Entscheidungsdatum
17.02.2020Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W274 2173153-1/31E
Gekürzte Ausfertigung gemäß § 29 Abs 5 VwGVG
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch Mag. LUGHOFER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , iranischer Staatsbürger, XXXX , vertreten durch Dr. Julia Ecker, Rechtsanwältin, Opernring 7/18, 1010 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich, vom 22.9.2017, Zl. 1093955306 - 151723704/BMI-BFA_NOE_RD, nach öffentlicher mündlicher Verhandlung zu Recht erkannt:
Der Beschwerde wird Folge gegeben und XXXX gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 der Status
Des Asylberechtigten erteilt.
Gemäß § 3 Abs 5 AsylG wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes
Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
Der BF stellte am 07.11.2015 vor dem SPK Wels einen Antrag auf internationalen Schutz und
gab im Rahmen der Erstbefragung am 08.11.2015 an, seit 10 Jahren habe er viele arabische
Feinde. Er sei angeschossen und mit einem Messer verletzt worden. Man habe ihn mit dem
Umbringen bedroht und als er gehört habe, dass die Grenzen offen seien, sei er geflohen.
Dem BF wurde zunächst kein Quartier zugewiesen (AS 31) und er reiste mit XXXX ,
einem entfernten Verwandten, den er auf der Flucht getroffen hatte, nach Dänemark weiter.
Dort wurde ein Dublin-Verfahren geführt, welches mit einer Rücküberstellung am
13.07.2016 (AS101) endete.
Nach einem Antrag auf freiwillige Rückkehr in den Iran und Widerruf wurde der BF am 24.11.2016 vor dem BFA vernommen. Im Wesentlichen gab er an, im Rahmen eines "arabischen" Trauerumzuges angeschossen und durch Splitter schwer verletzt worden zu sein. Er sei bewusstlos gewesen, zunächst in der Nähe und in weiterer Folge in Yazd für lange Zeit versteckt worden. Es sei bei seinen Eltern nach ihm gesucht worden und deshalb habe er den Iran verlassen. Er legte einen Befund des Diagnosezentrums Favoriten vom 15.11.2016 vor, wonach er am Schädel, im Oberarm und in der Schulter multiple Splittergranatenteile aufweise.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag sowohl hinsichtlich Asyl als auch
Subsidiärschutz abgewiesen, kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigen Gründen erteilt, eine
Rückkehrentscheidung erlassen, festgestellt, dass die Abschiebung in den Iran zulässig sei
und eine Ausreisefrist gesetzt. Das BFA ging von einer mangelnden Glaubhaftigkeit der
vorgebrachten Fluchtgründe aus.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde mit dem erkennbaren Antrag, dem BF
Asyl zu gewähren.
Am 20.11.2018 langte beim BVwG ein Schriftsatz des BF ein, mit dem unter anderem eine
mittlerweilige Konversion behauptet und ein Taufschein vom 07.10.2018 vorgelegt wurde.
Mit Erkenntnis vom 03.05.2019 des BVwG wurde der Beschwerde nicht Folge gegeben. Der
genannte Schriftsatz vom 20.11.2018 lag dem erkennenden Richter zum
Entscheidungszeitpunkt im Akt nicht vor.
Mit Erkenntnis vom 23.09.2019 zu E 2272/2019 des VfGH wurde das vorgenannte Erkenntnis
behoben, weil das BVwG jegliche Auseinandersetzung mit der aktenkundig behaupteten und
mit Beweisanboten untermauerten Konversion habe vermissen lassen.
Die Beschwerde ist unter Berücksichtigung des gesamten Akteninhalts im Ergebnis berechtigt:
Aufgrund des gesamten Akteninhaltes im Zusammenhalt mit den ergänzend vorgelegten
Urkunden und den Ergebnissen der mündlichen Verhandlung vom 16.01.2020 steht
folgender Sachverhalt fest:
Der BF wurde am XXXX in Ahwaz, Khusestan, im Iran geboren, ist Staatsangehöriger
des Iran, väterlicherseits arabischstämmig und in einer schiitisch-muslimischen Familie
aufgewachsen. Er verbrachte bis zu seiner Ausreise 2015 sein Leben im Iran, besuchte dort
mehrere Jahre die Schule und erlernte den Beruf des Argonschweißers. Seine gesamte
Herkunftsfamilie lebt noch im Iran. Der BF ist ledig und kinderlos und bis dato in Österreich
strafrechtlich unbescholten. Er reiste etwa im November 2015 ohne gültige Einreisepapiere
nach Österreich ein. Er erlitt im Iran Splitterverletzungen im Kopf-, Arm-, und
Schulterbereich, deren nähere Herkunft nicht festgestellt werden konnte. Nicht festgestellt
werden konnte, dass er etwa im Jahr 2014 im Rahmen eines Trauerumzuges für einen
entfernten Verwandten von einem Geschoss getroffen wurde, dabei diese Verletzungen erlitt und infolge dessen, weil er eine Fahne von Khusestan geschwenkt habe, von den Behörden identifiziert und gesucht wurde.
Der BF erlangte erstmals in Dänemark im Rahmen von Hilfe bzw. Mission gegenüber
Flüchtlingen Kontakt zu einer christlichen Kirche und machte dort positive Erfahrungen.
Nach seiner Rückführung nach Österreich gelangte er durch Bekannte zu Kontakten mit der
VCC (Vienna Christian Church). Nicht festgestellt werden konnte die genaue Dauer und
Intensität dieser Kontakte. Der BF war nach seiner Rückkehr nach Österreich bis 2019 in
einem Flüchtlingsheim in Himberg aufhältig. Über andere Flüchtlinge erlangte er im Oktober
2017 Kontakt zur evangelischen Kirche Schwechat AB, lernte dort andere Flüchtlinge und
Gemeindemitglieder kennen, wurde in einen Taufvorbereitungskurs aufgenommen,
absolvierte diesen, half gelegentlich in der Flüchtlingsgruppe bei Dolmetschungen und
wurde am 07.10.2018 in einem Gottesdienst getauft. Er besucht seit Oktober 2017 im
Wesentlichen regelmäßig die Gottesdienste der Pfarrgemeinde Schwechat und es ist
glaubhaft, dass er zwischenzeitlich innerlich derartig zum christlichen Glauben konvertiert
ist, dass er auch unter geänderten Verhältnissen, wie einer Rückkehr in den Iran, das
Bedürfnis hätte, diesen innerlich und äußerlich auszuleben.
Beweiswürdigung:
Betreffend den behaupteten Fluchtgrund ergaben sich wesentliche Widersprüche und
Implausibilitäten, die auch angesichts der evidenten Splitterverletzungen die
diesbezüglichen Schilderungen des BF als nicht hinreichend glaubhaft erschienen ließen:
Dies betrifft einerseits die Behauptung, dass die den BF umgebenden Verwandten von einer
derartigen, eine Streuwirkung entfaltenden Waffe nicht verletzt worden sein sollen, der BF
laut Protokoll vor dem BFA zuvor ein Motorrad benutzt haben will und letztlich ein derartig
langer Aufenthalt im Iran (knapp zwei Jahre) bei konkreter Verfolgung wenig wahrscheinlich
erscheint. Der BF hat selbst die geöffneten Grenzen als Fluchtgelegenheit genannt.
Demgegenüber war aber eine letztlich erfolgte innere Konversion aus folgenden Gründen
glaubhaft:
Erstmals in der Verhandlung vor dem BVwG konnte der BF näher zur "Geschichte der
Konversion" befragt werden. Dabei erschien es glaubwürdig, dass er erstmals im Rahmen
seines Aufenthalts in Dänemark Kontakt zu einer evangelischen Gemeinde erlangte. Der BF
erzählte in diesem Zusammenhang nachvollziehbare, konkrete Erlebnisse. Auch der
geschilderte Kontakt zu VCC war insofern glaubwürdig, als der BF die Person des Pastors
zumindest mit Vornamen richtig nennen konnte. Durch die Pfarrerin
XXXX
wurde persönlich vor Gericht als auch durch ein "amtliches" Schreiben eine seit Oktober
2017 ununterbrochene Aktivität des BF in der evangelischen Pfarrgemeine Schwechat
einschließlich Taufvorbereitung und Taufe bescheinigt und bezeugt. Durch Befragung des BF
selbst sowie der Zeugin XXXX und des Zeugen XXXX ergab sich darüber
hinaus, dass der BF, gemessen an der Dauer der Beschäftigung mit dem Christentum, über die Bibel informiert ist. Er schilderte plausibel die Art und Weise, wie er sich mit der Bibel
beschäftigt und betet. Es wurde deutlich, dass der Weg zur christlichen Kirche über andere
Asylwerber und Angebote der evangelischen Gemeinde Schwechat erfolgte.
Der BF ist seit geraumer Zeit Mieter in einem Privathaus eines Gemeindemitgliedes der evangelischen Gemeinde Schwechat (etwa 80-jährige Dame). Es ist dem BF auch gelungen darzustellen, dass und wie er "missioniert", nämlich versucht, andere von seinen Erfahrungen mit der christlichen Kirche zu begeistern. Insbesondere der Zeuge XXXX hat glaubhaft dargestellt, dass der BF eine christliche Lebensweise als vorbildhaft sieht, sich auch an Veränderungen anderer Flüchtlinge in dieser Hinsicht orientiert und selbst diesem Vorbild nacheifert. Der Umstand, dass es am 09.01.2019 im Flüchtlingsheim Himberg zu einem Vorfall kam, bei dem sich der BF sowie weitere Flüchtlinge wechselseitig verletzten, führte zu einem Freispruch vor dem LG Korneuburg hinsichtlich gefährlicher Drohung und einer Diversion betreffend Körperverletzung. Dieser einmalige Vorfall, der dem BF erkennbar leid tut, tut dem vorzitierten Eindruck vom inneren Einstellungswandel des BF im Sinne christlicher Grundsätze keinen wesentlichen Abbruch. Ansonsten sind keine Umstände
hervorgekommen, die an der von den Zeugen geschilderten Ernsthaftigkeit der Konversion
Anlass zu Zweifeln lieferten.
Aufgrund dessen kommt dem BF vor dem Hintergrund der Länderberichte zum Iran und der
diesbezüglich ständigen Rechtsprechung des VwGH zur inneren Konversion im Sinne eines
Nachfluchtgrundes Asyl zu. Die Beschwerde ist daher im Ergebnis berechtigt.
Der Ausspruch betreffend die Unzulässigkeit der Revision folgt dem Umstand, dass
Einzelfallfragen anhand der ständigen Rechtsprechung zu lösen waren.
Eine Ausfertigung der Entscheidung wurde innerhalb der Frist des § 29 Abs 4 VwGVG nicht beantragt. Die Ausfertigung konnte daher gemäß § 29 Abs 5 VwGVG in gekürzter Form erfolgen.
Schlagworte
Asylberechtigter, Asylgewährung, asylrechtlich relevante Verfolgung,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W274.2173153.1.00Zuletzt aktualisiert am
27.02.2020