Entscheidungsdatum
16.10.2019Norm
AsylG 2005 §5 Abs1Spruch
W241 2224271-1/2E
W241 2224273-1/2E
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Hafner über die Beschwerde von 1.) XXXX , geboren am XXXX , 2.) XXXX , geboren am XXXX , beide Staatsangehörigkeit Russische Föderation, beide vertreten durch die ARGE Rechtsberatung, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.09.2019, Zahlen 1.) 1236073903/190662692/BMI-EAST_WEST, 2.) 1236073206/190662676/BMI-EAST_WEST, beschlossen:
A)
Den Beschwerden wird gemäß § 28 Abs. 1 iVm Abs. 2 VwGVG stattgegeben und die bekämpften Bescheide werden behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Die Beschwerdeführer (in der Folge BF) brachten am 01.07.2019 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA) gegenständliche Anträge gemäß § 2 Abs. 1 Z 13 Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl, BGBl. I Nr. 100/2005 (in der Folge AsylG), ein.
Eine VIS-Abfrage ergab, dass die BF über von der spanischen Vertretungsbehörde in Moskau ausgestellte, von 14.05.2019 bis 27.06.2019 gültige Visa verfügten.
2. Im Zuge ihrer Erstbefragung am 02.07.2019 gaben die BF übereinstimmend an, am 16.06.2019 von Moskau in dir Türkei geflogen zu sein. Am 28.06.2019 seien sie von Istanbul nach Skopje (Nordmazedonien) und am 01.07.2019 von Skopje nach Wien geflogen.
Die BF legten am 13.06.2019 ausgestellte, russische Reisepässe vor. Weiters liegen Kopien des Flugtickets des BF1 Skopje-Wien und Wien-Domedovo (unbenützt) vom 01.07.2019 im Akt auf.
3. Die Verfahren der BF wurden am 04.07.2019 zugelassen.
4. Das BFA richtete am 16.07.2019 ein Aufnahmegesuch gemäß Art. 12 Abs. 4 der Verordnung (EU) 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (in der Folge Dublin III-VO), an Spanien.
Mit Schreiben vom 19.07.2019 stimmten die spanischen Behörden diesem Ersuchen gemäß Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO ausdrücklich zu.
5. Die BF gaben in ihrer Einvernahme am 05.08.2019 übereinstimmend an, dass sie sich mittels der von Spanien ausgestellten Visa von 15.05.2019 bis 22.05.2019 bei den Eltern des BF1 in Spanien aufgehalten hätten. Anschließend seien sie nach Moskau zurückgekehrt und hätten sich am 13.06.2019 neue Reisepässe ausstellen lassen. Danach seien sie ohne Visa nach Österreich gereist.
6. Mit Schreiben vom 06.08.2019 wurden die spanischen Behörden ersucht mitzuteilen, ob sich die BF von 15.05.2019 bis 22.05.2019 tatsächlich in Spanien aufgehalten hätten. Das Schreiben blieb trotz zweimaliger Urgenz unbeantwortet, es wurde lediglich auf die Beantwortung der Aufnahmeersuchen vom 19.07.2019 verwiesen.
7. Mit Bescheiden vom 24.09.2019 wurden die Anträge der BF auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Spanien für die Prüfung der Anträge gemäß Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO zuständig sei. Gleichzeitig wurde gegen die BF gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge eine Abschiebung nach Spanien gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei.
Zur Begründung des Dublin-Tatbestandes wurde ausgeführt, dass die spanischen Behörden sowohl im Konsultationsverfahren als auch im Schreiben vom 06.08.2019 über den Reiseweg der BF informiert worden seien. Spanien habe jedoch seine Zustimmung zum Aufnahmeersuchen aufrechterhalten. Die Behörde gehe daher davon aus, dass kein Nachweis über einen Aufenthalt der BF von 15.05.2019 bis 22.05.2019 in Spanien vorliege. Weiters gehe die Behörde davon aus, dass die BF ihre spanischen Visa mittels ihrer "alten" Reisepässe erhalten hätten, sie sich jedoch im Anschluss neue Pässe hätten ausstellen lassen und mit diesen über die Türkei und Nordmazedonien nach Österreich gereist seien.
8. Mit Schriftsatz vom 08.10.2019, beim BFA eingelangt am selben Tag, wurde gegen die Bescheide fristgerecht Beschwerde erhoben und die aufschiebende Wirkung der Beschwerde beantragt.
9. Die Beschwerdevorlage an die zuständige Gerichtsabteilung des BVwG iSd § 16 Abs. 4 BFA VG erfolgte am 10.10.2019.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die BF, Staatsangehörige der Russischen Föderation, stellten am 01.07.2018 in Österreich Anträge auf internationalen Schutz.
Die BF verfügten über von der spanischen Vertretungsbehörde in Moskau ausgestellte, von 14.05.2019 bis 27.06.2019 gültige Visa.
Am 01.07.2019 reisten die BF von Nordmazedonien kommend per Flugzeug nach Österreich.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen beruhen auf der Dokumentation der Verfahren in den vorliegenden Verwaltungsakten.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Behebung der bekämpften Bescheide:
3.1. Rechtslage:
Aufgrund der erfolgten Verfahrenszulassungen durch das BFA am 04.07.2019 ist verfahrensgegenständlich § 28 VwGVG maßgeblich:
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Die maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005) lauten:
§ 5 (1) Ein nicht gemäß §§ 4 oder 4a erledigter Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Eine Zurückweisung des Antrages hat zu unterbleiben, wenn im Rahmen einer Prüfung des § 9 Abs. 2 BFA-VG festgestellt wird, dass eine mit der Zurückweisung verbundene Anordnung zur Außerlandesbringung zu einer Verletzung von Art. 8 EMRK führen würde.
(2) Gemäß Abs. 1 ist auch vorzugehen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung dafür zuständig ist zu prüfen, welcher Staat zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist.
(3) Sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesamt oder beim Bundesverwaltungsgericht offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, ist davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.
§ 10 (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn
1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,
2. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 zurückgewiesen wird,
...
und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird sowie in den Fällen der Z 1 bis 5 kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 vorliegt.
...
§ 9 Abs. 1 und 2 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) lautet:
§ 9 (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine
Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
§ 61 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) lautet:
§ 61 (1) Das Bundesamt hat gegen einen Drittstaatsangehörigen eine
Außerlandesbringung anzuordnen, wenn
1. dessen Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4a oder 5 AsylG 2005 zurückgewiesen wird oder nach jeder weiteren, einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §§ 4a oder 5 AsylG 2005 folgenden, zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 Abs. 1 AVG oder
2. ...
(2) Eine Anordnung zur Außerlandesbringung hat zur Folge, dass eine Abschiebung des Drittstaatsangehörigen in den Zielstaat zulässig ist. Die Anordnung bleibt binnen 18 Monaten ab Ausreise des Drittstaatsangehörigen aufrecht.
(3) Wenn die Durchführung der Anordnung zur Außerlandesbringung aus Gründen, die in der Person des Drittstaatsangehörigen liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, ist die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben.
(4) Die Anordnung zur Außerlandesbringung tritt außer Kraft, wenn das Asylverfahren gemäß § 28 AsylG 2005 zugelassen wird.
Die maßgeblichen Bestimmungen der Dublin III-VO lauten:
KAPITEL I
GEGENSTAND UND DEFINITIONEN
[...]
Art. 2
Definitionen
[...]
f) "Begünstigter internationalen Schutzes" einen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, dem internationaler Schutz im Sinne von Artikel 2 Buchstabe a der Richtlinie 2011/95/EU zuerkannt wurde,
g) "Familienangehörige" die folgenden Mitglieder der Familie des Antragstellers, die sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten aufhalten, sofern die Familie bereits im Herkunftsland bestanden hat:
-
der Ehegatte des Antragstellers oder sein nicht verheirateter Partner, der mit ihm eine dauerhafte Beziehung führt, soweit nach dem Recht oder nach den Gepflogenheiten des betreffenden Mitgliedstaats nicht verheiratete Paare ausländerrechtlich vergleichbar behandelt werden wie verheiratete Paare,
-
die minderjährigen Kinder des im ersten Gedankenstrich genannten Paares oder des Antragstellers, sofern diese nicht verheiratet sind, gleichgültig, ob es sich nach nationalem Recht um eheliche oder außerehelich geborene oder adoptierte Kinder handelt,
-
bei einem minderjährigen und unverheirateten Antragsteller, der Vater, die Mutter oder ein anderer Erwachsener, der entweder nach dem Recht oder nach den Gepflogenheiten des Mitgliedstaats, in dem der Erwachsene sich aufhält, für den Minderjährigen verantwortlich ist,
-
bei einem unverheirateten, minderjährigen Begünstigten internationalen Schutz, der Vater, die Mutter oder ein anderer Erwachsener, der/die entweder nach dem Recht oder nach den Gepflogenheiten des Mitgliedstaats, in dem sich der Begünstigte aufhält, für ihn verantwortlich ist;
KAPITEL II
ALLGEMEINE GRUNDSÄTZE UND SCHUTZGARANTIEN
Art. 3
Verfahren zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz
(1) Die Mitgliedstaaten prüfen jeden Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird.
(2) Lässt sich anhand der Kriterien dieser Verordnung der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen, so ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig.
Erweist es sich als unmöglich, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen, so setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat, die Prüfung der in Kapitel III vorgesehenen Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann.
Kann keine Überstellung gemäß diesem Absatz an einen aufgrund der Kriterien des Kapitels III bestimmten Mitgliedstaat oder an den ersten Mitgliedstaat, in dem der Antrag gestellt wurde, vorgenommen werden, so wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat.
(3) Jeder Mitgliedstaat behält das Recht, einen Antragsteller nach Maßgabe der Bestimmungen und Schutzgarantien der Richtlinie 32/2013/EU in einen sicheren Drittstaat zurück- oder auszuweisen.
KAPITEL III
KRITERIEN ZUR BESTIMMUNG DES ZUSTÄNDIGEN MITGLIEDSTAATS
Art. 7
Rangfolge der Kriterien
(1) Die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats finden in der in diesem Kapitel genannten Rangfolge Anwendung.
(2) Bei der Bestimmung des nach den Kriterien dieses Kapitels zuständigen Mitgliedstaats wird von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt.
(3) Im Hinblick auf die Anwendung der in den Artikeln 8, 10 und 6 (Anmerkung: gemeint wohl 16) genannten Kriterien berücksichtigen die Mitgliedstaaten alle vorliegenden Indizien für den Aufenthalt von Familienangehörigen, Verwandten oder Personen jeder anderen verwandtschaftlichen Beziehung des Antragstellers im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats, sofern diese Indizien vorgelegt werden, bevor ein anderer Mitgliedstaat dem Gesuch um Aufnahme- oder Wiederaufnahme der betreffenden Person gemäß den Artikeln 22 und 25 stattgegeben hat, und sofern über frühere Anträge des Antragstellers auf internationalen Schutz noch keine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist.
Art. 12
Ausstellung von Aufenthaltstiteln oder Visa
(1) Besitzt der Antragsteller einen gültigen Aufenthaltstitel, so ist der Mitgliedstaat, der den Aufenthaltstitel ausgestellt hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.
(2) Besitzt der Antragsteller ein gültiges Visum, so ist der Mitgliedstaat, der das Visum erteilt hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig, es sei denn, dass das Visum im Auftrag eines anderen Mitgliedstaats im Rahmen einer Vertretungsvereinbarung gemäß Art. 8 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex der Gemeinschaft erteilt wurde. In diesem Fall ist der vertretene Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.
(3) Besitzt der Antragsteller mehrere gültige Aufenthaltstitel oder Visa verschiedener Mitgliedstaaten, so sind die Mitgliedstaaten für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz in folgender Reihenfolge zuständig:
a) der Mitgliedstaat, der den Aufenthaltstitel mit der längsten Gültigkeitsdauer erteilt hat, oder bei gleicher Gültigkeitsdauer der Mitgliedstaat, der den zuletzt ablaufenden Aufenthaltstitel erteilt hat;
b) der Mitgliedstaat, der das zuletzt ablaufende Visum erteilt hat, wenn es sich um gleichartige Visa handelt;
c) bei nicht gleichartigen Visa der Mitgliedstaat, der das Visum mit der längsten Gültigkeitsdauer erteilt hat, oder bei gleicher Gültigkeitsdauer der Mitgliedstaat, der das zuletzt ablaufende Visum erteilt hat.
(4) Besitzt der Antragsteller nur einen oder mehrere Aufenthaltstitel, die weniger als zwei Jahre zuvor abgelaufen sind, oder ein oder mehrere Visa, die seit weniger als sechs Monaten abgelaufen sind, aufgrund deren er in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einreisen konnte, so sind die Absätze 1, 2 und 3 anwendbar, solange der Antragsteller das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten nicht verlassen hat.
Besitzt der Antragsteller einen oder mehrere Aufenthaltstitel, die mehr als zwei Jahre zuvor abgelaufen sind, oder ein oder mehrere Visa, die seit mehr als sechs Monaten abgelaufen sind, aufgrund deren er in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einreisen konnte, und hat er die Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten nicht verlassen, so ist der Mitgliedstaat zuständig, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wird.
3.2. Die BF verfügten über von 14.05.2019 bis 27.06.2019 gültige, von der spanischen Vertretungsbehörde in Moskau ausgestellte Visa. Aus dem Akteninhalt ergibt sich jedoch, dass sie am 01.07.2019 von einem Drittstaat, nämlich Nordmazedonien, kommend in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten eingereist sind. Dies wird durch das im Akt in Kopie aufliegende Flugticket des BF1 vom 01.07.2019 belegt. Zu diesem Zeitpunkt waren die von Spanien ausgestellten Visa bereits abgelaufen. Hinzu kommt, dass die Einreise der BF mittels am 13.06.2019 in Moskau ausgestellter Reisepässe erfolgte, die keine spanischen Visa, welche schon am 30.04.2019 ausgestellt worden waren, enthielten. Die Einreise der BF nach Österreich und damit in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten erfolgte also nachweislich von einem Drittstaat aus und nicht mittels der von Spanien ausgestellten, zum Zeitpunkt der Einreise bereits abgelaufenen Visa. Die Rechtsansicht des BFA, dass sich aus diesem Sachverhalt eine Zuständigkeit Spaniens ergäbe, wird nicht geteilt.
Vorweg ist auszuführen, dass die Dublin III-VO grundsätzlich von dem Gedanken getragen ist, dass derjenige Mitgliedstaat (MS) zur Führung eines Asylverfahrens zuständig sein soll, dem eine gewisse Verantwortung für den Aufenthalt bzw. für die Asylantragsstellung eines Antragstellers im Hoheitsgebiet der MS zukommt. Im Hinblick auf Art. 12 Dublin III-VO bedeutet dies etwa, dass derjenige MS zur Führung eines Asylverfahrens zuständig sein soll, der dem Antragsteller ein Visum oder einen Aufenthaltstitel ausstellte und diesem dadurch die Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten ermöglichte, weil eben diesem MS der Aufenthalt und die Asylantragstellung des Beschwerdeführers im Hoheitsgebiet der MS zurechenbar ist.
Wenn nun aber ein Fremder mittels eines Visums von einem Drittstaat in das Hoheitsgebiet eines MS einreist, sich dort aufhält, ohne einen Asylantrag zu stellen, er sich in der Folge wieder aus dem Hoheitsgebiet der MS hinaus in einen Drittstaat begibt und von dort aus erneut - ohne Einreisemöglichkeit durch das von einem Mitgliedstaat ausgestellte Visum - in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einreist, dann ist zwischen der Visumerteilung und der späteren, erneuten Einreise ohne Visum überhaupt kein asylrechtlicher Bezug und damit auch kein Bezug zur Dublin III-VO gegeben, da sich der Fremde letztlich wieder außerhalb des Gebietes der MS befand und keinerlei Notwendigkeit zur Führung eines Asylverfahrens bei dem ursprünglichen, visumerteilenden Mitgliedstaat entstanden ist.
Vor diesem Hintergrund kann auch nicht gesagt werden, dass dem MS, in dessen Gebiet sich der Fremde auf Basis eines Visums aufgehalten hat, irgendeine Verantwortung für ein allfällig späteres Asylverfahren zukommen würde, da der Fremde doch letztlich wieder - genauso wie wenn er sich niemals in diesem MS aufgehalten hätte - in einen Drittstaat ausreiste und vielmehr seine dann nachfolgende (neuerliche) Einreise ohne Visum ins Hoheitsgebiet der MS im Hinblick auf die einem MS zukommende Verantwortung für einen dann nach der Dublin III-VO gegebenen Tatbestand relevant erscheint.
In diesem Sinne auch Filzwieser/Sprung in "Dublin III-Verordnung,
Das europäische Asylzuständigkeitssystem", Seiten 140-141, K22-K24:
"K22. Ist der Antragsteller im Besitz eines oder mehrerer weniger als sechs Monate abgelaufener Visa, aufgrund deren er in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates einreisen konnte und hat er nach der Einreise in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten nicht mehr verlassen so sind die Bestimmungen des Art 12 Absätze 2 und 3 auch auf diese Visa anzuwenden. Auch hier ist gedanklich das Wort "gültig" durch "abgelaufen" zu ersetzen.
K23. Voraussetzung für eine Anknüpfung an abgelaufene Visa ist, dass diese rechtliche conditio sine qua non für die Einreise des späteren Antragstellers in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten waren, dh im Falle einer visumsfreien Einreise in einen anderen Mitgliedstaat und einer späteren Erteilung eines Visums ist dieser - bei einer Antragstellung nach Ablauf er Gültigkeit - nicht zuständigkeitsbegründend iSd Art. 12 Abs 4.
K24. Zusätzlich darf der betroffene Drittstaatsangehörige das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten seit seiner Einreise mit dem betreffenden Visum nicht verlassen haben.
Nachdem Art 12 Abs 4 sowohl in Satz 1 als auch in Satz 2 lediglich die Wortfolge "solange der Antragsteller das Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten nicht verlassen hat" verwendet und somit im Gegensatz zu Art 19 Abs 2 und Art 20 Abs 5 zweiter Unterabsatz keine Mindestdauer von drei Monaten für das Erlöschen der Pflichten vorsieht, ist davon auszugehen, dass abgelaufenen Aufenthaltstitel und Visa keinen zuständigkeitsbegründenden Charakter mehr besitzen, sofern das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten auch nur kurzfristig verlassen wird, dh die einmalige Ausreise genügt."
Wie aus der Begründung der gegenständlichen Bescheide hervorgeht, ging auch das BFA davon aus, dass die BF das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten verlassen haben und nach Ablauf der Visa von Nordmazedonien kommend in Österreich eingereist sind. Auf die Dauer des Aufenthalts in einem Drittstaat kommt es, wie oben ausgeführt, nicht an. Folglich scheidet Spanien als zuständiger MS gemäß Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO aus. Daran vermögen auch die Umstände nichts zu ändern, dass Spanien eine Zuständigkeit ausdrücklich akzeptiert hat. Da die BF per Flugzeug von Nordmazedonien nach Österreich reisten, ergibt sich eine Zuständigkeit Österreichs zur Prüfung der Anträge auf internationalen Schutz.
Aufgrund dessen, dass der EuGH in seinem Urteil vom 07.06.2016,
C-63/15, Gezelbash (Große Kammer), festgestellt hat, dass Art. 27
Abs. 1 Dublin III-VO im Licht des 19. Erwägungsgrundes dieser
Verordnung dahin auszulegen ist, dass [ ... ] ein Asylbewerber im
Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen eine Entscheidung über seine
Überstellung die fehlerhafte Anwendung eines in Kapitel III dieser
Verordnung festgelegten Zuständigkeitskriteriums [ ... ] geltend
machen kann, waren die angefochtenen Entscheidungen zu beheben.
3.3. Eine mündliche Verhandlung konnte unterbleiben, zumal sämtliche verfahrenswesentliche Abklärungen eindeutig aus den vorliegenden Verwaltungsakten beantwortet werden konnten.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach Art. 133 Abs. 4 Satz 1 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung, Voraussetzungen, Wegfall der GründeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W241.2224273.1.00Zuletzt aktualisiert am
24.02.2020