Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat Dr.
Roch als Vorsitzenden sowie den Hofrat Priv.-Doz. Dr. Rassi, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun-Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Erwachsenenschutzsache des Betroffenen M*****, geboren am ***** 1972, *****, vertreten durch den Verein VertretungsNetz – Erwachsenenvertretung, Patientenanwaltschaft, Bewohnervertretung, Salzburg, Petersbrunnstraße 9 (Mag. C*****), dieser vertreten durch Dr. Stella Spitzer-Härting, Rechtsanwältin in Wien, über den Revisionsrekurs des Betroffenen gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Rekursgericht vom 24. Oktober 2019, GZ 21 R 250/19i-65, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Salzburg vom 2. August 2019, GZ 20 P 94/17f-60, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung:
Der Betroffene, ein anerkannter Flüchtling aus Syrien, leidet an Epilepsie und einer leichten Intelligenzminderung. Ein selbständiges Leben ohne Betreuungsmaßnahmen ist ihm nicht möglich. Mit Beschluss vom 2. März 2017 wurde für ihn ein Sachwalter (nunmehr: gerichtlicher Erwachsenenvertreter) für einzelne Angelegenheiten bestellt.
Der Betroffene spricht kaum Deutsch. Er hat in Österreich einen ihm von der Behörde vorgeschriebenen Alphabetisierungskurs ohne Erfolg besucht, weil er für ihn zu schwierig war. Es wird ihm aufgrund seiner intellektuellen Einschränkung voraussichtlich nie möglich sein, die deutsche Sprache zu erlernen.
Der Betroffene wurde anfangs von einem Bekannten unterstützt, der aus dem selben Dorf in Syrien stammt wie er. Dieser übersetzte für ihn, insbesondere auch bei den zuletzt im Abstand von zwei Monaten stattfindenden Kontakten mit dem Erwachsenenvertreter, und begleitete ihn auch zu Arztterminen. Für seine Dienste stellte der Bekannte des Betroffenen diesem monatlich 100 EUR in Rechnung. Am 6. Juni 2019 teilte der Bekannte des Betroffenen dem Erwachsenenvertreter jedoch mit, dass er sich nicht mehr um den Betroffenen kümmern könne und auch nicht mehr als Dolmetscher fungieren wolle. Ohne Beiziehung eines Dolmetschers ist die Kommunikation zwischen dem Erwachsenenvertreter und dem Betroffenen aber fast unmöglich.
Der Erwachsenenvertreter stellte daraufhin den Antrag, einen Dolmetscher für die kurdische Sprache für die Gespräche im Rahmen der Erwachsenenvertretung „beizuziehen“ und dessen Gebühren aus Amtsgeldern zu finanzieren.
Das Erstgericht wies diesen Antrag ab. Eine Übernahme der Kosten eines Dolmetschers durch das Gericht finde im Gesetz keine Deckung. Vielmehr normiere § 276 Abs 4 ABGB, dass dem Erwachsenenvertreter die zur zweckentsprechenden Ausübung der Erwachsenenvertretung notwendigen Barauslagen und tatsächlichen Aufwendungen zu erstatten seien, soweit sie nach gesetzlichen Vorschriften nicht unmittelbar von Dritten getragen würden. Dolmetscherkosten, die im Rahmen der Erwachsenenvertretung angefallen seien, könnten daher vom Erwachsenenvertreter nur im Rahmen seines Aufwandersatzes geltend gemacht werden.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Betroffenen nicht Folge. Der Betroffene leite aus § 4 AußStrG, § 82 Geo und § 73a ZPO sowie aus zwei Entscheidungen des Rekursgerichts die Notwendigkeit zur gerichtlichen Bestellung eines Dolmetschers und in weiterer Folge – weil die Voraussetzungen für die Bewilligung der Verfahrenshilfe vorlägen – die Tragung der (künftigen) Gebühren aus Amtsgeldern ab. Grundsätzlich seien Beschlüsse über die Bestellung von Dolmetschern oder Sachverständigen zwar verfahrensleitender Art und damit gemäß § 45 AußStrG nicht gesondert anfechtbar. Anderes gelte aber dann, wenn infolge Abschlusses der Hauptsache eine weitere anfechtbare Entscheidung nicht mehr ergehen könne. Ein bloß verfahrensleitender Beschluss liege auch dann nicht vor, wenn die Rechtsstellung der Parteien berührt sei. Das sei hier der Fall.
In einer früheren Entscheidung habe das Rekursgericht zwar die Auffassung vertreten, dass die Übernahme von Dolmetscherkosten gemäß § 73a ZPO nicht nur im Sachwalterbestellungsverfahren, sondern auch noch nach rechtskräftiger Bestellung eines Sachwalters (nunmehr gerichtlichen Erwachsenenvertreters) in Betracht komme. Diese Ansicht werde jedoch nicht mehr aufrecht erhalten. Sowohl der Gesetzestext als auch die Gesetzesmaterialien bezögen sich nämlich nur auf die Verfahrensführung. Die regelmäßigen Kontaktgespräche zwischen dem Betroffenen und dem Erwachsenenvertreter dienten aber nicht primär der (gerichtlichen) Rechtsverfolgung, sondern der Abklärung der persönlichen, gesundheitlichen und finanziellen Situation des Betroffenen, um dadurch möglichen Bedarf für erforderliche Vertretungshandlungen erkennen zu können. Zweck dieser Gespräche sei daher vorwiegend die Gewährleistung der Hilfestellung bei der Bewältigung des täglichen Lebens, wie beispielsweise der Vermögensverwaltung, dem Abschluss von Rechtsgeschäften und dergleichen. Auch eine gehörlose oder sprachbehinderte Person, für die kein Erwachsenenvertreter bestellt sei, werde sich im täglichen Leben der Hilfe eines Gebärdensprachdolmetschers bedienen müssen. Es handle sich deshalb nicht um eine Frage des (erschwerten) Zugangs zum Recht, sodass eine gerichtliche Bestellung eines Dolmetschers mangels ausreichenden Konnexes zu einem gerichtlichen Verfahren nicht geboten sei. Da der Betroffene gar nicht behaupte, selbst keinen geeigneten Dolmetscher zu finden, wirke sich die Entscheidung im Übrigen letztlich nur in der Kostenfrage aus, weil die Zahlung aus Amtsgeldern eine gerichtliche Bestellung voraussetze. Eines der erklärten Ziele, die der Gesetzgeber mit dem Zweiten Erwachsenenschutzgesetz verfolgt habe, sei aber die Entbindung der Vertreter und der Gerichte von Aufgaben gewesen, die in den Zuständigkeitsbereich der Träger der Sozial- und Behindertenhilfe fallen. Die Bedürftigkeit eines Betroffenen könne daher für sich allein kein Grund für eine gerichtliche Bestellung eines Dolmetschers sein. Es werde daher, soweit notwendig, Aufgabe des Erwachsenenvertreters sein, bei den zuständigen Stellen für entsprechende Unterstützung zu sorgen. Auf die Frage, ob § 73a ZPO überhaupt analog auf die Bestellung eines Dolmetschers für Lautsprachen anzuwenden sei, komme es deshalb gar nicht an.
Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob für die regelmäßigen Kontaktgespräche zwischen dem Betroffenen und dem Erwachsenenvertreter die gerichtliche Bestellung eines Dolmetschers erforderlich sei.
Der Revisionsrekurs des Betroffenen ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, aber nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
1. Vorauszuschicken ist, dass der Antrag, einen Dolmetscher „beizuziehen“ (und diesen aus Amtsgeldern zu finanzieren), im gegebenen Zusammenhang nur, wie es auch das Rekursgericht getan hat, so verstanden werden kann, dass die Bestellung eines Dolmetschers durch das Erstgericht und nicht bloß die Übernahme der auflaufenden Dolmetschgebühren begehrt wird. Es liegt nämlich auf der Hand, dass die faktische Beiziehung eines Dolmetschers durch den Erwachsenenvertreter keiner gerichtlichen Entscheidung bedürfte. Gegenteiliges wird auch im Revisionsrekurs nicht vorgebracht, sondern vielmehr die Abänderung der Beschlüsse der Vorinstanzen in Richtung „Beiziehung bzw Bestellung eines Dolmetschers“ beantragt. Wenngleich evident ist, dass es wirtschaftlich hier nur um die Frage der Kostentragung geht, steht § 62 Abs 2 Z 3 AußStrG der Zulässigkeit des Revisionsrekurses nicht entgegen, weil nach dem Inhalt des Antrags in erster Linie zu beurteilen ist, ob überhaupt ein Dolmetscher zu bestellen ist.
2. Aus § 82 Abs 1 Geo ist für den Betroffenen von vornherein nichts zu gewinnen, weil diese Bestimmung nur regelt, dass das Gericht für die Vernehmung einer Person, die der deutschen Sprache nicht mächtig ist, einen Dolmetscher beizuziehen hat. Diese Norm bezieht sich also gerade nicht auf den hier zu beurteilenden Fall außergerichtlicher Kontakte zwischen dem Betroffenen und seinem gesetzlichen Vertreter.
3. Aber auch § 73a ZPO (iVm § 4 Abs 3 AußStrG) scheidet als Anspruchsgrundlage aus:
3.1. Es kann hier offen bleiben, ob § 73a ZPO überhaupt analog auf eine Person anwendbar ist, die, ohne gleichzeitig gehörlos, hochgradig hör- oder sprachbehindert zu sein, aufgrund intellektueller Defizite, also unverschuldet, nicht in der Lage ist, die deutsche Sprache zu erlernen (vgl Anzenberger in Fasching/Konecny3 § 73a ZPO Rz 13 mwN), weil, wie im Folgenden zu zeigen sein wird, die Voraussetzungen dieser Bestimmung jedenfalls aus anderen Gründen nicht erfüllt sind.
3.2.1. Ist eine Partei gehörlos, hochgradig hörbehindert oder sprachbehindert, ist dem Verfahren gemäß § 73a Abs 1 ZPO ein Dolmetscher für die Gebärdensprache beizuziehen, sofern sich die Partei in dieser verständigen kann. Die Kosten des Dolmetschers trägt der Bund.
3.2.2. Der Anspruch nach § 73a Abs 1 ZPO besteht (nur) für die gesprochene Kommunikation der Partei sowohl mit dem Gericht als auch mit anderen Verfahrensbeteiligten während einer Tagsatzung, sowie für jede gesprochene Kommunikation der Partei mit dem Gericht außerhalb einer Tagsatzung, etwa für protokollarische Anbringen (Anzenberger in Fasching/Konecny3 § 73a ZPO Rz 18 f und Rz 21). Die genannte Bestimmung bezieht sich also ausschließlich auf die Kommunikation des Betroffenen mit dem Gericht, sei es in oder außerhalb einer Verhandlung (Tagsatzung), sodass ihre Anwendung auf die hier relevante Kommunikation des Betroffenen mit seinem gesetzlichen Vertreter keinesfalls in Betracht kommt.
3.3. § 73a Abs 2 ZPO sieht zwar grundsätzlich auch die Kostentragung des Bundes für Gebärdensprachdolmetscherkosten im Rahmen des notwendigen Kontakts der Partei mit ihrem Rechtsvertreter im Rahmen von Beratungsgesprächen vor (Anzenberger in Fasching/Konecny3 § 73a ZPO Rz 22). Allerdings sind nach dem klaren Gesetzeswortlaut die von der Partei aufgewendeten Dolmetscherkosten (im Rahmen der Bestimmungen des GebAG) zu vergüten. Daraus folgt, dass die vom Betroffenen angestrebte Bestellung eines Dolmetschers durch das Gericht für solche Kontakte jedenfalls ausscheidet, sondern die Partei selbst für einen Dolmetscher zu sorgen und dessen Gebühren vorerst selbst zu tragen hat.
4. Dass die für die außergerichtlichen Kontakte zwischen dem Betroffenen und dem Erwachsenenvertreter notwendige Beiziehung eines Dolmetschers nicht vom Bund vorfinanziert wird, ist von vornherein nicht geeignet, das durch Art 6 Abs 1 EMRK gewährleistete Recht auf ein faires Verfahren zu verletzen.
5. Die vom Betroffenen weiters ins Treffen geführte UN-Behindertenrechtskonvention ist nicht unmittelbar anwendbar, begründet keine subjektiven Rechte und kann daher auch nicht Maßstab für die Rechtmäßigkeit eines anderen Rechtsakts sein (
RS0131279 [T1]).
6. Für den Betroffenen ist auch aus dem im Revisionsrekurs angeführten Umstand nichts zu gewinnen, dass nach dem „Strategiekonzept Clearing“ im Bedarfsfall vom Gericht ein Dolmetscher zu bestellen ist, dessen Gebühren vom Gericht auszuzahlen sind. Das „Clearing“, also die Abklärung der Notwendigkeit der Einleitung eines Erwachsenenschutzverfahrens (§ 117a AußStrG) erfolgt nämlich im Auftrag des Gerichts durch einen Erwachsenenschutzverein, sodass die damit verbundenen Kosten – jedenfalls vorläufig (siehe § 124 AußStrG) – vom Bund zu tragen sind.
7. Da auch sonst keine gesetzliche Grundlage für die vom Betroffenen angestrebte Bestellung eines Dolmetschers für seine außergerichtlichen Kontakte mit dem Erwachsenenvertreter (und die Zahlung der dabei auflaufenden Gebühren aus Amtsgeldern) ersichtlich ist, haben die Vorinstanzen seinen Antrag zu Recht abgewiesen. Der Erwachsenenvertreter wird sich daher selbst um die Beiziehung einer geeigneten Person (allenfalls aus der kurdischen Gemeinde in Salzburg; siehe Verfahrensbericht ON 18) als Dolmetscher für die – zuletzt ohnehin nur alle zwei Monate stattfindenden – Gesprächstermine zu kümmern haben.
Textnummer
E127442European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2020:0030OB00242.19P.0122.000Im RIS seit
27.02.2020Zuletzt aktualisiert am
19.10.2020