Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R***** S*****, vertreten durch Doshi & Partner Rechtsanwälte OG in Feldkirch, gegen die beklagten Parteien 1. C***** GmbH *****, vertreten durch Wess Kux Kispert & Eckert Rechtsanwalts GmbH in Wien, und 2. O ***** GmbH *****, vertreten durch Lederer Hoff & Apfelbacher Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 11.388,49 EUR sA und Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 24. Juni 2019, GZ 5 R 60/19h-33, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 12. März 2019, GZ 51 Cg 62/17z-28, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die jeweils mit 1.175,22 EUR (darin 195,87 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Der Kläger erwarb über Vermittlung der Zweitbeklagten mit Beitrittserklärung vom (richtig) 24. 5. 2004 eine Kommanditbeteiligung an einem (in den Niederlanden investierten) Immobilienfonds im Nominale von 10.000 EUR. Die Beteiligungen wurden (mittelbar) über eine Treuhandgesellschaft gehalten. Der Vertrieb des Fonds erfolgte über die Erstbeklagte und nachgeschaltete Vermittler/Vermögensberater mit Vertriebsvereinbarung zur Erstbeklagten, im Falle des Klägers durch die Zweitbeklagte.
Der Kläger begehrt von den Beklagten zur ungeteilten Hand Zahlung von 11.388,49 EUR sA Zug um Zug gegen die Abgabe des Angebots, seine Ansprüche betreffend die Kommanditanteile aus dem Treuhandvertrag abzutreten, sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle Forderungen, die gegen ihn im Zusammenhang mit seiner Beteiligung an der Kommanditgesellschaft geltend gemacht werden. Hinsichtlich der Erstbeklagten stützt sich der Kläger auf Prospekthaftung und – wobei er die Erstbeklagte als „Anbieter der Veranlagung“ in Anspruch nehmen möchte – Rückabwicklung nach Vertragsrücktritt gemäß § 5 Abs 2 KMG aF, hinsichtlich der Zweitbeklagten auf Beraterhaftung.
Rechtliche Beurteilung
Die Vorinstanzen wiesen die Klage übereinstimmend ab. Mit seiner Revision macht der Kläger keine Rechtsfrage erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO geltend.
I. Mit der Begründung, ihm sei keine Anlegerbestätigung nach § 14 Z 3 KMG aF ausgehändigt worden, erklärte der Kläger mit Schriftsatz vom 19. 12. 2017 seinen Rücktritt vom Gesellschaftsvertrag gemäß § 5 Abs 2 KMG aF. Das Berufungsgericht bestätigte die Ansicht des Erstgerichts, dass der Kläger nur seinem Vertragspartner gegenüber zurücktreten (und die Rückabwicklung des Vertrags verlangen) könne, nicht aber gegenüber der Erstbeklagten, mit der er in keinem Vertragsverhältnis stehe. Das Berufungsgericht ließ jedoch die Revision mangels Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage, wem gegenüber das Rücktrittsrecht nach § 5 Abs 2 KMG aF auszuüben sei, zu.
Die Revision ist nicht aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, weil der Oberste Gerichtshof mittlerweile in der Entscheidung 9 Ob 60/19t vom 30. 10. 2019 zu einem gleichgelagerten Fall zu der vom Berufungsgericht angesprochenen Rechtsfrage Stellung genommen hat, wobei die hier Erstbeklagte dort die beklagte Partei war.
Die Aussagen der Entscheidung 9 Ob 60/19t lassen sich wie folgt zusammenfassen:
I.1. Das – dem § 3 KSchG nachgebildete – Rücktrittsrecht in § 5 Abs 1 KMG aF (BGBl I 1991/625, aufgehoben durch BGBl 2019/62; nunmehr § 21 KMG 2019) normiert ein Rücktrittsrecht der Verbraucher, die sich durch Vertragserklärungen in Bezug auf Wertpapiere oder Veranlagungen gebunden haben, sofern den einschlägigen Informationspflichten nicht entsprochen wurde. In § 5 Abs 2 KMG aF wird als Rücktrittsgrund auch die Nichtaushändigung der Bestätigung über das Rechtsverhältnis bei Veranlagungen in Immobilien nach § 14 KMG einbezogen, weil hiefür die selben Schutzinteressen gelten.
I.2. Weder § 5 Abs 1 noch § 5 Abs 2 KMG aF definiert den Kreis der möglichen Adressaten des Rücktritts. In § 5 Abs 3 KMG aF ist allerdings von einer Rückstellung der schriftlichen Vertragserklärung an den „Veräußerer“ die Rede.
I.3. Ganz allgemein zielt ein Rücktritt vom Vertrag darauf ab, das Rechtsgeschäft mit dem jeweiligen Vertragspartner zum Wegfall zu bringen. Im Hinblick darauf ist zum Rücktrittsrecht nach § 5 Abs 1 KMG aF bereits klargestellt worden, dass Rücktrittsgegner des Verbrauchers sein jeweiliger Vertragspartner ist (unabhängig davon, ob dieser selbst die Prospektpflicht verletzt hat), sofern er beim Vertrieb der Wertpapiere in eigenem Namen tätig wurde. Nur gegenüber dem reinen Vermittler oder Vertreter besteht kein Kaufvertrag (2 Ob 32/09h [Pkt III.4.2 und III.4.5]).
I.4. Diese Grundsätze gelten auch für den Rücktritt des Verbrauchers nach § 5 Abs 2 KMG aF, da diese Regelung denselben Schutzzweck verfolgt und weitgehend dem Rücktrittsrecht nach § 5 Abs 1 KMG aF nachgebildet ist. Auch die Nennung des „Veräußerers“ in § 5 Abs 3 KMG aF spricht für dieses Verständnis. Hätte der Gesetzgeber mit § 5 Abs 2 KMG aF tatsächlich eine von § 5 Abs 1 KMG aF völlig getrennt zu sehende „gesetzliche Haftung“ normieren wollen, wäre zu erwarten gewesen, dass er auch den in § 14 Z 3 KMG aF ausdrücklich umfassten Personenkreis in die Regelung des § 5 Abs 2 KMG aF aufgenommen hätte.
I.5. Die dem Anbieter auferlegte Verpflichtung zur Ausstellung einer Anlegerbestätigung ist nicht inhaltsleer, sondern gewährt dem Anleger auch bei Nichtbeachtung durch den Anbieter ein Rücktrittsrecht gegenüber dem Vertragspartner des Anlegers, selbst wenn dieser seine eigenen Pflichten gegenüber dem Anleger nicht verletzt hat. Damit werden Finanzintermediäre gewarnt, zu prüfen und Vorsorge dafür zu treffen, dass Erstanbieter und Emittenten ihren Prospekt- und sonstigen Informationspflichten auch tatsächlich nachkommen.
I.6. Diese in der Entscheidung 9 Ob 60/19t getroffenen Aussagen, denen sich bereits der 10. Senat am 19. 11. 2019 in 10 Ob 64/19p und 10 Ob 69/19y anschloss, haben auch im vorliegenden Fall Gültigkeit. Die Vorinstanzen sind daher zutreffend dem Einwand der Erstbeklagten, sie sei in Hinsicht auf § 5 Abs 2 KMG nicht passivlegitimiert, beigetreten.
II. Der Kläger begründet die Zulässigkeit der Revision weiters damit, dass die Frage, ob der Beratungsfehler „Ausschüttungsschwindel“ aufgrund der Schreiben des Treuhänders an die Anleger verjährt sei, einer Klärung bedürfe, weil die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs insofern uneinheitlich sei.
II.1. Die dreijährige Verjährungsfrist beginnt zu laufen, wenn die Gewissheit über den Eintritt des Schadens, die Person des Schädigers sowie den Ursachenzusammenhang zwischen Schaden und schadensstiftendem Verhalten einen solchen Grad erreicht, dass eine Klage mit Aussicht auf Erfolg angestellt werden kann (RS0034524 [T36]). Nach ständiger Rechtsprechung darf sich der Geschädigte aber nicht passiv verhalten und es einfach darauf ankommen lassen, dass er von den für eine Erfolg versprechende Anspruchsverfolgung wesentlichen Tatsachen eines Tages zufällig Kenntnis erlangt (RS0034374 [T15]; 9 Ob 32/15v [Pkt 2]). Kann er die für die erfolgversprechende Anspruchsverfolgung notwendigen Voraussetzungen ohne nennenswerte Mühe und in zumutbarer Weise in Erfahrung bringen, gilt die Kenntnis schon in dem Zeitpunkt erlangt, in dem sie ihm bei angemessener Erkundigung zuteil geworden wäre (RS0034335; RS0034327 [T1]). Bei der Frage des Ausmaßes der Erkundungspflicht des Geschädigten über den die
Verjährungsfrist auslösenden Sachverhalt kommt es immer auf die Umstände des Einzelfalls an (RS0113916).
II.2. Das Berufungsgericht ging zutreffend von dieser Rechtsprechung aus. Es berücksichtigte in diesem Zusammenhang unter anderem, dass der Kläger im Laufe der Jahre wiederholt Informationsschreiben erhielt, in denen ihm mitgeteilt wurde, Liquidationsausschüttungen auf das Kommanditkapital ausbezahlt zu erhalten, dass er im Jahr 2010 ausdrücklich darauf hingewiesen wurde, dass die Ausschüttungen ganz oder teilweise Rückzahlungen aus der geleisteten Einlage enthielten, und dass er als Komplementär einer OEG unternehmerisch erfahren war. Wenn das Berufungsgericht aufgrund dieser sowie weiterer Umstände zum Ergebnis kam, Ansprüche des Klägers wegen eines sogenannten Ausschüttungsschwindels seien bereits verjährt, weil der Kläger bereits spätestens 2010 konkrete Anhaltspunkte dafür gehabt habe, dass die erhaltenen Ausschüttungen ihrer Art nach nicht seinen ursprünglichen Vorstellungen entsprachen, sodass er gehalten gewesen wäre, sich Klarheit über deren Rechtsnatur und die Möglichkeit einer Rückforderung zu verschaffen, so hält sich dies im Rahmen der bisherigen Judikatur (4 Ob 8/18g mwH). Das Berufungsgericht setzte sich mit dieser Beurteilung entgegen der Ansicht der Revision auch nicht in Widerspruch zur
– ebenso eine Kommanditbeteiligung betreffenden – Entscheidung 3 Ob 112/15i. Vielmehr vertrat der Oberste Gerichtshof auch damals in Punkt 4.4. die Ansicht, es hätten sich aus drei – den vorliegenden Schreiben in diesem Rechtsstreit ähnlichen – Schreiben der damaligen Treuhänderin aus den Jahren 2009 und 2010 mehr oder weniger deutliche Hinweise für eine allfällige Nachschusspflicht und eine mögliche Durchgriffshaftung im Umfang der erhaltenen Ausschüttungen ergeben, und verneinte die Verletzung einer Erkundigungsobliegenheit des damaligen Anlegers allein deshalb, weil nicht feststand, dass diesem die Schreiben tatsächlich zugegangen waren.
III. Mit dem Kläger wurden steuerliche Aspekte nicht besprochen, als zum Zeitpunkt des Investments (2004) die Freibetragsgrenze nach niederländischem Steuerrecht nicht überschritten war. Unstrittig wurde diese Grenze hierauf herabgesetzt, was dazu führte, dass der Kläger in den Niederlanden steuerpflichtig wurde. Die anfallende Steuer wurde ihm anlässlich von Ausschüttungen abgezogen. Der Kläger hat im Rahmen der Beteiligung 3.905,14 EUR an Ausschüttungen zugewiesen bekommen, wovon nach Abzug niederländischer Steuer (in Höhe von 252,53 EUR) 3.652,61 EUR zur Auszahlung gelangten. An vom Kläger dergestalt geleisteter niederländischen Steuern bekam er 186,78 EUR zurückbezahlt.
Der Kläger stützt die Zulässigkeit der Revision auch darauf, dass er über die Möglichkeit, wegen seiner Verpflichtung zur Rückzahlung der erhaltenen – nicht gewinngedeckten – Ausschüttungen nicht nur das eingesetzte Kapital zur Gänze zu verlieren, sondern aufgrund der in den Niederlanden anfallenden Steuer letztlich sogar einen darüber hinausgehenden Schaden zu erleiden, nicht aufgeklärt worden sei und es an Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs fehle, ob dieses „Mehrverlustrisiko“ einer gesonderten Verjährung unterliege.
III.1. Der Grundsatz, dass dann, wenn der Kläger sein Begehren alternativ auf verschiedene Sachverhaltsvarianten stützt, in Wahrheit selbständige Ansprüche vorliegen, die auch verjährungsrechtlich getrennt zu beurteilen sind, gilt als solcher auch für Ansprüche wegen fehlerhafter Anlageberatung. Voraussetzung für eine solche gesonderte verjährungsrechtliche Anknüpfung eines von mehreren Beratungsfehlern ist, dass der behauptete Beratungsfehler tatsächlich als eine eigenständige den geltend gemachten Anspruch begründende Pflichtverletzung zu qualifizieren ist. Die Beurteilung, ob die mangelhafte oder fehlende Aufklärung über einen Umstand eine eigenständige, von anderen abgrenzbare Pflichtverletzung oder bloß ein Aspekt und unselbständiger Bestandteil einer einzigen Pflichtverletzung ist, hat in erster Linie nach inhaltlichen Gesichtspunkten zu erfolgen. Weist die unterbliebene Aufklärung über einen Umstand einen engen inhaltlichen Bezug zu einer ebenfalls unterbliebenen oder fehlerhaften Aufklärung über einen anderen Umstand auf, rechtfertigt es dieser Zusammenhang, beide Aufklärungsfehler zu einem einheitlichen Beratungsfehler zusammenzufassen. Es liegen dann nicht mehrere getrennte, sondern nur ein einheitlicher Beratungsfehler mit einzelnen verschiedenen Aspekten vor (RS0050355 [T10]).
III.2. Das Berufungsgericht ging von dieser Rechtsprechung aus. Wenn es das „Mehrverlustrisiko“ nicht als einen eigenständigen, einer gesonderten Verjährung zugänglichen – allfälligen – Beratungsfehler qualifizierte, da es im Zusammenhang mit der Rückforderbarkeit der erhaltenen Ausschüttungen steht, sondern als einen bloßen Teilaspekt aus einer allfälligen Ausschüttungsrückforderung, sodass es auch diesen – allfälligen – Beratungsfehler als mit dem „Ausschüttungsschwindel“ mitverjährt beurteilte, so ist dies nicht zu beanstanden.
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagten haben auf die Unzulässigkeit der Revision in ihren Revisionsbeantwortungen hingewiesen (RS0035979 [T16]).
Textnummer
E127433European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2020:0080OB00100.19T.0124.000Im RIS seit
26.02.2020Zuletzt aktualisiert am
04.08.2020