Entscheidungsdatum
04.12.2019Norm
AsylG 2005 §2 Abs1 Z17Spruch
W170 2177496-1/6E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Thomas MARTH über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Syrien, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MIgrantInnenbetreuung GmbH als Mitglieder der ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.10.2017, Zl. 1093785500-151709221/BMI-BFA_SZB_RD, zu Recht:
A) Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. gemäß § 28 Abs. 2
Verwaltungsgerichts-verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 in der Fassung BGBl. I Nr. 57/2018, in Verbindung mit § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 53/2019, stattgegeben und XXXX der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 leg.cit. wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 in der Fassung BGBl. I Nr. 57/2019, nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. XXXX (in Folge: beschwerdeführende Partei) stellte am 05.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Im Rahmen des Administrativverfahrens brachte die beschwerdeführende Partei im Wesentlichen vor, sie fürchte, wieder zum Militärdienst, den sie im Oktober 2011 beendet hatte und währenddessen sie in einer Spezialeinheit eingesetzt worden war, einberufen zu werden. Im Rahmen des Administrativverfahrens legte die beschwerdeführende Partei einen syrischen Reisepass und einen syrischen Personalausweis vor.
3. Nach Durchführung des oben dargestellten Ermittlungsverfahrens wurde der gegenständliche Antrag der beschwerdeführenden Partei mit im Spruch bezeichneten Bescheid vom 13.10.2017, erlassen am 18.10.2017, hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen. Unter einem wurde dieser der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt.
Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Militärdienst der beschwerdeführenden Partei nicht konkret anstehe, wenn das Bundesamt auch nicht verkenne, dass die allgemeine Situation in Syrien darauf schließen lassen, dass zum aktuellen Zeitpunkt vermehrt männliche Staatsangehörige in Syrien zum Wehrdienst eingezogen werden würden; allerdings - so das Bundesamt weiter - reiche die bloße Einberufung zum Militärdienst nicht aus, um die Gewährung von "internationalen Schutz" (gemeint: des Status des Asylberechtigten) zu rechtfertigen. Erst ein tatsächlicher Zwang an der Teilnahme menschenrechtsverletzender Handlungen könne "eventuell" einen derartigen Anspruch begründen.
4. Mit am 05.11.2017 bei der Behörde eingebrachtem Schriftsatz wurde gegen Spruchpunkt I. des im Spruch bezeichneten Bescheides Beschwerde erhoben.
Begründend wurde auf die Asylrelevanz der Einberufung als Reservist zur syrischen Armee hingewiesen.
5. Die Beschwerde wurde samt den bezugnehmenden Verwaltungsakten am 23.11.2017 dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt und der Gerichtsabteilung W150 zugewiesen. Nach einer erfolgten Abnahme wurde die Rechtssache am 18.10.2019 der nunmehr zuständigen Gerichtsabteilung zugewiesen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die rechtzeitige und zulässige Beschwerde erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. XXXX ist ein volljähriger syrischer Staatsangehöriger, dessen Identität feststeht und der in Österreich unbescholten ist.
1.2. Das Bundesamt hat festgestellt, dass XXXX Syrien im Oktober 2015 verlassen hat und aus Latakia stammt. Es hat weiters festgestellt, dass XXXX Syrien aus Angst vor der Ableistung eines, wenn auch nicht konkret anstehenden, Militärdienstes verlassen hat.
Disloziert in der Beweiswürdigung hat das Bundesamt festgestellt, dass die allgemeine Situation in Syrien darauf schließen lasse, dass zum damaligen Entscheidungszeitpunkt vermehrt männliche Staatsangehörige Syriens zum Militärdienst eingezogen werden, sobald sie das Alter von 18 Jahren erreicht haben bzw. sobald der Aufschub vom Militärdienst abgelaufen ist oder sie aus der Reserve wieder aktiviert werden. Weiters hat das Bundesamt - abermals disloziert in der Beweiswürdigung - festgestellt, dass XXXX seinen Wehrdienst von 2009 bis 2011 in einer Sondereinheit abgeleistet wurde, es fehle aber an konkreten Indizien dafür, dass dem Beschwerdeführer im Falle der Wiedereinberufung menschenrechtswürdiges Verhalten abverlangt worden wäre.
In den Länderfeststellungen wird festgestellt, dass bei der Einreise nach Syrien kontrolliert wird, ob wehrdienstfähige Männer den Wehrdienst abgeleistet haben und dass auch solche Männer, die den Wehrdienst abgeleistet haben, erneut zwangsrekrutiert werden (Bescheid, S. 26). Weiters wird in den Länderfeststellungen festgestellt, dass es zu von der Armee zu verantwortenden Menschenrechtsverletzungen kommt.
1.3. XXXX hat keine Asylausschluss- oder -endigungsgründe verwirklicht.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Beweiswürdigung zu 1.1.:
Die Feststellungen zur Person der beschwerdeführenden Partei gründen sich im Wesentlichen auf den vorgelegten, unbedenklichen Reisepass, der einer kriminaltechnischen Untersuchung unterzogen wurde, und den diesbezüglichen Angaben der beschwerdeführenden Partei vor dem Bundesamt, das diese Angaben seiner Entscheidung unwidersprochen unterstellt hat.
Die Feststellung der Unbescholtenheit gründet sich auf eine eingeholte Strafregisterauskunft.
2.2. Beweiswürdigung zu 1.2.:
Die Feststellungen ergeben sich aus der Aktenlage, es ist nicht ersichtlich, dass zu den entscheidungsrelevanten Feststellungen inzwischen Änderungen eingetreten sind.
2.3. Beweiswürdigung zu 1.3.:
Die Feststellung, dass die beschwerdeführende Partei keine Asylausschluss- oder
-endigungsgründe verwirklicht hat, gründet sich auf den Umstand, dass keine Hinweise auf das Vorliegen solcher Gründe zu erkennen waren.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
1. Gemäß § 3 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 53/2019 (in Folge: AsylG), ist Asylwerbern auf Antrag der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft gemacht wurde, dass diesen im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955 in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (in Folge: GFK), droht und dem Fremden keine innerstaatliche Fluchtalternative gemäß § 11 AsylG offen steht und dieser auch keinen Asylausschlussgrund gemäß § 6 AsylG gesetzt hat.
Gemäß § 2 Abs. 1 Z 17 AsylG ist unter Herkunftsstaat der Staat, dessen Staatsangehörigkeit der Fremde besitzt, oder - im Falle der Staatenlosigkeit - der Staat seines früheren gewöhnlichen Aufenthaltes zu verstehen. Dies ist im vorliegenden Fall zweifellos Syrien.
2. Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht einer Person, die sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb des Herkunftsstaates befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; ebenso droht entsprechende Verfolgung einer Person, die staatenlos ist und sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes ihres gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in den Herkunftsstaat zurückzukehren. Es ist auszuführen, dass § 3 Abs. 1 AsylG auf den Flüchtlingsbegriff (drohende Verfolgung im Herkunftsstaat) im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK verweist. Danach ist entscheidend, ob glaubhaft ist, dass den Fremden in ihrem Herkunftsstaat Verfolgung droht. Dies ist dann der Fall, wenn sich eine mit Vernunft begabte Person in der konkreten Situation der Asylwerber unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat fürchten würde (VwGH 24.06.2010, 2007/01/1199). Weiters setzt die Annahme einer begründeten Furcht vor Verfolgung nicht voraus, dass der Asylwerber vor seiner Ausreise eine individuell gegen ihn gerichtete Verfolgungshandlung bereits erlitten haben müsste oder ihm zumindest eine solche bereits konkret angedroht worden wäre; eine derartige Befürchtung ist auch dann gerechtfertigt, wenn die Verhältnisse im Heimatland des Asylwerbers dergestalt sind, dass die Angst vor der vorgebrachten, drohenden Verfolgung objektiv nachvollziehbar ist (siehe VwGH 25.01.1996, 95/19/0008, wenn auch zum Asylgesetz 1991, BGBl. Nr. 8/1992 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 76/1997, jedoch unter Bezugnahme auf den Flüchtlingsbegriff der GFK).
Der Verwaltungsgerichtshof vertritt ausdrücklich die Auffassung, dass unter dem Gesichtspunkt des Zwangs zur Mitwirkung an völkerrechtswidrigen Militäraktionen - etwa gegen die Zivilbevölkerung - auch eine bloße Gefängnisstrafe asylrelevante Verfolgung darstellen kann (siehe VwGH 25.3.2003, 2001/01/0009, zitiert nach Feßl/Holzschuster [Asylgesetz 2005, 117 ff]). Dies wird auch ausdrücklich im Art. 9 Abs. 2 lit e der Richtlinie 2011/95/EU als asylrelevante Verfolgung festgehalten. Daher ist eine (drohende) Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter den Anwendungsbereich der Ausschlussklauseln des Artikels 12 Absatz 2 der genannten Richtlinie fallen, eine (drohende) asylrelevante Verfolgung.
Festgestellt wurde, dass es im Bürgerkrieg in Syrien zu durch staatliche Stellen zu verantwortende Menschenrechtsverletzungen kommt. Auch wurde festgestellt, dass die beschwerdeführende Partei als Reservist der syrischen Armee grundsätzlich wehrpflichtig ist. Da die beschwerdeführende Partei jung ist und in einer Spezialeinheit Dienst versehen hat, besteht eine hinreichende Wahrscheinlichkeit - mehr ist für die Gewährung des Status des Asylberechtigten nicht notwendig -, dass diese im Falle ihrer Rückkehr diesen Dienst wieder antreten müsste bzw. hiezu zwangsrekrutiert werden würde. Schließlich wurde festgestellt, dass in Syrien auch Reservisten der syrischen Armee zur Aufstandsbekämpfung eingesetzt und zur Mitwirkung an völkerrechtswidrigen Handlungen gezwungen werden, widrigenfalls ihnen jedenfalls eine Gefängnisstrafe droht.
3. Die rechtskräftige Gewährung von subsidiärem Schutz und damit die Bejahung der Voraussetzungen zur Zuerkennung dieses Schutzstatus durch das Bundesamt sind auch vom Bundesverwaltungsgericht im Beschwerdeverfahren betreffend den Status eines Asylberechtigten zu beachten. Sie stehen der Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative entgegen (VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0011 bis 0016, 0083; VwGH 25.03.2015, Ra 2014/20/0022; VwGH 17.12.2015, Ra 2015/20/0048; VwGH 19.01.2016, Ra 2015/01/0070, mwN). Da nicht ersichtlich ist, dass sich nach Erlassung der Entscheidung des Bundesamtes der Sachverhalt oder die Rechtsvorschriften wesentlich geändert hätten, kommt eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht in Betracht. Ebenso liegen keine Asylausschluss- oder -endigungsgründe vor.
4. Daher ist der Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des im Spruch bezeichneten Bescheides stattzugeben und dem Beschwerdeführer gemäß § 3 Abs. 1 AsylG der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen; gemäß § 3 Abs. 5 AsylG ist weiters auszusprechen, dass dem Beschwerdeführer somit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
5. Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 in der Fassung BGBl. I Nr. 53/2019, kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig und in ordnungsgemäßem Ermittlungsverfahren erhoben wurde, zum Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtes immer noch aktuell und vollständig ist und das Verwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilt.
Das ist hinsichtlich des entscheidungsrelevanten Sachverhalts hier der Fall, da dieser bereits von der Behörde ermittelt wurde; diese hat lediglich die sich aus dem ermittelten Sachverhalt ergebenden Rechtsfolgen übersehen und waren daher nur Rechtsfragen zu klären.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985, BGBl. Nr. 10/1985 in der Fassung BGBl. I Nr. 104/2019, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 in der Fassung BGBl. I Nr. 57/2019 (in Folge: B-VG), zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Das Bundesverwaltungsgericht hat die für die Lösung des Falles relevante Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes unter A) dargestellt und ist dieser gefolgt; es ist daher keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung zu erkennen.
Schlagworte
Asylgewährung, asylrechtlich relevante Verfolgung, Asylverfahren,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W170.2177496.1.00Zuletzt aktualisiert am
28.02.2020