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19/05 MenschenrechteNorm
AsylG 2005 §11Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des B H, vertreten durch Dr. Gerhard Mory, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19/5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Oktober 2018, W204 1429176- 2/14E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber ist Staatsangehöriger Afghanistans und stellte am 24. Oktober 2011 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2 Das (damals zuständige) Bundesasylamt wies diesen Antrag mit Bescheid vom 24. August 2012 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ab, erkannte dem Revisionswerber gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr.
3 Die befristete Aufenthaltsberechtigung wurde in der Folge mehrfach, zuletzt mit der Gültigkeit bis zum 23. August 2016, verlängert.
4 Mit Antrag vom 23. Juni 2016 begehrte der Revisionswerber die Verlängerung seiner befristeten Aufenthaltsberechtigung. 5 Mit Bescheid des (nunmehr zuständigen) Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 19. September 2016 wurde dem Revisionswerber der mit Bescheid des Bundesasylamts vom 24. August 2012 zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.) und ihm die erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 entzogen (Spruchpunkt II.). Das BFA erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigenden Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise legte das BFA mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkt IV.). 6 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für zulässig. 7 Begründend führte das BVwG - soweit hier maßgeblich - aus, die Sicherheitslage alleine sei bereits zum Zeitpunkt der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten im Hinblick auf Art. 2 EMRK ausreichend sicher gewesen und hätte eine Rückkehr nicht ausgeschlossen. Die Gewährung des subsidiären Schutzes erfolgte lediglich aufgrund der Kombination der Sicherheitslage und der persönlichen Situation des Revisionswerbers, der damals über keine Schul- oder Berufsbildung sowie über kein Vermögen verfügte und im Falle der Rückkehr mit keiner Unterstützung durch Familienangehörige rechnen konnte. Diese Umstände hätten sich nunmehr wesentlich geändert. Gegenwertig verfüge der Revisionswerber über eine mehrjährige Berufserfahrung und sei selbsterhaltungsfähig. Dabei handle es sich nicht bloß um eine vorübergehende Änderung. Die Herkunftsprovinz des Revisionswerbers, Daikundi, sei ausreichend sicher sowie sicher erreichbar. Darüber hinaus würde dem Revisionswerber eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif offen stehen. Der subsidiäre Schutz sei deshalb abzuerkennen gewesen.
8 Die Zulässigkeit der Revision begründete das BVwG mit fehlender Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur präjudiziellen (Vor)Frage, wie wesentlich die Änderungen der Umstände sein müssen und, ob eine Änderung wie im vorliegenden Fall ausreichend sei, um zur Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten zu führen.
9 Dagegen erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser lehnte die Behandlung der Beschwerde mit Beschluss vom 12. März 2019, E 4796/2018-7, ab. 10 Gegen das Erkenntnis des BVwG wendet sich die vorliegende Revision, welche zur Begründung ihrer Zulässigkeit zusammengefasst ausführt, es fehle Rechtsprechung zur Frage, wie wesentlich die Änderung der Umstände, die zur Gewährung des Status des subsidiär Schutzberechtigten geführt hätten, sein müsste, um diesen Status aberkennen zu können. Zudem stelle sich die Frage, ob sich die Aberkennung von subsidiärem Schutz auf die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative stützen dürfe, obwohl eine solche bei der Zuerkennung durch die zuständige Behörde nicht geprüft worden sei und diesbezügliche Feststellungen im Zuerkennungsbescheid nicht vorhanden seien. Darüber hinaus habe das BVwG - mit näher dargestellten Argumenten - seine Begründungspflicht verletzt und eine unvertretbare Beweiswürdigung vorgenommen.
11 Das BFA erstattete keine Revisionsbeantwortung.
12 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
13 Die Revision ist zulässig, sie ist auch begründet.
14 Gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuerkennen, wenn die Voraussetzungen für die Zuerkennung dieses Schutzstatus (§ 8 Abs. 1 leg. cit.) nicht oder nicht mehr vorliegen.
15 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfasst der erste Fall des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 die Konstellation, in der der Fremde schon im Zeitpunkt der Zuerkennung von subsidiärem Schutz die dafür notwendigen Voraussetzungen nicht erfüllt hat. § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall Asyl 2005 betrifft hingegen jene Konstellationen, in denen die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nachträglich weggefallen sind (vgl. VwGH 27.5.2019, Ra 2019/14/0153, Rn. 77; 14.8.2019, Ra 2016/20/0038, Rn. 32; 17.10.2019, Ro 2019/18/0005, Rn. 17; 17.12.2019, Ra 2019/18/0381).
16 Der Verwaltungsgerichtshof hat sich im Erkenntnis vom 27. Mai 2019, Ra 2019/14/0153, mit der Frage auseinandergesetzt, welche Kriterien für die Beurteilung der Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 maßgeblich sind. Zur Begründung wird daher gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf dieses Erkenntnis verwiesen.
17 Zusammengefasst sprach der Verwaltungsgerichtshof aus, dass sich als maßgeblich erweist, dass gerade in Bezug auf die Frage, ob sich die Umstände so wesentlich und nicht nur vorübergehend verändert haben, dass Anspruch auf subsidiären Schutz nicht länger besteht, es regelmäßig nicht allein auf den Eintritt eines einzelnen Ereignisses ankommt. Der Wegfall der Notwendigkeit, auf den Schutz eines anderen Staates angewiesen zu sein, kann sich durchaus auch als Ergebnis unterschiedlicher Entwicklungen von Ereignissen, die sowohl in der Person des Fremden als auch in der in seinem Heimatland gegebenen Situation gelegen sind, darstellen (vgl. VwGH 27.5.2019, Ra 2019/14/0153, Rn. 101). Bei einer Beurteilung nach § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 sind nicht isoliert nur jene Sachverhaltsänderungen zu berücksichtigen, die zeitlich nach der zuletzt erfolgten Bewilligung der Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung eingetreten sind, sondern es dürfen im Rahmen der bei der Beurteilung vorzunehmenden umfassenden Betrachtung bei Hinzutreten neuer Umstände alle für die Entscheidung maßgeblichen Elemente einbezogen werden, selbst wenn sie sich vor der Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung ereignet haben (vgl. VwGH 27.5.2019, Ra 2019/14/0153, Rn. 102).
18 Soweit die Revision im gegenständlichen Fall die Frage aufwirft, ob es im Falle der Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten zulässig sei, eine innerstaatliche Fluchtalternative anzunehmen, obwohl bei der Zuerkennung des Schutzstatus eine solche ausgeschlossen wurde, ist darauf hinzuweisen, dass mit § 8 Abs. 3 AsylG 2005 ("Anträge ... sind ... abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht") unmissverständlich zum Ausdruck gebracht wird, dass in jenem Fall, in dem Fremden eine innerstaatliche Schutzalternative zur Verfügung steht, die in § 8 Abs. 1 AsylG 2005 genannten Voraussetzungen für die Zuerkennung von subsidiärem Schutz nicht gegeben sind. Demnach kann das Bestehen einer innerstaatlichen Fluchtalternative im Aberkennungsverfahren angenommen werden (vgl. VwGH 27.5.2019, Ra 2019/14/0153, Rn. 110).
19 Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Begründungspflicht der Erkenntnisse der Verwaltungsgerichte gemäß § 29 VwGVG bereits wiederholt ausgesprochen, dass die Begründung jenen Anforderungen zu entsprechen hat, die in seiner Rechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfordert dies in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalts, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche die Behörde im Falle des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheides geführt haben. Diesen Erfordernissen werden die Verwaltungsgerichte dann gerecht, wenn sich die ihre Entscheidungen tragenden Überlegungen zum maßgeblichen Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen selbst ergeben (vgl. VwGH 6.9.2018, Ra 2018/18/0094, mwN).
20 Diesen Anforderungen wird das gegenständlich angefochtene Erkenntnis nicht gerecht.
21 Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgesprochen hat, ist es im Fall des § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 grundsätzlich Aufgabe der Behörde und des Verwaltungsgerichts, offen zu legen, weshalb sie davon ausgehen, dass die Voraussetzungen für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht mehr vorliegen (vgl. näher dazu VwGH 27.5.2019, Ra 2019/14/0153, Rz 82 ff).
22 Betreffend die Sicherheitslage ist das BVwG bereits selbst davon ausgegangen, dass es zu keiner wesentlichen Veränderung gekommen ist.
23 Darüber hinaus vermag das BVwG nicht aufzuzeigen, dass sich im Fall des Revisionswerbers seine persönlichen Umstände im Vergleich zum Zuerkennungszeitpunkt maßgeblich wesentlich und dauerhaft geändert haben. Denn laut dem nunmehr festgestellten Sachverhalt hat der Revisionswerber kein nennenswertes Vermögen, keine Berufsausbildung und bloß Berufserfahrung als Abwäscher in einem Gastronomiebetrieb. Wie ihm diese Berufserfahrung bei einer Rückkehr in sein Heimatdorf helfen könne, wird ebenfalls nicht aufgezeigt.
24 Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das BVwG bei Vermeidung der aufgezeigten Ermittlungs- und Begründungsmängel zu einem anderen Verfahrensergebnis gelangen hätte können, war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
25 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 29. Jänner 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RO2019180002.J00Im RIS seit
27.02.2020Zuletzt aktualisiert am
27.02.2020