TE Vfgh Beschluss 2019/9/24 A12/2019

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Veröffentlicht am 24.09.2019
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Index

34/01 Monopole

Norm

B-VG Art137
GlücksspielG §57 Abs1
GebührenG 1957 §33 AbsTP 17

Leitsatz

Zurückweisung einer Staatshaftungsklage mangels Erkennbarkeit eines offenkundigen Verstoßes der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gegen das Unionsrecht betreffend die Glücksspielabgabe

Spruch

Die Klage wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I.       Klage, Sachverhalt und Vorverfahren

1.       Gestützt auf Art137 B-VG begehrt die klagende Partei, den Bund schuldig zu erkennen, den Betrag von € 10.160.277,66 samt 4% Zinsen seit dem 23. April 2019 sowie die (näher verzeichneten) Prozesskosten zuhanden ihres Rechtsvertreters binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

2.       Der Klage liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

2.1.    Die klagende Partei habe an mehreren inländischen Standorten Ausspielungen in Form von Pokerturnieren und Poker-Cashgames veranstaltet.

2.2.    Das Finanzamt für Gebühren, Verkehrsteuern und Glücksspiel habe die klagende Partei als Unternehmerin iSd §2 GSpG qualifiziert und ihr mit Bescheid vom 28. Juni 2016 Glücksspielabgaben gemäß §57 Abs1 GSpG in der Höhe von insgesamt € 9.045.864,34 vorgeschrieben. Die dagegen von der klagenden Partei erhobene Beschwerde sei vor dem Bundesfinanzgericht anhängig.

2.3.    Am 29. April 2019 habe der Bund (Finanzamt für Gebühren, Verkehrsteuern und Glücksspiel) wegen rückständiger Glücksspielabgaben samt Säumniszuschlag in der Höhe von € 10.160.277,66 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf Grund von Zahlungsunfähigkeit der klagenden Partei gemäß §70 IO beantragt.

3.       In der vorliegenden Klage macht die einschreitende Partei – zusammengefasst – geltend, der Bund (Finanzamt für Gebühren, Verkehrsteuern und Glücksspiel) stütze sich in seinem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der klagenden Partei gemäß §70 IO auf die – nach Rechtsauffassung der klagenden Partei unionsrechtswidrige – Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes betreffend die Glücksspielabgabe nach §57 GSpG, insbesondere die Entscheidungen VwGH 21.1.2019, Ro 2018/17/0007 ua und VwGH 19.10.2017, Ro 2015/16/0024. Die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes gemäß Art137 B-VG sei gegeben, weil der Verwaltungsgerichtshof in den genannten Entscheidungen den Anwendungsvorrang des Unionsrechtes nicht beachtet habe und offenkundig sowie hinreichend qualifiziert gegen die "Dienstleistungsfreiheit, freie Berufs- und Unternehmenswahl, Eigentum und Gleichheit" verstoßen habe. Gestützt auf diese Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei es zur unionsrechtswidrigen Festsetzung der Abgabenschuld der klagenden Partei in Höhe von € 10.160.277,66 und zur Antragstellung zur Einleitung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der klagenden Partei gemäß §7 IO durch den Bund (Finanzamt für Gebühren, Verkehrsteuern und Glücksspiel) gekommen.

4.       Die beklagte Partei erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Zulässigkeit der Klage bestreitet. Nach Ansicht der beklagten Partei sei nicht nachvollziehbar, auf welche (die klagende Partei betreffenden) Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes der geltend gemachte Staatshaftungsanspruch wegen Verstoßes gegen Unionsrecht gestützt sei. In den von der klagenden Partei genannten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes (inbesondere VwGH 21.1.2019, Ro 2018/17/0007 ua und VwGH 19.10.2017, Ro 2015/16/0024) bestehe allesamt kein Bezug zur klagenden Partei. Es sei daher nicht ersichtlich, wie der Verwaltungsgerichtshof der klagenden Partei einen Schaden verursacht habe.

II.      Rechtslage

§2 und §57 des Bundesgesetzes vom 28. November 1989 zur Regelung des Glücksspielwesens (Glücksspielgesetz – GSpG), über die Änderung des Bundeshaushaltsgesetzes und über die Aufhebung des Bundesgesetzes betreffend Lebensversicherungen mit Auslosung, BGBl 620/1989, idF BGBl I 118/2016 lauten:

"Ausspielungen

§2. (1) Ausspielungen sind Glücksspiele,

1. die ein Unternehmer veranstaltet, organisiert, anbietet oder zugänglich macht und

2. bei denen Spieler oder andere eine vermögenswerte Leistung in Zusammenhang mit der Teilnahme am Glücksspiel erbringen (Einsatz) und

3. bei denen vom Unternehmer, von Spielern oder von anderen eine vermögenswerte Leistung in Aussicht gestellt wird (Gewinn).

(2) Unternehmer ist, wer selbstständig eine nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen aus der Durchführung von Glücksspielen ausübt, mag sie auch nicht auf Gewinn gerichtet sein.

Wenn von unterschiedlichen Personen in Absprache miteinander Teilleistungen zur Durchführung von Glücksspielen mit vermögenswerten Leistungen im Sinne der Z2 und 3 des Abs1 an einem Ort angeboten werden, so liegt auch dann Unternehmereigenschaft aller an der Durchführung des Glücksspiels unmittelbar beteiligten Personen vor, wenn bei einzelnen von ihnen die Einnahmenerzielungsabsicht fehlt oder sie an der Veranstaltung, Organisation oder dem Angebot des Glücksspiels nur beteiligt sind.

(3) Eine Ausspielung mit Glücksspielautomaten liegt vor, wenn die Entscheidung über das Spielergebnis nicht zentralseitig, sondern durch eine mechanische oder elektronische Vorrichtung im Glücksspielautomaten selbst erfolgt. Der Bundesminister für Finanzen ist ermächtigt, durch Verordnung bau- und spieltechnische Merkmale von Glücksspielautomaten näher zu regeln sowie Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflichten festzulegen. Glücksspielautomaten gemäß §5 sind verpflichtend an die Bundesrechenzentrum GmbH elektronisch anzubinden. Der Bundesminister für Finanzen kann im Wege einer Verordnung den Zeitpunkt dieser Anbindung festlegen. Darüber hinaus kann der Bundesminister für Finanzen zu den Details der elektronischen Anbindung und den zu übermittelnden Datensätzen in dieser Verordnung Mindeststandards festsetzen, wobei auch der Zugriff der Behörden auf einzelne Glücksspielautomaten (§5) zu regeln ist. Die auf 10 Jahre verteilten Kosten für die Errichtung eines Datenrechenzentrums bei der Bundesrechenzentrum GmbH sowie die Kosten für dessen laufenden Betrieb sind durch die konzessions- und bewilligungserteilenden Behörden den Konzessionären und Bewilligungsinhabern auf Grundlage einer von der Bundesrechenzentrum GmbH durchzuführenden Abrechnung über die durch die Konzessionäre und Bewilligungsinhaber verursachten Kosten jährlich bescheidmäßig vorzuschreiben und für die Bewilligungsinhaber von Landesausspielungen mit Glücksspielautomaten (§5) dem Bund zu erstatten. Im Rahmen des laufenden Betriebs des Datenrechenzentrums kann der Bundesminister für Finanzen ferner jederzeit eine technische Überprüfung von Glücksspielautomaten, der auf diesen befindlichen Software sowie einer allfälligen zentralen Vernetzung vornehmen oder die Vorlage eines unabhängigen technischen Gutachtens über die Einhaltung der glücksspielrechtlichen Bestimmungen verlangen. Mit der Errichtung des Datenrechenzentrums und der elektronischen Anbindung sind dem Bundesminister für Finanzen Quellcodes oder Referenzprogramme der Spielprogramme der daran anzubindenden Glücksspielautomaten gesondert vorab zu hinterlegen.

(4) Verbotene Ausspielungen sind Ausspielungen, für die eine Konzession oder Bewilligung nach diesem Bundesgesetz nicht erteilt wurde und die nicht vom Glücksspielmonopol des Bundes gemäß §4 ausgenommen sind.

[…]

GLÜCKSSPIELABGABEN

Glücksspielabgaben

§57. (1) Ausspielungen, an denen die Teilnahme vom Inland aus erfolgt, unterliegen – vorbehaltlich der folgenden Absätze – einer Glücksspielabgabe von 16 vH vom Einsatz. Bei turnierförmiger Ausspielung treten außerhalb des Anwendungsbereiches von §17 Abs2 an Stelle der Einsätze die in Aussicht gestellten vermögenswerten Leistungen (Gewinne in Geld, Waren oder geldwerten Leistungen) des Turniers.

(2) Für Ausspielungen gemäß §12a (elektronische Lotterien), an denen die Teilnahme vom Inland aus erfolgt und die nicht über Video-Lotterie-Terminals im Sinne des §12a Abs2 durchgeführt werden, beträgt die Glücksspielabgabe 40 vH der Jahresbruttospieleinnahmen. Besteht eine Abgabenpflicht nach §17 Abs3, sind Ausspielungen gemäß §12a von der Glücksspielabgabe befreit.

(3) Für Ausspielungen mit Glücksspielautomaten und für elektronische Lotterien über Video-Lotterie-Terminals beträgt die Glücksspielabgabe – vorbehaltlich Abs4 – 30 vH der um die gesetzliche Umsatzsteuer verminderten Jahresbruttospieleinnahmen.

(4) Für Ausspielungen mit Glücksspielautomaten und für elektronische Lotterien über Video-Lotterie-Terminals beträgt die Glücksspielabgabe 10 vH der um die gesetzliche Umsatzsteuer verminderten Jahresbruttospieleinnahmen (Bundesautomaten- und VLT-Abgabe), wenn sie

– im Falle von Glücksspielautomaten auf Basis einer landesrechtlichen Bewilligung nach §5 oder

– im Falle von Video-Lotterie-Terminals auf Basis einer Konzession des Bundesministers für Finanzen nach §14 durchgeführt werden.

Die Regelung von Zuschlägen der Länder (Gemeinden) zur Bundesautomaten- und VLT-Abgabe bleibt den jeweiligen Finanzausgleichsgesetzen vorbehalten.

(5) Jahresbruttospieleinnahmen sind die Einsätze abzüglich der ausgezahlten Gewinne eines Kalenderjahres.

(6) Von der Glücksspielabgabe befreit sind

1. Ausspielungen in vom Bundesminister für Finanzen konzessionierten Spielbanken im Sinne des §21,

2. Ausspielungen mit Glücksspielautomaten auf Basis einer landesrechtlichen Bewilligung unter Einhaltung der Vorgabe des §4 Abs2 in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl I Nr 73/2010,

3. die Ausnahmen aus dem Glücksspielmonopol des §4 Abs3 bis 6."

III.    Zur Zulässigkeit

1.       Gemäß Art137 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über vermögensrechtliche Ansprüche gegen den Bund, ein Land, eine Gemeinde oder einen Gemeindeverband, die weder im ordentlichen Rechtsweg auszutragen noch durch Bescheid einer Verwaltungsbehörde zu erledigen sind.

Art137 B-VG enthält demnach für vermögensrechtliche Ansprüche gegen Gebietskörperschaften eine suppletorische Zuständigkeitsordnung, hat aber nicht den Sinn, neben bereits bestehenden Zuständigkeiten eine konkurrierende Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes einzuführen oder jene abzuändern (vgl bereits VfSlg 3287/1957, 11.395/1987).

Der Verfassungsgerichtshof hält in seiner ständigen Rechtsprechung zur Zuständigkeit in Staatshaftungsangelegenheiten fest, dass es nicht seine Aufgabe ist, – ähnlich einem Rechtsmittelgericht – die Richtigkeit der Entscheidungen anderer Höchstgerichte zu prüfen. Ebenso wenig hat der Verfassungsgerichtshof im Zuge eines Staatshaftungsverfahrens eine von ihm getroffene Entscheidung zu überprüfen, zumal Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes endgültig sind und nicht angefochten werden können (vgl zB VfSlg 9057/1981, 11.041/1986; VfGH 19.5.2016, G110/2016 ua; 8.6.2017, A18/2017).

Der Verfassungsgerichtshof ist nur zur Beurteilung berufen, ob ein qualifizierter Verstoß gegen Unionsrecht im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union vorliegt (vgl VfSlg 17.095/2003, 17.214/2004). Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl VfSlg 19.361/2011, 19.428/2011) ist eine auf den Titel der Staatshaftung gestützte Klage unter anderem nur unter der Voraussetzung zulässig, dass ein Verstoß gegen Unionsrecht geltend gemacht wird, der im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union offenkundig ist.

2.       Die vorliegenden Klagebehauptungen vermögen eine Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes für die Geltendmachung eines unionsrechtlich begründeten Staatshaftungsanspruches, abgeleitet aus einem rechtswidrigen Verhalten des Verwaltungsgerichtshofes, nicht zu begründen:

Die klagende Partei behauptet zwar einen die Staatshaftung auslösenden Verstoß des Verwaltungsgerichtshofes gegen das Unionsrecht. Dem Verfassungsgerichtshof ist jedoch nicht erkennbar, dass eine höchstgerichtliche Entscheidung vorliegt, die den behaupteten Verstoß gegen Unionsrecht denkmöglich zu begründen vermag. Das Verfahren betreffend die – nach Rechtsauffassung der klagenden Partei unionsrechtswidrige – Abgabenschuld gemäß §57 GSpG in Höhe von € 10.160.277,66 (samt Säumniszuschlag) ist vielmehr nach dem eigenen Vorbringen der klagenden Partei vor dem Bundesfinanzgericht "nach wie vor" anhängig.

Auch eine (höchstgerichtliche) Entscheidung über den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens wegen Zahlungsunfähigkeit der klagenden Partei gemäß §70 IO liegt der Klage zufolge nicht vor. Die im Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens wegen Zahlungsunfähigkeit der klagenden Partei seitens des antragstellenden Finanzamtes für Gebühren, Verkehrsteuern und Glücksspiel zitierten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes (insbesondere VwGH 21.1.2019, Ro 2018/17/0007 ua und VwGH 19.10.2017, Ro 2015/16/0024) betreffen – worauf auch die beklagte Partei zu Recht hinweist – allesamt nicht die klagende Partei.

Der von der klagenden Partei behauptete (offenkundige) Verstoß gegen Unionsrecht durch Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes liegt schon aus diesem Grund nicht vor.

IV.      Ergebnis

1.       Die Klage ist daher zurückzuweisen.

2.       Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Staatshaftung, VfGH / Klagen, Glücksspiel, EU-Recht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2019:A12.2019

Zuletzt aktualisiert am

27.02.2020
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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