TE Bvwg Beschluss 2019/11/19 W176 2225448-1

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Veröffentlicht am 19.11.2019
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Entscheidungsdatum

19.11.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art. 133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz 2

Spruch

W176 2225448-1/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. NEWALD über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit:

Iran, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.10.2019, Zl. 1226473907 - 190389970 / BMI-BFA_Wien_AST_01, beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 (VwGVG), zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 (B-VG), nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG :

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin brachte am XXXX 2019 einen Antrag auf internationalen Schutz ein.

2. Bei ihrer Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am gleichen Tag gab die Beschwerdeführerin im Wesentlichen an, sie sei iranische Staatsangehörige persischer Volksgruppenzugehörigkeit und christlichen Glaubens. Sie habe zuletzt ein bis XXXX 2018 gültiges, von einem Schlepper organisiertes französisches Visum gehabt, habe sich danach einige Monate in Spanien aufgehalten und sei dann über Deutschland nach Österreich gekommen, wo ihr Mann XXXX lebe. Zu ihrem Fluchtgrund brachte sie vor, dass ihr Mann ca. eineinhalb Jahre zuvor in Wien vom ORF interviewt worden sei. Drei Wochen danach habe die Geheimpolizei im Iran ihre Schwiegereltern bedroht, wobei sie diese auch über die Beschwerdeführerin ausgefragt hätten. Die Beschwerdeführerin, die im März 2018 zum Christentum konvertiert sei, habe Angst bekommen, wegen ihres Ehemannes sowie aufgrund ihrer Konversion festgenommen zu werden, und habe den Iran (legal) verlassen.

3. Am 15.07.2019 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge auch: belangte Behörde) einvernommen, gab die Beschwerdeführerin - nachdem sie eingangs angegeben hatte, bei ihrem Ehemann in Österreich sein zu wollen und nicht in den Iran zurückkehren zu können - zu ihrem Fluchtgrund an, sie sei konvertiert, dies sei aber Nebensache. Sie habe hauptsächlich deshalb um Asyl angesucht, da sich ihr Mann bei einem XXXX Interview politisch geäußert habe. Die Frage, ob sie dieses Interview gesehen habe, bejahte sie zunächst, um in der Folge ihre Aussage dahingehend zu korrigieren, dass sie nur Fotos von dem Interview gesehen habe. Sie habe aber erfahren, worum es gegangen sei, und zwar um Konversion, die Lage von Flüchtlingen in Österreich und die Lage im Iran. Auf die Frage, weshalb das Interview eine Gefahr darstelle - nach den Angaben ihres Mannes sei es darum gegangen, dass er freiwillig ausreisen wolle -, erwiderte die Beschwerdeführerin, die Lage ihres Mannes in Österreich habe ihn gezwungen, freiwillig ausreisen zu wollen; das habe er nach dem Interview aber nicht mehr können, da er sich dort darüber geäußert habe, Christ zu sein.

Befragt, ob sie das Interview oder Ausschnitte davon zeigen oder vorlegen könne, entgegnete die Beschwerdeführerin, dass sie nur Fotos habe, die sie möglicherweise vorlegen könne. Sie hätten am Tag zuvor überlegt, XXXX anzufragen, ob sie einen Ausschnitt bekommen könnten.

In der Folge wurde der Beschwerdeführerin eine Frist von sieben Tagen eingeräumt, um derartige Ausschnitte oder Fotos vorzulegen.

Danach wurde die Beschwerdeführerin zu den Umständen ihrer Konversion, zu Inhalten der christlichen Religion sowie zu aktuellen kirchlichen Aktivitäten befragt.

4. Im Verwaltungsakt finden sich keine Hinweise darauf, dass die Beschwerdeführerin Unterlagen zum genannten XXXX Interview vorgelegt hätte oder die belangte Behörde solche Unterlagen von amtswegen beigeschafft hätte.

5. Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status einer Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 200/2005 (AsylG), sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status einer subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Iran gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt II.) ab, erteilte gemäß § 57 AsylG keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG), eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG), gegen die Beschwerdeführerin (Spruchpunkt IV.) und stellte fest, dass deren Abschiebung in den Iran gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters wurde einer Beschwerde gegen diesen Bescheid gemäß § 18 Abs. 1 Z 2, 3 und 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VI.), festgestellt, dass gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt VII.) und gegen die Beschwerdeführerin ein auf drei Jahre befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VIII.).

Nach Wiedergabe des Verfahrensgangs stellte die belangte Behörde im Wesentlichen Folgendes fest: Es habe nicht festgestellt werden können, dass die Beschwerdeführerin Christin sei. Sie habe in glaubhafter Weise angegeben, dass sie zu ihrem Partner nach Österreich wolle. Hingegen habe sie in unglaubwürdiger Weise vorgebracht, aufgrund Konversion zum Christentum im Iran verfolgt zu werden.

Im Rahmen der Beweiswürdigung hielt die belangte Behörde zunächst fest, es erscheine unvorstellbar, dass die Beschwerdeführerin bei Zutreffen ihrer Angaben legal den Iran über den Flughafen habe verlassen können.

Sie habe "[j]egliche Verfolgung im Sinne der GFK" verneint und habe "lediglich" behauptet, aufgrund ihrer Konversion einer Verfolgung ausgesetzt zu sein, die sie jedoch nicht habe glaubhaft machen können.

Bezüglich des Videos wurde festzuhalten, dass es sich um eine "offensichtliche Lüge" an den Behördenvertreter handle. Dabei werde darauf hingewiesen, dass bereits in den Zehn Geboten festgehalten worden sei: "[D]u sollst nicht lügen". Hinsichtlich dieser "Lüge" der Beschwerdeführerin sei auszuführen, dass sich ihr Partner in keiner Sekunde des Videos negativ zum Iran äußere; vielmehr gebe er an, in den Iran zurückreisen zu wollen, da dann alles besser werde. Es sei in Hinblick auf das Video nicht ersichtlich, weshalb die Beschwerdeführerin oder ihr Mann für die (erg.: iranische) Polizei interessant sein solle. Vielmehr "lüge[.]" die Beschwerdeführerin noch ein weiteres Mal, indem sie faktenwidrig behaupte, es sei um Konversion, die Lage von Flüchtlingen in Österreich und die Lage im Iran gegangen; wie bereits erörtert, sei es ausschließlich um die Rückkehr ihres Mannes in den Iran gegangen. Weiters sei die Beschwerdeführerin nicht in der Lage gewesen, schlüssig darzulegen, weshalb sie eine innere Überzeugung für das Christentum gefunden habe. Sie habe sich nicht einmal mit den Fakten des Christentums beschäftigt und verfüge über keinerlei Wissen über dieses. "Der absolute Gipfel" sei die Tatsache, dass die Beschwerdeführerin drei Monate nach ihrer Einreise nicht einmal in der Lage sei, den Namen des Pastors zu nennen. "Fast schon lächerlich" empfinde es die Behörde, wenn die Beschwerdeführerin behaupte, der Unterschied zwischen christlichem und islamischem Fasten sei die Tatsache, dass ersteres im Gegensatz zu zweiterem freiwillig sei; dies beweise, dass sie sich "zu keiner Sekunde" mit dem Christentum beschäftigt habe. "Absolutes Unverständnis" habe die Behörde, dass die Beschwerdeführerin "trotz des 8ten Gebotes" den Behördenvertreter immer wieder "direkt anlüge[.]". Es könne daher kein ernsthafter innerer Willensentschluss der Beschwerdeführerin angenommen werden, sich vom Islam ab- und dem Christentum zuzuwenden.

In rechtlicher Hinsicht hielt die belangte Behörde zunächst fest, die Beschwerdeführerin habe keine asylrelevante Verfolgung glaubhaft machen können. Auch sei ihr kein subsidiärer Schutz zuzuerkennen. In der Folge wurden die übrigen Spruchpunkte des Bescheides begründet.

5. Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde. Darin wird u.a. festgehalten, dass die Aussagen der Beschwerdeführerin, ihr Mann habe im Rahmen des Interviews über seine Konversion und die Lage von Flüchtlingen in Österreich gesprochen, zuträfen; dieser Teil sei vom Fernsehen jedoch nicht ausgestrahlt worden. Überdies wird vorgebracht, dass entgegen der Annahme der belangten Behörde die Beschwerdeführerin Familienangehörige von XXXX iS von § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG sei und daher ein Familienverfahren nach § 34 AsylG zu führen sei. Überdies wird gerügt, dass kein Tatbestand vorliege, der die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde bzw. das verhängte Einreiseverbot rechtfertigen würde.

6. In der Folge legte das BFA die Beschwerde und den Verwaltungsakt betreffend das Asylverfahren der Beschwerdeführerin dem Bundesverwaltungsgericht vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Entscheidung wird der unter Punkt I. dargelegte Sachverhalt zugrunde gelegt.

Insbesondere wird festgestellt, dass sich im vorgelegten Verwaltungsakt (abgesehen von den Niederschriften der unter den Punkten I.2. und II.3. dargestellten Befragungen der Beschwerdeführerin) keinerlei Unterlagen finden, die Rückschlüsse auf den Inhalt des angeführten XXXX Interviews mit XXXX zuließen.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen ergeben sich aus der Beschwerde in Zusammenhang mit den vorgelegten Verwaltungsunterlagen.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz, BGBl. I Nr. 10/2013 (BVwGG), entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Mangels einfachgesetzlicher materienspezifischer Sonderregelung liegt gegenständlich Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 (VwGVG) geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991, BGBl. 51/1991 (AVG) mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung BGBl. Nr. 194/1961 (BAO), des Agrarverfahrensgesetzes BGBl. Nr. 173/1950 (AgrVG), und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 BGBl. Nr. 29/1984 (DVG), und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

3.2. Zu Spruchpunkt A):

3.2.1. Gemäß § 15 Abs. 1 AsylG hat der Asylwerber am Verfahren nach diesem Bundesgesetz mitzuwirken und insbesondere ohne unnötigen Aufschub seinen Antrag zu begründen und alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen.

Gemäß § 18 Abs. 1 AsylG hat die Behörde in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Bescheinigungsmittel für die Angaben bezeichnet oder die angebotenen Bescheinigungsmittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Bescheinigungsmittel auch von Amts wegen beizuschaffen.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat. Zur Anwendung des § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG durch die Verwaltungsgerichte hat der Verwaltungsgerichtshof ausgehend von einem prinzipiellen Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht durch das Verwaltungsgericht präzisierend insbesondere Folgendes festgehalten (VwGH v. 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063):

"Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stellt die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden. (...)

Der Rechtsanspruch eines von einer Entscheidung Betroffenen auf die Beachtung der verwaltungsgerichtlichen Zuständigkeit erfasst angesichts des in § 28 VwGVG verankerten Systems auch die Frage, ob das Verwaltungsgericht seine Zuständigkeit zur Entscheidung in der Sache selbst dem § 28 VwGVG konform wahrnimmt. Das Verwaltungsgericht hat daher insbesondere nachvollziehbar zu begründen, wenn es eine meritorische Entscheidungszuständigkeit nicht als gegeben annimmt, etwa weil es das Vorliegen der Voraussetzungen der Z 1 und Z 2 des § 28 VwGVG verneint bzw. wenn es von der Möglichkeit des § 28 Abs 3 erster Satz VwGVG nicht Gebrauch macht. (...)"

3.2.2.1. Zum einen muss aus folgenden Gründen angenommen werden, dass die belangte Behörde den entscheidungsrelevanten Sachverhalt nur ansatzweise ermittelt hat:

Wie sich aus den Feststellungen ergibt, stützte die Beschwerdeführerin ihren Antrag auf internationalen Schutz in erster Linie auf den Umstand, dass sie wegen eines mit XXXX geführten XXXX Interviews, in dem dieser über seine Konversion zum Christentum gesprochen habe, in ihrem Herkunftsstaat Iran behördliche Verfolgung befürchten müsse.

Obwohl die Beschwerdeführerin nach der Aktenlage keine Unterlagen zu diesem Interview vorgelegt hat und sich im Verwaltungsakt auch keine Hinweise auf deren amtswegige Beischaffung finden, wird in der Beweiswürdigung des angefochtenen Bescheides ausgeführt, dass die Angaben der Beschwerdeführerin zur Beschaffenheit der Aussagen, die in diesem Interview getätigt worden seien, tatsachenwidrig seien.

Die belangte Behörde hat es somit unterlassen, aufgrund von aktenmäßig nachvollziehbaren Ermittlungen Feststellungen zum Inhalt des genannten XXXX Interviews zu treffen, welcher aber eine wesentliche Grundlage für die Beurteilung des diesbezüglichen Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerin darstellt.

Die genannten Ermittlungen sind nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts daher für eine abschließende Beurteilung der Frage, ob der Beschwerdeführerin der Status einer Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 zu gewähren ist, notwendig.

3.2.2.2. Zum anderen geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass der Organwalter, der die Einvernahme der Beschwerdeführerin geleitet und auch den angefochtenen Bescheid genehmigt hat, iSd § 7 Abs. 1 Z 3 AVG befangen war.

Nach dieser Bestimmung haben sich Verwaltungsorgane der Ausübung ihres Amtes zu enthalten und ihre Vertretung zu veranlassen, wenn (sonstige) wichtige Gründe vorliegen, die geeignet sind, ihre volle Unabhängigkeit in Zweifel zu ziehen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes genügt es, dass eine Befangenheit mit Grund befürchtet werden muss - auch wenn der Entscheidungsträger tatsächlich unbefangen sein sollte - oder dass bei objektiver Betrachtungsweise auch nur der Anschein einer Voreingenommenheit entstehen könnte. Für die Beurteilung, ob eine Befangenheit in diesem Sinne vorliegt, ist maßgebend, ob ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller konkreten Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Organwalters zu zweifeln (vgl. VwGH 6.3.2019, Ro 2018/03/0031, mwN).

In Hinblick auf die unter Punkt I.4. dargestellten Formulierungen in der Beweiswürdigung des angefochtenen Bescheides muss davon ausgegangen werden, dass derartige Zweifel an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des betreffenden Mitarbeiters der belangten Behörde bestehen. Mag der betreffende Abschnitt des Bescheides auch nachvollziehbare Argumente enthalten, kann nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts in Hinblick auf die verwendete Wortwahl gleichwohl nicht gesagt werden, dass die Auseinandersetzung mit dem Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerin in hinreichend sachlicher Weise erfolgt wäre (vgl. dazu auch VwGH 25.06.2019, Ra 2018/19/0676).

3.2.2.3. Das Bundesverwaltungsgericht macht daher von dem ihm in § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG eingeräumten Ermessen Gebrauch.

3.2.3. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Auf das Beschwerdevorbringen betreffend das zu führende Familienverfahren sowie die Rechtswidrigkeit des mit dem angefochtenen Bescheid verhängten Einreiseverbotes musste bei diesem Ergebnis nicht eingegangen werden. Gleiches gilt (in Hinblick auf den Umstand, dass die gegenständliche Entscheidung innerhalb der in § 18 Abs. 5 BFA-VG normierten einwöchigen Frist getroffen wird) für die Frage, ob die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung zurecht erfolgte.

3.3. Zu Spruchpunkt B):

3.3.1. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

3.3.2. Es war somit insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, individuelle
Verhältnisse, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W176.2225448.1.00

Zuletzt aktualisiert am

27.02.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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