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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
ABGB §6;Beachte
Serie (erledigt im gleichen Sinn): 98/02/0130 E 23. November 2001Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Riedinger, Dr. Holeschofsky und Dr. Beck als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Schwarzgruber, über die Beschwerde des H in Wien, vertreten durch Dr. Walter Kainz, Rechtsanwalt in Wien IV, Gußhausstraße 23, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 10. Oktober 1996, Zl. MA 65 - BH/22/96, betreffend Ungültigkeitserklärung eines Ausweises nach § 29b Abs. 4 StVO, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Die Bundeshauptstadt (Land) Wien hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien (MA 46) vom 19. Juni 1996 wurde der mit einer näher bezeichneten Geschäftszahl aus dem Jahre 1994 bezeichnete Ausweis "für dauernd stark gehbehinderte Personen" des Beschwerdeführers "als ungültig erklärt". In der Begründung verwies die erstinstanzliche Behörde auf ein von der MA 15-Gesundheitsamt eingeholtes "ärztliches" Gutachten vom 20. Mai 1996, wonach "keine starke Gehbehinderung" beim Beschwerdeführer vorliege, weshalb der dem Beschwerdeführer ausgestellte Ausweis "nunmehr als ungültig erklärt" werde. Ferner wurde der Beschwerdeführer in der Begründung aufgefordert, diesen Ausweis binnen 14 Tagen bei der Behörde abzuliefern.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung und wandte sich im wesentlichen gegen die auf dem eingeholten ärztlichen Gutachten basierende Annahme der Behörde erster Instanz, wonach eine dauernd starke Gehbehinderung "nicht mehr" vorliege.
Daraufhin holte die belangte Behörde ein ergänzendes ärztliches Gutachten der "MA 15" ein, in dem u.a. festgestellt wurde, daß die Beine des Beschwerdeführers aufgrund des klinischen und röntgenologischen Befundes infolge der geringen Abnützung der Hüftgelenke sowie der Abnützung im Bereich des rechten Kniegelenkes voll belastbar seien. Er sei "bewegungstechnisch ohne Gehhilfen gehfähig". Die verwendete Krücke diene lediglich zur Erhöhung des Sicherheitsgefühls sowie bei "langen Gehstrecken zur Entlastung des rechten Kniegelenks".
Im Zuge des Parteiengehörs wurde die volle Unbefangenheit der schon im erstinstanzlichen Verfahren beigezogenen medizinischen Amtssachverständigen (der MA 15) in Zweifel gezogen und insbesondere auf die zusätzlich zur Unterarmstützkrücke notwendige Verwendung einer Orthese am rechten Bein hingewiesen.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 10. Oktober 1996 gab die belangte Behörde gemäß § 66 Abs. 4 AVG der Berufung des Beschwerdeführers keine Folge, bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid und ergänzte diesen dahingehend, daß "die Ungültigkeitsfeststellung gemäß § 29b Abs. 4 letzter Satz StVO" zu erfolgen habe.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof; dieser hat erwogen:
Gemäß § 29b Abs. 4 letzter Satz StVO ist bei Wegfall der dauernd starken Gehbehinderung der Ausweis vom Antragsteller der ausstellenden Behörde unverzüglich abzuliefern. Diese Bestimmung wurde im Zuge der 18. StVO-Novelle, BGBl. Nr. 522/1993, dem § 29b Abs. 4 leg. cit. angefügt.
Wie den Gesetzesmaterialien zu dieser Bestimmung (vgl. den Bericht des Verkehrsausschusses des Nationalrates, 1220 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates, XVIII. GP) zu entnehmen ist, war "eine entsprechende Ablieferungspflicht durch den Antragsteller" zu normieren, um eine mißbräuchliche Verwendung des Ausweises (nach § 29b Abs. 4 erster Satz StVO) zu verhindern. Der Verkehrsausschuß weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß es immer wieder vorkomme, daß bei Personen, die im Besitz eines solchen Ausweises sind, die dauernd starke Gehbehinderung wegfalle.
In der Literatur wird zu dieser Bestimmung die Meinung vertreten, daß für den Fall, daß der Ausweisinhaber "dieser - vermeintlichen - gesetzlichen Verpflichtung" nicht nachkommt, die "gemäß § 94b Abs. 2 lit. a StVO" zuständige Bezirksverwaltungsbehörde in einem den Regeln des AVG unterliegenden Verfahren den Wegfall der dauernd starken Gehbehinderung festzustellen und danach den Ausweisinhaber "in Bescheidform zur unverzüglichen Ablieferung des Gehbehindertenausweises" zu verpflichten und diesem derart das bescheidmäßig zuerkannte Recht auf Verwendung dieses Ausweises zu "entziehen" habe (vgl. Benes-Messiner, Straßenverkehrsordnung, 9. Auflage, FN 6 zu § 29b StVO, S. 636).
Dieser zuletzt dargestellten Meinung, der offenbar auch die belangte Behörde (zumindest teilweise) im angefochtenen Bescheid gefolgt ist, vermag sich der Verwaltungsgerichtshof hinsichtlich der Möglichkeit einer bescheidförmigen Entziehung des Ausweises nicht anzuschließen.
Wie der Verwaltungsgerichtshof etwa in seinem Erkenntnis vom 4. November 1971, VwSlg. Nr. 8101/A, unter Hinweis auf die auch im Bereich des Verwaltungsrechts grundsätzlich anzuwendenden Auslegungsregeln des ABGB (vgl. insbesondere § 6 leg. cit.) ausgeführt hat, ist in erster Linie der Wortlaut des Gesetzes und seine Systematik zu berücksichtigen (vgl. zum Vorrang des Wortlautes auch Adamovich-Funk, Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. Auflage, S. 59); dabei ist das kundgemachte Gesetz aus sich selbst auszulegen. Andere Erkenntnisquellen betreffend die Absicht des Gesetzgebers sind erst heranzuziehen, wenn die Ausdrucksweise des Gesetzgebers zweifelhaft ist.
Der Gesetzgeber traf in § 29b Abs. 4 letzter Satz unmißverständlich die Regelung, daß bei Wegfall der dauernd starken Gehbehinderung "der Ausweis vom Antragsteller" der ausstellenden Behörde unverzüglich abzuliefern ist. In diesem Sinne verweisen auch die dargestellten Erläuterungen zu dieser Bestimmung lediglich auf eine "entsprechende Ablieferungspflicht durch den Antragsteller".
Weder ist dem Gesetz zu entnehmen, daß es etwa im Rahmen eines behördlichen Verfahrens zulässig wäre, den Ausweis nach § 29b Abs. 4 StVO "als ungültig" zu erklären, wie dies im Spruch des von der belangten Behörde bestätigten erstinstanzlichen Bescheides erfolgt ist, noch enthält das Gesetz eine Ermächtigung zur Erlassung eines Leistungsbescheides bei Wegfall der für die Ausstellung eines solchen Ausweises maßgebenden Voraussetzungen, was jedoch aufgrund der in der Begründung des erstinstanzlichen Bescheides zum Ausdruck gebrachten Festsetzung für die Ablieferung des Ausweises zum Ausdruck kommt. Ein Verfahren zur "Entziehung" dieses Ausweises wurde vom Gesetzgeber nicht vorgesehen.
Da die belangte Behörde die Rechtslage verkannte, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich im Rahmen des gestellten Begehrens auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Schlagworte
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Bindung an den Wortlaut des Gesetzes VwRallg3/2/1European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1998:1996020546.X00Im RIS seit
19.02.2002