TE Bvwg Erkenntnis 2019/11/15 W111 2109054-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.11.2019
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Entscheidungsdatum

15.11.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z4
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §7 Abs1 Z2
AsylG 2005 §7 Abs4
AsylG 2005 §8
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §52 Abs2 Z3
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55

Spruch

W111 2109054-2/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. DAJANI, LL.M., als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch die XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.03.2019, Zl. 750564606 - 171050003, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß den §§ 7 Abs. 1 Z 2 und Abs. 4, 8, 10

Abs. 1 Z 4, 57 AsylG 2005 idgF, § 9 BFA-VG idgF, §§ 52 Abs. 2 Z 3 und Abs. 9, 55 und 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit, stellte infolge illegaler Einreise am 21.04.2005 einen Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet. Ebenfalls um internationalen Schutz in Österreich suchten die damalige Ehegattin sowie die drei jeweils im Bundesgebiet geborenen gemeinsamen minderjährigen Kinder an.

2. Der Antrag des Beschwerdeführers wurde zunächst mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 07.06.2006, Zahl 05 05.646-BAL, unter gleichzeitiger Verfügung einer Ausweisung des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat abgewiesen.

3. Mit rechtskräftigem Erkenntnis des Asylgerichtshofs vom 17.12.2008, Zahl A12 302.673-1/2008, wurde einer gegen diesen Bescheid fristgerecht eingebrachten Beschwerde stattgegeben und dem Beschwerdeführer - wie auch seinen Familienmitgliedern - gemäß § 7 AsylG 2005 Asyl gewährt und gemäß § 12 AsylG 2005 festgestellt, dass diesem damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Als den für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten entscheidungsmaßgeblichen individuellen Sachverhalt stellte der Asylgerichtshof im Wesentlichen fest, dass der Beschwerdeführer in Tschetschenien mehrmals Festnahmen und damit einhergehenden schweren Misshandlungen seiner Person durch unbekannte maskierte Personen, welche staatlichen Autoritäten zurechenbar wären, ausgesetzt gewesen sei. Erstmalig sei dieser im August 2001 etwa zehn bis elf Tage lang angehalten worden, das zweite Mal im September 2002 etwa einen Monat lang sowie das dritte Mal sei er im Mai 2004 von zu Hause verschleppt und schwer misshandelt worden. Im Zeitraum von 2001 bis 2003 habe der Beschwerdeführer die tschetschenischen Untergrundkämpfer mit Kleidung und Nahrung unterstützt und habe diesen teilweise Unterschlupf gewährt. Im Mai 2004 sei der Beschwerdeführer verhaftet worden und habe sich in der Folge bis Oktober 2004 in Haft befunden. Im Rahmen seiner Anhaltung sei er mehrfachen schweren Misshandlungen und Folterungen ausgesetzt gewesen. Dieser sei jedes Mal durch Zahlung eines Lösegeldes bzw. durch Bestechung freigekommen und habe in der Folge das Land verlassen. Sowohl nahe Angehörige des Beschwerdeführers als auch seiner Frau seien in der Vergangenheit Ziel bzw. Opfer staatlicher und quasi-staatlich agierender Organe geworden. Aus dem festgestellten Sachverhalt ergebe sich, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in die Russische Föderation jedenfalls mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit ernsthafter Verfolgung von Seiten staatlicher Autoritäten oder dem Staat jedenfalls zurechenbarer Organe zu rechnen habe.

4. Der Beschwerdeführer wurde im Bundesgebiet in der Folge mehrfach straffällig (siehe im Detail die Feststellungen).

5. Mit Gerichtsbeschluss vom XXXX wurde die Obsorge für die drei minderjährigen Kinder des Beschwerdeführers aus erster Ehe alleine der Kindesmutter zugesprochen.

Mit Beschluss eines Bezirksgerichts vom XXXX wurde die Ehe zwischen dem Beschwerdeführer und der Mutter der gemeinsamen Kinder einvernehmlich geschieden.

6. Mit Schreiben vom 26.05.2015 wurde dem Beschwerdeführer im Rahmen des Parteiengehörs durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mitgeteilt, dass dieser laut vorliegendem Abschlussbericht eines Landesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung vom 16.01.2014 dringend verdächtig sei, an einer terroristischen Vereinigung gemäß § 278b StGB mitgewirkt zu haben, weshalb ein Verfahren zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten eingeleitet worden sei. Dem Beschwerdeführer wurde Gelegenheit eingeräumt, hierzu, sowie zu den der Behörde vorliegenden Feststellungen zur aktuellen Situation in seinem Herkunftsstaat, binnen Frist schriftlich Stellung zu beziehen. Mit Schriftsatz vom 23.06.2015 erstattete der Beschwerdeführer durch seinen damaligen gewillkürten Vertreter eine schriftliche Stellungnahme.

Das Verfahren zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten wurde in Folge eines gerichtlichen Freispruchs hinsichtlich der erwähnten Verdachtslage eingestellt.

7. Mit Schreiben vom 06.09.2017 gab die ehemalige Ehegattin des Beschwerdeführers bekannt, dass ihr Mann ihr infolge der Scheidung die drei gemeinsamen minderjährigen Kinder weggenommen und nach Tschetschenien gebracht hätte, wo diese sich fast sechs Jahre lang aufgehalten hätten.

8. Am 08.03.2019 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Rahmen des mit Aktenvermerk vom 28.02.2019 eingeleiteten Verfahrens zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er zusammengefasst zu Protokoll, er sei gesund, hätte jedoch Probleme mit dem Kopf und dem Rücken, welche bereits im Jahr 2004 durch in Tschetschenien erlittene Schläge entstanden seien. Der Beschwerdeführer beherrsche Russisch, Tschetschenisch und Deutsch, befinde sich derzeit in Haft und sei im Bundesgebiet mit einer namentlich genannten Frau nach islamischer Tradition verheiratet, mit der er drei minderjährige Söhne hätte. Außerdem habe er drei minderjährige Kinder mit seiner geschiedenen Ehegattin, welche er einmal in der Woche treffe und für die er jeweils EUR 30,- im Monat an Unterhalt leiste. Weitere Verwandte habe er nicht in Österreich. Der Beschwerdeführer habe im Jahr 2016 sechs oder sieben Monate in einer Securityfirma gearbeitet, zuletzt habe er bis zu seiner Inhaftierung im Oktober 2018 Geld vom AMS bezogen. Der Beschwerdeführer habe keine Ausbildung absolviert, sei in keinen Vereinen Mitglied und habe seine Freizeit mit Sport oder mit seinen Kindern verbracht. Er habe einen Bekanntenkreis in Österreich und wolle nach Entlassung aus der Haft und Erhalt eines Konventionspasses normal arbeiten und nicht kriminell sein. Er wolle ein normales Leben führen. Seine Mutter, eine Schwester sowie ein Cousin würden unverändert in Tschetschenien leben, zwei weitere Schwestern befänden sich in Dagestan. Angesprochen auf sein Verhalten in Österreich gab der Beschwerdeführer an, dass ihm dieses leidtue; er habe unter Druck gestanden wegen der Wohnung, da er keine Arbeit gefunden hätte. Die Verurteilung wegen Schlepperei im Jahr 2007 sei zu Unrecht erfolgt. Er habe sich zuletzt im Jahr 2005 in der Russischen Föderation aufgehalten, nach Zuerkennung des Asylstatus im Jahr 2008 habe er sich nicht mehr dort aufgehalten. Er besitze einen im Jahr 2011/2012 ausgestellten russischen Pass, den er bei der hiesigen Meldebehörde vorgelegt hätte. Diesen habe seine Schwester in Tschetschenien durch Bestechung eines Beamten ausstellen lassen. Der Beschwerdeführer habe sich den Pass infolge der Scheidung von seiner ersten Frau ausstellen lassen, da er erfahren hätte, dass seine erste Frau einen anerkannten Flüchtling in Frankreich habe heiraten wollen und er sich Sorgen um seine Kinder gemacht hätte. Darauf angesprochen, dass er laut Aktenlage seine drei Kinder im Jahr 2011 nach Tschetschenien entführt hätte und gefragt, wie lange er mit diesen gemeinsam in Tschetschenien gelebt hätte, erklärte der Beschwerdeführer, er sei selbst nicht nach Tschetschenien gefahren; er habe seine Kinder nach Litauen gebracht, von wo aus die Schwester des Beschwerdeführers sie abgeholt und nach Tschetschenien gefahren hätte. Auf die Frage, ob er im Falle einer Rückkehr in der Russischen Föderation leben könnte, erklärte der Beschwerdeführer, für Moskau bzw. für ganz Russland würden viele Kadyrow-Leute arbeiten. Die Kadyrow-Leute hätten ihn nehmen wollen, um andere Leute - Patrioten wie Dudaev und Mashadov - umzubringen. Der Beschwerdeführer sei auch ein Patriot gewesen; aber nicht für diese Kadyrow-Leute. Deshalb habe er Angst, dass diese Leute ihn im Falle einer Rückkehr sehen würden, diesfalls würden sie ihn zu 99 Prozent umbringen. Auf Vorhalt, dass viele Tschetschenen in Moskau, St. Petersburg oder anderen russischen Städten leben würden, wiederholte der Beschwerdeführer, dass die Kadyrow-Leute in Russland überall wären. Seine Mutter bekomme manchmal Besuch von den Kadyrow-Leuten, welche sie fragen würden, ob ihr Sohn zurückgekommen sei, diese Leute wüssten, dass der Beschwerdeführer in Österreich lebe.

Durch den Beschwerdeführer wurde in weiterer Folge eine Kopie einer Ladung inklusive beglaubigter Übersetzung übermittelt, welcher sich entnehmen lässt, dass der Beschwerdeführer für den 05.04.2018 zur Ermittlung- und Fahndungsabteilung der Hauptverwaltung des Ministeriums für Innere Angelegenheiten der Russischen Föderation für den Föderationskreis Nordkaukasus als Angeklagter zwecks Übergabe der Anklageschrift geladen worden sei. Weiters wurde eine aus dem Jahr 2005 stammende Bescheinigung des Gesundheitsministeriums der Tschetschenischen Republik (in deutscher Übersetzung) übermittelt.

Am 13.03.2019 fand vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eine Befragung der nunmehrigen Lebensgefährtin und Mutter der drei gemeinsamen Söhne des Beschwerdeführers als Zeugin statt. Diese gab zusammengefasst zu Protokoll, seit Ende 2011 durchgehend mit dem Beschwerdeführer zusammenzuleben und den Lebensunterhalt für sich und die Kinder durch Sozialleistungen und Kindergeld zu finanzieren. Sie habe bislang nicht gearbeitet, da sie mehrere Kinder bekommen hätte und ihr Mann im Gefängnis gewesen sei. Sie habe mit dem Beschwerdeführer und den Kindern bis zu dessen Inhaftierung ein reguläres Familienleben geführt.

9. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 25.03.2019 wurde dem Beschwerdeführer in Spruchteil I. der ihm mit Erkenntnis des Asylgerichtshofs vom 17.12.2008, Zahl: A12 302.673-1/2008/10E, zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 idgF aberkannt. Gemäß § 7 Abs. 4 AsylG wurde festgestellt, dass diesem die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr zukomme. In Spruchteil

II. wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt, weiters wurde ihm in Spruchteil III. ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Darüber hinaus wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG iVm § 9 BFA-VG idgF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG idgF erlassen, gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig sei, in Spruchpunkt IV. gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 und 4 FPG ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot gegen den Beschwerdeführer erlassen sowie in Spruchpunkt VII. festgelegt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

Die Entscheidung über die Aberkennung des Status des Asylberechtigten wurde einerseits auf die im Strafregister der Republik Österreich aufscheinenden acht näher dargestellten strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers gestützt. Aufgrund der wiederholten Verurteilung wegen ähnlich gelagerter Delikte, welche objektiv besonders wichtige Rechtsgüter betreffen würden, stelle dieser eine erhebliche Gefahr für die Gemeinschaft dar. Eine Gesamtbetrachtung aller rechtskräftiger Verurteilungen demonstriere eindeutig die Einstellung des Beschwerdeführers gegenüber dem Staat und den hier lebenden Bürgern. Der Judikatur des VwGH folgend könne aus der Vielzahl der verübten Straftaten, welche sich kontinuierlich über einen Zeitraum von zehn Jahren erstreckt hätten, und der Höhe der Freiheitsstrafen geschlossen werden, dass es sich im vorliegenden Fall insgesamt um ein "besonders schweres Verbrechen" handle. Aus diesem Grund sei der Ausschlussgrund gemäß § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 festzustellen gewesen; ergänzend sei anzuführen, dass sich der Beschwerdeführer am XXXX einen russischen Reisepass habe ausstellen lassen, wodurch er sich wieder unter den Schutz seines Herkunftsstaates gestellt und dadurch den Endigungsgrund des Art. 1 Abschnitt C Z 1 GFK erfüllt hätte. Sofern dieser angegeben hätte, im Falle einer Rückkehr eine Ermordung durch die Leute von Kadyrow zu befürchten, sei festzuhalten, dass dieser sich auch in anderen Landesteilen niederlassen könnte. Aus den Länderberichten ergebe sich, dass eine große tschetschenische Diaspora in außerhalb Tschetscheniens gelegenen Landesteilen lebe und die Machtentfaltung des tschetschenischen Oberhauptes außerhalb der Grenzen der Teilrepublik als beschränkt gelte. Im Verfahren hätte sich nicht ergeben, dass der Beschwerdeführer ein so wichtiger Gegner Kadyrows sei, als dass dieser ihn in der ganzen Russischen Föderation suchen würde. Die vom Beschwerdeführer vorgelegte Kopie einer Ladung der zweiten Ermittlungs- und Fahndungsabteilung der Hauptverwaltung des Ministeriums für Innere Angelegenheiten für den Föderationskreis Nordkaukasus für den 05.04.2018 belege keine Verfolgung durch staatliche Stellen, zumal es einer bloßen Ladung zur Behörde jedenfalls an der für die Asylgewährung nötigen Eingriffsintensität mangle. Zur Rückkehrsituation des Beschwerdeführers wurde erwogen, dass dieser im Erwachsenenalter aus seinem Herkunftsstaat ausgereist sei und keine wie immer geartete Gefährdung seiner Person im Falle einer Rückkehr festgestellt werden könne. Bei ihm handle es sich um einen gesunden, jungen Mann, der seinen Lebensunterhalt bei seiner Rückkehr durchaus anfangs mit Gelegenheitsarbeiten bestreiten könne, zudem verfüge er über familiären Anschluss in der Russischen Föderation, sodass es ihm ohne Schwierigkeiten möglich sein werde, wieder im Herkunftsstaat Fuß zu fassen. Dieser leide an keinen schwerwiegenden Erkrankungen. Es könne demnach nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in eine die Existenz bedrohende Notlage geraten werde.

Zum Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers wurde ausgeführt, dass dieser geschieden sei und mit seiner ehemaligen Gattin drei gemeinsame Kinder hätte. Mit seiner nunmehrigen Frau habe er ebenfalls drei gemeinsame Kinder. Alle Familienmitglieder seien russische Staatsangehörige, welche in Österreich asylberechtigt wären oder Aufenthaltstitel nach dem NAG innehätten. Aus der Aktenlage ergebe sich, dass der Beschwerdeführer seine drei Kinder aus erster Ehe im Dezember 2011 nach Tschetschenien entführt hätte, wobei er diese bis Litauen gebracht hätte, wo sie von seiner Schwester abgeholt worden wären, welche sie zu seiner Mutter nach Tschetschenien gebracht hätte. Die Kinder hätten sich sodann für rund sechs Jahre in Tschetschenien aufgehalten, bevor sie von der Kindesmutter zurück nach Österreich geholt worden wären. Der Beschwerdeführer lebe demnach seit dem Jahr 2011 getrennt von seinen drei Kindern aus erster Ehe, er sei für diese unterhaltspflichtig und würde sie einmal wöchentlich treffen. Zu seiner nunmehrigen Gattin und seinen sechs Kindern bestünde ein Familienleben. Der Beschwerdeführer lebe seit ca. vierzehn Jahren im Bundesgebiet und sei nicht selbsterhaltungsfähig. Dieser habe währen der letzten fünf Jahre lediglich für einen Zeitraum von dreieinhalb Monaten gearbeitet und im Übrigen Leistungen des AMS bezogen. Der Beschwerdeführer beherrsche Deutsch und habe einen Bekanntenkreis im Bundesgebiet. Sein Privatleben im Bundesgebiet erweise sich aufgrund der begangenen Straftaten als relativiert; dieser habe während seines Aufenthalts rund 25 Monate in Justizhaftanstalten und Polizeianhaltezentren verbracht. Es könne daher nur eine schwache soziale und keine berufliche Integration festgestellt werden. Aufgrund der gravierenden Straffälligkeit und der sich daraus ergebenden besonderen Gefährlichkeit sei eine sich aus einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme ergebende Trennung von seinen Angehörigen im öffentlichen Interesse in Kauf zu nehmen. Seine Kinder hätten bereits in der Vergangenheit wiederholt getrennt vom Beschwerdeführer gelebt, dieser könnte den Kontakt künftig telefonisch und über das Internet aufrechterhalten. Eine Rückkehrentscheidung erweise sich daher als zulässig. Die Erfüllung mehrerer Tatbestände des § 53 Abs. 3 FPG indiziere das Vorliegen einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit. Die Gesamtbeurteilung des Verhaltens, der Lebensumstände sowie der familiären und privaten Anknüpfungspunkte habe daher im Zuge der von der Behörde vorzunehmenden Abwägungsentscheidung ergeben, dass die Erlassung eines Einreiseverbotes in der angegebenen Dauer gerechtfertigt und notwendig sei, um die von ihm ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zu verhindern.

10. Mit am 10.04.2019 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eingelangtem Schriftsatz wurde durch die nunmehr bevollmächtigte Rechtsberatungsorganisation fristgerecht die verfahrensgegenständliche Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Verletzung von Verfahrensvorschriften eingebracht. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Beschwerdeführer lebe seit über zehn Jahren als anerkannter Flüchtling in Österreich, spreche perfekt Deutsch und habe mit seiner geschiedenen sowie seiner nunmehrigen Gattin jeweils drei gemeinsame Kinder. Der Beschwerdeführer bereue seine Straftaten und wolle nach der Haft eine Arbeit suchen und ein straffreies Leben führen. Aufgrund der nach wie vor bestehenden Gefahr müsse dem Beschwerdeführer der Status des Asylberechtigten weiterhin zukommen; eine Rückkehr sei ihm aufgrund seines über zehnjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet und der Tatsache, dass seine Familie sich in Österreich befinde, nicht zumutbar. In den Länderberichten der Behörde werde darauf Bezug genommen, dass insbesondere Rückkehrern in den Nordkaukasus besondere Aufmerksamkeit durch russische Behörden gewidmet werde und die Milz häufig willkürlich vorgehe und diese unter Generalverdacht stelle. Weiters werde darauf Bezug genommen, dass Folter seitens der Sicherheitsbehörden weiterhin vorkomme und generell straffrei bleibe. Die Behörde berücksichtige zudem in keiner Weise, dass sich der Beschwerdeführer seit über zehn Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte und sich seine Kernfamilie hier befinde. Hinsichtlich des Einreiseverbotes habe die Behörde die Durchführung einer individualisierten Gefährdungsprognose unterlassen. Entgegen der Ansicht der Behörde könne bei einer Rückkehr in die Russische Föderation eine Verletzung von Art. 3 und 2 EMRK sowie der relevanten Zusatzprotokolle zur EMRK nicht ausgeschlossen werden. Dem Beschwerdeführer hätte demnach zumindest der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt werden müssen. Eine Rückkehrentscheidung stelle einen unzulässigen Eingriff in Art. 8 EMRK dar.

11. Die Beschwerdevorlage des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl langte am 18.04.2019 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, welcher der tschetschenischen Volksgruppe angehört und sich zum moslemischen Glauben bekennt. Der Beschwerdeführer stellte infolge illegaler Einreise am 20.04.2005 einen Antrag auf internationalen Schutz, dem letztlich mit rechtskräftigem Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 17.12.2008, Zahl A12 302.673-1/2008, infolge einer gegen eine abweisende Entscheidung des Bundesasylamtes fristgerecht eingebrachten Beschwerde stattgegeben und dem Beschwerdeführer - wie auch seinen Familienmitgliedern - gemäß § 7 AsylG 2005 Asyl gewährt und gemäß § 12 AsylG 2005 festgestellt wurde, dass diesem damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Als den für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten entscheidungsmaßgeblichen individuellen Sachverhalt stellte der erkennende Richter des Asylgerichtshofs im Wesentlichen fest, dass der Beschwerdeführer in Tschetschenien mehrmals Festnahmen und damit einhergehenden schweren Misshandlungen seiner Person durch unbekannte maskierte Personen, welche staatlichen Autoritäten zurechenbar wären, ausgesetzt gewesen sei. Erstmalig sei dieser im August 2001 etwa zehn bis elf Tage lang angehalten worden, das zweite Mal im September 2002 etwa einen Monat lang sowie das dritte Mal sei er im Mai 2004 von zu Hause verschleppt und schwer misshandelt worden. Im Zeitraum von 2001 bis 2003 habe der Beschwerdeführer die tschetschenischen Untergrundkämpfer mit Kleidung und Nahrung unterstützt und habe diesen teilweise Unterschlupf gewährt. Im Mai 2004 sei der Beschwerdeführer verhaftet worden und habe sich in der Folge bis Oktober 2004 in Haft befunden. Im Rahmen seiner Anhaltung sei er mehrfachen schweren Misshandlungen und Folterungen ausgesetzt gewesen. Dieser sei jedes Mal durch Zahlung eines Lösegeldes bzw. durch Bestechung freigekommen und habe in der Folge das Land verlassen. Sowohl nahe Angehörige des Beschwerdeführers als auch seiner Frau seien in der Vergangenheit Ziel bzw. Opfer staatlicher und quasi-staatlich agierender Organe geworden. Aus dem festgestellten Sachverhalt ergebe sich, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in die Russische Föderation jedenfalls mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit ernsthafter Verfolgung von Seiten staatlicher Autoritäten oder dem Staat jedenfalls zurechenbarer Organe zu rechnen hätte.

1.2. Nicht festgestellt werden kann, dass der Beschwerdeführer in Tschetschenien respektive der Russischen Föderation unverändert aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten bedroht wäre. Im Entscheidungszeitpunkt konnte keine aktuelle Gefährdung des Beschwerdeführers in der Russischen Föderation festgestellt werden.

Ebenfalls nicht festgestellt werden kann, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Tschetschenien respektive in die Russische Föderation in seinem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wäre. Der Beschwerdeführer liefe dort nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Der Beschwerdeführer spricht Tschetschenisch auf muttersprachlichem Niveau, zudem spricht er Russisch und verfügt über Angehörige im Herkunftsstaat. Der Beschwerdeführer, welcher sein Heimatland im Erwachsenenalter verlassen hat, leidet an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Erkrankungen. Der Beschwerdeführer hat sich nach Zuerkennung des Status des Asylberechtigten am XXXX freiwillig einen russischen Reisepass ausstellen lassen.

1.3. Der Beschwerdeführer weist die folgenden strafgerichtlichen Verurteilungen auf:

01) LG XXXX vom XXXX RK XXXX

§ 114/2 FPG

Datum der (letzten) Tat 28.02.2007

Freiheitsstrafe 8 Monate

...

02) XXXX vom XXXX RK XXXX

§§ 15 127 StGB

Freiheitsstrafe 3 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre

...

03) XXXX vom XXXX RK XXXX

§§ 15 127 StGB

Freiheitsstrafe 3 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre

...

04) LG XXXX vom XXXX RK XXXX

§§ 27 ABS 1/1 (8. FALL) U ABS 3 27 ABS 1/1 (8. FALL) U ABS 3 SMG

§ 15 StGB

Freiheitsstrafe 4 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre

...

05) LG F XXXX vom XXXX RK XXXX

§§ 127, 130 1. Fall StGB § 15 StGB

Datum der (letzten) Tat 13.12.2012

Freiheitsstrafe 9 Monate

...

06) BG XXXX vom XXXX RK XXXX

§ 127 StGB § 15 StGB

Datum der (letzten) Tat 06.10.2017

Freiheitsstrafe 4 Monate

07) XXXX vom XXXX RK XXXX

§ 15 StGB § 127 StGB

Datum der (letzten) Tat 15.05.2018

Freiheitsstrafe 4 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre

08) LG F XXXX vom XXXX RK XXXX

§§ 127, 130 (1) 1. Fall StGB § 15 StGB

Datum der (letzten) Tat 17.05.2018

Freiheitsstrafe 18 Monate

...

Ein weiterer Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet würde eine schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit darstellen, zumal anhand seines bisherigen Verhaltens die Gefahr einer neuerlichen Straffälligkeit zu prognostizieren ist.

1.4. In Österreich halten sich die geschiedene Ehegattin und die drei minderjährigen Kinder des Beschwerdeführers aus erster Ehe sowie die nunmehrige Partnerin sowie die drei gemeinsamen minderjährigen Söhne aus dieser Beziehung auf, welche allesamt im Bundesgebiet als anerkannte Flüchtlinge respektive aufgrund eines Aufenthaltstitels nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz aufenthaltsberechtigt sind. Der Beschwerdeführer hat seine drei minderjährigen Kinder aus erster Ehe im Jahr 2011 gegen den Willen der alleine obsorgeberechtigten Kindesmutter nach Tschetschenien verbracht, wo diese in der Folge für rund sechs Jahre bei Angehörigen des Beschwerdeführers gelebt haben, bevor sie von der Kindesmutter zurück nach Österreich gebracht worden waren. Der Beschwerdeführer hat sich während seines langjährigen Aufenthaltes Deutschkenntnisse angeeignet und einen Bekanntenkreis aufgebaut. Der Beschwerdeführer war zuletzt nicht selbsterhaltungsfähig und bezog staatliche Unterstützungsleistungen. Während der letzten rund fünf Jahre befand er sich lediglich für rund dreieinhalb Monate in einem Beschäftigungsverhältnis, eine berufliche Integration hat nicht stattgefunden. Der Beschwerdeführer hat sich in keinen Vereinen betätigt und ist keiner ehrenamtlichen Tätigkeit nachgegangen.

Eine den Beschwerdeführer betreffende aufenthaltsbeendende Maßnahme würde keinen ungerechtfertigten Eingriff in dessen gemäß Art. 8 EMRK geschützte Rechte auf Privat- und Familienleben darstellen.

1.5. Insbesondere zur allgemeinen Situation und Sicherheitslage, zur allgemeinen Menschenrechtslage, zu Grundversorgung und Wirtschaft sowie zur Lage von Rückkehrern wird unter Heranziehung der erstinstanzlichen Länderfeststellungen Folgendes festgestellt:

1. Politische Lage

Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (CIA 12.7.2018, vgl. GIZ 7.2018c). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau. Der Präsident verfügt über weit reichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 7.2018a, vgl. EASO 3.2017). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister und entlässt sie (GIZ 7.2018a). Wladimir Putin ist im März 2018, bei der Präsidentschaftswahl im Amt mit 76,7% bestätigt worden. Die Wahlbeteiligung lag der Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl ärgster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motivierten Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, um an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018, FH 1.2018). Putin kann dem Ergebnis zufolge nach 18 Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen. Gemäß der Verfassung darf er nach dem Ende seiner sechsjährigen Amtszeit nicht erneut antreten, da es eine Beschränkung auf zwei aufeinander folgende Amtszeiten gibt (Tagesschau.de 19.3.2018, vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).

Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58,4% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die

Gesetzentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Parlament - Staatsduma und Föderationsrat - ist in seinem Einfluss stark beschränkt. Der Föderationsrat ist als "obere Parlamentskammer" das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten: Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus der Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für vier Jahre nach dem Verhältniswahlrecht auf der Basis von Parteilisten gewählt. Es gibt eine Siebenprozentklausel. Wichtige Parteien sind die regierungsnahen Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern und Gerechtes Russland (Spravedlivaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern. Die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, die die Nachfolgepartei der früheren KP ist. Die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist, die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern, die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), linkszentristisch, mit 85.000 Mitgliedern, die Partei der Volksfreiheit (PARNAS) und die demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 7.2018a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (339 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (40 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (AA 5.2018b). Russland ist eine Föderation, die aus 85 Föderationssubjekten (einschließlich der international umstrittenen Einordnung der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges,

Sewastopol) mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 7.2018a, vgl. AA 5.2018b). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 7.2018a).

Es wurden acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten) geschaffen, denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum ("exekutive Machtvertikale") deutlich (GIZ 7.2018a).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (5.2018b): Russische Föderation - Außen- und Europapolitik,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederationnode/ russischefoederation/201534, Zugriff 1.8.2018

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CIA - Central Intelligence Agency (12.7.2018): The World Factbook, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 1.8.2018

-

EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoirussiastate-actors-of-protection.pdf, Zugriff 1.8.2018

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FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2017 - Russia,https://www.ecoi.net/de/dokument/1428824.html, Zugriff 1.8.2018

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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichtestaat/#c17836, Zugriff 1.8.2018

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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 1.8.2018

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OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights (18.3.2018): Russian Federation Presidential Election Observation Mission Final Report,

https://www.osce.org/odihr/elections/383577?download=true, Zugriff 29.8.2018

-

Presse.at (19.3.2018): Putin: "Das russische Volk schließt sich um Machtzentrum zusammen",

https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5391213/Putin_Dasrussische-Volk-schliesst-sich-um-Machtzentrum-zusammen, Zugriff 1.8.2018

-

Standard.at (19.3.2018): Putin sichert sich vierte Amtszeit als Russlands Präsident,

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https://derstandard.at/2000076383332/Putin-sichert-sich-vierte-Amtszeit-als-Praesident,Zugriff 1.8.2018

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Tagesschau.de (19.3.2018): Klarer Sieg für Putin, https://www.tagesschau.de/ausland/russland-wahl-putin-101.html, Zugriff 1.8.2018

1.1. Tschetschenien

Die Tschetschenische Republik ist eine der 22 Republiken der Russischen Föderation. Die Fläche beträgt 15.647 km2 (Rüdisser 11.2012) und laut offizieller Bevölkerungsstatistik der Russischen Föderation zum 1.1.2018 beläuft sich die Einwohnerzahl Tschetscheniens auf 1,4 Millionen (GKS 25.1.2018), wobei die offiziellen Angaben von unabhängigen Medien infrage gestellt werden. Laut Aussagen des Republiksoberhauptes Ramzan Kadyrow sollen rund 600.000 TschetschenInnen außerhalb der Region leben, die eine Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat die Hälfte Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, bei der anderen Hälfte handle es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens, die bereits vor über einem Jahrhundert entstanden seien, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum (ÖB Moskau 12.2017). In Bezug auf Fläche und Einwohnerzahl ist Tschetschenien somit mit der Steiermark vergleichbar. Etwa die Hälfte des tschetschenischen Territoriums besteht aus Ebenen im Norden und Zentrum der Republik.

Heutzutage ist die Republik eine nahezu monoethnische: 95,3% der Bewohner/innen Tschetscheniens gaben [bei der letzten Volkszählung] 2010 an, ethnische Tschetschenen/innen zu sein. Der Anteil ethnischer Russen/innen an der Gesamtbevölkerung liegt bei 1,9%. Rund 1% sind ethnische Kumyk/innen, des Weiteren leben einige Awar/innen, Nogaier/innen, Tabasar/innen,

Türk/innen, Inguschet/innen und Tatar/innen in der Republik (Rüdisser 11.2012).

In Tschetschenien gilt Ramzan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018). So musste im Mai 2016 der Vorsitzende des Obersten Gerichts Tschetscheniens nach Kritik von Kadyrow zurücktreten, obwohl die Ernennung/Entlassung der Richter

grundsätzlich in föderale Kompetenz fällt. Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt derRepublik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen parallel zu den Wahlen zum Oberhaupt der Republik durchzuführen. Bei den Wahlen vom 18.9.2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Kadyrow wurde laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen, in deren Vorfeld Human Rights Watch über massive Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet hatte. Das tschetschenische Oberhaupt bekundet immer wieder seine absolute Loyalität gegenüber dem Kreml (ÖB Moskau 12.2017). Vertreter russischer und internationaler NGOs berichten immer wieder von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen, einem Klima der Angst und Einschüchterung (AA 21.5.2018).

Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird rigoros vorgegangen. Anfang 2016 sorgte Kadyrow landesweit für Aufregung, als er die liberale Opposition in Moskau als Staatsfeinde bezeichnete, die danach trachteten, Russland zu zerstören. Nachdem er dafür von Menschenrechtsaktivisten sowie von Vertretern des präsidentiellen Menschenrechtsrats scharf kritisiert worden war, wurde in Grozny eine Massendemonstration zur Unterstützung Kadyrows organisiert (ÖB Moskau

12.2017).

Während der mittlerweile über zehn Jahre dauernden Herrschaft des amtierenden Republikführers Ramzan Kadyrow gestaltete sich Tschetscheniens Verhältnis zur Russischen Föderation ambivalent. Einerseits ist Kadyrow bemüht, die Zugehörigkeit der Republik zu Russland mit Nachdruck zu bekunden, tschetschenischen Nationalismus mit russischem Patriotismus zu verbinden, Russlands Präsidenten in der tschetschenischen Hauptstadt Grozny als Staatsikone auszustellen und sich als "Fußsoldat Putins" zu präsentieren. Andererseits hat er das Föderationssubjekt Tschetschenien so weit in einen Privatstaat verwandelt, dass in der Umgebung des russischen Präsidenten die Frage gestellt wird, inwieweit sich die von Wladimir Putin ausgebaute föderale Machtvertikale dorthin erstreckt. Zu Kadyrows Eigenmächtigkeit gehört auch eine Außenpolitik, die sich vor allem an den Mittleren Osten und die gesamte islamische Welt richtet. Kein anderer regionaler Führer beansprucht eine vergleichbare, über sein eigenes Verwaltungsgebiet und die Grenzen Russlands hinausreichende Rolle. Kadyrow inszeniert Tschetschenien als Anwalt eines russländischen Vielvölker-Zusammenhalts, ist aber längst zum "inneren Ausland" Russlands geworden. Deutlichster Ausdruck dieser Entwicklung ist ein eigener Rechtszustand, in dem islamische und gewohnheitsrechtliche Regelungssysteme sowie die Willkür des Republikführers in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands geraten (SWP 3.2018).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

-

GKS - Staatliches Statistikamt (25.1.2018): Bevölkerungsverteilung zum 1.1.2018,

http://www.gks.ru/free_doc/new_site/population/demo/PrPopul2018.xlsx, Zugriff 1.8.2018

-

ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

-

Rüdisser, V. (11.2012): Russische Föderation/Tschetschenische Republik. In: Länderinformation n°15, Österreichischer Integrationsfonds,

http://www.integrationsfonds.at/themen/publikationen/oeif-laenderinformation/, Zugriff 1.8.2018

-

SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (3.2018): Tschetscheniens Stellung in der Russischen Föderation. Ramsan Kadyrows Privatstaat und Wladimir Putins föderale Machtvertikale, https://www.swpberlin. org/fileadmin/contents/products/studien/2018S01_hlb.pdf, Zugriff 1.8.2018

2. Sicherheitslage

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen. Todesopfer forderte zuletzt ein Terroranschlag in der Metro von St. Petersburg im April 2017. Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 28.8.2018a, vgl. BMeiA 28.8.2018, GIZ 6.2018d).

Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 28.8.2018).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderten Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Gewaltzwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Demnach stand Russland 2011 noch an neunter Stelle hinter mittelöstlichen, afrikanischen und südasiatischen Staaten, weit vor jedem westlichen Land. Im Jahr 2016 rangierte es dagegen nur noch auf Platz 30 hinter Frankreich (Platz 29), aber vor Großbritannien (Platz 34) und den USA (Platz 36). Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat

(IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an die internationale Kooperation (SWP 4.2017). Eine weitere Tätergruppe rückt in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit, nämlich Islamisten aus Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sogenannten IS kämpfen, wird auf einige tausend geschätzt (Deutschlandfunk 28.6.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (28.8.2018a): Russische Föderation: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertigesamt. de/de/russischefoederationsicherheit/201536#content_0, Zugriff 28.8.2018

-

BmeiA (28.8.2018): Reiseinformation Russische Föderation, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/russische-foederation/, Zugriff 28.8.2018

-

Deutschlandfunk (28.6.2017): Anti-Terrorkampf in Dagestan. Russische Methoden,

https://www.deutschlandfunk.de/anti-terrorkampf-in-dagestan-russischemethoden.

         724.    de.html?dram:article_id=389824, Zugriff 29.8.2018

-

EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (28.8.2018): Reisehinweise für Russland, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-undreisehinweise/ russland/reisehinweise-fuerrussland.html, Zugriff 28.8.2018

-

GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (6.2018d): Russland, Alltag,

https://www.liportal.de/russland/alltag/#c18170, Zugriff 28.8.2018

-

SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swpberlin.

org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 28.8.2018

2.1. Nordkaukasus

Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschreibt in ihrem Bericht über den Nordkaukasus vom Sommer 2016 eindrücklich, dass die Sicherheitslage für gewöhnliche Bürger zwar stabil ist, Aufständische einerseits und Kritiker der bestehenden Systeme sowie Meinungs- und Menschenrechtsaktivisten andererseits weiterhin repressiven Maßnahmen und Gewalt bis hin zum Tod ausgesetzt sind (AA 21.5.2018). In internationalen sicherheitspolitischen Quellen wird die Lage im Nordkaukasus mit dem Begriff "low level insurgency" umschrieben (SWP 4.2017).

Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum sogenannten IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt. Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Novaya Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein ‚Wilajat Kavkaz', eine Provinz Kaukasus, als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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