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E000 EU- Recht allgemeinNorm
B-VG Art133 Abs4Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):Ra 2019/22/0045Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, über die Revision 1. der C D, und 2. des D M D, beide vertreten durch Mag.a Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Burggasse 116, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 21. Juli 2017, Zlen. 1. VGW- 151/031/373/2017-13 (hinsichtlich der Erstrevisionswerberin) und
2. VGW-151/031/376/2017 (hinsichtlich des Zweitrevisionswerbers), betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Die Erstrevisionswerberin, eine Staatsangehörige Namibias, ist die Mutter des minderjährigen Zweitrevisionswerbers, eines Staatsangehörigen Kameruns. Am 7. August 2015 beantragten die revisionswerbenden Parteien jeweils die Erteilung eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" gemäß § 46 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) zur Familienzusammenführung mit dem in Österreich über einen bis zum 20. April 2019 gültigen Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" verfügenden M D (Staatsangehöriger Kameruns, Ehegatte der Erstrevisionswerberin und Vater des Zweitrevisionswerbers). 2 Mit den im Wesentlichen inhaltsgleichen Bescheiden vom 24. Oktober 2016 wies der Landeshauptmann von Wien (belangte Behörde) diese Anträge gemäß § 21 Abs. 1 NAG wegen unzulässiger Inlandsantragstellung ab.
3 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 21. Juli 2017 wies das Verwaltungsgericht Wien die dagegen erhobenen Beschwerden der beiden revisionswerbenden Parteien nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 9. März 2017 als unbegründet ab und erklärte die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG für unzulässig.
Das Verwaltungsgericht stellte fest, die Erstrevisionswerberin sei am 10. September 2013 in Österreich eingereist und habe über eine bis zum 7. Oktober 2014 gültige Legitimationskarte im Rahmen ihrer Tätigkeit als Kindermädchen für die Botschaftssekretärin von Namibia verfügt. Nach Beendigung dieser Tätigkeit im Jahr 2014 sei die Erstrevisionswerberin in Österreich verblieben, habe M D kennengelernt und am 28. April 2015 geheiratet; am 12. Juni 2015 sei der gemeinsame Sohn (Zweitrevisionswerber) geboren worden. Die Erstrevisionswerberin habe in Namibia zwei weitere (2004 und 2008 geborene) Kinder, die bei ihrer Mutter lebten, und sie verfüge in Namibia über ein eigenes Haus. M D sei an AIDS erkrankt, die Erkrankung sei jedoch unter Kontrolle.
Da M D nicht die alleinige Obsorge über seinen Sohn zukomme und somit kein Fall des § 23 Abs. 4 NAG vorliege, sei der Zweitrevisionswerber nicht zur Inlandsantragstellung nach § 21 Abs. 2 Z 4 NAG berechtigt gewesen. Dem Einwand der revisionswerbenden Parteien im Hinblick auf die Richtlinie 2003/86/EG hielt das Verwaltungsgericht Art. 5 Abs. 3 dieser Richtlinie entgegen, aus dem sich ergebe, dass es richtlinienkonform sei, wenn ein Mitgliedstaat von der Ermächtigung zur Zulassung der Inlandsantragstellung keinen Gebrauch mache.
Den Zusatzanträgen der revisionswerbenden Parteien gemäß § 21 Abs. 3 Z 2 NAG sei - so das Verwaltungsgericht weiter - zu Recht nicht stattgegeben worden. Das Familienleben sei zu einem Zeitpunkt entstanden, zu dem sich die Erstrevisionswerberin der Unsicherheit ihres Aufenthaltsstatus bewusst gewesen sein habe müssen. Die Erstrevisionswerberin sei nach Ablauf der Gültigkeit ihrer Legitimationskarte in Österreich verblieben und versuche, die Behörden vor vollendete Tatsachen zu stellen und "im Umweg über ihren mj. Sohn ein Aufenthaltsrecht zu erlangen". Es liege somit eine Umgehung der Regelungen über einen geordneten Familiennachzug vor. Die Erstrevisionswerberin verfüge über Bezugspunkte in ihrem Herkunftsstaat (zwei weitere Kinder, soziales Netz und eigenes Haus), der (zweijährige) Zweitrevisionswerber habe seine kulturelle und soziale Prägung durch seine Mutter erhalten. Es sei daher beiden revisionswerbenden Parteien - auch unter Berücksichtigung des Kindeswohls des Zweitrevisionswerbers - zumutbar, für die Dauer eines ordnungsgemäß geführten Niederlassungsverfahrens gemeinsam aus dem Bundesgebiet auszureisen und damit vom Ehegatten bzw. Vater vorübergehend getrennt zu sein. Auch eine gemeinsame Ausreise der zur Obsorge berechtigten Eltern für die Dauer eines ordnungsgemäß geführten Niederlassungsverfahrens erachtete das Verwaltungsgericht als zumutbar.
Es sei nach Art. 8 EMRK somit nicht geboten, den revisionswerbenden Parteien einen sofortigen Familiennachzug unter Hintanhaltung der Bestimmungen des NAG einzuräumen. 4 Gegen dieses Erkenntnis erhoben die revisionswerbenden Parteien zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, deren Behandlung nach dem Vorbringen der revisionswerbenden Parteien mit Beschluss vom 27. November 2018, E 3034/2017, abgelehnt wurde. Nach Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 17. Dezember 2018 erhoben die revisionswerbenden Parteien die vorliegende außerordentliche Revision.
5 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG vom Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 6 Die revisionswerbenden Parteien verweisen zum einen auf die Regelung der §§ 21 Abs. 2 Z 4 sowie 23 Abs. 4 NAG (in der hier noch maßgeblichen Fassung vor BGBl. I Nr. 84/2017), der zufolge im Bundesgebiet geborene Kinder von Drittstaatsangehörigen nur dann zur Inlandsantragstellung berechtigt gewesen seien, wenn ihre Mutter über einen Aufenthaltstitel verfügt habe, von dem das Kind einen Aufenthaltstitel ableiten könne. Dies stehe nach Ansicht der revisionswerbenden Parteien nicht mit den Bestimmungen der Richtlinie 2003/86/EG betreffend das Recht auf Familienzusammenführung in Einklang, wobei insbesondere auf deren Erwägungsgründe 5, 11 und 13 verwiesen wird. Wenn ein Mitgliedstaat - wie in Art. 5 Abs. 3 zweiter Satz der Richtlinie 2003/86/EG vorgesehen - eine Inlandsantragstellung zulasse, müssten die in diesen Erwägungsgründen zum Ausdruck kommenden Grundsätze gewahrt werden. § 21 Abs. 2 Z 4 NAG (in der hier maßgeblichen Fassung) widerspreche dem Diskriminierungsverbot, verletze das Gebot zur Wahrung der Rechte von Kindern und sei nicht angemessen.
7 Zuzugestehen ist, dass es keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Vereinbarkeit des § 21 Abs. 2 Z 4 NAG (in der hier maßgeblichen Fassung) mit der Richtlinie 2003/86/EG gibt. Der Verwaltungsgerichtshof hat aber bereits Bedenken verfassungsrechtlicher Art im Hinblick auf Art. 8 EMRK sowie Bedenken im Hinblick auf das unionsrechtliche Grundrecht des Kindeswohls nach Art. 24 Abs. 2 GRC nicht geteilt (vgl. zum einen VwGH 5.9.2006, 2006/18/0243, mwN, und zum anderen VwGH 4.10.2018, Ra 2017/22/0056). Ebenso wenig vermag der Verwaltungsgerichtshof auf Grund der Bezugnahmen auf die genannten Erwägungsgründe der Richtlinie 2003/86/EG eine Unionsrechtswidrigkeit des § 21 Abs. 2 Z 4 NAG (in der hier maßgeblichen Fassung) zu erkennen, zumal - worauf auch schon das Verwaltungsgericht hingewiesen hat - Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2003/86/EG die Mitgliedstaaten ermächtigt, nicht aber verpflichtet, die Inlandsantragstellung "gegebenenfalls" zuzulassen.
8 Die Revision zeigt diesbezüglich daher keine Rechtsfrage auf, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.
9 Zum anderen macht die Revision ein Abweichen der angefochtenen Entscheidung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Interessenabwägung nach § 11 Abs. 3 NAG geltend.
10 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass die im Rahmen der Entscheidung über einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG ist (vgl. VwGH 18.3.2019, Ra 2019/22/0041, Rn. 16, mwN).
11 Die revisionswerbenden Parteien monieren, das Verwaltungsgericht habe nicht geprüft, ob der an AIDS erkrankte M D das Familienleben in Namibia fortsetzen könnte. Im angefochtenen Erkenntnis ist zwar an einer Stelle von der Zumutbarkeit der Ausreise der Eltern (und somit auch des M D) die Rede. Allerdings ergibt sich aus der Begründung insgesamt hinreichend deutlich, dass das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung (primär) die Zumutbarkeit der vorübergehenden Trennung (für die Dauer des Niederlassungsverfahrens) zugrunde gelegt hat, weshalb es auf allfällige Begründungsmängel im Zusammenhang mit der Möglichkeit einer dauerhaften Fortsetzung des Familienlebens mit M D in Namibia nicht entscheidungserheblich ankommt. Dass auch eine (bloß vorübergehende) Ausreise des M D nach Namibia zu Besuchszwecken unmöglich wäre, wird nicht aufgezeigt und ist angesichts der im angefochtenen Erkenntnis enthaltenen Feststellung, wonach M D seine beiden in Kamerun lebenden minderjährigen Kinder besucht habe, nicht ersichtlich. 12 Das Verwaltungsgericht hat in seiner Entscheidung auch auf das Kindeswohl des Zweitrevisionswerbers hinreichend Bedacht genommen. Einzuräumen ist zwar, dass der undifferenzierte (und somit auch den Zweitrevisionswerber erfassende) Verweis auf die Möglichkeit der Aufrechterhaltung persönlicher Kontakte im Wege elektronischer Kommunikationsformen bei einem (wie hier) zweijährigen Kleinkind verfehlt ist (vgl. etwa VwGH 22.8.2019, Ra 2019/21/0128, mwN). Zu beachten ist aber, dass das Verwaltungsgericht die Zumutbarkeit der Trennung der revisionswerbenden Parteien von M D bezogen auf die Dauer eines ordnungsgemäß geführten Niederlassungsverfahrens - und somit als vorübergehend - geprüft hat. Das Verwaltungsgericht durfte auch berücksichtigen, dass das Familienleben zu einem Zeitpunkt entstanden ist, zu dem sich die Erstrevisionswerberin ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst gewesen sein musste, und dass sie mit ihrem Verhalten versucht habe, in Bezug auf ihren Aufenthalt in Österreich vollendete Tatsachen zu schaffen (vgl. dazu sowie zum Durchschlagen eines derartigen Bewusstseins auf die Kinder VwGH 13.11.2018, Ra 2018/21/0205 bis 0210, mwN). Den Ausführungen zur Umgehung der Regelungen des NAG über einen geordneten Familiennachzug treten die revisionswerbenden Parteien in ihrem Zulässigkeitsvorbringen nicht entgegen (siehe zur Bedeutung von Umgehungsversuchen VwGH 7.3.2019, Ra 2019/21/0044 bis 0046; 19.5.2011, 2008/21/0124).
13 Ausgehend davon vermag die Revision eine Unvertretbarkeit der vorgenommenen Interessenabwägung im Ergebnis nicht aufzuzeigen.
14 Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
15 Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.
Wien, am 23. Jänner 2020
Schlagworte
Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019220044.L00Im RIS seit
27.02.2020Zuletzt aktualisiert am
27.02.2020