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001 Verwaltungsrecht allgemeinNorm
AsylG 2005 §55Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Sulzbacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des F O in B, vertreten durch Mag. Susanne Singer, Rechtsanwältin in 4600 Wels, Ringstraße 9, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 30. September 2019, I422 2015268-3/2E, betreffend Zurückweisung eines Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 und Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein nigerianischer Staatsangehöriger stellte nach seiner Einreise in Österreich am 21. Oktober 2013 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2 Diesen Antrag wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 24. November 2014 hinsichtlich der Zuerkennung von Asyl und subsidiärem Schutz ab. Unter einem erließ es eine Rückkehrentscheidung und stellte die Zulässigkeit der Abschiebung des Revisionswerbers nach Nigeria fest. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom 26. Mai 2015 als unbegründet ab.
3 Kurz davor, nämlich am 24. April 2015, hatte der Revisionswerber seine Lebensgefährtin, eine österreichische Staatsbürgerin, die er im Februar 2014 kennen gelernt hatte, geheiratet. Ein im Hinblick darauf am 18. August 2015 gestellter Antrag gemäß § 55 AsylG 2005 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens wurde mit Bescheid des BFA vom 24. März 2016, bestätigt durch das Erkenntnis des BVwG vom 13. Mai 2016 gemäß § 58 Abs. 10 AsylG 2005 zurückgewiesen. Eine Rückkehrentscheidung wurde mit dieser Entscheidung nicht verbunden.
4 Der in Österreich verbliebene Revisionswerber stellte am 9. April 2019 erneut einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005. Zur Begründung verwies er zunächst auf die erwähnte Eheschließung und auf das Zusammenleben mit seiner Ehefrau in einem gemeinsamen Haushalt, sodass mittlerweile intensive familiäre Bindungen aufgebaut worden seien. Er sei auch in die Familie seiner Ehefrau sehr gut "eingebettet", was durch ein angeschlossenes Schreiben des Schwiegervaters belegt werde. Der Revisionswerber komme durch seine selbständige Tätigkeit als Zeitungsausträger, mit der er etwa EUR 1.250,-
monatlich (brutto) verdiene, für den Lebensunterhalt (auch seiner Ehefrau) auf; er sei bei der SVA der gewerblichen Wirtschaft selbst versichert. Darüber hinaus verkaufe er vor einem bestimmten Lebensmittelmarkt die Straßenzeitung "Marie", wodurch er viele Kontakte zu Kunden aufgebaut habe. Dazu legte der Revisionswerber mehrere Empfehlungsschreiben vor. Außerdem verfüge er für den Fall der Erteilung eines Aufenthaltstitels über eine Einstellungszusage und werde (auf eigene Kosten) einen demnächst beginnenden A2- Deutschkurs besuchen.
5 Diesen Antrag wies das BFA mit Bescheid vom 12. August 2019 gemäß § 58 Abs. 10 AsylG 2005 zurück, weil entsprechend der genannten Bestimmung gegen den Revisionswerber eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen worden sei und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich gemacht hätte, nicht hervorgehe. Unter einem erließ das BFA gegen den Revisionswerber gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG und es stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Nigeria zulässig sei. Schließlich wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.
6 Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das BVwG mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 30. September 2019 als unbegründet ab. Des Weiteren sprach es gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung eines Vorverfahrens, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortungen erstattet wurden, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Dreiersenat erwogen hat:
8 Die Revision erweist sich - entgegen dem gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG nicht bindenden Ausspruch des BVwG - aus den nachstehend angeführten Gründen unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG als zulässig; sie ist auch berechtigt. 9 Der im vorliegenden Fall herangezogene Zurückweisungstatbestand nach § 58 Abs. 10 AsylG 2005 knüpft an das Bestehen einer rechtkräftigen Rückkehrentscheidung an. Demnach sind Anträge gemäß § 55 AsylG 2005 als unzulässig zurückzuweisen, wenn gegen den Antragsteller eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen wurde und aus dem begründenden Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich macht, nicht hervorgeht.
10 Nach der zu § 44b Abs. 1 Z 1 NAG, der Vorgängerregelung des § 58 Abs. 10 AsylG 2005, ergangenen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes liegt ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht erst dann vor, wenn der vorgebrachte Sachverhalt auch konkret dazu führt, dass nunmehr der begehrte Aufenthaltstitel erteilt werden müsste. Vielmehr liegt ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nur dann nicht vor, wenn die geltend gemachten Umstände von vornherein keine solche Bedeutung aufweisen, die eine Neubeurteilung aus dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK gebieten. Nur in einem solchen Fall ist eine - der Sache nach der Zurückweisung wegen entschiedener Sache nachgebildete - Zurückweisung (nunmehr) gemäß § 58 Abs. 10 AsylG 2005 zulässig (vgl. aus der letzten Zeit etwa VwGH 22.8.2019, Ra 2019/21/0182, Rn. 10). Mit anderen Worten:
Ein maßgeblich geänderter Sachverhalt, der einer Antragszurückweisung nach § 58 Abs. 10 AsylG 2005 entgegen steht, liegt schon dann vor, wenn die geltend gemachten Umstände nicht von vornherein eine zu Gunsten des Fremden vorzunehmende neue Beurteilung aus dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK als ausgeschlossen erscheinen lassen (VwGH 19.9.2019, 2019/21/0173, Rn. 9, mwN). 11 Vor diesem rechtlichen Hintergrund ist schon an dieser Stelle klarzustellen, dass im vorliegenden Fall als Vergleichsmaßstab der dem Erkenntnis des BVwG vom 26. Mai 2015 zugrunde liegende Sachverhalt heranzuziehen ist und nicht - wie dies im erstinstanzlichen Bescheid des BFA an mehreren Stellen anklingt - das die (bloße) Antragszurückweisung bestätigende Erkenntnis des BVwG vom 13. Mai 2016 (vgl. dazu neuerlich VwGH 19.9.2019, 2019/21/0173, nunmehr Rn. 12). 12 Das BVwG traf im Wesentlichen der in Rn. 4 wiedergegebenen Antragsbegründung entsprechende Feststellungen und es ging ergänzend im Sinne des Beschwerdevorbringens noch davon aus, dass der Revisionswerber zu den drei (mit ihnen nicht im gemeinsamen Haushalt lebenden) Kindern der Ehefrau "in gutem Kontakt" stehe bzw. (so das BVwG an anderer Stelle) "eine gute Beziehung aufgebaut" habe. Obwohl das BVwG dann auch die in Rn. 10 dargestellte Judikaturlinie referierte und im Sinne der Ausführungen in Rn. 11 zutreffend als Vergleichsmaßstab auf die Sachlage im Zeitpunkt der Erlassung des Erkenntnisses des BVwG vom 26. Mai 2015 abstellte, kam es dann trotzdem zu dem Ergebnis, es seien die Voraussetzungen für eine Antragszurückweisung nach § 58 Abs. 10 AsylG 2005 vorgelegen.
13 Das ist nicht nachvollziehbar, sind doch mittlerweile mehr als vier Jahre vergangen, in denen sich schon aufgrund der entsprechend längeren Dauer der Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin die familiären Bindungen (auch zu den weiteren Angehörigen) intensiviert haben; darüber hinaus ist der unbescholtene Revisionswerber mittlerweile selbsterhaltungsfähig. Er hat - wie sich aus den vom BVwG zugrunde gelegten Empfehlungsschreiben ergibt - auch sonst soziale Kontakte geknüpft und verfügt nun über eine Aufenthaltsdauer in Österreich von insgesamt fast sechs Jahren.
14 Dem hat des BVwG nicht Rechnung getragen, wenn es im angefochtenen Erkenntnis (vgl. Seite 6/7) meint, die im gegenständlichen Antrag und in der Beschwerde vorgebrachten "integrationsbegründenden Aspekte" seien "spätestens" bei Erlassung des Erkenntnisses des BVwG vom 26. Mai 2015 "evident" gewesen und "bereits berücksichtigt" worden. Demgegenüber wurde in diesem Erkenntnis ein (unverhältnismäßiger) Eingriff in die Rechte nach Art. 8 EMRK (nur) deshalb verneint, weil die Eheschließung erst ein Monat davor stattgefunden, erst eine kurze Zeit der gemeinsamen Lebensführung vorgelegen und der Aufenthalt des Revisionswerbers insgesamt erst eineinhalb Jahre gedauert sowie keine Integration am Arbeitsmarkt und kein "intensives soziales Netzwerk" bestanden habe. Angesichts dessen wird auch die weitere Folgerung des BVwG im angefochtenen Erkenntnis, weder der Antragsbegründung noch der Beschwerde könne "ein (maßgeblich) geänderter Sachverhalt zugesonnen werden, der eine neuerliche meritorische Prüfung des Antrages erforderlich machen würde", der gegenständlichen Sache nicht gerecht. Dasselbe gilt für die Ausführungen im Rahmen der rechtlichen Beurteilung (Seite 13 des angefochtenen Erkenntnisses), es könne nichts ändern, dass sich die Dauer des Aufenthalts seit der Rückkehrentscheidung "durch den (illegalen) Verbleib" im Bundesgebiet um "einige Zeit" verlängert habe, weil insbesondere im Hinblick auf das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens und die Schutzwürdigkeit des Privatlebens sowie den Grad der Integration ein maßgeblich geänderter Sachverhalt "nicht festzustellen war".
15 Das BVwG argumentierte zwar dann auch noch im Sinne des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG damit, dass einem "allfällig entstandenem Privat- und Familienleben ohnehin ein entsprechend geringes Gewicht zuzumessen wäre", weil sich der Revisionswerber spätestens seit der "ersten negativen Asylentscheidung vom 24.11.2014" seines unsicheren Aufenthalts hätte bewusst sein müssen. Damit lassen sich aber die in Rn. 13 zusammengefasst genannten Umstände insgesamt nicht derart relativieren, dass von vornherein eine zu Gunsten des Revisionswerbers ausgehendende neue Beurteilung aus dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK ausgeschlossen erscheint. 16 Daraus folgt, dass das BVwG mit seiner Begründung die Rechtslage verkannte und daher das angefochtene Erkenntnis, soweit damit die vom BFA vorgenommene Zurückweisung des Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 bestätigt wurde, mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastete. Es war daher in diesem Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben, wobei die Aufhebung auch die darauf aufbauende Erlassung der Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen zu erfassen hat. 17 Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 23. Jänner 2020
Schlagworte
Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019210356.L00Im RIS seit
10.03.2020Zuletzt aktualisiert am
10.03.2020