Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R*****G.m.b.H., *****, vertreten durch Buchberger Ettmayer Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. A***** AG, *****, Deutschland, 2. P***** Ltd, *****, Großbritannien, 3. W***** Aktiengesellschaft, *****, Deutschland, 4. M***** Ltd, *****, Zypern, 5. *****, Monaco, wegen 174.825,11 EUR sA, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 23. Juli 2019, GZ 1 R 99/19i-11, mit dem der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 13. Juni 2019, GZ 20 Cg 25/19h-3, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden ersatzlos behoben. Dem Erstgericht wird die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme vom Zurückweisungsgrund der fehlenden sachlichen Zuständigkeit hinsichtlich der Erstbeklagten, der Drittbeklagten und des Fünftbeklagten sowie der fehlenden internationalen Zuständigkeit hinsichtlich des Fünftbeklagten aufgetragen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Laut Bescheid der Übernahmekommission vom 22. 11. 2016, GZ 2016/1/2-317 (c*****), waren im Herbst 2015 die Zweit- und die Viertbeklagte Gesellschafterinnen der c***** SE (nunmehr: B***** GmbH; kurz: Gesellschaft), die Erstbeklagte war Alleingesellschafterin der Viertbeklagten und die Drittbeklagte deren Schwestergesellschaft. Diese Beklagten und der Fünftbeklagte als gemeinsam vorgehender Rechtsträger im Sinn des § 1 Z 6 ÜbG hatten ab 29. 9. 2015 eine kontrollierende Beteiligung an der Gesellschaft inne und wären daher nach Auffassung der Übernahmekommission gemäß §§ 22 ff ÜbG verpflichtet gewesen, ein Pflichtangebot zum Erwerb von Aktien gegen Barzahlung zu einem Preis von mindestens 16,6577 EUR pro Aktie zu stellen.
Die Klägerin ist eine konzessionierte Verwaltungsgesellschaft für Investmentfonds, die nach ihren eigenen Behauptungen auch Aktien der Gesellschaft hielt. Sie habe im Zeitraum 3. 11. 2015 bis 28. 1. 2016 insgesamt 42.346 Aktien der Gesellschaft an Dritte zu einem Preis unter 16,6577 EUR pro Aktie verkauft, welche sie – hätte sie von der Verpflichtung der Beklagten zur Stellung eines Pflichtangebots Kenntnis gehabt – an die das Pflichtangebot stellende Bieterin zum genannten Preis verkauft und damit einen Mehrerlös in Höhe des Klagsbetrags erzielt hätte.
Diesen Mehrerlös macht die Klägerin gegenüber den solidarisch haftenden Beklagten aus dem Titel des Schadenersatzes geltend. Zur sachlichen Zuständigkeit des angerufenen Erstgerichts berief sich die Klägerin – soweit dies für das Revisionsrekursverfahren noch von Bedeutung ist – auf § 51 Abs 1 Z 6 und § 93 JN. Internationale und örtliche Zuständigkeit richteten sich nach Art 7 Z 2 EuGVVO 2012, wären die Beklagten doch in Wien verpflichtet gewesen zu handeln, wo sich der Sitz der Gesellschaft und auch jener der Finanzmarktaufsicht, der Wiener Börse und der Übernahmekommission befinden.
Die Vorinstanzen wiesen – ohne dass Streitanhängigkeit begründet worden wäre – die Klage hinsichtlich Erstbeklagter, Drittbeklagter und Fünftbeklagtem mangels sachlicher und hinsichtlich des Fünftbeklagten zusätzlich mangels internationaler Zuständigkeit zurück. Das Rekursgericht sprach darüber hinaus aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig ist; es fehle Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage, ob § 51 Abs 1 Z 6 JN auch Streitigkeiten wegen einer Verletzung der §§ 22 ff ÜbG (auch) mit mittelbaren Gesellschaftern umfasst und ob bzw welche Auswirkungen die Qualifikation einer Personenmehrheit als gemeinsam vorgehender Rechtsträger im Sinn des § 1 Z 6 ÜbG durch die Übernahmekommission auf die internationale, örtliche und sachliche Zuständigkeit hat.
In der Sache selbst vertrat das Rekursgericht die Auffassung, dass – selbst wenn man eine Schadenersatzklage wegen einer Verletzung der §§ 22 ff ÜbG zu den Streitigkeiten aus dem Gesellschaftsverhältnis im Sinn des § 51 Abs 1 Z 6 JN zählen würde – die Beklagten unmittelbar als Gesellschafter an der Zielgesellschaft beteiligt sein müssten, was hier nur bei der Zweit- und der Viertbeklagten der Fall sei. Auch wenn die Pflicht zur Stellung eines Pflichtangebots für alle gemeinsam vorgehenden Rechtsträger gilt, deren Beteiligungen nach § 23 Abs 1 ÜbG wechselseitig zuzurechnen sind, könnten eine daraus folgende Solidarhaftung und damit materielle Streitgenossenschaft im Sinn des § 11 Z 1 ZPO hier mangels Anwendbarkeit des Wahlgerichtsstands der Schadenszufügung nach § 92a JN nur den (subsidiären) Gerichtsstand nach § 93 JN begründen, der aber wiederum voraussetzt, dass einer der Streitgenossen seinen allgemeinen Gerichtsstand im Sprengel des angerufenen Gerichts hat, was hier nicht der Fall sei.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig; er ist auch berechtigt.
1. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sind Schadenersatzansprüche, die die Klägerin aus der Verletzung einer Verpflichtung ableitet, die nach den Vorschriften des Übernahmegesetzes besteht, also aufgrund einer gesetzlichen Verpflichtung. Diese gesetzliche Verpflichtung besteht aufgrund einer kontrollierenden Beteiligung nach dem Übernahmegesetz, ist also Ausfluss dieser qualifizierten Gesellschafterstellung und betrifft Pflichten, die grundsätzlich gegenüber anderen Gesellschaftern bestehen und eine Grundlage im Gesellschaftsverhältnis haben. Allerdings besteht die Verpflichtung ausnahmsweise nicht nur für Gesellschafter, sondern auch für „gemeinsam vorgehende Rechtsträger“ nach § 1 Z 6 ÜbG. Nach dem Bescheid der Übernahmekommission wären damit sämtliche in diesem Verfahren beklagten Parteien verpflichtet gewesen, ein Pflichtangebot nach § 22 Abs 1 ÜbG zu stellen; dieser Bescheid bindet auch das Zivilgericht (§ 33 Abs 1, § 29 Abs 2 ÜbG; ErläutRV 1276 BlgNR 20. GP 50).
Die gemeinsam vorgehenden Rechtsträger haften solidarisch für die Erbringung der Gegenleistung (Gall, Die Angebotspflicht nach dem Übernahmegesetz [2003] 80; Diregger/Kalss/Winner, Übernahmerecht² [2006] Rz 50; Obradovi?, Zurechnung von Referenztransaktionen und Kettenzurechnung im Übernahmerecht, GesRZ 2017, 234 [238] mit Verweis auf die Stellungnahmen der ÜbK vom 9. 4. 1999, 1999/2/1-8, vom 15. 11. 2000, 2000/3/3-65 [Getränke Holding AG] und vom 27. 11. 2014, 2014/1/10-28 [Erste Group Bank AG]).
2. Nach § 51 Abs 1 Z 6 JN gehören vor die selbstständigen Handelsgerichte, falls der Streitgegenstand an Geld oder Geldeswert 15.000 EUR übersteigt, unter anderem Streitigkeiten aus dem Rechtsverhältnis zwischen den Mitgliedern einer Handelsgesellschaft sowohl während des Bestandes als auch nach der Auflösung des gesellschaftlichen Verhältnisses, sofern es sich nicht um eine Arbeitsrechtssache handelt. Diese Streitigkeiten können nach § 92b JN bei dem Gericht des Ortes angebracht werden, in dem die Gesellschaft ihren Sitz hat, wobei es nach herrschender Auffassung Zweck dieser Bestimmung ist, gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten wegen des persönlichen und sachlichen Zusammenhangs bei einem Gericht zu konzentrieren (4 Ob 169/02k; Simotta in Fasching/Konecny I³ [2013] § 92b JN Rz 5 unter Hinweis auf JAB 1337 BlgNR 15. GP 4 [zur ZVN 1983]; P. Mayr in Rechberger/Klicka, ZPO5 [2019] § 92b JN Rz 1; Braun in Höllwerth/Ziehensack, ZPO-TaKomm [2019] § 92b JN Rz 1). Dieser Grundsatz der Verfahrenskonzentration bei einem Gericht gilt auch im Zusammenhang mit § 51 Abs 1 Z 6 JN (P. Mayr aaO § 51 JN Rz 9; Pesendorfer in Höllwerth/Ziehensack, ZPO-TaKomm § 51 JN Rz 18 – beide unter Hinweis auf JAB 1337 BlgNR 15. GP 4 [zur ZVN 1983]).
3. Dass die Gesellschaft als Europäische Gesellschaft (SE) und damit als Unternehmer kraft Rechtsform gemäß § 2 UGB unter den Begriff der „Handelsgesellschaften“ in § 51 Abs 1 Z 6 JN zu subsumieren ist, ist ebenso wenig zweifelhaft (vgl Pesendorfer aaO Rz 16) wie der Umstand, dass es sich bei den hier geltend gemachten Ansprüchen nach dem Übernahmegesetz um eine Streitigkeit zwischen den Mitgliedern einer Gesellschaft handelt, sind doch alle Streitigkeiten aus der vertraglichen oder gesetzlichen Regelung des Gesellschaftsverhältnisses erfasst (Simotta aaO § 51 JN Rz 96 ff; P. Mayr aaO § 51 JN Rz 9; Pesendorfer aaO Rz 17). Davon ist offensichtlich auch das Rekursgericht ausgegangen.
Im Hinblick darauf, dass der Grundsatz der Verfahrenskonzentration bei einem Gericht auch im Zusammenhang mit § 51 Abs 1 Z 6 JN gilt und diese Bestimmung selbst (gewisse) Streitigkeiten aus Rechtsverhältnissen der Gesellschafter zu Dritten erfasst, vermag sich der Fachsenat der Auffassung des Rekursgerichts, die nach dem Übernahmegesetz in Anspruch genommenen Beklagten müssten unmittelbar als Gesellschafter an der Zielgesellschaft beteiligt sein, allerdings nicht anzuschließen. Diese Auffassung würde nämlich dazu führen, dass zur Entscheidung über die geltend gemachten Ansprüche zwar das angerufene Handelsgericht Wien sachlich zuständig wäre, wenn die Beklagten unmittelbare Gesellschafter sind (hier: die Zweit- und die Viertbeklagte), jedoch das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien, soweit die Beklagten „lediglich“ aufgrund des Bescheids der Übernahmekommission als mittelbare Gesellschafter (hier: die Erst- und die Drittbeklagte) oder als gemeinsam vorgehende Rechtsträger nach § 1 Z 6 ÜbG (hier: der Fünftbeklagte) haften. Obwohl für alle eine idente Anspruchsgrundlage besteht, könnte dieses Aufsplitten der sachlichen Zuständigkeit potenziell zu divergierenden Entscheidungen führen und würde außerdem dem Grundsatz der Verfahrenskonzentration bei einem Gericht widersprechen.
Gegen die hier vertretene Auffassung spricht auch nicht die Entscheidung 6 Ob 202/11s, die eine (analoge) Anwendung des § 51 Abs 1 Z 6 JN auf eine Schadenersatzklage eines Dritten gegen den faktischen Geschäftsführer ablehnte. Zur Begründung wurde dort ausgeführt, eine andere Auslegung würde die Klärung der Zuständigkeit mit erheblichen Abgrenzungsschwierigkeiten belasten und wäre ein derartiges Verständnis der Rechtssicherheit nicht förderlich, soll doch die Zuständigkeit des Gerichts möglichst einfach und klar umrissen sein. Das Argument der mangelnden Rechtssicherheit, das sich auch das Rekursgericht zu eigen machte, trägt jedoch jedenfalls nicht, wenn, – wie hier – der Personenkreis durch den Bescheid der Übernahmekommission klar umrissen ist.
4. Damit besteht aber hinsichtlich sämtlicher Beklagter gemäß § 51 Abs 1 Z 6 JN die sachliche Zuständigkeit des angerufenen Handelsgerichts Wien, das im Hinblick auf § 92b JN auch örtlich zuständig ist, hat doch die Gesellschaft nach den Behauptungen der Klägerin ihren Sitz in Wien (vgl auch Firmenbuch zu FN *****).
Da die Rechtssache derzeit noch nicht streitanhängig ist, ist die internationale Zuständigkeit österreichischer Gerichte hinsichtlich der Erst- bis Viertbeklagten (noch) nicht überprüfbar (9 Ob 84/18w unter Hinweis auf Art 27 e contrario, Art 28 Abs 1 EuGVVO 2012 und Schoibl in Fasching/Konecny, V/1² [2008] Art 26 EuGVVO [aF] Rz 37 ff). Die Zuständigkeitsprüfung war damit auf die Frage der sachlichen Zuständigkeit des Erstgerichts beschränkt (9 Ob 84/18w). Hinsichtlich des Fünftbeklagten, der seinen allgemeinen Gerichtsstand gemäß § 66 JN in Monaco hat, folgt die internationale Zuständigkeit des Erstgerichts – jedenfalls derzeit – allerdings aus § 92b JN iVm § 27a Abs 1 JN, sodass auch insoweit die Klagszurückweisung verfehlt war.
5. Die Kostenentscheidung dieses unechten Zwischenstreits gründet sich auf § 52 ZPO (5 Ob 26/10f; 9 Ob 84/18w).
Textnummer
E127405European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2019:0060OB00175.19G.1127.000Im RIS seit
29.02.2020Zuletzt aktualisiert am
09.08.2021