TE Bvwg Erkenntnis 2019/11/18 W129 2185256-3

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Veröffentlicht am 18.11.2019
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Entscheidungsdatum

18.11.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AVG §68 Abs1
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W129 2185256-3/2E

W129 2185260-3/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter DDr. Markus GERHOLD über die Beschwerden 1.) von XXXX , geb. XXXX , 2.) von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl jeweils vom 01.10.2019, Zlen.

1.) IFA 1080717400/VZ190948308 und 2.) IFA 1080718201/VZ190948294, zu Recht:

A) Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Erstbeschwerdeführer (BF1) und die Zweitbeschwerdeführerin (BF2) stellten am 30.07.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz und gaben bei der Erstbefragung am 31.07.2015 sinngemäß und zusammengefasst zum Fluchtgrund an, dass sie wegen des Krieges von

XXXX nach Georgien geflohen seien. In Georgien habe der BF1 einen Verkehrsunfall verursacht, wobei eine Person aufgrund der Verletzungen verstorben sei. Dem BF1 sei von den Verwandten die Blutrache angedroht worden, weil er Tschetschene sei und am Unfall die Schuld trage. Die Blutrache würde den BF1 auch in XXXX erreichen.

2. Am 28.12.2017 wurde eine niederschriftliche Einvernahme der Beschwerdeführer durchgeführt, in der sie zunächst angaben, dass die BF2 seit ca. Ende 2013 an rheumatologischer Arthritis leide und, dass Diabetes in Österreich festgestellt worden sei. Weiters leide sie seit 2013 oder 2014 an einem zu hohen Bluthochdruck.

Der BF1 leide seit 3 oder 4 Jahren an Arthritis. Magenprobleme habe er seit ca. 2015. Wegen der Arthritis sei er bereits operiert worden, und sei eine weitere Operation geplant. Auch sei er am Rücken leicht verletzt worden.

Der BF1 gab im Wesentlichen zusammengefasst und sinngemäß zu seinem Fluchtgrund angab, dass er einen Verkehrsunfall verursacht habe. Im Zuge dessen sei ein Mann verletzt worden, der in weiterer Folge verstorben sei. Wegen dieses Vorfalles hätten die Verwandten des verstorbenen Mannes ihm gegenüber Blutrache ausgesprochen. Gefragt, ob sie alle Fluchtgründe genannt hätten, antwortete er, dass sie nur diese Gründe hätten.

Die BF2 gab zusammengefasst an, dass sie befürchte, wenn sie heimkehre, dass sie mit ihren Krankheiten nicht lange am Leben bleibe. Weiters verneinte sie, eigene Fluchtgründe zu haben.

3. Mit Bescheiden vom 04.01.2018 wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihnen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist (Spruchpunkt V.). Weiters wurde ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt VI.).

4. Dagegen erhoben die Beschwerdeführer rechtzeitig Beschwerden, in denen sie im Wesentlichen ausführten, dass sie aus Angst vor Blutrache das Land verlassen hätten. Weiters seien sie seit dem Jahr 1999 nicht mehr in Tschetschenien gewesen und über 60 Jahre alt. Sie würden weder über ein soziales Auffangnetz verfügen noch sei es ihnen möglich - aufgrund des Alters und der gesundheitlichen Probleme - irgendeiner Beschäftigung nachzugehen.

5. Am 15.05.2018 wurde eine mündliche Beschwerdeverhandlung durchgeführt, an der beide Beschwerdeführer teilnahmen.

6. Mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 25.06.2018 wurden die Beschwerden als unbegründet abgewiesen.

Diesem ist zum BF1 im Wesentlichen zu entnehmen, dass er an Polyneuropathie, LWS DP, Chondromalazie III, Patellachondriomalazie IV und Meniscusruptur leide.

Eine direkte unmittelbare individuelle asylrelevante Bedrohung habe der BF1 nicht glaubwürdig vorgebracht und liege eine solche zum Entscheidungszeitpunkt nicht vor.

Diesem ist zur BF2 im Wesentlichen zu entnehmen, dass sie an rheumatoider Arthritis, arterieller Hypertonie, Diabetes mellitus Typ II, Diarrhö und MTX-Intoleranz leide und sich in TNF-Alpha-Blocker-Therapie befinde.

Die BF2 habe keine individuellen Gründe vorgebracht und seien solche von Amts wegen nicht hervorgekommen. Die Gründe des BF1 seien nicht glaubhaft gewesen.

7. Mit Bescheiden vom 21.12.2018 wurde den Beschwerdeführern ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt I.). Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG erlassen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG wurde die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung aberkannt (Spruchpunkt IV.). Weiters wurde ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 4 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt wird (Spruchpunkt V.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG wurde gegen sie ein auf die Dauer von 4 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VI.).

8. Dagegen wurden Beschwerden an das Bundesverwaltungsgericht erhoben, in denen im Wesentlichen ausgeführt wurde, dass sie nach wie vor von Blutrache bedroht seien. Weiters führten sie an, dass immer wieder wegen ihren Krankheiten lebensbedrohliche Situationen bzw. Komplikationen entstehen würden.

9. Mit Erkenntnissen vom 05.02.2019 wurden die Beschwerden gemäß § 57 AsylG, § 10 Abs. 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG, § 52 Abs. 1 Z 1 und Abs. 9 FPG, § 46 FPG, § 55 Abs. 4 FPG als unbegründet abgewiesen. Den Beschwerden gegen Spruchpunkt VI. wurde mit der Maßgabe stattgegeben, dass die Dauer des Einreiseverbotes gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG auf 18 Monate herabgesetzt wurde. Der Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung wurde als unzulässig zurückgewiesen.

Im Wesentlichen wurde ausgeführt, dass - insofern im Rahmen der Beschwerde auf den schlechten Gesundheitszustand (Diabetes, Bluthochdruck) der BF2 verwiesen worden sei - hierin kein substantiiertes neues Vorbringen erblickt werden könne. Dies sei bereits Gegenstand der vorangegangenen Rückkehrentscheidung vom Juni 2018 gewesen. Zudem ergebe sich aus den vorliegenden Länderberichten eine ausreichende medizinische Grundversorgung in der Russischen Föderation.

10. Der BF1 stellte am 17.09.2019 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz und gab bei der Erstbefragung zusammengefasst und sinngemäß an, dass er früher die tschetschenischen Widerstandskämpfer regelmäßig mit Lebensmitteln und Informationen versorgt habe. Personen wie er seien verfolgt oder spurlos beseitigt worden. Er habe eigentlich zwei Gründe gehabt, warum er damals Georgien verlassen habe. Er habe gedacht, dass man bei einer Asyleinvernahme nur einen Grund angebe und somit habe er den eigentlichen Grund - die Unterstützung der tschetschenischen Kämpfer - nicht genannt. Er habe vor ca. einem halben Jahr von einem Bekannten einen Anruf bekommen. Er habe ihn darüber informiert, dass sich die Behörden nach seinem Aufenthalt erkundigt hätten. Außerdem leide er an Arthritis und brauche regelmäßig Spritzen. Er habe Termine für eine Knie- und Schulteroperation gehabt, habe aber nicht mehr operiert werden können, weil seine Versicherung storniert worden sei.

Gefragt, seit wann ihm die Änderung der Situation bzw. seiner Fluchtgründe bekannt sei, gab er an, dass sich die Gründe nicht geändert hätten. Er habe jedoch den angeführten Grund nicht bei der ersten Einvernahme angegeben, weil ihm gesagt worden sei, dass man nur einen Grund angeben müsse bzw er nicht veröffentlichen solle, dass er tschetschenische Kämpfer unterstützt habe, weil es sehr gefährlich sei.

Die BF2 stellte am 17.09.2019 ebenfalls den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz und gab bei der Erstbefragung zusammengefasst und sinngemäß an, dass sie an einer rheumatoiden Polyarthritis leide. Diese Erkrankung hänge mit den Gelenken zusammen. Sie erhalte alle zwei Wochen in einer Klinik eine Spritze, die über EUR 1.000,-- koste. Da sie keine Krankenversicherung mehr habe, bekomme sie seit März 2019 nur Schmerzmittel vom Roten Kreuz. Für den Fall, dass sie in ihre Heimat zurückkehre, würde dies ihren Tod bedeuten. Ihre Gelenke würden nachgeben, sie könne nicht mehr richtig gehen. Auch ihre Handgelenke würden bereits versagen. Diese Spritzen gebe es in ihrer Heimat nicht, da sie sehr teuer seien. Diese Krankheit gelte in ihrer Heimat als unheilbar. Mit diesen Spritzen könne man das Fortschreiten der Krankheit stoppen. Weiters leide sie an Diabetes.

Außerdem könnten sie wegen der Probleme ihres Ehemannes nicht in ihre Heimat zurückkehren. Sie habe keine weiteren Gründe für eine Asylantragstellung. Sie befürchte im Falle einer Rückkehr in ihre Heimat, dass sie an den Folgen ihrer Erkrankung sterben werde.

Gefragt, seit wann ihr die Änderung der Situation bzw. ihrer Fluchtgründe bekannt sei, gab sie an, dass sich ihre Krankheit in den letzten 6 Monaten verschlechtert habe.

11. Am 24.09.2019 wurde der BF1 niederschriftlich einvernommen, dabei gab er im Wesentlichen zusammengefasst und sinngemäß an, dass er Aufständische mit Proviant und Informationen und anderen Sachen versorgt habe. Als sie in Georgien gelebt hätten seien Männer gekommen und hätten nach ihm gefragt, er sei aber nicht anwesend gewesen. Zu dieser Zeit sei entweder seine Frau zu Hause gewesen oder seine Nachbarn hätten ihm danach davon berichtet. Das sei in den Jahren 2013 und 2014 gewesen und sei zwei oder drei Mal vorgekommen. Vor zwei oder drei Monaten hätte er von einem Bekannten per Telefon erfahren, dass zu seiner alten Adresse wieder einige Männer gekommen seien und nach ihm gefragt hätten. Er habe in den Jahren 2008 bis 2010 den Aufständischen geholfen.

Er habe beim ersten Asylantrag nur einen Grund angegeben, obwohl auch der zweite Grund vorgelegen sei, weil er gedacht habe, dass man nur einen Grund angeben müsse. Weiters sei die Blutrache noch aufrecht.

Am selben Tag wurde auch die BF2 niederschriftlich einvernommen, dabei gab sie im Wesentlichen an, dass sie ungefähr seit drei Jahren rheumatoide Polyarthritis habe. Als die Krankheit festgestellt worden sei, hätten auch die anderen Krankheiten (hoher Blutdruck, Diabetes) angefangen. Sie habe ihre letzte "Zintsia"-Spritze im Jänner 2019 bekommen und seit dieser Zeit habe sich ihr Zustand verschlechtert.

Gefragt, inwiefern sich ihr Zustand verschlechtert habe, gab sie an, dass sie Schmerzen in den Gelenken, insbesondere den Schultern, den Fingern, den Knien, den Knöcheln und den Ellbogen, habe. Sie sei im Jahr 2016 am Knöchel links operiert worden. Sie habe starke Schmerzen am linken Bein, es gebe Momente, wo sie nicht einmal essen könne. Außerdem habe sie Probleme mit den Bandscheiben.

Zum neuen Fluchtgrund befragt gab sie an, dass ihr Mann - der BF1 - den tschetschenischen Aufständischen geholfen habe.

Gefragt, warum sie weder in der Beschwerde noch vor dem BVwG jemals Angaben dazu gemacht hätten, führte sie aus, dass sie nicht gewusst hätten, dass sie gleich darüber erzählen hätten müssen.

12. Mit Bescheiden vom 01.10.2019 wurden die Anträge auf internationalen Schutz vom 17.09.2019 gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen.

Der Begründung des Bescheides des BF1 ist im Wesentlichen zu entnehmen, dass der BF1 lediglich - wie auch bereits in seinem letzten Verfahren in Österreich - ausgeführt habe, dass er Arthritis habe, diesbezüglich jedoch bereits im Jahr 2017 und im Jahr 2018 an beiden Handgelenken operiert worden sei. Es sei damals eine geplante Knie- und auch Schulteroperation mangels Krankenversicherung nicht mehr durchgeführt worden. Weiters habe er ausgeführt, dass sein gesundheitlicher Zustand seit Februar 2019 im Großen und Ganzen unverändert sei.

Die vom BF1 vorgebrachten Gründe für die neuerliche Antragstellung seien in krassem Widerspruch zu den Ausführungen der BF2 gestanden, sodass diese nicht als glaubhaft zu bewerten gewesen seien und selbst bei Wahrunterstellung der von ihm getätigten Ausführungen jedenfalls ein Verstoß gegen das Neuerungsverbort vorliege, weil er bereits im Vorverfahren verpflichtet gewesen sei, sämtliche Gründe für das Verlassen anzuführen, sodass darüber nicht noch einmal inhaltlich zu entscheiden sei.

Der Begründung des Bescheides der BF2 ist im Wesentlichen zu entnehmen, dass sich bis zur Bescheiderlassung weder eine schwere körperliche oder ansteckende Krankheit, noch eine schwere psychische Störung ergeben habe, die bei einer Abschiebung in die Russische Föderation eine unzumutbare Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes bewirken würde. Sie habe Diabetes und rheumatoide Polyarthritis sowie Bluthochdruck. Sie stehe in medikamentöser Behandlung.

Der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt habe sich seit Rechtskraft ihres letzten Asylverfahren nicht geändert. Sie hätte im gegenständlichen Verfahren keine neuen entscheidungsrelevanten Fluchtgründe vorgebracht, die nicht bereits zum Zeitpunkt ihrer ersten Asylantragstellung in Österreich bestanden hätten.

Von der erkennenden Behörde könne kein neuer entscheidungsrelevanter Sachverhalt festgestellt werden. Die Begründung des neuerlichen Asylantrages reiche nicht aus, einen neuen gegenüber dem früheren Asylantrag wesentliche geänderten entscheidungsrelevanten Sachverhalt entstehen zu lassen.

Weiters habe die BF2 keine Beschwerden oder Krankheiten angeführt, die das Asylverfahren in weiterer Folge beeinträchtigen würden. Sie habe lediglich - wie auch bereits in ihrem letzten Verfahren in Österreich - ausgeführt, dass sie rheumatoide Polyarthritis, Diabetes und Bluthochdruck habe, diesbezüglich jedoch in medikamentöser Behandlung wäre. Im Jahr 2016 sei sie am Knöchel operiert worden. Sie habe jedoch keine aktuellen Befunde in Vorlage bringen können, lediglich eine Überweisung zur Blutabnahme.

Darüber hinaus werde auf die Feststellungen zur Russischen Föderation hingewiesen, woraus eindeutig ersichtlich sei, dass in der Russischen Föderation Behandlungsmöglichkeiten bestünden und diese auch zugänglich seien und die medizinische Versorgung für Asylwerber gewährleistet sei, so dass unter Verweis auf die Judikatur des EGMR auch ein eventuell behauptete psychische Störung oder ein physisches Gebrechen einer Überstellung in die Russische Föderation in keinster Weise im Wege stehe.

Außerdem habe sie im Vorverfahren dieselben Krankheiten angeführt und dazu angegeben, bereits seit 2013 an Arthritis und seit 2013 oder 2014 an Bluthochdruck zu leiden. Über eine dennoch gegebene Möglichkeit einer Überstellung ihrer Person in die Russische Föderation sei bereits im Vorverfahren in zwei Instanzen rechtskräftig abgesprochen worden und stelle ihr diesbezügliches Vorbringen daher ebenfalls keinen neu entstandenen Sachverhalt dar.

13. Dagegen wurde Beschwerde erhoben. Darin wurde zusammengefasst ausgeführt, die belangte Behörde gehe zu Unrecht von einer "entschiedenen Sache" iSd § 68 AVG aus. Weiters wurde auf die Verschlechterung des Gesundheitszustandes der BF2 hingewiesen. Unter einem wurden Befunde der BF2 vom 11.12.2018, 08.01.2018 und 05.11.2018, sowie des BF1 vom 08.01.2018 vorgelegt.

14. Mit Schreiben vom 17.10.2019 legte die belangte Behörde die Beschwerden sowie die bezughabenden Akten dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor, wo das Konvolut am 21.10.2019 einlangte.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige der Russischen Föderation.

Die Beschwerdeführer stellte am 30.07.2015 nach illegaler Einreise ihren ersten Antrag auf internationalen Schutz.

Mit Bescheiden vom 04.01.2018 wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihnen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist (Spruchpunkt V.). Weiters wurde ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt VI.).

Mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 25.06.2018 wurden die Beschwerden als unbegründet abgewiesen.

Diesen ist zu entnehmen:

Eine direkte unmittelbare individuelle asylrelevante Bedrohung (Blutrache) hat der der BF1 nicht glaubwürdig vorgebracht und liegt eine solche zum Entscheidungszeitpunkt nicht vor.

Diesem ist zum BF1 weiters zu entnehmen, dass er an Polyneuropathie, LWS DP, Chondromalazie III, Patellachondriomalazie IV und Meniscusruptur leidet.

Zur BF2 ist zu entnehmen, dass sie an rheumatoider Arthritis, arterieller Hypertonie, Diabetes mellitus Typ II, Diarrhö, MTX-Intoleranz leidet und sich in einer TNF-Alpha-Blocker-Therapie befindet.

Weiters wurde ausgeführt, dass die BF2 an keinen relevanten Erkrankungen leidet; die grundsätzliche Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems des Herkunftsstaates ergibt sich aus den diesbezüglichen Länderfeststellungen.

Mit Bescheiden vom 21.12.2018 wurden den Beschwerdeführern ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt I.). Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG erlassen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG wurde die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung aberkannt (Spruchpunkt IV.). Weiters wurde ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 4 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt wird (Spruchpunkt V.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG wurde gegen sie ein auf die Dauer von 4 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VI.).

Mit Erkenntnissen vom 05.02.2019 wurden die Beschwerden gemäß § 57 AsylG, § 10 Abs. 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG, § 52 Abs. 1 Z 1 und Abs. 9 FPG, § 46 FPG, § 55 Abs. 4 FPG als unbegründet abgewiesen. Den Beschwerden gegen Spruchpunkt VI. wurde mit der Maßgabe stattgegeben, dass die Dauer des Einreiseverbotes gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG auf 18 Monate herabgesetzt wurde. Die Anträge auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung wurden als unzulässig zurückgewiesen.

Am 17.09.2019 stellten die Beschwerdeführer ihren zweiten gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Mit Bescheid vom 01.10.2019 wurden die Anträge auf internationalen Schutz vom 17.09.2019 gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen.

Die Beschwerdeführer brachten im zweiten Verfahren vor, dass der BF1 früher die tschetschenischen Widerstandskämpfer regelmäßig mit Lebensmitteln und Informationen versorgt habe. Auch gelte nach wie vor die Blutrache. Weiters wurde eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes vorgebracht.

Festgehalten wird, dass die Krankheiten rheumatoide Arthritis, Diabetes und hoher Blutdruck bereits im Erkenntnis des Bundesverwaltungsgereichtes vom 25.06.2018 und somit im ersten Verfahren berücksichtigt wurden.

Die Beschwerdeführer leiden - auch unter Berücksichtigung der Depression der BF2 - nicht an dermaßen schweren physischen oder psychischen, akut lebensbedrohlichen und zudem im Herkunftsstaat nicht behandelbaren Erkrankungen, welche eine Rückkehr in die Russische Föderation iSd Art. 3 EMRK unzulässig machen würde. Festgestellt wird, dass die medizinische Versorgung im Herkunftsstaat grundsätzlich gewährleistet ist. Festgestellt wird weiters, dass auch die psychische Krankheit der BF2 im Herkunftsstaat behandelbar ist. Es ergibt sich daher auch daraus keine Sachverhaltsänderung im Vergleich zum ersten Verfahren.

1.2. Zur maßgeblichen Situation in der Russischen Föderation, insbesondere in Tschetschenien:

Dschihadistische Kämpfer und ihre Unterstützer

Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird rigoros vorgegangen (ÖB Moskau 12.2018). Ramzan Kadyrow versucht dem Terrorismus und möglicher Rebellion in Tschetschenien unter anderem durch Methoden der Kollektivverantwortung zu begegnen (ÖB Moskau 12.2018, vgl. AA 13.2.2019, vgl. FH 4.2.2019). Die Bekämpfung von Extremisten geht mit rechtswidrigen Festnahmen, Sippenhaft, Kollektivstrafen, spurlosem Verschwinden, Folter zur Erlangung von Geständnissen, fingierten Straftaten, außergerichtlichen Tötungen und Geheimgefängnissen, in denen gefoltert wird, einher. Die strafrechtliche Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen ist unzureichend (AA 13.2.2019). Auch Familienangehörige, Freunde und Bekannte oder andere mutmaßliche Unterstützer von Untergrundkämpfern können zur Verantwortung gezogen und bestraft werden (ÖB Moskau 12.2018, vgl. HRW 17.1.2019). Verwandte von terroristischen Kämpfern stehen häufig unter dem Verdacht, diese zu unterstützen (ÖB Moskau 12.2018), und sind daher von Grund auf eher der Gefahr öffentlicher Demütigungen, Entführungen, Misshandlungen und Folter ausgesetzt (sog. Sippenhaft) (ÖB Moskau 12.2018, vgl. HRW 17.1.2019). Vereinzelt kommt es vor, dass Personen, denen die Unterstützung von Terroristen vorgeworfen wird, von Sicherheitskräften drangsaliert werden. Oftmals verlieren Angehörige ihre Arbeitsstelle, ihre Häuser werden niedergebrannt, Kinder werden von der Schule ausgeschlossen, oder sie werden überhaupt aus Tschetschenien ausgewiesen (ÖB Moskau 12.2018). Die Mitverantwortung wurde sogar durch Bundesgesetze festgelegt, so z.B. ein 2013 verabschiedetes Gesetz, das Familienangehörige von Terrorverdächtigen verpflichtet für Schäden, die durch einen Anschlag entstanden sind, aufzukommen und die Behörden in diesem Zusammenhang auch zur Beschlagnahmung von Vermögenswerten der Familien ermächtigt (ÖB Moskau 12.2018, vgl. SFH 25.7.2014). Angehörigen von Aufständischen bleiben, laut Tanja Lokshina von Human Rights Watch in Russland, nicht viele Möglichkeiten, um Kontrollen oder Druckausübung durch Behörden zu entkommen. Eine Möglichkeit ist es, die Republik Tschetschenien zu verlassen, was sich jedoch nicht jeder leisten kann, oder man sagt sich öffentlich vom aufständischen Familienmitglied los. Vertreibungen von Familien von Aufständischen haben zugenommen (Meduza 31.10.2017).

Über Jahre sind die Strafverfolgungsbehörden und Sicherheitskräfte, die unter Kadyrows de-factoKontrolle stehen, mit illegalen Methoden gegen mutmaßliche Rebellen und ihre Unterstützer/innen vorgegangen. Mit der Zeit sind sie jedoch dazu übergegangen, diese Methoden gegenüber Gruppen anzuwenden, die von den tschetschenischen Behörden als "unerwünscht" erachtet werden, beispielsweise lokale Dissidenten, unabhängige Journalisten oder auch salafistische Muslime. In den letzten zehn Jahren gab es andauernde, glaubhafte Anschuldigungen, dass die Strafverfolgungsbehörden und Sicherheitskräfte in ihrem Kampf gegen den aggressiven islamistischen Aufstand an Entführungen, Fällen von Verschwindenlassen, Folter, außergerichtlichen Hinrichtungen und kollektiven Bestrafungen beteiligt gewesen seien. Insbesondere Aufständische, ihre Verwandten und mutmaßliche Unterstützer/innen seien ins Visier geraten. Kadyrow setzte lokale salafistische Muslime und Aufständische oder deren Unterstützer/innen weitgehend gleich. Er habe die Polizei und lokale Gemeinschaften angewiesen, genau zu überwachen, wie Personen beten und sich kleiden würden, und die zu bestrafen, die vom Sufismus abkommen würden (HRW 26.5.2017).

Die Tageszeitung Nowaja Gazeta berichtete über die rechtswidrige Inhaftierung zahlreicher Personen im Dezember 2016, sowie die heimliche Hinrichtung von mindestens 27 Gefangenen durch Sicherheitskräfte am 26. Januar 2017 in Tschetschenien (AI 22.2.2018). Demnach wollte die tschetschenische Führung damit den Mord an einem Polizisten rächen. Der Polizist wurde vermutlich von islamistischen Kämpfern ermordet. Tschetschenische Regierungsvertreter bestreiten die Vorfälle aufs Schärfste (ORF.at 9.7.2017, vgl. Standard.at 10.7.2017). Im Jänner 2017 hat Ramzan Kadyrow die Sicherheitskräfte angewiesen, ohne Vorwarnung auf Rebellen zu schießen, um Verluste in den Reihen der Sicherheitskräfte zu vermeiden, und auch denen gegenüber keine Nachsicht zu zeigen, die von den Rebellen in "die Irre geführt wurden" (Caucasian Knot 25.1.2017).

Die Anzahl der Rebellen in Tschetschenien ist schwer zu konkretisieren. Schätzungen gehen von einem Dutzend bis ca. 120 Personen aus. Die Anzahl der tschetschenischen Rebellen ist sicherlich geringer als jene z.B. in Dagestan, wo der islamistische Widerstand sein Zentrum hat. Sie verstecken sich in den bergigen und bewaldeten Gebieten Tschetscheniens und bewegen sich hauptsächlich zwischen Tschetschenien und Dagestan, weniger oft auch zwischen Tschetschenien und Inguschetien. Kidnapping wird von tschetschenischen Sicherheitskräften begangen. In Tschetschenien selbst ist der Widerstand nicht sehr aktiv, sondern hauptsächlich in Dagestan. Die Kämpfer würden im Allgemeinen auch nie einen Fremden um Vorräte, Nahrung, Medizin oder Unterstützung bitten, sondern immer nur Personen fragen, denen sie auch wirklich vertrauen, so beispielsweise Verwandte, Freunde oder Bekannte (DIS 1.2015).

Nach dem Terroranschlag auf Grozny am 4.12.2014 nahm Tschetscheniens Oberhaupt Ramzan Kadyrow die Verwandten der Attentäter in Sippenhaft. Kadyrow verlautbarte auf Instagram kurz nach der Tat, dass, wenn ein Kämpfer in Tschetschenien einen Mitarbeiter der Polizei oder einen anderen Menschen töte, die Familie des Kämpfers sofort ohne Rückkehrrecht aus Tschetschenien ausgewiesen werde. Ihr Haus werde zugleich bis auf das Fundament abgerissen. Tatsächlich beklagte einige Tage später der Leiter der tschetschenischen Filiale des "Komitees gegen Folter", dass den Angehörigen der mutmaßlichen Täter die Häuser niedergebrannt worden seien (Standard.at 14.12.2014, vgl. Meduza 31.10.2017). Es handelte sich um 15 niedergebrannte Häuser (The Telegraph 17.1.2015, vgl. Meduza 31.10.2017). Ein weiterer Fall ist das 2016 niedergebrannte Haus von Ramazan Dschalaldinow. Er hatte sich in einem Internetvideo bei Präsident Putin über die behördliche Korruption und Bestechungsgelder beschwert (RFE/RFL 18.5.2016). Ebenso wurden im Jahr 2016 nach einem Angriff von zwei Aufständischen auf einen Checkpoint in der Nähe von Grozny die Häuser ihrer Familien niedergebrannt (US DOS 3.3.2017).

Auch Human Rights Watch berichtet im Jahresbericht 2016, dass Häuser niedergebrannt wurden [damit sind wohl die eben angeführten Fälle gemeint] (HRW 12.1.2017). Die Jahresberichte für das Jahr 2014 von Amnesty International (AI), US Department of States (US DOS), Human Rights Watch (HRW) und Freedom House (FH) berichten vom Niederbrennen von Häusern als Vergeltung für die oben genannte Terrorattacke auf Grozny vom Dezember 2014. 2017 und 2018 gab es in den einschlägigen Berichten keine Hinweise auf das Niederbrennen von Häusern (AI 22.2.2018, US DOS 20.4.2018, HRW 18.1.2018, FH 1.2018, US DOS 13.3.2019, HRW 17.1.2019, FH 4.2.2019).

In Bezug auf Verfolgung von Kämpfern des Ersten und Zweiten Tschetschenienkrieges erging von der Konsularabteilung der ÖB Moskau die Information, dass sich auf Youtube unter https://www.youtube.com/watch?v=0viIlHc51bU ein Link zu einem Nachrichtenbeitrag, der am 23.4.2014 veröffentlicht wurde, findet. Diesem Beitrag zufolge haben tschetschenische Ermittlungsbehörden Anfragen an die Archivbehörden des Verteidigungsministeriums in Moskau gerichtet, um Daten zu erfragen, die ein militärisches Geheimnis darstellen: Nummern militärischer Einheiten; Namen von Kommandeuren und Offizieren, die der Begehung von Kriegsverbrechen verdächtig sind; Fotos dieser Personen; sowie Familienname und Rang von Teilnehmern an Spezialoperationen, in deren Verlauf Zivilisten verschwunden sind. Unbekannt ist laut Bericht, ob die tschetschenischen Behörden die angefragten Informationen erhalten haben. Laut Pressesekretär des tschetschenischen Präsidenten sind die Anfragen nichts Besonderes, denn es gehe um die Aufklärung von Verbrechen, die an bestimmten Orten begangen wurden, als sich dort russisches Militär aufgehalten habe, und die Anfragen seien zur Identifizierung der Militärangehörigen gestellt worden, die sich zu dieser Zeit dort aufgehalten haben, aber nicht zur Identifizierung aller Teilnehmer an militärischen Handlungen. Aus den Briefköpfen der Anfragen ist allerdings ersichtlich, dass diese schon aus dem Jahr 2011 stammen. Hinweise auf neuere Anfragen oder Verfolgungshandlungen tschetschenischer Behörden konnten ho. nicht gefunden werden, ebenso wenig wie Hinweise darauf, dass russische Behörden tschetschenische Kämpfer der beiden Kriege suchen würden. Hinweise darauf, dass Verwandte von TschetschenienKämpfern durch russische oder tschetschenische Behörden zu deren Aufenthaltsort befragt wurden, konnten nicht gefunden werden (ÖB Moskau 12.7.2017).

Nach Ansicht der Österreichischen Botschaft kann aus folgenden Gründen davon ausgegangen werden, dass sich die russischen und tschetschenischen Behörden bei der Strafverfolgung mittlerweile auf IS-Kämpfer/Unterstützer bzw. auf Personen konzentrieren, die im Nordkaukasus gegen die Sicherheitskräfte kämpfen:

1. Es konnten keine Hinweise auf Verfolgung von Veteranen der Tschetschenien-Kriege nach 2011 gefunden werden. Es gibt im Internet jedoch zahlreiche Berichte neueren Datums über antiterroristische Spezialoperationen im Nordkaukasus.

2. Zahlreichen Personen, nach denen seitens russischer Behörden gefahndet wird (z.B. Fahndungen via Interpol), werden Delikte gemäß § 208 Z 2 1. (Teilnahme an einer illegalen bewaffneten Formation) oder gemäß § 208 Z 2 2. (Teilnahme an einer bewaffneten Formation auf dem Gebiet eines anderen Staates, der diese Formation nicht anerkennt, zu Zwecken, die den Interessen der RF widersprechen) des russischen Strafgesetzbuch zur Last gelegt. In der Praxis zielen diese Gesetzesbestimmungen auf Personen ab, die im Nordkaukasus gegen die Sicherheitskräfte kämpfen bzw. auf Personen, die ins Ausland gehen, um aktiv für den sog. Islamischen Staat zu kämpfen (ÖB Moskau 12.7.2017).

Ein zunehmendes Sicherheitsrisiko stellt für Russland die mögliche Rückkehr terroristischer Kämpfer nordkaukasischer Provenienz aus Syrien und dem Irak dar. Laut INTERFAX warnte FSBLeiter Bortnikov bei einem Treffen des Nationalen Anti-Terrorismus-Komitees am 12.12.2017 vor der Rückkehr militanter Kämpfer nach der territorialen Niederlage des sog. IS in Syrien, der bei dieser Gelegenheit auch konkrete Zahlen zur Terrorismusbekämpfung in Russland nannte: Im Jahresverlauf 2017 seien über 60 terroristische Verbrechen, darunter 18 Terroranschläge, verhindert worden; die Sicherheitskräfte hätten über 1.000 militante Kämpfer festgenommen, knapp 80 Personen seien neutralisiert worden. Laut einer INTERFAX Meldung vom 30.10.2018 konnten die Strafverfolgungsbehörden 2018 sechs Terroranschläge verhindern, insgesamt wurden 50 Terroristen getötet (ÖB Moskau 12.2018).

Laut diversen staatlichen und nicht-staatlichen Quellen ist davon auszugehen, dass die Präsenz militanter Kämpfer aus Russland in den Krisengebieten Syrien und Irak mehrere tausend Personen umfasste. Eine aktuelle Studie des renommierten Soufan-Instituts nennt Russland noch vor SaudiArabien als das wichtigste Herkunftsland ausländischer Kämpfer: So sollen rund 3.500 von ihnen aus Russland stammen, wobei die Anzahl der Rückkehrer mit 400 beziffert wird. Anderen Analysen zufolge sollen bis zu 10% der IS-Kämpfer aus dem Kaukasus stammen, deren Radikalisierung teilweise auch in russischen Großstädten außerhalb ihrer Herkunftsregion erfolgte. Laut Präsident Putin sollen rund 9.000 Kämpfer aus dem postsowjetischen Raum stammen (ÖB Moskau 12.2018). Gegen IS-Kämpfer, die aus den Krisengebieten im Nahen Osten zurückkehren, wird v.a. gerichtlich vorgegangen (ÖB Moskau 12.2018, vgl. Landinfo 8.8.2016). Die Schwere der Strafe hängt davon ab, ob sich die sogenannten Foreign Fighters den Behörden stellen und kooperieren. Jene, die sich nicht stellen, laufen Gefahr, in sogenannten Spezialoperationen liquidiert zu werden (Landinfo 8.8.2016).

Nachdem der sog. IS im Nahen Osten weitgehend bezwungen werden konnte, ist zu vermuten, dass überlebende IS-Kämpfer nordkaukasischer Provenienz abgesehen von einer Rückkehr nach Russland entweder in andere Konfliktgebiete weiterziehen oder sich der Diaspora in Drittländern anschließen könnten. Daraus könnte sich auch ein entsprechendes Sicherheitsrisiko für Länder mit umfangreichen tschetschenischen Bevölkerungsanteilen ergeben (ÖB Moskau 12.2018).

Trotz des insignifikanten touristischen bzw. ökonomischen Potentials Tschetscheniens bietet die Fluglinie Utair seit Mitte 2017 wöchentliche Linienflüge zwischen München und Grozny an. In der tschetschenischen Diaspora in Österreich scheint mitunter ein gewisses Naheverhältnis zum Kadyrow-Regime fortzubestehen, wie sich etwa in der Kampfsportszene zeigt (ÖB Moskau 12.2018).

Grundversorgung

2018 betrug die Zahl der Erwerbstätigen in Russland ca. 73,6 Millionen, somit ungefähr 62% der Gesamtbevölkerung. Der Frauenanteil an der erwerbstätigen Bevölkerung beträgt knapp 55%. Die Arbeitslosenrate liegt bei 4,7% (WKO 7.2019), diese ist jedoch abhängig von der jeweiligen Region. Russische StaatsbürgerInnen haben überall im Land Zugang zum Arbeitsmarkt (IOM 2018). Das BIP lag 2018 bei ca. 1.630 Milliarden US-Dollar (WKO 7.2019, vgl. GIZ 8.2019b).

Russland ist einer der größten Rohstoffproduzenten der Welt und verfügt mit einem Viertel der Weltgasreserven (25,2%), circa 6,3% der Weltölreserven und den zweitgrößten Kohlereserven (19%) über bedeutende Ressourcen. Die mangelnde Diversifizierung der russischen Wirtschaft führt jedoch zu einer überproportional hohen Abhängigkeit der Wirtschaftsentwicklung von den Einnahmen aus dem Verkauf von Öl und Gas. Rohstoffe stehen für ca. 80% der Exporte und finanzieren zu rund 50% den Staatshaushalt. Die Staatsverschuldung in Russland ist mit rund zehn Prozent des BIP weiterhin vergleichsweise moderat. Sowohl hohe Gold- und Währungsreserven als auch die beiden durch Rohstoffeinnahmen gespeisten staatlichen Reservefonds stellen eine Absicherung des Landes dar. Strukturdefizite, Finanzierungsprobleme und Handelseinschränkungen durch Sanktionen seitens der USA, Kanadas, Japans und der EU bremsten das Wirtschaftswachstum. Insbesondere die rückläufigen Investitionen und die Fokussierung staatlicher Finanzhilfen auf prioritäre Bereiche verstärken diesen Trend. Das komplizierte geopolitische Umfeld und die Neuausrichtung der Industrieförderung führen dazu, dass Projekte vorerst verschoben werden. Wirtschaftlich nähert sich Russland China an. Im Index of Economic Freedom nimmt Russland 2019 den 98. Platz [2018 Platz 107] unter 180 Ländern ein. Das schlechte Investitionsklima schlägt sich in einer niedrigen Rate ausländischer Investitionen nieder. Bürokratie, Korruption und Rechtsunsicherheit bremsen die wirtschaftliche Entwicklung aus. Seit Anfang 2014 hat die Landeswährung mehr als ein Drittel ihres Wertes im Vergleich zum Euro verloren, was unter anderem an den westlichen Sanktionen wegen der Ukraine-Krise und dem fallenden Ölpreis liegt. Durch den Währungsverfall sind die Preise für Verbraucher erheblich gestiegen. 2018 ist die russische Wirtschaft um 2,3% gestiegen. Langfristig befürchten Ökonomen und Behörden ein Erlahmen der Konjunktur, wenn strukturelle Reformen ausbleiben. Diese seien wegen des Rückgangs der erwerbstätigen Bevölkerung und der starken Abhängigkeit Russlands vom Öl- und Gasexport erforderlich (GIZ 8.2019b).

Die primäre Versorgungsquelle der Russen bleibt ihr Einkommen. Staatliche Hilfe können Menschen mit Behinderungen, Senioren und Kinder unter drei Jahren erwarten. Fast 14% der russischen Bevölkerung leben unterhalb der absoluten Armutsgrenze, die dem per Verordnung bestimmten monatlichen Existenzminimum von derzeit 10.444 Rubel [ca. 141€] entspricht. Auch der Mindestlohn wurde seit 1.5.2018 an das Existenzminimum angeglichen. Der Warenkorb, der zur Berechnung des Existenzminimums herangezogen wird, ist marktfremd. Die errechnete Summe reicht kaum zum Überleben aus. Diese Entwicklung kann nur teilweise durch die Systeme der sozialen Absicherung aufgefangen werden. In den Regionen, die neben dem föderalen Existenzminimum ein höheres regionales Existenzminimum eingeführt haben, haben die Beschäftigten und die Rentner die Möglichkeit, eine aufstockende Leistung bis zur Höhe des regionalen Existenzminimums zu erhalten. Die Entwicklung hin zur Verarmung ist vorwiegend durch extrem niedrige Löhne verursacht. Diese sind zum einen eine Folge der auf die Schonung der öffentlichen Haushalte zielenden Lohnpolitik. Zwei Drittel aller Einkommen werden von staatlichen Unternehmen oder vom Staat bezahlt, der die Löhne niedrig hält. Zum anderen resultieren die niedrigen Löhne aus der primär auf den Erhalt der Arbeitsplätze fokussierten russischen Beschäftigungspolitik. Ungünstig ist zudem die Arbeitsmarktstruktur. Der größte Teil der Beschäftigten arbeitet im öffentlichen Dienst oder in Unternehmen, die ganz oder teilweise dem Staat gehören (33,4 Mio. von 73,1 Mio. Beschäftigten). Ein weiteres Spezifikum der russischen Lohnpolitik ist der durchschnittliche Lohnverlust von 15-20% für Arbeitnehmer ab dem 45. Lebensjahr. Sie gelten in den Augen der Arbeitgeber aufgrund fehlender Fortbildungen als unqualifiziert und werden bei den Sonderzahlungen und Lohnanpassungen nicht berücksichtigt. Dieser Effekt wird durch eine hohe Arbeitslosenquote (21,6%) bei den über 50-Jährigen verstärkt. Folglich müssen Arbeitnehmer bis zum 44. Lebensjahr jede Chance zum Vermögensaufbau nutzen, um sich vor Altersarmut zu schützen. Auch bei Migranten wird beim Lohn gespart. Sie verdienen oft nur den Mindestlohn (AA 13.2.2019).

Die Lage der Rentner (29,5% der russischen Bevölkerung) ist stabil, aber prekär. Die Durchschnittsrente beträgt 13.348 Rubel [ca. 180€]. Die Durchschnittsaltersrente ist ein wenig höher und beträgt 14.075 Rubel [ca. 190€]. Sie soll ab 2019 als Ausgleich zu der zugleich eingeführten Anhebung des Rentenalters um fünf Jahre (jährlich um ein Jahr bis auf 60 Jahre bei Frauen und 65 Jahre bei Männern) jährlich um durchschnittlich 1000 Rubel [ca. 14€] erhöht werden. Gemessen am Existenzminimum ist das durchschnittliche Rentenniveau zwischen 2012 und Ende 2018 um 18% gesunken. Damit führen die Rentner ein Leben an der Grenze des Existenzminimums und sind stark von den Lebensmittelpreisen abhängig. Dennoch gehören die Rentner nicht zu den Verlierern der Politik. Weil die Rente die verlässlichste staatliche Transferleistung ist, sind die Rentner vielmehr ein Stabilisierungsfaktor in vielen Haushalten geworden. Statistisch ist das Armutsrisiko von Haushalten ohne Rentner dreimal höher als das von Haushalten mit Rentnern. Verlierer der aktuellen Politik sind v.a. ältere Arbeitnehmer, Familien mit Kindern und Arbeitsmigranten. An der Höhe des Existenzminimums gemessen sank das Lohnniveau zwischen 2012 und 2018 um 49%. Seit 1.2.2018 sind die Löhne für alle Mitarbeiter im öffentlichen Dienst um 4% pauschal angehoben worden. Weitere Lohnerhöhungen sind im Bildungssystem und Gesundheitswesen geplant, wo die Löhne 23% respektive 19% unter dem landesweiten Durchschnittslohn liegen (AA 13.2.2019).

Die EU hat die Verlängerung der wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland bis Juni 2020 beschlossen (Standard.at 20.6.2019).

Nordkaukasus

Die nordkaukasischen Republiken stechen unter den Föderationssubjekten Russlands durch einen überdurchschnittlichen Grad der Verarmung und der Abhängigkeit vom föderalen Haushalt hervor. Die Haushalte Dagestans, Inguschetiens und Tschetscheniens werden noch immer zu über 80% von Moskau finanziert (GIZ 8.2019a, vgl. ÖB Moskau 12.2018), obwohl die föderalen Zielprogramme für die Region mittlerweile ausgelaufen sind. Dennoch hat sich die Lage im Nordkaukasus verbessert, wenngleich es verfrüht erscheint, von einer nachhaltigen Stabilisierung zu sprechen. Vor allem wirtschaftliche Situation in Tschetschenien hat sich aufgrund massiver Transferzahlungen aus dem föderalen Budget in den letzten Jahren einigermaßen stabilisiert. Wenngleich die föderalen Transferzahlungen wichtig bleiben, konnten in den vergangenen Jahren dank des massiven Engagements der Föderalen Behörden, insbesondere des NordkaukasusMinisteriums, signifikante Fortschritte bei der sozio-ökonomischen Entwicklung der Region erzielt werden (ÖB Moskau 12.2018).

Der monatliche Durchschnittslohn lag in Tschetschenien im Juni 2019 bei 27.443 Rubel [ca. 388 Euro] (Chechenstat 2019), landesweit bei

48.453 Rubel [ca. 686 Euro] im zweiten Quartal 2019 (GKS 16.8.2019). Die durchschnittliche Pensionshöhe lag in Tschetschenien im August 2019 bei 12.440 Rubel [ca. 176 Euro] (Chechenstat 2019), landesweit im ersten Halbjahr 2019 bei 14.135 Rubel [ca. 200 Euro] (GKS 30.7.2019). Das durchschnittliche Existenzminimum für das erste Quartal 2019 in Tschetschenien lag für die erwerbsfähige Bevölkerung bei 10.967 Rubel [ca. 155 Euro], für Pensionisten bei 8.553 Rubel [ca. 121 Euro] und für Kinder bei 10.552 Rubel [ca. 150 Euro] (Chechenstat 2019). Landesweit lag das durchschnittliche Existenzminimum für das erste Quartal 2019 für die erwerbsfähige Bevölkerung bei 11.553 Rubel [ca. 163 Euro], für Pensionisten bei

8.894 Rubel [ca. 126 Euro] und für Kinder bei 10.585 Rubel [ca. 150 Euro] (RIA Nowosti 23.7.2019).

Korruption ist nach wie vor weit verbreitet und große Teile der Wirtschaft werden von wenigen, mit dem politischen System eng verbundenen Familien kontrolliert. Es gibt glaubwürdige Berichte, wonach öffentliche Bedienstete einen Teil ihres Gehalts an den nach Kadyrows Vater benannten und von dessen Witwe geführten Wohltätigkeitsfonds abführen müssen. Der 2004 gegründete Fonds baut Moscheen und verfolgt Wohltätigkeitsprojekte. Kritiker meinen jedoch, dass der Fonds auch der persönlichen Bereicherung Kadyrows und der ihm nahestehenden Gruppen diene. So bezeichnete die russische Tageszeitung "Kommersant" den Fonds als eine der intransparentesten NGOs des Landes (ÖB Moskau 12.2018).

Die materiellen Lebensumstände für die Mehrheit der tschetschenischen Bevölkerung haben sich seit dem Ende des Tschetschenienkrieges dank großer Zuschüsse aus dem russischen föderalen Budget deutlich verbessert. Die ehemals zerstörte Hauptstadt Tschetscheniens, Grozny, ist wieder aufgebaut. Problematisch sind allerdings weiterhin die Arbeitslosigkeit und die daraus resultierende Armut und Perspektivlosigkeit von Teilen der Bevölkerung. Die Bevölkerungspyramide ähnelt derjenigen eines klassischen Entwicklungslandes mit hohen Geburtenraten und niedrigem Durchschnittsalter, und unterscheidet sich damit stark von der gesamtrussischen Altersstruktur (AA 13.2.2019).

Sozialbeihilfen

Die Russische Föderation hat ein reguläres Sozialversicherungs-, Wohlfahrts- und Rentensystem. Leistungen hängen von der spezifischen Situation der Personen ab; eine finanzielle Beteiligung der Profitierenden ist nicht notwendig. Alle Leistungen stehen auch Rückkehrern offen (IOM 2018).

Das soziale Sicherungssystem wird von vier Institutionen getragen:

dem Rentenfonds, dem Sozialversicherungsfonds, dem Fonds für obligatorische Krankenversicherung und dem staatlichen Beschäftigungsfonds. Aus dem 1992 gegründeten Rentenfonds werden Arbeitsunfähigkeits- und Altersrenten gezahlt. Das Rentenalter wird mit 60 Jahren bei Männern und bei 55 Jahren bei Frauen erreicht. Da dieses Modell aktuell die Renten nicht vollständig finanzieren kann, steigen die Zuschüsse des staatlichen Pensionsfonds an. Eine erneute Rentenreform wurde seit 2012 immer wieder diskutiert. Die Regierung hat am 14.6.2018 einen Gesetzentwurf ins Parlament eingebracht, womit das Renteneintrittsalter für Frauen bis zum Jahr 2034 schrittweise auf 63 Jahre und für Männer auf 65 angehoben werden soll. Die Pläne der Regierung stießen auf Protest: Mehr als 2,5 Millionen Menschen unterzeichneten eine Petition dagegen, in zahlreichen Städten finden Demonstrationen gegen die geplante Rentenreform statt. Präsident Putin reagierte auf die Proteste und gab eine Abschwächung der Reform bekannt. Das Renteneintrittsalter für Frauen erhöht sich um fünf anstatt acht Jahre; Frauen mit drei oder mehr Kindern dürfen außerdem früher in Rente gehen (GIZ 8.2019c).

Der Sozialversicherungsfonds finanziert das Mutterschaftsgeld (bis zu 18 Wochen), Kinder- und Krankengeld. Das Krankenversicherungssystem umfasst eine garantierte staatliche Minimalversorgung, eine Pflichtversicherung und eine freiwillige Zusatzversicherung. Vom staatlichen Beschäftigungsfonds wird das Arbeitslosengeld (maximal ein Jahr lang) ausgezahlt.

Alle Sozialleistungen liegen auf einem niedrigen Niveau (GIZ 8.2019c).

Personen im Rentenalter mit mindestens fünfjährigen Versicherungszahlungen haben das Recht auf eine Altersrente. Dies gilt auch für Rückkehrende. Begünstigte müssen sich bei der lokalen Pensionskasse melden und erhalten dort, nach einer ersten Beratung, weitere Informationen zu den Verfahrensschritten. Informationen zu den erforderlichen Dokumenten erhält man ebenfalls bei der ersten Beratung. Eine finanzielle Beteiligung ist nicht erforderlich. Zu erhaltende Leistungen werden ebenfalls in der Erstberatung diskutiert (IOM 2018).

Zum Kreis der schutzbedürftigen Personen zählen Familien mit mehr als drei Kindern, Menschen mit Beeinträchtigungen sowie alte Menschen. Staatliche Zuschüsse werden durch die Pensionskasse bestimmt (IOM 2017). Das europäische Projekt MedCOI erwähnt weitere Kategorien von Bürgern, denen unterschiedliche Arten von sozialer Unterstützung gewährt werden:

-

Kinder (unterschiedliche Zuschüsse und Beihilfen für Familien mit Kindern);

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Großfamilien (Ausstellung einer Großfamilienkarte, unterschiedliche Zuschüsse und Beihilfen, Rückerstattung von Nebenkosten [Wasser, Gas, Elektrizität, etc.]);

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Familien mit geringem Einkommen;

-

Studenten, Arbeitslose, Pensionisten, Angestellte spezialisierter Institutionen und Jungfamilien (BDA 31.3.2015).

Familienhilfe:

Monatliche Zahlungen im Falle von einem Kind liegen bei 3.120 Rubel (ca. 44€). Bei einem zweiten Kind sowie bei weiteren Kindern liegt der Betrag bei 6.131 Rubel (ca. 87€). Der maximale Betrag liegt bei

22.120 Rubel (ca. 313€) (IOM 2018).

Mutterschaft:

Mutterschaftsurlaub kann man bis zu 140 Tage beantragen und erhält weiterhin 100% des Lohnes (70 Tage vor der Geburt, 70 Tage danach). Im Falle von Mehrlingsgeburten kann dieser auf 194 Tage erhöht werden. Das Minimum der Mutterschaftshilfe liegt bei 100% des gesetzlichen Mindestlohns bis zu einem Maximum im Vergleich zu einem 40 Stunden Vollzeitjob. Der Mindestbetrag der Mutterschutzhilfe liegt bei 9.489 Rubel (ca. 130€) und der Maximalbetrag bei 61.375 Rubel (ca. 840€) (IOM 2018).

Mutterschaftskapital:

Zu den bedeutendsten Positionen der staatlichen Beihilfe zählt das Mutterschaftskapital, in dessen Genuss Mütter mit der Geburt ihres zweiten Kindes kommen. Dieses Programm wurde 2007 aufgelegt und wird russlandweit umgesetzt. Der Umfang der Leistungen ist beträchtlich - innerhalb von zehn Jahren stiegen sie inflationsbereinigt von 250.000 auf 453.026 Rubel, also von 4.152€ auf mehr als 7.500€ (RBTH 22.4.2017). Ab dem 1.1.2020 wird das Mutterschaftskapital in Russland erhöht. Familien, in denen das zweite Kind geboren wird, erhalten 470.000 Rubel (ca.6.100€) statt der derzeitigen 453.000. Dies teilte der Minister für Arbeit und soziale Sicherheit mit. Das Ministerium beabsichtigt ein Programm zur Verlängerung des Mutterschaftsgeldes bis 2024 zu entwickeln (Russland Capital 7.6.2019). Man bekommt das Geld allerdings erst drei Jahre nach der Geburt ausgezahlt und die Zuwendungen sind an bestimmte Zwecke gebunden. So etwa kann man von den Geldern Hypothekendarlehen tilgen, weil das zur Verbesserung der Wohnsituation beiträgt. In einigen Regionen darf der gesamte Umfang des Mutterkapitals bis zu 70% der Wohnkosten decken. Aufgestockt werden die Leistungen durch Beihilfen in den Regionen (RBTH 22.4.2017).

Behinderung:

ArbeitnehmerInnen mit einem Behindertenstatus haben das Recht auf eine Behindertenrente. Dies gilt unabhängig von der Ursache der Behinderung. Diese wird für die Dauer der Behinderung gewährt oder bis zum Erreichen des normalen Rentenalters (IOM 2018).

Arbeitslosenunterstützung:

Eine Person kann sich bei den Arbeitsagenturen der Föderalen Behörde für Arbeit und Beschäftigung (Rostrud) arbeitslos melden und Arbeitslosenhilfe beantragen. Daraufhin wird die Arbeitsagentur innerhalb von zehn Tagen einen Arbeitsplatz anbieten. Sollte der/die BewerberIn diesen zurückweisen, wird er/sie als arbeitslos registriert. Arbeitszentren gibt es überall im Land. Arbeitslosengeld wird auf Grundlage des durchschnittlichen Gehalts des letzten Beschäftigungsverhältnisses kalkuliert. Die Mindestlohnhöhe pro Monat beträgt 850 Rubel (12€) und der Maximallohn 4.900 Rubel (70€). Gelder werden monatlich ausgezahlt. Die Voraussetzung ist jedoch die notwendige Neubewertung (normalerweise zwei Mal im Monat) der Bedingungen durch die Arbeitsagenturen. Die Leistungen können unter verschiedenen Umständen auch beendet werden. Arbeitssuchende, die sich bei der Föderalen Behörde für Arbeit und Beschäftigung registriert haben, haben das Recht an kostenlosen Fortbildungen teilzunehmen und so ihre Qualifikationen zu verbessern. Ebenfalls bieten private Schulen, Trainingszentren und Institute Schulungen an. Diese sind jedoch nicht kostenlos (IOM 2018).

Wohnmöglichkeiten und Sozialwohnungen:

BürgerInnen ohne Unterkunft oder mit einer unzumutbaren Unterkunft und sehr geringem Einkommen können kostenfreie Wohnungen beantragen. Dennoch ist dabei mit Wartezeiten von einigen Jahren zu rechnen. Es gibt in der Russischen Föderation keine Zuschüsse für Wohnungen. Einige Banken bieten jedoch für einen Wohnungskauf niedrige Kredite an (min. 12%). Junge Familien mit vielen Kindern können staatliche Zuschüsse (Mutterschaftszulagen) für wohnungswirtschaftliche Zwecke beantragen. Im Jahr 2018 lag dieser Zuschuss bei 453.026 Rubel (ca 6.618€). Die Wohnungskosten sind regionenabhängig. Die durchschnittlichen monatlichen Nebenkosten liegen derzeit bei 3.200 Rubel (45€). In allen Regionen der Russischen Föderation gibt es viele Wohnungen und Häuser (IOM 2018).

Medizinische Versorgung

Medizinische Versorgung wird von staatlichen und privaten Einrichtungen zu Verfügung gestellt. StaatsbürgerInnen haben im Rahmen der staatlich finanzierten, obligatorischen Krankenversicherung (OMS) Zugang zu einer kostenlosen medizinischen Versorgung (IOM 2018, vgl. ÖB Moskau 12.2018). Jede/r russische Staatsbürger/in, egal ob er einer Arbeit nachgeht oder nicht, ist von der Pflichtversicherung erfasst (ÖB Moskau 12.2018). Dies gilt somit natürlich auch für Rückkehrer, daher kann jeder russische Staatsbürger bei Vorlage eines Passes oder einer Geburtsurkunde (für Kinder bis 14) eine OMS-Karte erhalten. Diese müssen bei der nächstliegenden Krankenversicherung eingereicht werden. An staatlichen wie auch an privaten Kliniken sind medizinische Dienstleistungen verfügbar, für die man direkt bezahlen kann (im Rahmen der freiwilligen Krankenversicherung - Voluntary Medical Insurance DMS) (IOM 2018). Durch die Zusatzversicherung sind einige gebührenpflichtige Leistungen in einigen staatlichen Krankenhäusern abgedeckt (ÖB Moskau 12.2018).

Die kostenfreie Versorgung umfasst Notfallbehandlung, Ambulante Behandlung, inklusive Vorsorge, Diagnose und Behandlung von Krankheiten zu Hause und in Kliniken, Stationäre Behandlung und teilweise kostenlose Medikamente. Behandlungen innerhalb der OMS sind kostenlos. Für die zahlungspflichtigen Angebote von öffentlichen und privaten Kliniken gibt es Preislisten auf den jeweiligen Webseiten (IOM 2018), die zum Teil auch mit OMS abrechnen (GTAI 27.11.2018). Immer mehr russische Staatsbürger wenden sich an Privatkliniken (GTAI 27.11.2018, vgl. Ostexperte 22.9.2017). Das Recht auf kostenlose medizinische Grundversorgung für alle Bürger ist in der Verfassung verankert (GIZ 8.2019c, vgl. ÖB Moskau 12.2018). Voraussetzung ist lediglich eine Registrierung des Wohnsitzes im Land. Am Meldeamt nur temporär registrierte Personen haben Zugang zu notfallmäßiger medizinischer Versorgung, während eine permanente Registrierung stationäre medizinische Versorgung, Sozialhilfe, Arbeitslosengeld und Pensionsgelder ermöglicht. Fälle von Diskriminierung auf Grund von Religion oder ethnischer Herkunft bezüglich der Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen sind nicht bekannt (ÖB Moskau 12.2018).

Das noch aus der Sowjetzeit stammende Gesundheitssystem bleibt ineffektiv. Trotz der schrittweisen Anhebung der Honorare sind die Einkommen der Ärzte und des medizinischen Personals noch immer niedrig (GIZ 8.2019c). Dies hat zu einem System der faktischen Zuzahlung durch die Patienten geführt, obwohl ärztliche Behandlung eigentlich kostenfrei ist (GIZ 8.2019c, vgl. AA 13.2.2019).

Das Wissen und die technischen Möglichkeiten für anspruchsvollere Behandlungen sind meistens nur in den Großstädten vorhanden. Das Hauptproblem ist jedoch weniger die fehlende technische Ausstattung, sondern ein Ärztemangel, obwohl die Zahl der Ärzte 2018 leicht gestiegen ist. Hinzu kommt, dass die Gesundheitsversorgung zu stark auf die klinische Behandlung ausgerichtet ist. Da in den letzten Jahren die Zahl der Krankenhäuser und Ärztezentren abgenommen hat, hat die Regierung darauf reagiert und 2018 beschlossen, dass bis 2024 360 neue medizinische Einrichtungen, darunter 30 onkologische Zentren, gebaut und weitere 1.200 saniert werden sollen. Zusätzlich sollen 800 mobile Einrichtungen eröffnet werden. Parallel zu diesen Beschlüssen wurden jedoch 2018 300 staatliche Krankenhäuser geschlossen. Den größten Fortschritt in der medizinischen Versorgung brachten 2018 die Einführung der Telemedizin und die digitale Erbringung der

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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