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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
AVG §37Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, in der Revisionssache des Landeshauptmanns von Wien (als belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht) gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 6. April 2017, VGW- 151/011/2362/2017-4, betreffend Aufenthaltstitel (mitbeteiligte Partei: S B in W, vertreten durch die Lansky, Ganzger & Partner Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Biberstraße 5), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Der Bund hat der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet wird.
Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
Gemäß § 34 Abs. 1a VwGG ist die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
2.1. Mit Bescheid vom 10. Jänner 2017 wies die revisionswerbende belangte Behörde den Antrag der Mitbeteiligten, einer iranischen Staatsangehörigen, vom 27. September 2016 auf Verlängerung ihrer - erstmals ab dem 4. Oktober 2012 erteilten und zuletzt bis zum 7. Oktober 2016 verlängerten - Aufenthaltsbewilligung "Studierende" gemäß § 64 Abs. 1 und 3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG, in der fallbezogen maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 70/2015) ab. Die Mitbeteiligte erfülle - so die wesentliche Begründung - nicht die besonderen Erteilungsvoraussetzungen, weil sie im Rahmen ihres nach Absolvierung des Vorstudienlehrgangs seit dem Sommersemester 2015 betriebenen ordentlichen Studiums noch keine Prüfung positiv abgelegt habe. Die behaupteten familiären und gesundheitlichen Probleme stellten fallbezogen keine beachtlichen Hinderungsgründe dar.
2.2. Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde der Mitbeteiligten Folge und erteilte den beantragten Aufenthaltstitel für die Dauer von zwölf Monaten. Es führte dazu im Wesentlichen aus, auf Grund der zuletzt vorgelegten Urkunden seien die besonderen Erteilungsvoraussetzungen als erfüllt anzusehen, insbesondere habe die Mitbeteiligte Lehrveranstaltungszeugnisse vom März 2017 vorgelegt, aus denen sich die Erlangung von sechs ECTS-Punkten ergebe. Soweit die nach § 8 Z 7 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz-Durchführungsverordnung (NAG-DV, in der fallbezogen maßgeblichen Fassung BGBl. II Nr. 481/2013) in Verbindung mit § 75 Abs. 6 Universitätsgesetz (UG, in der fallbezogen maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 131/2015) erforderliche Punktezahl nicht erreicht worden sei, sei dies auf das Vorliegen von Hinderungsgründen (Ableben des Bruders der Mitbeteiligten im Oktober 2015, Erkrankung und Tod des Vaters im Juli 2016, wegen der Todesfälle eingetretene Depressionen, oftmalige Reisen in den Iran) zurückzuführen. In Anbetracht der jüngst erbrachten Erfolgsnachweise sei jedoch eine günstige Zukunftsprognose anzustellen, von einem fehlenden Willen, das Studium ordnungsgemäß zu betreiben, könne nicht ausgegangen werden. Folglich seien die Voraussetzungen für die beantragte Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung erfüllt.
2.3. Das Verwaltungsgericht sprach ferner aus, dass die Revision nicht zulässig sei.
3.1. Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die außerordentliche Revision, deren Zulässigkeit damit begründet wird, das Verwaltungsgericht sei in den nachfolgend näher erörterten Punkten von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abgewichen.
3.2. Die Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag auf Zurück- bzw. Abweisung der Revision.
4.1. Die belangte Behörde macht geltend, bei einem Verlängerungsantrag sei ein Nachweis über den Studienerfolg im vorangegangenen (vor dem Gültigkeitsende des Aufenthaltstitels liegenden) Studienjahr zu erbringen, außer es sei auf Grund der Verfahrensdauer bereits ein weiteres Jahr verstrichen. Vorliegend sei kein weiteres Studienjahr verstrichen, sodass auf das Studienjahr 2015/2016 abzustellen sei, in dem die Mitbeteiligte keinen Studienerfolg erzielt habe, auf die im laufenden Studienjahr absolvierten Prüfungen komme es nicht an.
4.2. Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung erkennt, kommt es für den im Sinn des § 64 Abs. 3 NAG (in der oben genannten Fassung) nachzuweisenden Studienerfolg ausschließlich auf jene Prüfungen an, die im dem Gültigkeitsende des bestehenden Aufenthaltstitels vorangegangenen Studienjahr absolviert wurden. Bei Verstreichen eines weiteren Studienjahrs auf Grund der Verfahrensdauer kann auch auf das zuletzt abgelaufene Studienjahr abgestellt werden (vgl. eingehend VwGH 7.5.2018, Ra 2018/22/0040; 23.5.2018, Ra 2017/22/0109; 13.6.2019, Ra 2018/22/0293).
4.3. Vorliegend verfügte die Mitbeteiligte über eine bis zum 7. Oktober 2016 verlängerte Aufenthaltsbewilligung, sodass mit dem Verlängerungsantrag - zumal bis zur Entscheidung des Verwaltungsgerichts kein weiteres Studienjahr verstrichen ist - der Studienerfolg im vorangegangenen Studienjahr 2015/2016 nachzuweisen war. Im Sinn der obigen Ausführungen war daher auf jene Leistungen abzustellen, die in dem betreffenden Zeitraum (vom 1. Oktober 2015 bis zum 30. September 2016) erbracht wurden; indessen war das Studienjahr 2016/2017 im Zeitpunkt der Fällung des angefochtenen Erkenntnisses noch nicht abgelaufen und daher für die Beurteilung des Studienerfolgs nicht maßgeblich.
4.4. Zwar wich - nach dem Vorgesagten - das Verwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ab, indem es auf den Studienerfolg im laufenden Studienjahr 2016/2017 abstellte, obwohl es darauf richtiger Weise nicht ankam. Die irrige Rechtsansicht ist jedoch - wie im Folgenden zu zeigen sein wird (Punkt 5.) - im Ergebnis unschädlich. Die Mitbeteiligte kann sich nämlich auf das Vorliegen von Hinderungsgründen im Sinn des § 64 Abs. 3 NAG (in der oben genannten Fassung) berufen.
5.1. Die belangte Behörde macht geltend, das Verwaltungsgericht gehe zu Unrecht vom Vorliegen beachtlicher Hinderungsgründe aus, fielen doch psychische Belastungen auf Grund des Todes von Familienmitgliedern nicht unter den Tatbestand des § 64 Abs. 3 dritter Satz NAG (in der oben genannten Fassung). Auch sei zu hinterfragen bzw. fehlten Feststellungen, ob die Todesfälle für den mangelnden Studienerfolg ursächlich gewesen seien, was nach dem Studienverlauf (die Mitbeteiligte habe zuletzt zwei Jahre lang keine Prüfungen abgelegt) zu bezweifeln sei. Ferner könne auch von einer vorübergehenden Verhinderung nicht mehr die Rede sein.
5.2. Gemäß § 64 Abs. 3 dritter Satz NAG (in der oben genannten Fassung) kann eine Aufenthaltsbewilligung "Studierende" trotz Fehlen eines Studienerfolgsnachweises verlängert werden, wenn Gründe vorliegen, die der Einflusssphäre des Drittstaatsangehörigen entzogen, unabwendbar oder unvorhersehbar sind. Das Bestehen solcher Gründe hat der Studierende konkret zu behaupten und ausreichend darzulegen (vgl. VwGH 21.1.2019, Ra 2019/22/0005; 25.4.2019, Ra 2019/22/0075).
Der Verwaltungsgerichtshof hat zwar - wie die belangte Behörde richtig hervorhebt - schon wiederholt ausgesprochen, dass "psychische Belastungen" infolge der Erkrankung oder des Todes eines Familienmitglieds nicht unter den Tatbestand des § 64 Abs. 3 letzter Satz NAG (in der oben genannten Fassung) fallen (vgl. etwa VwGH 9.11.2011, 2010/22/0138; 18.3.2010, 2009/22/0129). Allerdings betraf diese Rechtsprechung vorwiegend Fälle, in denen psychische Probleme eingewendet, deren Auftreten und Beschaffenheit jedoch nicht hinreichend konkret und substanziiert behauptet und auch nicht entsprechend (etwa durch Vorlage ärztlicher Bestätigungen) bescheinigt wurden (vgl. dazu etwa VwGH 19.12.2012, 2012/22/0196; 24.4.2012, 2009/22/0236; 13.12.2011, 2011/22/0274; 6.7.2010, 2010/22/0090). Die betreffende Rechtsprechung steht indessen einer Anerkennung entsprechend nachgewiesener "psychischer Erkrankungen" als beachtliche Hinderungsgründe - sofern sie im Sinn der vorangehenden Ausführungen entsprechend vorgebracht und plausibel dargetan wurden - nicht entgegen.
Ferner hat der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt festgehalten, dass von einem beachtlichen Hinderungsgrund im Sinn des Vorgesagten nur dann die Rede sein kann, wenn dieser nicht dauerhaft ist, wovon aber bei länger dauernden - im Allgemeinen die Dauer eines Jahres überschreitenden - Erkrankungen auszugehen ist (vgl. in dem Zusammenhang etwa VwGH 31.7.2019, Ra 2019/22/0145; 29.7.2019, Ra 2017/22/0087; 22.3.2018, Ra 2017/22/0070).
5.3. Vorliegend machte die Mitbeteiligte als Hinderungsgrund geltend, dass sie auf Grund des plötzlichen Todes ihres Bruders im Oktober 2015 sowie der Krankheit und letztlich des Todes ihres Vaters im Juli 2016 an einer depressiven Erkrankung gelitten habe und aus dem Grund an der Erbringung des erforderlichen Studienerfolgs gehindert gewesen sei. Sie legte dazu auch eine ärztliche Bestätigung vor, der zufolge sie auf Grund ihrer depressiven Erkrankung infolge der beiden angeführten Todesfälle "die erforderlichen Studienprüfungen der Semester Winter 2015/2016 und Sommer 2016 nicht absolvieren" konnte.
Im Hinblick darauf ist jedoch das Verwaltungsgericht nicht unvertretbar zum Ergebnis gelangt, dass das Auftreten einer (ernsthaften) psychischen Erkrankung konkret und substanziiert behauptet und auch entsprechend - durch eine unbedenkliche ärztliche Bestätigung - bescheinigt wurde. Aus der ärztlichen Bestätigung ergibt sich auch die Kausalität der Todesfälle für den fehlenden Studienerfolg. Ein diesbezüglicher dem Verwaltungsgericht unterlaufener Feststellungsmangel ist mit Blick auf die vom Verwaltungsgericht zu der ärztlichen Bestätigung getroffenen Feststellungen ebenso nicht zu sehen.
Das Verwaltungsgericht ist ferner nicht unvertretbar davon ausgegangen, dass es sich bei der betreffenden Erkrankung um kein dauerhaftes Hindernis gehandelt hat, ist doch aus der ärztlichen Bestätigung abzuleiten, dass die Erkrankung auf das - für den Erfolgsnachweis maßgebliche - Studienjahr 2015/2016 beschränkt war. Für eine solche Begrenzung spricht auch der Umstand, dass die Mitbeteiligte bereits im März 2017 wieder Studienerfolge erzielte, die sich großteils auf Lehrveranstaltungen im vorangegangenen Wintersemester bezogen, sodass sie damals offenbar das Studium wieder ungehindert betreiben konnte.
5.4. Aus den dargelegten Erwägungen kam somit das Verwaltungsgericht ohne Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs auf fallbezogen jedenfalls nicht unvertretbare Weise zum Ergebnis, dass sich die Mitbeteiligte auf das Vorliegen eines beachtlichen Hinderungsgrunds im Sinn des § 64 Abs. 3 dritter Satz NAG (in der oben genannten Fassung) berufen konnte, weshalb ihr trotz Fehlen eines entsprechenden Erfolgsnachweises die Aufenthaltsbewilligung "Studierende" verlängert werden konnte.
6. Insgesamt werden daher in der Revision keine Rechtsfragen aufgezeigt, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war deshalb zurückzuweisen.
7. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 31. Jänner 2020
Schlagworte
Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung BeweislastEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2017220108.L00Im RIS seit
27.02.2020Zuletzt aktualisiert am
27.02.2020