wurde, kann nicht festgestellt werden.

Die BF ist gesund und strafgerichtlich unbescholten. Sie wurde in Somalia einer Beschneidung des Grades III gemäß WHO (Infibulation) unterzogen und unterzog sich in Österreich einer Defibulation.

1.2. Die BF hat somit keine ihr bekannten Familienangehörigen oder andere konkrete Bezugspersonen in Somalia. Die BF kann in Somalia auf kein verlässliches stabiles familiäres Netzwerk zurückgreifen, das ihr ausreichenden Schutz bieten würde. Es steht ihr auch kein Schutz durch männliche Verwandte, auf staatlicher Seite oder durch einen Clan zur Verfügung, zumal die BF nicht einmal ihre Clanzugehörigkeit kennt. Die BF gehört in Somalia der Gruppe der alleinstehenden Frauen an, denen geschlechtsspezifische Gewalt droht. Eine geschlechtsspezifische Verfolgung im Falle ihrer Rückkehr ist damit mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in ganz Somalia gegeben.

1.3. Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat

Die aktuelle Verfassung betont in besonderer Weise die Rolle und die Menschenrechte von Frauen und Mädchen und die Verantwortung des Staates in dieser Hinsicht. Tatsächlich ist deren Lage jedoch weiterhin besonders prekär. Frauen und Mädchen bleiben den besonderen Gefahren der Vergewaltigung, Verschleppung und der systematischen sexuellen Versklavung ausgesetzt. Wirksamer Schutz gegen solche Übergriffe, insbesondere in den Lagern der Binnenvertriebenen, ist mangels staatlicher Autorität bisher nicht gewährleistet (AA 1.12.2015).

Gewalt gegen Frauen - insbesondere sexuelle Gewalt - ist laut Berichten der UNO und internationaler NGOs in der gesamten Region weit verbreitet (ÖB 10.2015; vgl. UNHRC 28.10.2015). Besonders betroffen sind davon IDPs in Flüchtlingslagern, insbesondere in Mogadischu (ÖB 10.2015; vgl. UNHRC 28.10.2015; USDOS 13.4.2016). Auch Frauen und Mädchen von Minderheiten sind häufig unter den Opfern von Vergewaltigungen. Dabei gibt es aufgrund der mit einer Vergewaltigung verbundenen Stigmatisierung der Opfer eine hohe Dunkelziffer (UNHRC 28.10.2015; vgl. UKHO 3.2.2015; USDOS 13.4.2016). Die Täter sind bewaffnete Männer, darunter auch Regierungssoldaten, Milizionäre (HRW 27.1.2016; vgl. UNHRC 28.10.2015; USDOS 13.4.2016), Polizisten und Mitglieder der Al Shabaab (UNHRC 28.10.2015).

Vergewaltigung ist zwar gesetzlich verboten (AA 1.12.2015; vgl. ÖB 10.2015), die Strafandrohung beträgt 5-15 Jahre, vor Militärgerichten auch den Tod (USDOS 13.4.2016). Hinsichtlich geschlechtsspezifischer Gewalt herrscht aber weitgehend Straflosigkeit. Strafverfolgung oder Verurteilungen wegen Vergewaltigung oder anderer Formen sexueller Gewalt sind in Somalia rar (UKHO 3.2.2015; vgl. AA 1.12.2015; ÖB 10.2015; USDOS 13.4.2016). Bei der Strafjustiz herrscht Unfähigkeit (UNHRC 28.10.2015). Manchmal verlangt die Polizei von den Opfern, die Untersuchungen selbst zu tätigen (Suche nach Zeugen, Lokalisierung von Schuldigen) (USDOS 13.4.2016; vgl. UKHO 3.2.2015).

Zwangsehen sind weit verbreitet (ÖB 10.2015). Zwangsehen durch Al Shabaab kommen in der Regel nur dort vor, wo die Gruppe die Kontrolle hat (C 18.6.2014; vgl. USDOS 13.4.2016; UKHO 3.2.2015; DIS 9.2015). Dort sind Frauen und Mädchen einem ernsten Risiko ausgesetzt, von Al Shabaab entführt, vergewaltigt und zu einer Ehe gezwungen zu werden (UKHO 3.2.2015; vgl. USDOS 13.4.2016). Eine Verweigerung kann für das Mädchen oder ihre Familie den Tod bedeuten (DIS 9.2015; vgl. NOAS 4.2014). Aus Städten unter Kontrolle von AMISOM und somalischer Armee gibt es keine Berichte hinsichtlich Zwangsehen mit Kämpfern der Al Shabaab; wohl aber gibt es Berichte über diesbezügliche Drohungen via SMS (DIS 9.2015). Hingegen zwingen auch Angehörige bewaffneter Milizen und Clanmilizen Mädchen zur Eheschließung (UNHRC 28.10.2015).

Für alleinstehende Frauen und Alleinerzieherinnen ohne männlichen Schutz - vor allem für Minderheitenangehörige - ist eine innerstaatliche Relokationsmöglichkeit nicht gegeben. Dies gilt in Anbetracht der Umstände, dass weder relevante Unterstützungsnetzwerke noch eine Aussicht auf einen ausreichenden Lebensunterhalt gegeben sind (UKHO 3.2.2015).

Es mangelt den IDPs an Schutz (UNHRC 28.10.2015). Die Regierung und Regionalbehörden bieten den IDPs nur unwesentlichen Schutz und Unterstützung. Dies ist vor allem auf die beschränkten Ressourcen und Kapazitäten sowie auf eine schlechte Koordination zurückzuführen (USDOS 13.4.2016). So sehen sich IDPs der Diskriminierung sowie sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt (UNHRC 28.10.2015). In Mogadischu sind dafür Regierungs- und alliierte Kräfte sowie Zivilisten verantwortlich (HRW 27.1.2016). Viele der Opfer von Vergewaltigungen waren Frauen und Kinder in und um Mogadischu, im Afgooye-Korridor, in Bossaso, Galkacyo und Hargeysa (USDOS 13.4.2016).

IDPs - und hier v.a. Frauen und Kinder - sind extrem vulnerabel. Humanitäre Hilfsorganisationen sehen sich Sicherheitsproblemen und Restriktionen ausgesetzt (HRW 27.1.2016). Viele IDPs leben in überfüllten und unsicheren Lagern und haben dort nur eingeschränkten Zugang zu Wasser, sanitären Einrichtungen und grundlegender Hygiene (UNHRC 28.10.2015).

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Feststellungen ergeben sich aus den von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsunterlagen sowie den Aktenbestandteilen des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens. Als Beweismittel insbesondere relevant sind die Niederschriften der Einvernahmen durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und durch das BFA, das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation - Somalia vom 12.01.2018 ("LIB 2018-1") bzw. dasselbe LIB vom 12.01.2018, jedoch aktualisiert am 17.09.2018 ("LIB 2018-2") mit den darin enthaltenen, bei den Feststellungen näher zitierten Berichten und der Strafregisterauszug vom 01.08.2019. Im Hinblick auf die dem Bundesverwaltungsgericht mittlerweile vorliegenden neueren Länderfeststellungen hat sich die allgemeine Lage in Bezug auf das Vorbringen der BF nicht geändert.

2.2.1. Zur Person der Beschwerdeführerin

Die Identität konnte mangels Vorlage (unbedenklicher) Dokumente nicht bewiesen werden, weshalb hinsichtlich Name und Geburtsdatum Verfahrensidentität vorliegt. Das Datum der Antragstellung und Ausführungen zum Verfahrenslauf ergeben sich aus dem Akteninhalt.

Die Feststellung zur nicht bekannten Clanzugehörigkeit der BF beruht auf den diesbezüglich glaubhaften Angaben der BF im Verfahren und wurde dies auch durch die belangte Behörde nicht angezweifelt. Aufgrund der diesbezüglich immer gleichbleibenden Angaben der BF hat auch das Bundesverwaltungsgericht keinen Grund, an diesen Angaben zu zweifeln.

Das Bundesverwaltungsgericht erachtet weiters die Angaben zu ihrer Person (Staatsangehörigkeit, Herkunft, Schulbildung, etc) sowie zu Familienverhältnissen für persönlich glaubwürdig, weil sie im Verfahren im Wesentlichen gleichbleibende Angaben machte. Diese Angaben wurden zudem auch von der belangten Behörde als glaubhaft festgestellt (siehe S.49 des Bescheids). Für das Bundesverwaltungsgericht haben sich keine Anhaltspunkte ergeben, von diesen Feststellungen abzugehen, wie auch hinsichtlich der Feststellungen der belangten Behörde, dass die BF keine männliche Bezugsperson in Somalia hat (vgl. dislozierte Behördenfeststellung auf Seite 55 des angefochtenen Bescheides). Die BF hat gleichbleibend angegeben, dass sie ihre leibliche Familie nicht kenne und bei einer Pflegefamilie aufgewachsen sei. Kontaktmöglichkeit bzw. intensive Beziehung sowie eine männliche Bezugsperson bestünden nicht mehr (vgl. Seite 2 der Erstbefragung und Seite 5 der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA). Daraus ergibt sich auch die Feststellung, dass sie auf kein familiäres Netzwerk zurückgreifen könnte.

Ob die BF vom Ehemann der Schwester ihrer Pflegemutter tatsächlich vergewaltigt wurde, kann aufgrund der diesbezüglich vagen und unkonkreten Aussagen der BF nicht festgestellt werden.

Die BF ist gesund und strafgerichtlich unbescholten. Sie unterzog sich in Österreich einer Defibulation.

Dass die BF strafgerichtlich unbescholten ist, ergibt sich aus einem Auszug aus dem Strafregister vom 01.08.2019. Hinweise auf eine Erkrankung kamen im Laufe des Verfahrens nicht hervor. Die Feststellungen über die Defibulation sowie die vorherige Infibulation ergeben sich aus den diesbezüglich vorgelegten medizinischen Unterlagen.

2.2.2. Zur Feststellung unter 1.2., die der rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt werden soll, ist schließlich zu sagen, dass bereits die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid in Bezug auf die Zuerkennung des subsidiären Schutzes davon ausgeht, dass die BF eine alleinstehende Frau ohne männlichen Schutz ist, keinen Schutz durch Kernfamilie oder Clan erwarten kann und sie über kein familiäres Auffangnetz verfügt (vgl. S. 52 des angefochtenen Bescheids). Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht kamen keine Hinweise darauf hervor, dass diese Einschätzung der Behörde nicht zu teilen wäre.

Die Feststellung, dass die BF daher in Gefahr wäre, im Falle einer Rückkehr als IDP in ein entsprechendes Lager gehen zu müssen, stellt eine Konsequenz zu ihren fehlenden sozialen Anknüpfungspunkten in Somalia dar.

Diese Feststellung zum Fluchtvorbringen bzw. der drohenden Verfolgung ergibt sich aus der festgestellten Situation im Herkunftsstaat. Frauen und Mädchen sind systematischer sexueller Gewalt ausgesetzt. Staatlicher Schutz ist nicht gewährleistet und sind insbesondere alleinstehende Frauen ohne männlichen Schutz besonders vulnerabel. Frauen werden im Vergleich zu Männern systematisch benachteiligt und schwer ausgegrenzt. Darüber hinaus sind Binnenvertriebene oder IDPs, wie die BF, im Fall ihrer Rückkehr mangels familiärer Unterstützung wäre, extrem vulnerabel und von (sexueller) Gewalt besonders betroffen. Personen mit wenigen Ressourcen sind auf die Unterstützung von Angehörigen angewiesen, auf diese kann die BF jedoch nicht zurückgreifen. Nach den Länderberichten richtet sich die Vulnerabilität gegen Frauen ohne männlichen Schutz per se; die Zugehörigkeit zu einer Minderheit ist nicht erforderlich. Im Übrigen weist die BF keine konkreten Anknüpfungspunkte zu einem schutzfähigen Clan auf. Es ist daher nicht davon auszugehen, dass ein Clan eine reale Schutzmöglichkeit bieten kann. In diesem Zusammenhang muss weiters davon ausgegangen werden, dass die BF im Falle einer Rückkehr als IDP in ein entsprechendes Lager gehen müsste.

Damit besteht für die BF die Gefahr, als alleinstehende Frau ohne Rückhalt durch Familie oder einen Clan im Falle einer Rückkehr nach Somalia Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt zu werden.

2.2.3. Zur Situation in Somalia:

Die Feststellungen zu 1.2. beruhen auf den im angefochtenen Bescheid rezipierten Länderinformationen, die nicht bestritten wurden. Sie fußen auf dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation aus 2017 und beruhen auf den folgenden Detailquellen:

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (1.12.2015): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia

-

C - Experte C (18.6.2014): Dieser Experte arbeitet seit mehreren Jahren zu Somalia.

-

DIS - Danish Immigration Service (9.2015): Country of Origin Information for Use in the Asylum Determination Process; Report from the Danish Immigration Service's fact finding mission to Nairobi, Kenya and Mogadishu, Somalia; 2-12 May 2015, http://www.ecoi.net/file_upload/1788_1443181235_somalia-ffm-report-2015.pdf, Zugriff 4.4.2016

-

HRW - Human Rights Watch (27.1.2016): World Report 2016 - Somalia, http://www.ecoi.net/local_link/318350/443530_en.html, Zugriff 22.3.2016

-

NOAS - Norwegian (4.2014): Persecution and protection in Somalia,

A fact-finding report by NOAS,

http://www.noas.no/wp-content/uploads/2014/04/Somalia_web.pdf, Zugriff 14.4.2016

-

ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi (10.2015):

Asylländerbericht Somalia,

http://www.ecoi.net/file_upload/1729_1445329855_soma-oeb-bericht-2015-10.pdf, Zugriff 25.2.2016

-

UKHO - UK Home Office (3.2.2015): Country Information and Guidance

-

Somalia: Women fearing gender-based harm / violence, http://www.refworld.org/docid/54d1daef4.html, Zugriff 14.4.2016

-

UNHRC - UN Human Rights Council (28.10.2015): Report of the independent expert on the situation of human rights in Somalia, Bahame Tom Nyanduga,

http://www.ecoi.net/file_upload/1930_1451399567_a-hrc-30-57-en.docx, Zugriff 23.3.2016

-

USDOS - US Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices 2015 - Somalia, http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2015&dlid=252727, Zugriff 14.4.2016

Das Bundesverwaltungsgericht hat keinen Grund, an der Ausgewogenheit und Verlässlichkeit der Länderinformationen zu zweifeln.

Zwischenzeitlich wurden diese Länderinformationen jedoch aktualisiert; das Länderinformationsblatt zur Gänze am 12.01.2018; die Versorgungssituation zuletzt am 17.09.2018. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich nach einer Einschau in die aktualisierten Länderberichte jedoch davon versichern, dass sich die relevante Situation von Frauen und IDPs nicht geändert, insbesondere nicht verbessert, hat (vgl. dazu die S. 101 ff des LIB 2018 betreffend Frauen und S. 120 f LIB 2018 betreffend IDPs und Flüchtlinge).

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. zu A)

3.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht. Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offen steht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren." Das ist im gegenständlichen Fall zweifellos Somalia, da die BF somalische Staatsangehörige ist.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 26.11.2003, 2003/20/0389, ausführte, ist das individuelle Vorbringen eines Asylwerbers ganzheitlich zu würdigen und zwar unter den Gesichtspunkten der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit und der objektiven Wahrscheinlichkeit des Behaupteten.

Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an (vgl. jüngst etwa VwGH vom 24. Juni 2014, Ra 2014/19/0046, mwN, vom 30. September 2015, Ra 2015/19/0066, und vom 18. November 2015, Ra 2015/18/0220, sowie etwa VwGH vom 15. Mai 2003, 2001/01/0499, VwSlg. 16084 A/2003). Es ist demnach für die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass die BF bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung ("Vorverfolgung") für sich genommen nicht hinreichend. Selbst wenn daher die BF im Herkunftsstaat bereits asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt war, ist entscheidend, dass sie im Zeitpunkt der Entscheidung (der Behörde bzw. des Verwaltungsgerichts) weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (vgl. VwGH 13.12.2016, Ro 2016/20/0005); die entfernte Gefahr einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074).

Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe ist einer der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK festgelegten Gründe, an die die asylrelevante Verfolgungsgefahr anknüpft.

Die Angehörigen einer bestimmten sozialen Gruppe haben ein gemeinsames soziales Merkmal, ohne dessen Vorliegen sie nicht verfolgt würden (VwGH 20.10.1999, 99/01/0197). Auch eine alleine auf das Geschlecht bezugnehmende Verfolgung ist als Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe zu werten (VwGH 31.01.2001, 99/20/0497).

3.1.2. Umgelegt auf den gegenständlichen Fall ergibt sich vor diesem Hintergrund, dass die BF glaubhaft darlegen konnte, dass ihr im Falle einer Rückkehr nach Somalia mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure drohen würde. Glaubhaft ist die drohende Verfolgung aufgrund der im Rahmen der Beweiswürdigung näher begründeten persönlichen Glaubwürdigkeit der BF sowie der vor dem Hintergrund der Länderberichte gegebenen objektiven Plausibilität ihres Vorbringens. Der BF würde als alleinstehende Rückkehrerin, die auf kein Netzwerk zurückgreifen kann, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit geschlechtsspezifische Gewalt drohen, wie sich aus den Länderberichten ergibt. Aus den Länderberichten ergibt sich auch, dass die somalische Gesellschaft zutiefst patriarchalisch ausgerichtet ist und Frauen schwer diskriminiert werden und Gewalt ausgesetzt sind. Mangelnder Schutz durch den Clan oder männliche Familienangehörige (als Ersatz für den inexistenten staatlichen Schutz) erhöht dieses Risiko.

Die BF ist eine alleinstehende somalische Frau. Im Falle ihrer Rückkehr könnte sie auf keinerlei Verwandten- bzw. Clanschutz oder sonstiges soziales Netz zurückgreifen, das ihr Unterstützung bieten könnte. Aus den Länderberichten ergibt sich, dass die BF aufgrund dessen im Falle ihrer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit von geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen wäre. Schutz durch den Staat ist, wie sich aus den Länderberichten ergibt, nicht zu erwarten. Der BF droht damit geschlechtsspezifische oder andere Gewalt von hoher Intensität.

Bei den Verfolgern handelt es sich um nichtstaatliche Akteure, doch ist nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes eine mangelnde Schutzfähigkeit des Staates zu berücksichtigen (vgl. VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0119). Angesichts der Berichtslage bzw. der nur äußerst schwach ausgeprägten staatlichen Strukturen in Somalia kann nicht davon ausgegangen werden, dass die staatlichen Sicherheitsbehörden ausreichend schutzfähig und schutzwillig wären, um die die BF treffende Verfolgungsgefahr genügend zu unterbinden.

Im Ergebnis ist es objektiv nachvollziehbar, dass die BF im Falle ihrer Rückkehr nach Somalia Verfolgung aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der alleinstehenden Frauen in Somalia mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit droht.

3.1.3. Zu der Frage, ob für die BF eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht, ergibt sich aus den Länderberichten, dass für alleinstehende Frauen ohne männlichen Schutz eine innerstaatliche Relokationsmöglichkeit nicht gegeben ist. Die BF hat daher keine innerstaatliche Fluchtalternative, da sie, wie festgestellt, alleinstehend und ohne männlichen Schutz ist. Sie kann sich der Verfolgungsgefahr (bzw. der Gefahr, aufgrund ihrer persönlichen Eigenschaften als alleinstehende, schutzlose Frau geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt zu sein) auch nirgendwo in Somalia entziehen. Die Länderberichte für Somalia beschreiben die Versorgungslage von Binnenflüchtlingen auch als besonders schlecht, was eine innerstaatliche Fluchtalternative erheblich erschwert.

Außerdem ist auf Grund der rechtskräftigen Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten davon auszugehen, dass der BF mangels hinreichender Sachverhaltsänderung eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht zur Verfügung steht (vgl. VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0011 bis 0016).

3.1.4. Da sich im Verfahren auch keine Hinweise auf Ausschlussgründe des § 6 AsylG 2005 ergeben haben, kommt das Bundesverwaltungsgericht nach dem oben Gesagten somit abschließend zu dem Ergebnis, dass der Beschwerde stattzugeben und der BF gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen war. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 war diese Entscheidung mit der Feststellung zu verbinden, dass der BF damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

3.2. Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012, kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint; im Übrigen gilt § 24 VwGVG. Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteienantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entgegenstehen. Im vorliegenden Fall geht der Sachverhalt eindeutig aus den Akten hervor und lässt die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten. Die belangte Behörde hat in den Länderfeststellungen und in der Beweiswürdigung in ihrem Bescheid selbst auf die prekäre, von Gewalt bedrohte Lage alleinstehender Frauen Bezug genommen und aus diesem Grund zwar subsidiären Schutz, aber nicht Asyl gewährt. Die Behörde hat diese Feststellungen lediglich rechtlich unrichtig beurteilt. Der BF ist somit Asyl zu gewähren. Eine Auseinandersetzung mit dem übrigen Vorbringen konnte daher unterbleiben, weshalb ohne Verhandlung spruchgemäß zu entscheiden war.

3.3. Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985, BGBl. Nr. 10/1985, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (siehe die unter Punkt 3.1. zitierte Judikatur); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schließlich war auch eine auf die Umstände des Einzelfalls bezogene Prüfung vorzunehmen.

Es war somit insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

asylrechtlich relevante Verfolgung, Schutzunfähigkeit,
Schutzunwilligkeit, soziale Gruppe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W268.2193436.1.00

Zuletzt aktualisiert am

28.02.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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