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90/01 Straßenverkehrsordnung;Norm
StVO 1960 §4 Abs5;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Kremla und Dr. Holeschofsky als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Schwarzgruber, über die Beschwerde der C in Wien, vertreten durch Dr. Conrad Carl Borth und Dr. Johannes Müller, Rechtsanwälte in Wien I, Landhausgasse 4, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 8. Oktober 1997, Zl. UVS-03/P/14/04227/96, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Das Land Wien hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 8. Oktober 1997 wurde die Beschwerdeführerin für schuldig befunden, sie sei als Lenkerin eines dem Kennzeichen nach bestimmten Kraftfahrzeuges an einem näher bezeichneten Ort am 7. Juni 1996 um
22.50 Uhr an einem Verkehrsunfall beteiligt gewesen und habe es unterlassen, ohne unnötigen Aufschub die nächste Polizeidienststelle zu verständigen. Die Beschwerdeführerin habe dadurch § 4 Abs. 5 Straßenverkehrsordnung 1960 verletzt, weshalb über sie gemäß § 99 Abs. 3 lit. b leg. cit. eine Geldstrafe von S 1.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 40 Stunden) verhängt wurde.
In der Begründung dieses Bescheides ging die belangte Behörde davon aus, das von der Beschwerdeführerin gelenkte Kraftfahrzeug sei beim Zurückschieben während eines Einparkmanövers mit der hinteren Stoßstange mit Wucht an die vordere Stoßstange eines dahinter geparkten Kraftfahrzeuges gestoßen, wodurch die vordere Stoßstange dieses Kraftfahrzeuges beschädigt worden sei. Die Beschwerdeführerin habe, obwohl sie dem am Unfallort anwesenden Besitzer des gegnerischen Fahrzeuges nicht ihren Namen und ihre Anschrift nachgewiesen habe, keine Meldung bei der nächsten Polizeidienststelle erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde erwogen:
Gemäß § 4 Abs. 5 Straßenverkehrsordnung 1960 haben die in Abs. 1 genannten Personen - diese sind alle Personen, deren Verhalten am Unfallsort mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang steht - die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle vom Verkehrsunfall ohne unnötigen Aufschub zu verständigen. Eine solche Verständigung darf jedoch unterbleiben, wenn die im Abs. 1 genannten Personen oder jene, in deren Vermögen der Schaden eingetreten ist, einander ihren Namen und ihre Anschrift nachgewiesen haben.
Eine Meldepflicht besteht nur dann, wenn eine Sachbeschädigung tatsächlich eingetreten ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 16. Dezember 1976, Zl. 1418/75).
Die Beschwerdeführerin hat im Verlauf des gesamten Verwaltungsverfahrens den Standpunkt vertreten, es habe bei dem vom Besitzer des gegnerischen Kraftfahrzeuges angezeigten Vorfall eine gegenseitige Berührung dieser Fahrzeuge nicht stattgefunden. Sie habe, als der Anzeigeleger sie auf die von ihm behauptete Kollison hingewiesen habe, beide Fahrzeuge im möglichen Kollisionsbereich kontrolliert, hiebei aber keinerlei Beschädigung feststellen können. Der Anzeigeleger habe auch vor der Bundespolizeidirektion Wien angegeben, am Fahrzeug der Beschwerdeführerin keine Beschädigung festgestellt zu haben. Dies sei insbesondere deshalb bemerkenswert, weil ihr Fahrzeug mit einer lackierten Stoßstange, an welcher Beschädigungen besonders leicht aufträten, ausgestattet gewesen sei.
Die belangte Behörde folgte in der Begründung des angefochtenen Bescheides der Darstellung des Anzeigelegers und ging davon aus, daß durch die Kollision der beiden Fahrzeuge am Fahrzeug des Anzeigelegers eine auf einem von diesem beigebrachten Foto erkennbare Beschädigung der vorderen Stoßstange verursacht worden sei. Festzuhalten ist, daß keines der beiden Fahrzeuge von dem von der belangten Behörde beigezogenen Sachverständigen besichtigt werden konnte. Der Sachverständige führte zur Plausibilität des Unfallgeschehens befragt lediglich aus, daß unter der Voraussetzung, daß die auf dem vom Anzeigeleger beigebrachten Foto erkennbare Beschädigung der vorderen Stoßstange seines Fahrzeuges tatsächlich bei einer Kollision mit dem Kraftfahrzeug der Beschwerdeführerin entstanden sein sollte, die Beschwerdeführerin den Zusammenstoß gehört und gefühlt haben müßte.
Die belangte Behörde führte am 8. Oktober 1997 eine mündliche Berufungsverhandlung durch, an welcher der Anzeigeleger nicht teilnahm. Zu dem von der Beschwerdeführerin in der Verhandlung gestellten Antrag auf nochmalige Einvernahme des Anzeigelegers zwecks Ausübung des Fragerechtes und einer unmittelbaren Beweisaufnahme vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat führte die belangte Behörde aus, im Hinblick auf die in der Verhandlung verlesenen Angaben des nunmehr in Oberösterreich wohnhaften Anzeigelegers im Zusammenhalt mit den Angaben der Beschwerdeführerin, der gutachtlichen Stellungnahme des kraftfahrzeugtechnischen Sachverständigen und dem vorgelegten Lichtbild erscheine der Sachverhalt ausreichend geklärt.
Gemäß § 51g Abs. 1 VStG hat der Unabhängige Verwaltungssenat die zur Entscheidung der Sache erforderlichen Beweise aufzunehmen. Gemäß Abs. 2 dieses Paragraphen sind außer dem Verhandlungsleiter die Parteien und ihre Vertreter, insbesondere der Beschuldigte, im Verfahren vor einer Kammer auch die übrigen Mitglieder, berechtigt, an jede Person, die vernommen wird, Fragen zu stellen. Der Verhandlungsleiter erteilt ihnen hiezu das Wort. Er kann Fragen, die nicht der Aufklärung des Sachverhaltes dienen, zurückweisen. Aus den Erläuternden Bemerkungen zur Novelle 1990 des VStG, EB 1090 Beil NR 17. GP, ergibt sich, daß durch die Einführung dieser Gesetzesstelle ein Recht des Beschuldigten auf Gegenüberstellung und persönliche Fragestellung an Zeugen oder Sachverständige eingeräumt werden sollte.
Im Beschwerdefall gründet sich die der Beschwerdeführerin gegenüber ausgesprochene Bestrafung ausschließlich auf die Aussagen des Anzeigelegers und auf das von ihm beigebrachte Foto, welches alleiniger Ausgangspunkt für die gutachtliche Stellungnahme des beigezogenen Sachverständigen war. Der Aussage des Anzeigelegers kam daher für die Beurteilung der Frage, ob die Beschwerdeführerin die ihr zur Last gelegte Tat begangen hat, zentrale Bedeutung zu. In einem solchen Fall kann aber, insbesondere, wenn vom Beschuldigten in der mündlichen Verhandlung die neuerliche Einvernahme des einzigen Tatzeugen und dessen direkte Befragung verlangt wird, nicht davon ausgegangen werden, daß den Erfordernissen des § 51g VStG durch die - wenn auch vom Beschuldigten gebilligte - Verlesung der Aussagen dieses Tatzeugen Genüge getan wurde. Vielmehr hat die Beschwerdeführerin die Relevanz des in der unterbliebenen Einvernahme des Anzeigelegers während der mündlichen Verhandlung erblickten Verfahrensmangels dahin dargelegt, daß es ihr nicht möglich gewesen sei, an den Anzeigeleger Fragen insbesondere hinsichtlich des Umstandes, daß dieser eine starke Deformierung der vorderen Stoßstange seines Kraftfahrzeuges behauptet, eine Beschädigung der hinteren Stoßstange des Fahrzeuges der Beschwerdeführerin aber verneint habe, zu stellen. Eine Aufklärung und nähere Erörterung dieses für die Frage des Vorliegens der der Beschwerdeführerin angelasteten Tat bedeutsamen Umstandes wäre aber für eine hinreichende Sachverhaltsfeststellung und im Sinne eines durch § 51g VStG bezweckten fairen Verfahrens erforderlich gewesen.
Da somit der entscheidungswesentliche Sachverhalt nicht hinreichend geklärt ist und nicht ausgeschlossen werden kann, daß die belangte Behörde bei Vermeidung des dargelegten Verfahrensmangels zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 2 und 3 VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 10. Juli 1998
Schlagworte
MeldepflichtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1998:1997020530.X00Im RIS seit
12.06.2001