Index
10/07 VerwaltungsgerichtshofNorm
AsylG 2005 §55Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Pfiel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 17. September 2019, L502 2129251- 1/47E, betreffend insbesondere Feststellung der dauernden Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung und Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 Abs. 1 AsylG 2005 (mitbeteiligte Partei: H A in B, vertreten durch Mag. Timo Gerersdorfer, Rechtsanwalt in 1100 Wien, Ettenreichgasse 9/10), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird im bekämpften Umfang (Spruchpunkt A.) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Der Mitbeteiligte, ein im Februar 1981 geborener irakischer Staatsangehöriger, stellte nach seiner Einreise in das Bundesgebiet im August 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Diesen Antrag wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 10. Juni 2016 zur Gänze ab (Spruchpunkte I. und II.). Unter einem sprach es aus, dass dem Mitbeteiligten ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 (von Amts wegen) nicht erteilt werde (Spruchpunkt III., erster Satz). Es erließ gegen ihn gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 2 Z 2 FPG und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Mitbeteiligten in den Irak zulässig sei (Spruchpunkt III., zweiter und dritter Satz). Schließlich setzte es gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkt IV.).
2 Die dagegen erhobene Beschwerde zog der Mitbeteiligte, nachdem das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) am 28. Februar 2019 eine mündliche Verhandlung durchgeführt hatte, mit Eingabe vom 3. September 2019 in Bezug auf die Spruchpunkte I., II. und III., erster Satz, des angefochtenen Bescheides des BFA vom 10. Juni 2016 wieder zurück.
3 Hinsichtlich des übrigen, aufrecht erhaltenen Teils der Beschwerde erkannte das BVwG sodann mit Spruchpunkt A. des nunmehr angefochtenen Erkenntnisses vom 17. September 2019, dass der Beschwerde gegen Spruchpunkt III., zweiter Satz, des angefochtenen Bescheides stattgegeben und festgestellt werde, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen den Mitbeteiligten gemäß § 52 FPG iVm § 9 Abs. 3 BFA-VG auf Dauer unzulässig sei. Demzufolge erteilte es dem Mitbeteiligten gemäß § 55 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 den Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus". Im Übrigen behob das BVwG die Spruchpunkte III., dritter Satz, und IV. des angefochtenen Bescheides des BFA vom 10. Juni 2016 ersatzlos (Spruchpunkt A.).
Unter einem wurde noch das Beschwerdeverfahren zu den Spruchpunkten I., II. und III., erster Satz, des eben genannten Bescheides beschlussmäßig eingestellt (Spruchpunkt B.) und ausgesprochen, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei (Spruchpunkt C.).
4 Zur Integration des unbescholtenen Mitbeteiligten, dessen Ehefrau mit drei gemeinsamen Söhnen sowie weiteren Angehörigen (Eltern und Geschwister des Mitbeteiligten) im Irak lebt, stellte das BVwG fest, er sei seit Februar 2016 mehrmals wöchentlich als Betreuer und Hilfskraft in einem Altenheim, seit Oktober 2016 als Reinigungskraft und Helfer in einer Pfarre und seit Juli 2018 als Helfer der Aktion "Essen auf Rädern" ehrenamtlich tätig gewesen. Ihm sei eine außergewöhnlich gute soziale Integration in seinem privaten Umfeld und im Rahmen von Vereinstätigkeiten gelungen. Er verfüge über einen österreichischen Führerschein und gehe seit März bzw. April 2019 als Werbemittelverteiler bzw. Hausbetreuer und als Reinigungskraft jeweils einer gewerblichen selbständigen Erwerbstätigkeit nach, aus der er bis dato regelmäßige monatliche Einkünfte von ca. 1000 bis 1500 EUR erziele. Auch verfüge er über Einstellungszusagen von drei Unternehmen für den Fall eines dauerhaft legalen Aufenthalts im Bundesgebiet. Er weise gute Kenntnisse der deutschen Sprache auf und habe die Sprachprüfung auf dem Niveau A 2 erfolgreich abgelegt.
5 Daraus folgerte das BVwG in der rechtlichen Beurteilung, wenn der Mitbeteiligte auch keine "familiäre Nahebeziehung" in Österreich habe, er sich als Asylwerber seines bloß vorübergehenden Aufenthaltsrechts bewusst gewesen sei und mit einer Reintegration im Herkunftsstaat, wo er die Schule besucht habe und berufstätig gewesen sei, Arabisch als Muttersprache beherrsche und über aufrechte verwandtschaftliche Anknüpfungspunkte verfüge, gerechnet werden könne, so habe er doch aufgrund der eben festgestellten außergewöhnlichen Bemühungen in Österreich eine umfassende Integration in sprachlicher, sozialer und beruflicher Hinsicht erlangt. Die Fortdauer seiner Selbsterhaltungsfähigkeit sei infolge der vorgelegten drei Einstellungszusagen gewerblicher Unternehmen anzunehmen.
In Zusammenschau mit der Aufenthaltsdauer von mehr als vier Jahren würde die Erlassung einer Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Art. 8 EMRK bewirken und erweise sich somit gemäß § 9 Abs. 1 und 3 BFA-VG auf Dauer als unzulässig.
Sodann führte das BVwG noch mit näherer Begründung aus, dass dem Mitbeteiligten gemäß § 58 Abs. 2 iVm § 55 Abs. 1 AsylG 2005 eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen sei.
6 Gegen Spruchpunkt A. dieses Erkenntnisses richtet sich die vorliegende Revision des BFA. Darüber hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung eines Vorverfahrens, in dessen Rahmen der Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung erstattete und diese in der Folge ergänzte, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
7 Die Amtsrevision erweist sich - entgegen dem gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG nicht bindenden Ausspruch des BVwG - unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG als zulässig und auch als berechtigt.
8 Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes muss bei einer Aufenthaltsdauer wie der vorliegenden eine "außergewöhnliche Konstellation" bejaht werden können, um die Voraussetzungen für die Erteilung eines "Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK" zur Aufrechterhaltung eines Privat- und Familienlebens gemäß § 55 AsylG 2005 zu erfüllen (vgl. etwa VwGH 22.8.2019, Ra 2019/21/0149, Rn. 8 und 9, mwN). 9 Nun wird vom Verwaltungsgerichtshof nicht verkannt, dass der Mitbeteiligte - wie das BVwG ins Treffen führte - besondere Anstrengungen gezeigt hat, sich in Österreich sprachlich, sozial und vor allem beruflich zu integrieren. Allerdings besteht insgesamt trotzdem noch keine derartige Verdichtung der persönlichen Interessen, dass von einer "außergewöhnlichen Konstellation" gesprochen werden kann und dem Mitbeteiligten allein wegen seiner Integrationsbemühungen - ungeachtet des relativ kurzen Inlandsaufenthalts und des Umstands, dass bei ihm nur ein Eingriff in das Privatleben und nicht auch in ein Familienleben zur Debatte steht - unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK ein dauernder Verbleib in Österreich ermöglicht werden müsste (siehe weiters etwa das in der Revision genannte Erkenntnis VwGH 28.2.2019, Ro 2019/01/0003, sowie VwGH 26.6.2019, Ra 2019/21/0020). Der durch die Rückkehrentscheidung bewirkte Eingriff in die Rechte nach Art. 8 EMRK ist im Übrigen auch noch dadurch relativiert, dass dem Mitbeteiligten - wovon auch das BVwG ausging - angesichts der im Irak bestehenden Anknüpfungspunkte ohne Weiteres eine Rückkehr dorthin zumutbar ist.
10 Insgesamt bewegte sich das BVwG somit bei der nach § 9 BFA-VG vorgenommenen Interessenabwägung - wobei es, anders als in der Revisionsbeantwortung zum Ausdruck gebracht, nicht um Beweiswürdigung geht - nicht innerhalb der vom Verwaltungsgerichtshof entwickelten Grundsätze. Das angefochtene Erkenntnis war daher hinsichtlich der Beschwerdestattgebung sowie hinsichtlich der daraus folgenden Aussprüche wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
11 Die vom Mitbeteiligten beantragte Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 und 6 VwGG unterbleiben.
Wien, am 23. Jänner 2020
Schlagworte
Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019210306.L00Im RIS seit
10.03.2020Zuletzt aktualisiert am
10.03.2020