TE Vwgh Erkenntnis 1987/6/17 85/18/0090

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Veröffentlicht am 17.06.1987
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Index

KFG

Norm

AVG §37
AVG §45 Abs2
AVG §46
AVG §62 Abs4
AVG §66 Abs4
StVO 1960 §24 Abs1 lita
VStG §44a lita
VStG §44a Z1
VwGG §41 Abs1
VwGG §43 Abs7

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsident Dr. Petrik und die Hofräte Dr. Pichler und Dr. Domittner als Richter, im Beisein des Schriftführers Kommissär Dr. Renner, über die Beschwerde des Mag. AJ in W, vertreten durch Dr. Herbert Neuhauser, Rechtsanwalt in Wien I, Schubertring 3, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 5. Jänner 1983, Zl. MA 70-IX/J-1/82/Str, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt (Land) Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.860,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Strafverfügung der Bundespolizeidirektion Wien vom 25. März 1980 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe am 12. März 1980 von 07.00 Uhr bis 08.00 Uhr in Wien 1, Walfischgasse 1, einen dem Kennzeichen nach bestimmten Kombinationskraftwagen geparkt, obwohl an dieser Stelle ein durch Verbotstafeln gekennzeichnetes Halteverbot bestanden habe; er habe dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 24 Abs. 1 lit. a StVO 1960 begangen.

Gegen diese Strafverfügung erhob der Beschwerdeführer rechtzeitig Einspruch. Der Beschwerdeführer begründete diesen Einspruch im wesentlichen damit, der Beginn des Halteverbotes habe sich erst nach dem Haus Walfischgasse 1 befunden. In den Beschuldigten-Ladungsbescheiden vom 17. April 1980, 21. Mai 1980, 8. September 1980 und 29. September 1980 wurde dem Beschwerdeführer, wie zuvor in der Strafverfügung vom 25. März 1980, vorgeworfen, den genannten Kombinationskraftwagen in einem beschilderten Halteverbot in Wien 1, Walfischgasse 1, abgestellt zu haben. Im Beschuldigten-Ladungsbescheid vom 29. Oktober 1980 wurde dem Beschwerdeführer dagegen zur Last gelegt, er habe die Verwaltungsübertretung in Wien 1, Walfischgasse 3, begangen. Nachdem der Beschwerdeführer am 28. November 1980 zum Akteninhalt Stellung genommen hatte, wurde er im darauf ergangenen Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien vom 14. September 1981, schuldig erkannt, er habe am 12. März 1980 in der Zeit von 07.00 Uhr bis 08.00 Uhr in Wien 1, Walfischgasse 3, den obgenannten Kombinationskraftwagen in einem deutlich sichtbar angebrachten, beschilderten Halteverbot abgestellt und dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 24 Abs. 1 lit. a StVO 1960 begangen. Auf Grund der dagegen rechtzeitig eingebrachten Berufung bestätigte die Wiener Landesregierung mit Bescheid vom 5. Jänner 1983 das erstinstanzliche Straferkenntnis gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 in der Schuldfrage u.a. mit der Abänderung, daß der Tatort "Wien 1, Walfischgasse 1" zu lauten habe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vor und beantragte in der Gegenschrift, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Mit Beschluß vom 7. November 1986 gab der Verwaltungsgerichtshof den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens seine vorläufige Rechtsansicht dahingehend bekannt, daß gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950, der auf Grund des § 24 VStG 1950 auch im Verwaltungsstrafverfahren Anwendung finde, die Berufungsbehörde berechtigt sei, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei die Berufungsbehörde nach dieser Gesetzesstelle in Entsprechung des § 44a lit. a VStG 1950 berechtigt und sogar verpflichtet (siehe die Erkenntnisse vom 3. Februar 1984, Zl. 83/02/0289, und vom 13. Februar 1985, Zl. 85/18/0031), die Umschreibung der als erwiesen angenommenen Tat derart zu ergänzen, daß im Spruch des Berufungsbescheides sämtliche Tatbestandsmerkmale der durch die Tat verletzten Verwaltungsvorschrift enthalten seien. Der Berufungsbehörde stehe folglich das Recht zu, im Berufungsbescheid den im erstinstanzlichen Straferkenntnis angeführten Tatort zu konkretisieren. Hingegen sei es aber der Berufungsbehörde verwehrt, eine über die Konkretisierung des Tatortes hinausgehende, abändernde Ergänzung desselben vorzunehmen, wenn dadurch der Boden der Sachverhaltsannahme der Behörde erster Instanz verlassen werde (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom 22. März 1983, Zl. 05/1861/79, sowie die darin zitierte Vorjudikatur). Im vorliegenden Beschwerdefall habe die belangte Behörde den von der Verwaltungsstrafbehörde erster Instanz angenommenen Tatort "Wien 1, Walfischgasse 3" durch den Tatort "Wien 1, Walfischgasse 1" ersetzt. Die belangte Behörde könnte damit ihre Befugnis, den Tatort zu konkretisieren, überschritten und den Boden der Sachverhaltsannahme der Behörde erster Instanz verlassen haben. Der Verwaltungsgerichtshof habe in seiner bisherigen Judikatur auch die grundsätzliche Möglichkeit einer Berichtigung des erstinstanzlichen Straferkenntnisses durch einen Bescheid der Berufungsbehörde in Anwendung des § 62 Abs. 4 AVG 1950 wiederholt bejaht (vgl. dazu die hg. Erkenntnisse vom 7. Dezember 1978, Zl. 859/77, und vom 23. April 1986, Zl. 85/03/0171; siehe auch Mannlicher-Quell, Das Verwaltungsverfahren, 8. Auflage, Seite 332 ff und 909). Allerdings habe der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 19. Februar 1982, Zl. 82/02/0013, diesbezüglich restriktiv zum Ausdruck gebracht, daß die Berufungsbehörde nach Maßgabe des § 62 Abs. 4 AVG 1950 mit Bescheid nur eine erstmals im Straferkenntnis der Verwaltungsstrafbehörde erster Instanz erfolgte unrichtige Angabe einer zur Bezeichnung des Tatortes herangezogenen Hausnummer berichtigen könne. Im vorliegenden Beschwerdefall sei die unrichtige Tatortbezeichnung "Wien 1, Walfischgasse 3" nicht erstmals im erstinstanzlichen Straferkenntnis, sondern bereits im vorangegangenen Beschuldigten-Ladungsbescheid vom 29. Oktober 1980 erfolgt, sodaß der Schluß naheliege, die Behörde habe sich für eine von zwei Möglichkeiten entschieden. Aus diesem Grunde hätte nach vorläufiger Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtshofes die belangte Behörde im Beschwerdefall die Verlegung des Tatortes auch nicht auf § 62 Abs. 4 AVG 1950 stützen dürfen. Die Bezeichnung des Tatortes erweise sich im vorliegenden Beschwerdefall schon deshalb als entscheidungswesentlich, weil die dem Beschwerdeführer angelastete Verwaltungsübertretung eine nur für den Bereich Wien 1, Walfischgasse 1, für eine kurze Zeitspanne erlassene Halteverbotszone betreffe.

Sowohl der Beschwerdeführer als auch die belangte Behörde erstatteten eine Äußerung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Verwaltungsgerichtshof hält die in der Verfügung vom 7. November 1986 geäußerten Bedenken nicht mehr aufrecht und pflichtet der in der Äußerung der belangten Behörde vom 19. Dezember 1986 zum Ausdruck gebrachten Rechtauffassung insofern bei, als durch die Richtigstellung der Bezeichnung des Tatortes "Wien 1, Walfischgasse 3" auf "Wien 1, Walfischgasse 1" in Ausübung der Berechtigung nach § 62 Abs. 4 AVG 1950 der Boden der Sachverhaltsannahme der Behörde erster Instanz nicht verlassen und keine Auswechslung des Tatortes vorgenommen worden sei. Entgegen den in der zitierten hg. Verfügung dargelegten Bedenken haben die Verwaltungsstrafbehörden nämlich nicht eine Verwaltungsübertretung an verschiedenen Orten verfolgt, sondern handelte es sich um den Vorwurf einer Verwaltungsübertretung an ein und demselben Tatort, der im Verfahren lediglich teilweise irrtümlich falsch bezeichnet worden und daher von der belangten Berufungsbehörde zu Recht richtiggestellt worden ist.

Der angefochtene Bescheid ist allerdings aus einem anderen Grunde mit einer Rechtswidrigkeit behaftet.

Der Beschwerdeführer bestreitet, die Tat begangen zu haben und bekämpft damit die Beweiswürdigung der belangten Behörde. Gemäß § 45 Abs. 2 AVG 1950, der gemäß § 24 VStG 1950 auch im Verwaltungsstrafverfahren Anwendung findet, hat die Behörde unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht. Gemäß § 46 AVG 1950 kommt als Beweismittel alles in Betracht, was zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes geeignet und nach Lage des einzelnen Falles zweckdienlich ist. Der im § 45 Abs. 2 AVG 1950 normierte Grundsatz der freien Beweiswürdigung schließt aber keinesfalls eine verwaltungsgerichtliche Kontrolle in der Richtung aus, ob der Sachverhalt genügend ermittelt ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind. Wesentliche Mängel der Sachverhaltsfeststellung einschließlich der Beweiswürdigung führen daher zur Aufhebung eines Bescheides (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. Mai 1974, Slg. N. F. Nr. 8619/A).

Aus der Begründung des angefochtenen Bescheides geht hervor, daß die belangte Behörde den Spruch ihres Bescheides u.a. auf die Zeugenaussage der Gattin des Beschwerdeführers stützte. Diese gab in der niederschriftlichen Einvernahme vor der Bundespolizeidirektion Wien vom 28. November 1980 sinngemäß an, sie wisse genau, daß ihr Gatte als Lenker den Pkw am 2. März 1980 in der Walfischgasse abgestellt habe. Der Wagen sei erst wieder am 16. März 1980 benötigt worden. Jedoch sei der Wagen bereits abgeschleppt worden. Weitere Angaben könne sie keine machen.

Der Beschwerdeführer nahm in seiner Berufung vom 1. Oktober 1981 auf diese Aussage Bezug und führte aus, daß daraus hervorgehe, wann und wo der Wagen abgestellt und daß er in der Zwischenzeit bis zum 16. März 1980 nicht benützt worden sei. Damit stützte der Beschwerdeführer seine Verantwortung, daß er am 2. März 1980 den Pkw vorschriftsmäßig abgestellt und bis zum 16. März 1980, als er sein Fahrzeug vergeblich gesucht habe, nicht verwendet habe, auf diese Aussage.

Die belangte Behörde ging in der Begründung des angefochtenen Bescheides davon aus, die Gattin des Beschwerdeführers habe mit ihrer zeugenschaftlichen Aussage vom 28. November 1980 lediglich das Abstellen des Fahrzeuges am Tatort am 2. März 1980 bezeugt sowie den Umstand, daß dieses erst am 16. März 1980 benötigt worden sei. Daran knüpfte sodann die belangte Behörde den Schluß, aus der in Rede stehenden Zeugenaussage könne keineswegs gefolgert werden, daß das Fahrzeug nicht zwischenzeitlich verwendet und zur Tatzeit neuerlich in der "mittlerweile am Tatort befindlichen Halteverbotszone" abgestellt bzw. vor dem 16. März 1980 verwendet worden sei. Diese Annahme der belangten Behörde ist durch die oben wiedergegebene Zeugenaussage der Gattin des Beschwerdeführers nicht gedeckt. Mit der vom Beschwerdeführer vorgebrachten objektiv vertretbaren Interpretation der Zeugenaussage seiner Gattin hat sich die belangte Behörde nicht auseinandergesetzt. Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes wäre die Annahme der belangten Behörde, die Zeugenaussage der Gattin habe den Beschwerdeführer nicht entlasten können, nur dann gerechtfertigt, wenn die Gattin als Zeugin konkret darüber befragt worden wäre, ob und gegebenenfalls aus welchen Gründen sie eine Benützung des Kombinationskraftwagens durch den Beschwerdeführer ausschließen könne, bzw. ob das Fahrzeug während der fraglichen Zeit ununterbrochen abgestellt gewesen sei bzw. wie sie eine diesbezügliche Aussage untermauern könne. Die unzureichende Befragung eines Zeugen durch die Behörde darf nicht zu Lasten des Beschuldigten gewertet werden.

Da die belangte Behörde durch diese Vorgangsweise Verfahrensvorschriften außer acht gelassen hat, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Überdies weist der Verwaltungsgerichtshof darauf hin, daß es sich bei der Person des Aufforderers, wie aus den Akten des Verwaltungsstrafverfahrens hervorgeht, nicht um den Meldungsleger, sondern um eine die Anzeige gegen den Beschwerdeführer erstattende Privatperson handelte. Auf Grund dieses Umstandes entbehren die Ausführungen über den abgelegten Diensteid des Aufforderers in der Begründung auf Seite 3 des angefochtenen Bescheides jeglicher Grundlage.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 243/1985.

Wien, am 17. Juni 1987

Schlagworte

Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die Sache Bindung an den Gegenstand des vorinstanzlichen Verfahrens AllgemeinBeweismittel ZeugenBeweismittel Zeugenbeweis"Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Tatort falsche AngabeSachverhalt Sachverhaltsfeststellung Freie BeweiswürdigungSachverhalt Sachverhaltsfeststellung Rechtsmittelverfahren Berufung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1987:1985180090.X00

Im RIS seit

26.02.2020

Zuletzt aktualisiert am

26.02.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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