TE Bvwg Erkenntnis 2019/11/15 G314 2224009-1

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Veröffentlicht am 15.11.2019
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Entscheidungsdatum

15.11.2019

Norm

B-VG Art. 133 Abs4
FPG §66 Abs1
FPG §70 Abs3
NAG §55 Abs3

Spruch

G314 2224009-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Katharina BAUMGARTNER über die Beschwerde der rumänischen Staatsangehörigen XXXX, geboren am XXXX, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung (Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH) und durch den Rechtsanwalt Dr. Lothar STIX, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 30.08.2019, Zl. XXXX, betreffend eine Ausweisung zu Recht:

A) Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid

ersatzlos behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin (BF) wurde am 26.03.2019 einer polizeilichen Personenkontrolle unterzogen. Mit dem Schreiben des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom selben Tag wurde sie aufgefordert, sich zur beabsichtigten Erlassung einer Ausweisung zu äußern und dazu einen Fragenkatalog zu beantworten. Sie reagierte auf dieses Schreiben nicht.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde die BF gemäß § 66 Abs 1 FPG iVm § 55 Abs 3 NAG aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen (Spruchpunkt I.) und ihr gemäß § 70 Abs 3 FPG ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat erteilt (Spruchpunkt II.). Die Ausweisung wurde im Wesentlichen damit begründet, dass sie in Österreich keiner Erwerbstätigkeit nachgehe und auch keine Aussicht auf eine Arbeitsstelle bestünde. Sie erfülle die Voraussetzungen für den Erwerb eines Daueraufenthaltsrechts nicht und habe keine ausreichenden Existenzmittel zur Finanzierung ihres Aufenthalts. Dem öffentlichen Interesse an einem geordneten Vollzug des Fremdenrechts und der öffentlichen Ordnung und Sicherheit sei mehr Gewicht einzuräumen als den bloß oberflächlichen privaten Interessen der BF an einem Verbleib.

Dagegen richtet sich die von der ARGE Rechtsberatung für die BF eingebrachte Beschwerde mit dem Antrag, den angefochtenen Bescheid zu beheben, weil die BF als Angestellte erwerbstätig und krankenversichert sei, sodass ihr ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmerin zukomme.

Das BFA legte die Beschwerde samt den Verwaltungsakten dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem Antrag vor, sie als unbegründet abzuweisen.

Am 09.10.2019 übermittelte das BFA dem BVwG die vom Rechtsanwalt Dr. Lothar STIX für die BF eingebrachte Beschwerde mit den Anträgen, eine Beschwerdeverhandlung durchzuführen und den angefochtenen Bescheid zu beheben. Dies wurde zusammengefasst damit begründet, dass die BF seit 2015 in XXXX einer selbständigen Tätigkeit als Prostituierte nachgehe und daher die Voraussetzungen für ein drei Monate übersteigendes unionsrechtliches Aufenthaltsrecht erfülle. Sie habe stets den Auflagen des WPG entsprochen und sei in Österreich kulturell und sozial integriert. Sie verfüge über ausreichende Existenzmittel und sei krankenversichert.

Feststellungen:

Die BF ist rumänische Staatsangehörige und spricht Rumänisch. Sie war von 29.07.2015 bis 01.08.2017 und von 20. bis 27.03.2018 mit Nebenwohnsitz im Bundesgebiet gemeldet; seit 01.08.2017 besteht eine Hauptwohnsitzmeldung in XXXX. Eine Anmeldebescheinigung wurde ihr nie erteilt. Sie ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

Die BF war in Österreich zwischen 26.07.2017 und 28.02.2018, zwischen 19. und 31.03.2018 und zwischen 08.10.2018 bis 30.09.2019 als selbständig Erwerbstätige sozialversichert. Seit 26.09.2019 steht sie in einem vollversicherten Beschäftigungsverhältnis mit einem Friseurunternehmen in XXXX, wo sie im Ausmaß von 13 Wochenstunden tätig ist und ca. EUR 480 netto pro Monat verdient.

Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang ergibt sich widerspruchsfrei aus dem Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten und des Gerichtsaktes des BVwG.

Die Identität der BF geht aus ihrem rumänischen Personalausweis, der dem BVwG in Kopie vorliegt, hervor. Rumänischkenntnisse sind aufgrund ihrer Herkunft plausibel, zumal sie die Übersetzung des Spruchs des angefochtenen Bescheids in diese Sprache nicht beanstandete.

Die Feststellungen zu den Wohnsitzmeldungen der BF basieren auf dem Zentralen Melderegister (ZMR). Aus dem Fremdenregister ergibt sich weder die Erteilung einer Anmeldebescheinigung an sie noch ein entsprechender Antrag. Ihre Unbescholtenheit geht aus dem Strafregister hervor.

Die Erwerbstätigkeit der BF im Bundesgebiet wird anhand des Versicherungsdatenauszugs festgestellt. Die Feststellungen zu ihrer aktuellen Beschäftigung basieren auf den damit in Einklang stehenden Unterlagen, die mit der Beschwerde vorgelegt wurden (Dienstvertrag, GKK-Anmeldung).

Rechtliche Beurteilung:

Werden im Beschwerdeverfahren von einer Partei gegen denselben Bescheid innerhalb offener Beschwerdefrist mehrere Schriftsätze eingebracht, mit denen jeweils eine Beschwerde erhoben wird, sind diese als eine Beschwerde anzusehen und nicht gesondert zu behandeln (vgl VwGH 23.02.2017, Ro 2017/21/0002). Die beiden von verschiedenen Vertretern der BF eingebrachten Beschwerdeschriftsätze sind daher gemeinsam als eine Beschwerde zu erledigen.

Als rumänische Staatsangehörige ist die BF EWR-Bürgerin iSd § 2 Abs 4 Z 8 FPG.

§ 66 FPG ("Ausweisung") lautet:

"(1) EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige können ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden; oder sie bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben; im letzteren Fall ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.

(2) Soll ein EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigter Drittstaatsangehöriger ausgewiesen werden, hat das Bundesamt insbesondere die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß seiner Bindung zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.

(3) Die Erlassung einer Ausweisung gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, die Ausweisung wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist."

Gemäß § 51 Abs 1 NAG sind EWR-Bürger auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind (Z 1); für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen (Z 2), oder als Hauptzweck ihres Aufenthalts eine Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung bei einer öffentlichen Schule oder einer rechtlich anerkannten Privatschule oder Bildungseinrichtung absolvieren und die Voraussetzungen der Z 2 erfüllen (Z 3).

§ 55 NAG ("Nichtbestehen, Fortbestand und Überprüfung des Aufenthaltsrechtes für mehr als drei Monate") lautet:

"(1) EWR-Bürgern und ihren Angehörigen kommt das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52, 53 und 54 zu, solange die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind.

(2) Der Fortbestand der Voraussetzungen kann bei einer Meldung gemäß §§ 51 Abs 3 und 54 Abs 6 oder aus besonderem Anlass wie insbesondere Kenntnis der Behörde vom Tod des unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgers oder einer Scheidung überprüft werden.

(3) Besteht das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52 und 54 nicht, weil eine Gefährdung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit vorliegt, die Nachweise nach § 53 Abs 2 oder § 54 Abs 2 nicht erbracht werden oder die Voraussetzungen für dieses Aufenthaltsrecht nicht mehr vorliegen, hat die Behörde den Betroffenen hievon schriftlich in Kenntnis zu setzen und ihm mitzuteilen, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hinsichtlich einer möglichen Aufenthaltsbeendigung befasst wurde. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist unverzüglich, spätestens jedoch gleichzeitig mit der Mitteilung an den Antragsteller, zu befassen. Dies gilt nicht in einem Fall gemäß § 54 Abs 7. Während eines Verfahrens zur Aufenthaltsbeendigung ist der Ablauf der Frist gemäß § 8 VwGVG gehemmt.

(4) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung (§ 9 BFA-VG), hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dies der Behörde mitzuteilen. Sofern der Betroffene nicht bereits über eine gültige Dokumentation verfügt, hat die Behörde in diesem Fall die Dokumentation des Aufenthaltsrechts unverzüglich vorzunehmen oder dem Betroffenen einen Aufenthaltstitel zu erteilen, wenn dies nach diesem Bundesgesetz vorgesehen ist.

(5) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung von Drittstaatsangehörigen, die Angehörige sind, aber die Voraussetzungen nicht mehr erfüllen, ist diesen Angehörigen ein Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" quotenfrei zu erteilen.

(6) Erwächst eine Aufenthaltsbeendigung in Rechtskraft, ist ein nach diesem Bundesgesetz anhängiges Verfahren einzustellen. Das Verfahren ist im Fall der Aufhebung einer Aufenthaltsbeendigung fortzusetzen, wenn nicht neuerlich eine aufenthaltsbeendende Maßnahme gesetzt wird."

Die BF ist freizügigkeitsberechtigte EWR-Bürgerin. Sie war in Österreich zunächst selbständig erwerbstätig; seit kurzem ist sie als Arbeitnehmerin (mit einem entsprechenden Krankenversicherungsschutz) beschäftigt.

Die Voraussetzungen des § 51 Abs 1 Z 1 NAG liegen somit vor, weshalb der BF im Bundesgebiet ein drei Monate übersteigendes unionsrechtliches Aufenthaltsrecht zukommt. Die Ausweisung erfolgte daher nicht zu Recht. Dies bedingt auch die Gegenstandslosigkeit des der BF gewährten Durchsetzungsaufschubs. In Stattgebung der Beschwerde ist der angefochtene Bescheid daher ersatzlos zu beheben.

Da im vorliegenden Fall bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit der Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist, entfällt die beantragte Beschwerdeverhandlung gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG.

Die Revision nach Art 133 Abs 4 B-VG ist nicht zuzulassen, weil das BVwG keine grundsätzlichen Rechtsfragen im Sinne dieser Gesetzesstelle zu lösen hatte.

Schlagworte

Aufenthaltsverbot, Behebung der Entscheidung, Voraussetzungen,
Wegfall der Gründe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:G314.2224009.1.00

Zuletzt aktualisiert am

27.02.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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