Entscheidungsdatum
13.11.2019Norm
B-VG Art. 133 Abs4Spruch
I422 2224570-1/2E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Thomas BURGSCHWAIGER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX gegen den Bescheid der Tiroler Gebietskrankenkasse vom 10.09.2019 betreffend "Befreiung von der Rezeptgebühr in besonderen Fällen" zu Recht erkannt:
A)
In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid aufgehoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Tiroler Gebietskrankenkasse zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang:
1. Im März 2019 stellte XXXX (im Folgenden: Beschwerdeführer) erstmals bei der Tiroler Gebietskrankenkasse (im Folgenden: belangte Behörde) einen Antrag auf Rezeptgebührenbefreiung wegen besonderer sozialer Schutzbedürftigkeit gemäß § 4 RRZ 2008. Eine Rezeptgebührenbefreiung wegen besonderer sozialer Schutzbedürftigkeit nach § 4 RRZ 2008 wurde dem Beschwerdeführer nicht erteilt, allerdings wurde ihm im Zuge seines Antrags eine Rezeptgebührenbefreiung gemäß § 13 RRZ 2008 (Überschreitung der Rezeptgebührenobergrenze - REGO) bewilligt.
2. Am 17.04.2019 stellte der Beschwerdeführer den verfahrensgegenständlichen Antrag auf Befreiung der Rezeptgebühr in besonderen Fällen gemäß § 5 RRZ 2008.
3. Mit Bescheid vom 10.09.2019 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers vom 17.04.2019 ab. Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass dem Beschwerdeführer aufgrund seiner nachweislich vorliegenden Einkommensverhältnisse und der Regelung des § 13 der RZZ 2008 die Entrichtung der Rezeptgebühr von bis zu zwei Prozent des Jahresnettoeinkommens zumutbar sei und nicht von einer unzumutbaren Belastung von Rezeptgebühren gesprochen werden könne. Des Weiteren würden sich die relevanten monatlichen Belastungen auf einen zumutbaren Betrag belaufen und seien sonstige Ausgaben wie zB Lebensmitteleinkäufe, Strom, Miete, Luftfilter etc. für die Beurteilung gemäß § 5 RZZ 2008 nicht zu berücksichtigen.
4. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer rechtzeitig und zulässig das Rechtsmittel einer Beschwerde.
5. Mit Schreiben vom 18.10.2019 legte die belangte Behörde die Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Der Beschwerdeführer verfügt aus einer Berufsunfähigkeitspension über ein monatliches Nettoeinkommen in der Höhe von € 1.421,59.
1.2. Bis August 2019 fielen Rezeptgebühren in Höhe von insgesamt €
79,30 an, die dem Beschwerdeführer von den Apotheken direkt verrechnet wurden.
1.3. Der Beschwerdeführer beantragte bei der belangten Behörde die vollständige Kostenübernahme der Basismedikation und eine weiterführende Teilübernahme der Kosten für die Begleitmedikation. Über diesen Antrag wurde inhaltlich noch nicht abgesprochen.
1.4. Ein Befreiungstatbestand der §§ 3 und 4 RRZ 2008 liegt nicht vor.
1.5. Dem Beschwerdeführer wurde für das Jahr 2019 eine Rezeptgebührenbefreiung gemäß § 13 RRZ 2008 bewilligt.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Dass der Beschwerdeführer aus einer Berufsunfähigkeitspension über ein monatliches Nettoeinkommen in der Höhe von € 1.421,59 verfügt, resultiert aus den sich im Verwaltungsakt befindlichen Verständigungsschreiben der Pensionsversicherungsanstalt vom Jänner 2019.
2.2. Die Feststellung über die bis August 2019 angefallenen, direkt von den Apotheken verrechneten Rezeptgebühren ergeben sich ebenfalls aus dem vorliegenden Akteninhalt und wurden vom Beschwerdeführer nicht bestritten.
2.3. Die Antragstellung des Beschwerdeführers auf vollständige Kostenübernahme der Basismedikation und auf weiterführende Teilübernahme der Kosten für die Begleitmedikation leitet sich - ebenso wie die Feststellung, dass über diesen Antrag inhaltlich noch nicht abgesprochen wurde - aus dem Beschwerdeschriftsatz vom 08.10.2019 sowie dem Schreiben des ärztlichen Dienstes der belangten Behörde vom 24.09.2019 ab.
2.4. Dass kein Befreiungstatbestand der §§ 3 und 4 RRZ 2008 vorliegt, ist zweifelsfrei belegt und schloss dies der Beschwerdeführer im Antrag explizit aus.
2.5. Die Rezeptgebührenbefreiung gemäß § 13 RRZ 2008 ist ebenfalls durch die Einsichtnahme in den Verwaltungsakt belegt und wurde dies seitens des Beschwerdeführers nicht bestritten.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchpunkt A) Aufhebung und Zurückverweisung der Beschwerde:
3.1. Rechtliche Grundlagen:
Gemäß § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 idgF, hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG (Bescheidbeschwerden) dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z 2).
Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 leg. cit. nicht vorliegen, im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
Gemäß § 28 Abs. 4 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, wenn es nicht gemäß Abs. 2 leg. cit. in der Sache selbst zu entscheiden hat und wenn die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder abzuweisen ist, für den Fall, dass die Behörde bei ihrer Entscheidung Ermessen zu üben hat, den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückzuverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Veraltungsgericht in seinem Beschluss ausgegangen ist.
Das Modell der Aufhebung des Bescheids und die Zurückverweisung der Angelegenheit an die belangte Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG (vgl. Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren [2013] § 28 VwGVG Anm. 11). Der VwGH hat festgehalten, dass bei der Ausübung des Ermessens nach § 66 Abs. 2 und 3 AVG auch die Bedeutung und Funktion der Rechtmittelbehörde ins Kalkül zu ziehen sei und die Einräumung eines Instanzenzuges nicht "zur bloßen Formsache degradiert" werden dürfe. Der Umstand, dass es die Vorinstanz ablehnt, auf das Vorbringen sachgerecht einzugehen und brauchbare Ermittlungsergebnisse zu erarbeiten, rechtfertige nicht, dass sich der Rechtsweg "einem erstinstanzlichen Verfahren (...) nähert", in dem eine ernsthafte Prüfung des Antrages erst bei der zweiten und letzten Instanz beginnt und auch endet (VwGH 21.11.2002, Zl. 2000/20/0084).
Gemäß § 60 AVG sind in der Begründung eines Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Die Begründung eines Bescheides bedeutet die Bekanntgabe der Erwägungen, aus denen die Behörde zur Überzeugung gelangt ist, dass ein bestimmter Sachverhalt vorliegt und dass damit der Tatbestand einer bestimmten Rechtsnorm verwirklicht ist. Die Begründung eines Bescheides hat Klarheit über die tatsächlichen Annahmen der Behörde und ihre rechtlichen Erwägungen zu schaffen. In sachverhaltsmäßiger Hinsicht hat sie daher alle jene Feststellungen in konkretisierter Form zu enthalten, die zur Subsumierung dieses Sachverhaltes unter die von der Behörde herangezogene Norm erforderlich sind. Denn nur so ist es möglich, den Bescheid auf seine Rechtsrichtigkeit zu überprüfen (VwGH 23.11.1993, Zl. 93/04/0156; 13.10.1991, Zl. 90/09/0186; 28.07.1994, Zl. 90/07/0029).
Der VwGH hat mit Erkenntnis vom 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063, in Bezug auf die grundsätzliche Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte nach § 28 VwGVG und die Möglichkeit der Zurückverweisung ausgesprochen, dass angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte darstellt. So kommt eine Aufhebung des Bescheides nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden. Das Verwaltungsgericht hat nachvollziehbar zu begründen, wenn es eine meritorische Entscheidungszuständigkeit nicht als gegeben annimmt, etwa, weil es das Vorliegen der Voraussetzungen der Z 1 und Z 2 des § 28 Abs. 2 VwGVG verneint bzw. wenn es von der Möglichkeit des § 28 Abs. 3 erster Satz VwGVG nicht Gebrauch macht.
3.2. Anwendung im gegenständlichen Fall:
Im gegenständlichen Fall hat sich ergeben, dass erforderliche Ermittlungen zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalts fehlen und deren Ermittlung nur durch die belangte Behörde vorgenommen werden können. Dies aus folgenden Überlegungen:
Aus der Rechtsprechung des VwGH vom 17.10.2012, 2010/08/0158 erschließt sich, dass es § 5 RRZ 2008 ermöglicht, im Einzelfall unter bestimmten Voraussetzungen auch dann eine Befreiung zu gewähren, wenn nach den §§ 3 und 4 RRZ 2008 ein Fall der Selbsttragung der Rezeptgebühr vorliegt. Neben krankheitsbedingten Aufwendungen sind dabei auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Versicherten zu berücksichtigen. Es ist zu prüfen, ob das Einkommen durch krankheitsbedingte Aufwendungen (worunter auch, aber nicht nur Rezeptgebühren fallen) und etwaige andere Belastungen derart verringert wird, dass wiederum die soziale Schutzwürdigkeit von Richtsatzbeziehern erreicht würde (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. Mai 2012, Zl. 2009/08/0097, mwN). Ausgaben der allgemeinen Lebensführung - wie zB Leasingraten, Ausgaben für Gas, Strom und Miete sowie Bekleidung, aber auch Pensionsabzüge auf Grund laufender Exekutionen - sind bei der Beurteilung der besonderen sozialen Schutzbedürftigkeit jedoch außer Betracht zu lassen (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 17. November 2004, Zl. 2003/08/0044, vom 15. Februar 2006, Zl. 2005/08/0087, und vom 19. Dezember 2007, Zl. 2006/08/0327).
Aus der Entscheidung der belangten Behörde und den Ausführungen der belangten Behörde im Schreiben der Aktenvorlage konnte eine Überprüfung, ob das Einkommen des Beschwerdeführers durch allfällige krankheitsbedingte Aufwendungen vermindert wird, nicht abgeleitet werden. Wie sich diesbezüglich aus dem Verwaltungsakt zudem ergibt, stellte der Beschwerdeführer zudem einen Antrag auf vollständige Kostenübernahme der Basismedikation und einer weiterführenden Teilübernahme der Kosten für Begleitmedikation. Aus dem Schreiben des ärztlichen Dienstes der belangten Behörde ergibt sich zweifelsfrei, dass die Kostenerstattung der Begleitmedikation abgelehnt wird. Der Antrag auf Refundierung der Basismedikation wurde zur Bearbeitung an die zuständige Abteilung weitergeleitet und liegt ein Ergebnis bislang noch nicht vor. Ungeachtet der Tatsache, dass dem Beschwerdeführer ohnedies bereits eine Rezeptgebührenbefreiung gemäß § 13 RRZ 2008 für das Jahr 2019 bewilligt wurde, wird das Ergebnis - ob und in welchem Ausmaß dem Beschwerdeführer die Basismedikation refundiert wird und welche Auswirkung dies auf sein Einkommen hat - bei der neuerlichen Entscheidung der belangten Behörde zu berücksichtigen sein.
Es hat sich insgesamt nicht ergeben, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Bundesverwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen wäre, zumal nichts darauf hindeutet, dass die erforderliche Feststellung durch das Bundesverwaltungsgericht selbst, verglichen mit der Feststellung durch die belangte Behörde nach Zurückverweisung der Angelegenheit, mit einer wesentlichen Zeitersparnis und Verkürzung der Verfahrensdauer verbunden wäre.
Schließlich liegt auch kein Anhaltspunkt dahingehend vor, dass die Feststellung durch das Bundesverwaltungsgericht selbst im Vergleich zur Feststellung durch die Verwaltungsbehörde mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre.
Da alle Voraussetzungen des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vorliegen, war der angefochtene Bescheid aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen.
4. Zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung:
Da auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist, konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG die Durchführung einer mündlichen Verhandlung entfallen.
Zu Spruchpunkt B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG zulässig ist. Der Ausspruch ist zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil sich die gegenständliche Entscheidung zu den wesentlichen Fragen der Aufhebung und Zurückverweisung von Bescheiden auf eine einheitliche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stützen kann und die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht diese Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Ermittlungspflicht, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:I422.2224570.1.00Zuletzt aktualisiert am
24.02.2020