TE Vwgh Beschluss 2020/1/28 Ra 2019/01/0466

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Veröffentlicht am 28.01.2020
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Index

E6J
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Staatsbürgerschaft

Norm

B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
StbG 1985 §27
StbG 1985 §29
VwGG §34 Abs1
VwGG §42 Abs4
62017CJ0221 Tjebbes VORAB

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek und die Hofräte Dr. Kleiser und Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schweinzer, über die Revision des M A in W, vertreten durch MMag.Dr. Kazim Yilmaz, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Volksgartenstraße 3, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 19. September 2019, Zl. VGW-153/019/21/2019-18, betreffend Staatsbürgerschaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Wiener Landesregierung), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

Angefochtenes Erkenntnis

1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde in der Sache gemäß § 39 und § 42 Abs. 3 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) festgestellt, dass der Revisionswerber die österreichische Staatsbürgerschaft gemäß § 27 Abs. 1 StbG durch Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit spätestens am 30. April 2018 verloren hat und nicht österreichischer Staatsbürger ist (I.). Die Revision gegen dieses Erkenntnis wurde für nicht zulässig erklärt

(II.).

2 Begründend stellte das Verwaltungsgericht unter anderem fest, der Revisionswerber sei 1960 in der Türkei geboren, 1980 nach Österreich gekommen und lebe seitdem im Bundesgebiet. Er sei mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet und habe vier Kinder, welche alle die österreichische Staatsbürgerschaft besäßen. Der Revisionswerber reise jährlich zumindest einmal in die Türkei.

3 Mit Wirkung vom 7. Februar 1996 sei dem Revisionswerber (nach Vorlage einer Bewilligungsurkunde zur Entlassung des Revisionswerbers aus dem türkischen Staatsverband) gemäß § 10 Abs. 1 StbG die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen worden.

4 Der Revisionswerber sei in der türkischen Wählerevidenz (abrufbar über die näher bezeichnete offizielle Homepage der hohen Wahlkommission der Türkei, http://www.ysk.gov.tr/, als wahlberechtigt für die türkische Präsidentschafts- und Parlamentswahl am 24. Juni 2018 eingetragen gewesen. Voraussetzung für die Eintragung in das Wahlregister sei der Besitz der türkischen Staatsangehörigkeit. Der Revisionswerber habe vor dem Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit keinen Antrag gemäß § 28 StbG auf Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft für den Fall der Wiederannahme der türkischen Staatsangehörigkeit gestellt.

5 Beweiswürdigend führte das Verwaltungsgericht zur offiziellen Homepage der hohen Wahlkommission aus, im Gegensatz zu dem (vom freiheitlichen Parlamentsklub dem Bundesminister für Inneres mit 17. Mai 2017 übermittelten) Datenträger, auf dem sich eine Liste mit persönlichen Daten von mehreren 10.000 Personen befanden hätten und welche nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (Verweis auf VfGH 11.12.2018, E 3717/2018) kein taugliches Beweismittel darstelle, stünde hier die Authentizität und Herkunft der abgefragten Daten fest. Das Verwaltungsgericht habe keinen Zweifel, dass es sich dabei um Daten aus dem - am 22. Mai 2018 in Kraft getretenen - offiziellen Wählerverzeichnis für die Präsidentschaftswahlen bzw. Parlamentswahlen 2018 handle. Dies ergebe sich auch aus der im Akt der belangten Behörde vor dem Verwaltungsgericht aufliegenden Stellungnahme des Bundesministers für Europa, Integration und Äußeres vom 23. Juni 2017 und weiters aus Art. 3 des türkischen Erlasses Nr. 140/II. vom 26. April 2018 über das Verfahren und die Grundsätze zur Aktualisierung des Auslandswählerregisters. Zum Inkrafttreten des gegenständlichen Auslandswählerregisters verweist das Verwaltungsgericht auf Art. 9 des angeführten Erlasses.

6 Die von der belangten Behörde mit aktenkundigen Daten (insbesondere auch aus der Staatsbürgerschaftsevidenz) getätigte Abfrage habe ein Abfrageergebnis dahingehend ergeben, dass der Revisionswerber zur in Rede stehenden Präsidentschaftsbzw. Parlamentswahl 2018 wahlberechtigt gewesen sei. Der Revisionswerber habe im Zuge der mündlichen Verhandlung dazu lediglich angegeben, er habe keine Ahnung, aus welchem Grund er im offiziellen Wählerverzeichnis für die türkischen Präsidentschaftswahlen bzw. die türkischen Parlamentswahlen 2018 aufscheine. Der Aufforderung, einen Auszug aus dem türkischen Personenstandsregister vorzulegen oder darzulegen, wieso es ihm weder möglich sei, einen solchen online noch bei den zuständigen Behörden in der Türkei zu beantragen, sei der Revisionswerber, obwohl er (nach näheren Feststellungen zur türkischen Rechtslage) einen Rechtsanspruch auf Ausstellung eines derartigen Registerauszug gehabt habe, nicht nachgekommen.

Aus der seit dem Ausscheiden aus dem türkischen Staatsverband im Jahr 1997 geltenden türkischen Rechtslage könne abgeleitet werden, dass ein Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit nur nach Antrag des Revisionswerbers erfolgen habe können (Verweis auf die Stellungnahme des Bundesministers für Europa, Integration und Äußeres vom 23. Juni 2017 und die maßgeblichen Bestimmungen des türkischen Staatsangehörigkeitsgesetzes Nr. 403 vom 11. Februar 1964 sowie des türkischen Staatsangehörigkeitsgesetzes Nr. 5901 vom 29. Mai 2009).

7 In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht aus, der Revisionswerber habe nach den getroffenen Feststellungen nach dem Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft die türkische Staatsangehörigkeit wieder erworben und sei zumindest am Stichtag für die Eintragung in das Wählerverzeichnis, dem 30. April 2018, türkischer Staatsangehöriger gewesen. Der Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit sei auf Antrag des Revisionswerbers erfolgt. Ein Antrag auf Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft sei vom Revisionswerber hingegen nicht gestellt worden. Damit stehe fest, dass der Revisionswerber gemäß § 27 Abs. 1 StbG ex lege die österreichische Staatsbürgerschaft verloren habe.

8 Sodann verwies das Verwaltungsgericht auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) im Urteil vom 12. März 2019, C-221/17, Tjebbes u.a.. Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtes unterscheide sich der diesem Urteil des EuGH zugrunde liegende Sachverhalt wesentlich von jenem der vorliegenden Rechtssache. Werde der ex lege Verlusttatbestand bzw. ein Entziehungstatbestand nicht etwa durch Auslandsaufenthaltszeiten, durch Verlust der Staatsangehörigkeit der Eltern (Verweis auf EuGH Tjebbes u.a., C-221/17) oder durch betrügerische Handlungen (Verweis auf EuGH Rottmann, C-135/08), sondern durch eine freiwillige, positive Willensbekundung des Staatsbürgers (im Hinblick auf den Erwerb einer fremden Staatsangehörigkeit) gesetzt und verlasse der Staatsangehörige das Verhältnis besonderer Verbundenheit und Loyalität sowie die Gegenseitigkeit der Rechte und Pflichten, die dem Staatsangehörigkeitsverband zugrunde lägen, aus freien Stücken, müsse schon aus diesem Grund der ex lege Verlust der Staatsangehörigkeit als verhältnismäßig angesehen werden. Dies auch vor dem Hintergrund der im § 28 StbG geregelten Möglichkeit, die Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft trotz beabsichtigter Annahme einer fremden Staatsangehörigkeit zu beantragen (Verweis auf VfGH 26.6.2019, E 2283/2019).

Darüber hinaus lägen im vorliegenden Fall auch sonst keine Umstände vor, die den ex lege Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft als unverhältnismäßig erscheinen ließen: In der vorliegenden Rechtssache sei davon auszugehen, dass der Revisionswerber derzeit die türkische Staatsbürgerschaft besitze, zumal er feststellungsgemäß die türkische Staatsangehörigkeit wieder erworben habe und keine Anhaltspunkte vorgekommen seien, dass er nach dem neuerlichen Erwerb der türkischen Staatsangehörigkeit wieder aus dem türkischen Staatsangehörigkeitsverband ausgeschieden sei. Insbesondere habe der Revisionswerber angegeben, er sei nicht im Besitz einer "Mavi-Kart". Der Revisionswerber sei seit 1980 - abgesehen von Auslandsurlaubsreisen - im Bundesgebiet aufhältig. Er arbeite derzeit als Bauarbeiter. Neben der Ehegattin und den vier Kindern des Revisionswerbers lebten noch ca. 15 weitere Verwandte in Österreich. In der Türkei lebten ein Bruder und eine Schwester des Revisionswerbers sowie entferntere Verwandte.

9 Dem Revisionswerber stehe die neuerliche Beantragung der österreichischen Staatsbürgerschaft (Verweis auf § 10 Abs. 4 Z 1 StbG) bzw. die Beantragung eines Aufenthaltstitels nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), als Ehegatte einer österreichischen Staatsangehörigen eine Niederlassungsbewilligung für Angehörige von Österreichern gemäß § 47 Abs. 2 NAG, offen. Darüber hinaus käme für den Revisionswerber ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen vor dem Hintergrund des Art. 8 EMRK nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) in Betracht. Außerdem sei davon auszugehen, dass der als türkischer Staatsangehöriger unter das Assoziationsabkommen EWG-Türkei falle. Der Revisionswerber erfahre somit trotz des Verlustes der österreichischen Staatsbürgerschaft keine beruflichen oder familiären Nachteile, da er wohl die Voraussetzung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK nach dem AsylG 2005 erfülle und weiterhin in Österreich aufhältig sein könne. 10 Somit erweise sich der ex lege Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft vor allem vor dem Hintergrund der freiwillig getroffenen positiven Willenserklärung des Revisionswerbers als verhältnismäßig.

11 Die Unzulässigkeit der ordentlichen Revision begründet das Verwaltungsgericht mit dem Gesetzestext.

12 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die vom Verwaltungsgericht gemäß § 30a Abs. 7 VwGG unter Anschluss der Akten des Verfahrens vorgelegt wurde.

Zulässigkeit

Allgemein

13 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

14 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in

nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 15 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer

außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. Zulässigkeitsvorbringen

16 Die Revision bringt in ihrer Zulässigkeitsbegründung vor, das angefochtene Erkenntnis weiche von "höchstrichterlicher" Rechtsprechung ab. Der EuGH habe im Urteil vom 12. März 2019, C- 221/17, Tjebbes u.a., klargestellt, dass im Falle des Verlusts einer Staatsbürgerschaft kraft Gesetzes, welche mit dem Verlust der Unionsbürgerschaft verbunden sei, jedenfalls eine Verhältnismäßigkeitsprüfung durchzuführen sei. Zu dieser Entscheidung des EuGH gebe es keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Jedoch habe der Verwaltungsgerichtshof mehrfach klargestellt, dass im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG Entscheidungen des EuGH mit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes gleichzusetzen seien. Wenn das Verwaltungsgericht nun vorliegend von einer solchen Rechtsprechung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG abweiche, liege eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vor. Selbst wenn man annehmen würde, dass keine Abweichung von der Rechtsprechung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG vorliege, fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

17 Insbesondere gebe es bisher keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu folgenden Fragen:

"Ist aufgrund der Entscheidung des EuGH vom 12.03.2019 zu C- 221/17 (EuGH 12.03.2019, C-221/17, Tjebbes, et al.) im Fall eines ex lege Verlustes der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß § 27 Abs. 1 StbG und damit einhergehend der Unionsbürgerschaft eine Verhältnismäßigkeitsprüfung durchzuführen?"

sowie

"Nach welchen konkreten Kriterien ist im Sinne der Entscheidung des EuGH vom 12.03.2019 zu C-221/17 (EuGH 12.032019, C-221717, Tjebbes, et al.) zu beurteilen, ob der Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß § 27 Abs 1 StbG, und damit einhergehend der Unionsbürgerschaft, im Hinblick auf seine Folgen, verhältnismäßig ist?"

Zur Verhältnismäßigkeitsprüfung nach EuGH Tjebbes u.a.

18 Die erste von der Revision zu ihrer Zulässigkeit vorgebrachte Rechtsfrage ist bereits durch Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geklärt.

19 Die nach dem Urteil des EuGH, C-221/17, Tjebbes u.a., ergangene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wurde jüngst im Beschluss vom 17. Dezember 2019, Ro 2019/01/0012-0013, zusammenfassend dargestellt. Vorliegend kann daher gemäß § 43 Abs. 2 iVm 9 VwGG auf die Begründung dieses Beschlusses verwiesen werden.

20 Im zitierten Beschluss Ro 2019/01/0012-0013 wurde insbesondere auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 30. September 2019, Ra 2018/01/0477, hingewiesen, in dem klargestellt wurde, dass ausgehend vom festgestellten Vorliegen der Voraussetzungen für den Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß § 27 Abs. 1 StbG und einem damit verbundenen gleichzeitigen Verlust des Unionsbürgerstatus nach der Rechtsprechung des EuGH Tjebbes ua. von der zuständigen nationalen Behörde und gegebenenfalls dem nationalen Gericht eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen ist.

21 Im Hinblick auf die (gegenteilige) Auffassung des Verwaltungsgerichtes in der vorliegenden Rechtssache, die Rechtsprechung des EuGH Tjebbes u.a. sei auf die österreichische Rechtslage (nach § 27 Abs. 1 StbG) nicht übertragbar, kann wiederum auf den zitierten Beschluss Ro 2019/01/0012-0013 verwiesen werden. In diesem Beschluss hat der Verwaltungsgerichtshof festgehalten, dass sich das Urteil des EuGH Tjebbes u.a. auf jede "Regelung eines Mitgliedstaats wie der in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die unter bestimmten Bedingungen den Verlust der Staatsangehörigkeit dieses Mitgliedstaats kraft Gesetzes vorsieht," bezieht und somit bereits vom EuGH klargestellt ist, dass auch die Regelung des § 29 StbG, die unter bestimmten Bedingungen den Verlust der Staatsangehörigkeit dieses Mitgliedstaats kraft Gesetzes vorsieht, von dieser seiner Rechtsprechung erfasst wird. Dasselbe gilt für § 27 StbG.

Zu den Kriterien der Verhältnismäßigkeitsprüfung nach EuGH Tjebbes u. a.

22 Auch die zweite von der Revision (zu ihrer Zulässigkeit) vorgebrachte Rechtsfrage ist bereits durch Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geklärt.

23 So hat der Verwaltungsgerichtshof im zitierten Beschluss, auf dessen Begründung auch insoweit gemäß § 43 Abs. 2 iVm 9 VwGG verwiesen werden kann, die bestehende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Durchführung der Verhältnismäßigkeitsprüfung nach EuGH Tjebbes u.a. wiedergegeben. 24 Insbesondere verweist der Verwaltungsgerichtshof auf sein Erkenntnis vom 30. September 2019, Ra 2019/01/0281, in dem zusammenfassend festgehalten wird, dass nach den Vorgaben des EuGH im Urteil Tjebbes u.a. (Verweis auf die Rn. 40 und 44) zu prüfen ist, ob fallbezogen Umstände vorliegen, die dazu führen, dass die Rücknahme der österreichischen Staatsbürgerschaft ausnahmsweise unverhältnismäßig ist. Unter Berücksichtigung der (zu EuGH Tjebbes u. a.) ergangenen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (VfGH 17.6.2019, E 1832/2019, mit Verweis auf EGMR 21.6.2016, Ramadan, Appl. 76.136/12, Z. 90ff) ist die unionsrechtlich gebotene Abwägung vor dem Hintergrund von Art. 8 EMRK zu betrachten. Eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK ist jedoch im Allgemeinen nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG und daher vom Verwaltungsgerichtshof im Revisionsmodell nur aufzugreifen, wenn das Verwaltungsgericht die vom Verwaltungsgerichtshof aufgestellten Leitlinien bzw. Grundsätze nicht beachtet hat und somit seinen Anwendungsspielraum überschritten hat oder eine krasse bzw. unvertretbare Fehlbeurteilung des Einzelfalls vorgenommen hat bzw. die Entscheidung auf einer verfahrensrechtlich nicht einwandfreien Grundlage erfolgte (vgl. die Rn. 11 bis 16 des zitierten Erkenntnisses Ra 2019/01/0281, mwN).

25 Weiter hat der Verwaltungsgerichtshof im Beschluss Ro 2019/01/0012-0013 auf die Rechtsprechung des VfGH hingewiesen, nach der es im Lichte des Art. 8 EMRK und des Gleichheitsgrundsatzes nicht zu beanstanden ist, wenn § 27 Abs. 1 StbG bei (Wieder-)Erwerb einer fremden Staatsangehörigkeit für den Fall, dass der Betroffene die ihm eingeräumte Möglichkeit zur Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft nicht wahrnimmt, davon ausgeht, dass die öffentlichen Interessen an der Vermeidung mehrfacher Staatsangehörigkeiten überwiegen (vgl. VfGH 17.6. 2019, E 1302/2019). Zur Bedeutung des Rechts auf Achtung des Familienlebens (nach Art. 7 GRC) bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung nach dem Urteil Tjebbes u.a. verweist der zitierte Beschluss Ro 2019/01/0012-0013 auf die Rn. 45 dieses Urteils.

26 In der vorliegenden Rechtssache hat das Verwaltungsgericht eine derartige einzelfallbezogene Verhältnismäßigkeitsprüfung durchgeführt und dabei unter anderem berücksichtigt, dass der Revisionswerber türkischer Staatsangehöriger ist, es ihm weiter möglich sein wird, mit einem (zu beantragenden) Aufenthaltstitel in Österreich aufhältig zu sein und der Revisionswerber aus freien Stücken, ohne die ihm eingeräumte Möglichkeit zur Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft wahrzunehmen, eine fremde Staatsangehörigkeit angenommen hat. Aus diesen Gründen sei der Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft nach § 27 Abs. 1 StbG als verhältnismäßig anzusehen.

27 In der - alleine maßgeblichen - Zulässigkeitsbegründung wird nichts vorgebracht, was diese Verhältnismäßigkeitsprüfung - vor dem Hintergrund der oben angeführten Rechtsprechung insbesondere zum Aufgreifen einer durchgeführten Interessenabwägungen im Sinne des Art. 8 EMRK durch den Verwaltungsgerichtshof - als unvertretbar erscheinen ließe (vgl. insbesondere auch VfGH 17.6.2019, E 1302/2019, wonach es im Lichte des Art. 8 EMRK und des Gleichheitsgrundsatzes nicht zu beanstanden ist, wenn § 27 Abs. 1 StbG bei (Wieder-)Erwerb einer fremden Staatsangehörigkeit für den Fall, dass der Betroffene die ihm eingeräumte Möglichkeit zur Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft nicht wahrnimmt, davon ausgeht, dass die öffentlichen Interessen an der Vermeidung mehrfacher Staatsangehörigkeiten überwiegen).

Ergebnis

28 In der Revision werden aus diesen Gründen keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

29 Zum Antrag des Revisionswerbers auf Entscheidung in der Sache ist darauf hinzuweisen, dass die für den Verwaltungsgerichtshof bestehende Möglichkeit, bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen nach § 42 Abs. 4 VwGG in der Sache selbst zu entscheiden, das Vorliegen einer zulässigen Revision voraussetzt (vgl. VwGH 19.11.2019, Ra 2019/01/0429, mwN). 30 Von der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.

31 Der Anregung, der Verwaltungsgerichtshof möge gemäß Art. 267 AEUV beim EuGH einen Antrag auf Vorabentscheidung stellen, war schon deshalb nicht näher zu treten, weil diese nur für den Fall erging, dass der Verwaltungsgerichtshof der Auffassung sein sollte, nach der Rechtsprechung des EuGH Tjebbes u. a. sei keine Verhältnismäßigkeitsprüfung durchzuführen.

Wien, am 28. Jänner 2020

Gerichtsentscheidung

EuGH 62017CJ0221 Tjebbes VORAB

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019010466.L00

Im RIS seit

22.05.2020

Zuletzt aktualisiert am

22.05.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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