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10/07 VerwaltungsgerichtshofNorm
AVG §56Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):Ra 2019/02/0149Serie (erledigt im gleichen Sinn):Ra 2019/02/0197 E 12.02.2020Ro 2019/02/0013 E 12.02.2020Ro 2019/02/0015 E 12.02.2020Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler sowie Hofrat Mag. Dr. Köller und die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, über die Revision 1. der P und
2. der A GmbH, beide in G, beide vertreten durch die SHMP Schwartz Huber-Medek Pallitsch Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Hohenstaufengasse 7, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 22. Mai 2019, Zlen. VGW-002/022/5043/2019/E-2 und VGW- 002/022/5044/2019/E, betreffend Übertretung des Wiener Wettengesetzes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Magistrat der Stadt Wien), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Das Land Wien hat den revisionswerbenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Straferkenntnis vom 18. Juni 2018 wurde die Erstrevisionswerberin als verantwortliche Beauftragte der zweitrevisionswerbenden Partei schuldig erachtet, es zu verantworten, dass die zweitrevisionswerbende Partei in einer näher genannten Betriebsstätte, in der diese Gesellschaft die Tätigkeit als Wettunternehmerin, nämlich Buchmacherin, ausübe, am 28. Februar 2018 um 13.07 Uhr insofern gegen § 25 Abs. 1 Z 5 Wiener Wettengesetz, wonach die Ausübung der Tätigkeit als Wettunternehmerin oder Wettunternehmer während eines laufenden Ereignisses (Livewetten), ausgenommen Livewetten auf Teilergebnisse oder das Endergebnis, verboten sei, verstoßen habe, als diese laut Wettticket vom 28. Februar 2018 die Wette "Wer gewinnt das 4. Game im 1. Satz Bopanna/Rober-Vasselin" zugelassen habe. Sie habe dadurch § 25 Abs. 1 Z 5 Wiener Wettengesetz übertreten, weshalb über sie eine Geldstrafe von EUR 4.400,-
verhängt wurde. Die zweitrevisionswerbende Partei wurde zur Haftung für die Geldstrafe samt Kosten gemäß § 9 Abs. 7 VStG verpflichtet.
2 Die belangte Behörde begründete dies damit, dass kürzere Spieleinheiten, wie z.B. Games im Tennis nicht als Teilergebnis im Sinne des § 25 Abs. 1 Z 5 Wiener Wettengesetz zu verstehen seien. Das Wetten auf Games im Tennis sei daher eine verbotene Livewette. 3 Mit Erkenntnis vom 22. November 2018 gab das Verwaltungsgericht Wien der Beschwerde der revisionswerbenden Parteien - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - Folge, hob das Straferkenntnis auf und stellte das Verfahren ein. Das Verwaltungsgericht begründete die Entscheidung unter anderem damit, dass es sich bei der Wette auf ein Game im Tennis um eine Wette auf ein Teilergebnis im Sinne von § 25 Abs. 1 Z 5 Wiener Wettengesetz handle, weshalb die der Erstmitbeteiligten zur Last gelegte Tat keine Verwaltungsübertretung darstelle. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichthof erklärte es für unzulässig.
4 Gegen dieses Erkenntnis erhob die belangte Behörde eine Amtsrevision.
5 Mit Erkenntnis vom 29. März 2019, Ra 2019/02/0013, hob der Verwaltungsgerichtshof dieses Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes auf. Er führte - mit Verweis auf seinen Beschluss vom 29. März 2019, Ra 2019/02/0025 - aus, dass eine Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens nicht in Frage komme, weil das Ergebnis eines Games im Tennis kein Teilergebnis iSd § 25 Abs. 1 Z 5 (nunmehr Z 4) Wiener Wettengesetz darstelle und somit als verbotene Livewette zu qualifizieren sei.
6 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht Wien - ohne eine weitere mündliche Verhandlung durchzuführen - die Beschwerde als unbegründet ab, bestätigte das zuvor aufgehobene Straferkenntnis und stellte die verletzte Rechtsvorschrift und die Strafsanktionsnorm klar.
7 In den Erwägungen führte das Verwaltungsgericht aus, die Erstrevisionswerberin habe als verantwortliche Beauftragte der zweitrevisionswerbenden Partei zu verantworten, dass diese eine Wette während eines laufenden Ereignisses ermöglicht habe, ohne dass es sich um eine Wette auf ein Teil- oder Endergebnis gehandelt habe. Damit habe die Erstrevisionswerberin das Tatbild des § 24 Abs. 1 Z 16 iVm § 25 Abs. 1 Z 4 Wiener Wettengesetz, LGBl. 26/2016 idF LGBl. 48/2016, verwirklicht. Die Tatbegehung sei der Erstrevisionswerberin auch subjektiv vorwerfbar. Die restriktive Haltung des Wiener Wettengesetzes gegenüber Livewetten und ihre eingeschränkte Zulässigkeit seien anhand der Rechtslage im Tatzeitpunkt erkennbar gewesen und hätten der Erstrevisionswerberin bewusst sein müssen. Die Strafbestimmung richte sich ausdrücklich an die Wettunternehmerinnen und Wettunternehmer, also einen sachkundigen Adressatenkreis. Nach den, in den Materialien offengelegten Motiven des Gesetzgebers, diene diese Regelung dem Spielerschutz und der Spielsuchtprävention. Eine vorangehende Abklärung des zulässigen Umfanges von Livewetten wäre daher geboten gewesen. Die Erstrevisionswerberin habe diese Abklärung in den erforderlichen Punkten eigenständig nicht hinreichend erfüllt. Der Erstrevisionswerberin sei bei diesem Vorgehen keine leichte Fahrlässigkeit sondern gröberes Verschulden zur Last zu legen. Daher könne auch der eingewendete Rechtsirrtum weder als unverschuldet noch als geringes Versehen angesehen werden. Vielmehr sei erkennbar gewesen, dass die zweitrevisionswerbende Partei den gesetzlichen Spielraum ohne Beachtung der anzuwendenden Sorgfalt weitestgehend auszureizen versucht habe. Aufgrund des höheren Verschuldensgrades erscheine die verhängte Strafe im Ausmaß von 20 % der Höchststrafe auch unter Berücksichtigung des angeführten Milderungsgrundes als tat- und schuldangemessen. 8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
9 Die belangte Behörde erstattete keine Revisionsbeantwortung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
10 Die revisionswerbenden Parteien erachten die gegenständliche außerordentliche Revision im Wesentlichen für zulässig, weil im zweiten Rechtsgang keine mündliche Verhandlung durchgeführt worden sei. Die Voraussetzungen für ein Unterbleiben der mündlichen Verhandlung gemäß § 44 Abs. 2 bis Abs. 5 VwGVG seien nicht erfüllt gewesen. In der Beschwerde hätten die revisionswerbenden Parteien nicht nur eine unrichtige rechtliche Beurteilung behauptet, sondern auch das Verschulden bestritten. Hätte das Verwaltungsgericht das Recht auf Parteiengehör gewahrt, hätten die revisionswerbenden Parteien im Rahmen einer Stellungnahme darlegen können, dass sie kein Verschulden treffe bzw. sie einem entschuldbaren Rechtsirrtum unterlegen seien. Weiters hätte das Verwaltungsgericht Wien ein Absehen von der mündlichen Verhandlung begründen müssen.
11 Die Revision erweist sich aus diesem Grund als zulässig und begründet.
12 Gemäß § 44 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht in Verwaltungsstrafsachen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. In den Abs. 2 bis 5 leg. cit. finden sich zulässige Ausnahmen von der Verhandlungspflicht. Ein Absehen von der Verhandlung ist vom Verwaltungsgericht nach dieser Bestimmung zu beurteilen und zu begründen (vgl. VwGH 26.4.2019, Ra 2018/02/0260, 0261).
13 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gilt der Grundsatz der mündlichen Verhandlung in Verwaltungsstrafsachen auch nach Aufhebung von Erkenntnissen des Verwaltungsgerichtes im zweiten Rechtsgang, selbst wenn im ersten Rechtsgang eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, sodass das Verwaltungsgericht auch im zweiten Rechtsgang nur von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung absehen kann, wenn die Voraussetzungen des § 44 VwGVG vorliegen. Das ist insbesondere dann nicht der Fall, wenn das Verwaltungsgericht im zweiten Rechtsgang Sachverhaltselemente wie das Verschulden klären muss (vgl. VwGH 10.12.2014, Ra 2014/09/0013).
14 Eine Begründung für das Absehen von einer Verhandlung findet sich im angefochtenen Erkenntnis nicht. Da das Verwaltungsgericht mit Erkenntnis entschieden hat bzw. kein Antrag der Parteien vorliegt, kommt daher auch ein Absehen nach § 44 Abs. 2 und Abs. 4 VwGVG nicht in Betracht. Ein ausdrücklicher Verzicht auf die Durchführung einer Verhandlung im Sinn des § 44 Abs. 5 VwGVG wurde nicht festgestellt. Auch der - vom Verwaltungsgericht Wien vermutlich herangezogene - Tatbestand des § 44 Abs. 3 Z 1 VwGVG liegt nicht vor, weil das Verwaltungsgericht im zweiten Rechtsgang das Verschulden betreffende Sachverhaltselemente klären musste. Weitere Tatbestände der Bestimmung § 44 Abs. 3 VwGVG kommen fallbezogen nicht in Betracht. 15 Weil im zweiten Rechtsgang - das auch konkrete Feststellungen auf Sachverhaltsebene erfordernde - Verschulden der Erstrevisionswerberin an der ihr angelasteten Verwaltungsübertretung noch zu klären war, wäre das Verwaltungsgericht gemäß § 44 Abs. 1 VwGVG verpflichtet gewesen eine mündliche Verhandlung durchzuführen.
16 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben. 17 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. 18 Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 und 5 VwGG abgesehen werden.
Wien, am 12. Februar 2020
Schlagworte
AllgemeinErmittlungsverfahren AllgemeinMaßgebende Rechtslage maßgebender SachverhaltVerfahrensbestimmungen AllgemeinEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019020148.L00Im RIS seit
10.03.2020Zuletzt aktualisiert am
10.03.2020