TE Bvwg Erkenntnis 2019/11/19 W196 2131710-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.11.2019
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Entscheidungsdatum

19.11.2019

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W196 2131710-1/17E

W196 2132003-1/12E

W196 2137468-1/7E

W196 2181654-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Ursula SAHLING als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX , 2.) XXXX , geb. XXXX 3.) XXXX , geb. XXXX , 4.) XXXX , geb. XXXX , alle StA. Somalia gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.07.2016, Zl. 1018265606-14617105 (ad 1.), vom 06.07.2016, Zl. 1055087307-150314369 (ad 2.), vom 27.09.2016, Zl. 1114275906-160649481 (ad 3.), vom 30.11.2017, Zl. 1166529006-171056800 (ad 4.) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Erstbeschwerdeführer (in der Folge BF1) reiste im Mai 2014 und die Zweitbeschwerdeführerin (in der Folge BF2) im März 2015 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte der Erstbeschwerdeführer am 15.05.2014 und die Zweitbeschwerdeführerin am 26.03.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG.

Am Tag der Antragstellung wurde der BF1 zu seinen Fluchtgründen befragt, wobei er zusammengefasst vorbrachte, dass die Ortschaft, wo er gelebt habe, ein Konfliktgebiet zwischen drei Gruppierungen, zwischen Al-Shabaab gegen Ahlu Sunnah sowie gegen äthiopische Soldaten, sei. Der BF1 habe keiner dieser Gruppen angehört. Es hätten Angriffe und Schießereien stattgefunden. Manchmal habe es einen Ruhetag gegeben, aber meistens habe es Schießereien gegeben. Der BF1 habe von unbekannten Leuten telefonische Drohungen erhalten. Sie hätten ihm gesagt, dass sie ihn töten würden, wenn er nicht mit dem was er tue aufhöre, wobei er nicht gewusst habe, was sie damit gemeint hätten. Er fürchtete um sein Leben, weshalb er beschlossen habe, das Land zu verlassen. Im Falle einer Rückkehr fürchte er von den Personen, die ihn telefonisch bedroht hätten, getötet zu werden.

Die BF2 gab im Zuge ihrer Erstbefragung am 27.03.2015 an, dass sie von den Alshabab Milizien verfolgt worden sei. Zudem sei sie mit einem Mann verheiratet, der in Vorarlberg wohne und wollten ihre Eltern nicht, dass sie ihren Mann heirate.

Nach Zulassung der Verfahren wurde der BF1 am 26.05.2015 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen.

Aufgefordert dezidiert seine Fluchtgründe zu schildern, brachte der BF1 im Wesentlichen vor, dass seine Familie arm sei und sie einem kleinen Clan, namens Ajuuraan, angehören würden. Bei diesem Clan handle es sich um eine Minderheit. Bis auf einem kleinen Teil der Ajuuraan, die in Diinsoor und Baardheere leben würden, seien alle geflohen. Die Ajuuraan, die noch in Somalia leben würden, seien nur Nomaden und machtlos. Er sei davon insofern konkret betroffen, da dort wo er wohne, sich mehrere militante Gruppierungen bekämpfen würden. Al-Shabaab komme nachts in die Stadt. Eines nachts sei ein Haus in deren Nachbarschaft durch Bomben erwischt worden, dabei sei seine Mutter verletzt und seither am linken Auge blind. Die Soldaten aus Äthiopien wären auch in die Stadt gekommen. Sie würden nicht zwischen Al-shabaab, Zivilbevölkerung oder Alu Sunnah unterscheiden. Als Vergeltung werde auch gegen die somalische Zivilbevölkerung Gewalt ausgeübt. Es sei täglich zu Auseinandersetzungen zwischen diesen drei Parteien gekommen. Darüber hinaus seien Probleme mit der Familie seiner Frau hinzugekommen. Seine Frau hätte einen anderen Mann heiraten sollen, und habe er entschieden seine Frau heimlich zu heiraten. Ab diesem Zeitpunkt habe er Drohanrufe erhalten. Nachdem der Bruder seiner Frau von deren Heirat erfahren habe, wären eines Nachts drei Männer und der Bruder seiner Frau zu ihm nach Hause gekommen und hätten den BF1 zusammengeschlagen und habe er am Hinterkopf eine Verletzung erlitten, die genäht werden musste. Folglich sei er vom Bruder seiner Frau angerufen worden, der zum BF1 gesagt habe, dass er nunmehr gewarnt sei. Der Vater seiner Frau habe dann persönlich zum BF1 gesagt, dass er seine Tochter nicht heiraten dürfe. Er habe seinem Sohn befohlen, dass sie ihn umbringen sollten. Der Bruder seiner Frau sei dann in der Früh mit einem Gewehr gekommen und der BF1 in eine 15 km entfernte Stadt namens Mandera/Kenia geflohen, wo er zehn Tage verblieben sei, bevor er nach Baladhawa zurückgegangen sei. Er sei nach zehn Tagen zurückgekehrt, da er gedacht habe, dass sich die Situation beruhige. Er habe Somalia eigentlich nicht verlassen wollen, jedoch sei er erneut vom Bruder seiner Frau und anderen Männern, die zu ihm in den Teeladen gekommen wären, angegriffen worden. Sie hätten gegeneinander gekämpft und hätten zwei uniformierte Polizisten, die nebenbei gesessen seien, wörtlich gesagt, dass der BF1 getötet werden solle. Sie wären von Passanten getrennt worden. In der Nacht sei er zu seiner Frau gegangen und habe ihr gesagt, dass er sie liebe, jedoch nicht mehr mit ihr zusammen sein könne. Sie habe versucht ihn zum Bleiben zu überreden.

Am 09.12.2015 wurden sowohl der BF1 und die BF2 vor dem Bundesamt niederschriftlich einvernommen.

Dabei wurde der BF1 zu seinem Vorbringen betreffend die Eheschließung mit BF2 befragt. Auch die BF2 wurde zur vorgebrachten Heirat mit BF1 und den diesbezüglich näheren Gegebenheiten ausführlich befragt. Ferner gab sie dezidiert zu ihren Fluchtgründen befragt an, dass ihre Probleme begonnen hätten, als sie ihren Mann habe heiraten wollen, da dies ihre Familie nicht gewollt habe. Deshalb sei ihr Mann geschlagen worden und hätte sie zwangsverheiratet werden sollen, als ihr Mann bereits ausgereist sei. Sie habe die Möglichkeit gehabt zu fliehen oder einen Mann zwangsheiraten zu müssen. Deshalb sei sie geflohen. Sie habe von ihrer Schwester erfahren, dass ihr Bruder sie töten wolle, weil sie ihren Mann immer noch liebe. Ihre Familie sei gegen eine Heirat mit BF1 gewesen, da er einem Minderheitenclan angehöre.

Am XXXX wurde der Drittbeschwerdeführer (in der Folge BF3) im österreichischen Bundesgebiet geboren und stellte BF2, als seine gesetzliche Vertreterin, für den BF3 am 09.05.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Dabei wurden die Kopie eines Meldezettels und eine Geburtsurkunde in Vorlage gebracht. Im Rahmen einer niederschriftlichen Einvernahme der BF2, als gesetzlich Vertreterin des BF3, am 21.07.2016 wurde vorgebracht, dass BF3 als Sohn des BF1 zur selben Volksgruppe wie sein Vater angehöre, weshalb ihm aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit Diskriminierung drohe.

Am XXXX wurde der Viertbeschwerdeführer (in der Folge BF4) im österreichischen Bundesgebiet geboren und brachte BF2 als gesetzliche Vertreterin des BF4 am 04.09.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz ein. Dem Antrag wurden die Kopie eines Meldezettels und eine Geburtsurkunde beigelegt. Im Rahmen einer niederschriftlichen Einvernahme der BF2, als gesetzlich Vertreterin des BF4, am 29.11.2017 wurde vorgebracht, dass BF4 die gleichen Fluchtgründe wie sein Vater habe. Sein Vater habe seine Fluchtgründe bereits vorgebracht. BF4 habe dieselben Übergriffe wie sein Vater zu befürchten.

Mit Bescheiden vom 14.07.2016 im Fall des Erstbeschwerdeführers, vom 06.07.2016 im Fall der Zweitbeschwerdeführerin, vom 27.09.2016 im Fall des Drittbeschwerdeführers und vom 30.11.2017 im Fall des Viertbeschwerdeführers wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen und den Beschwerdeführern der Status der Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkte I.). Unter den Spruchpunkten II. wurde den Beschwerdeführern gemäß § 8 Abs. 1 leg. cit. der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung gem. § 8 Abs. 4 AsylG erteilt.

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass nicht habe festgestellt werden können, dass BF1 jemals persönlichen Kontakt mit Al-Shabaab gehabt habe oder BF2 persönlich von Al-Shabaab bedroht worden sei. Nicht glaubhaft sei die Heirat zwischen BF1 und BF2 in Somalia und die Probleme die BF1 mit der Familie von BF2, wegen der angeblichen Heirat und der Clanzugehörigkeit von BF1, bekommen habe. Glaubhaft sei, dass BF1 sein Heimatland aufgrund der prekären Sicherheitslage in Somalia verlassen habe. Weder eine Einschränkung seiner Bewegungsfreiheit noch eine etwaige Verfolgung durch den somalischen Staat habe festgestellt werden können. Die Behörde gehe davon aus, dass BF1 Somalia aus wirtschaftlichen oder sonstigen Überlegungen verlassen habe. In den Bescheiden von BF3 und BF4 wurde auf die diesbezüglichen Angaben ihrer gesetzlichen Vertreterin hingewiesen. Demnach habe die gesetzliche Vertreterin der BF3 und BF4 keine eigenen Fluchtgründe ins Treffen geführt, sondern sich lediglich auf die, bereits für unglaubhaft befundenen Fluchtgründe von BF1, dem Vater der BF3 und BF4, bezogen. Es wäre davon auszugehen, dass bei einer Rückkehr nach Somalia zum jetzigen Zeitpunkt für die Beschwerdeführer als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen des derzeit herrschenden innerstaatlichen Konfliktes nicht auszuschließen sei, zumal die einzigen familiären Anknüpfungspunkte in Süd- Zentralsomalia seien. Diese Region sei besonders gebeutelt durch wiederaufflammende Clankonflikte und anhaltenden Kämpfen zwischen den AMISOM-Truppen sowie al-Shabaab. Des Weiteren wurde auf die aktuellen Länderfeststellungen zu Somalia verwiesen und im Rahmen der rechtlichen Beurteilung dazu ausgeführt, dass die Sicherheitslage in Süd-/Zentralsomalia nach wie vor äußerst kritisch und volatil sei. Dadurch würde die Gefahr bestehen, dass die Beschwerdeführer in eine bedrohliche Lebenssituation geraten könnten. Aus diesem Grund werde ihnen der Status des subsidiär Schutzberechtigten erteilt.

Gegen die oben angeführten Bescheide wurde fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde, wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie der Verletzung von Verfahrensvorschriften, beim Bundesverwaltungsgericht erhoben. Im Wesentlichen wurde vorgebracht, dass die Fluchtgründe aufrecht gehalten würden. Der BF1 habe Somalia aufgrund einer Verfolgung wegen seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verlassen. So sei er von der Familie seiner Frau wegen seiner Volksgruppenzugehörigkeit attackiert, verfolgt und mit dem Tode bedroht worden. Die Behörde habe die Unglaubwürdigkeit des Vorbringens der B1 und BF2 auf die widersprüchlichen Angaben bezüglich der Zwangsverheiratung der BF2 gestützt, wobei darauf hingewiesen wurde, dass BF1 und BF2 übereinstimmend angegeben hätten, heimlich geheiratet zu haben. Ferner wurde erneut darauf hingewiesen, dass BF1 dem Clan der Ajuuran und BF2 dem Clan der Marehan, welcher dem Clan der "Darod" zugehöre, angehören würden. Mischehen würden vorkommen, jedoch in den meisten Fällen weiterhin problematisch seien. Zudem wurde ins Treffen geführt, dass die Behörde keine ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens vorgenommen habe. Ferner sei die Behörde nicht auf die von Seiten der BF2 vorgebrachten Misshandlungen durch ihre Familienangehörigen eingegangen. Hinsichtlich der minderjährigen BF3 und BF4 wurde darauf hingewiesen, dass diesen aufgrund der Mischehe ihrer Eltern Verfolgung drohe. BF3 und BF4 würden aus einer Mischehe hervorkommen und drohe ihnen im Heimatland Somalia Verfolgung durch die Familie deren Mutter. Die Kindesmutter, BF2, sei aufgrund ihrer gemischten Ehe von ihrem Clan verstoßen worden. Dies treffe auch BF3 und BF4 und würde ihnen dieselbe Konsequenz, wie der Kindesmutter, drohen und wurde dabei auch auf das Vorbringen sowie auf die Beschwerde der BF1 und BF2 hingewiesen, im Rahmen derer auf die drohende Verfolgung aufgrund der Mischehe der BF1 und BF2, als Eltern der BF3 und BF4, verwiesen wurde.

Mit Stellungahme, datiert mit 09.04.2018, wurde erneut auf die Problematik von Mischehen zwischen Minderheits- und Mehrheitsclans verwiesen und in Somalia weder erlaubt noch akzeptiert würden.

Das Bundesverwaltungsgericht führte am 10.04.2018 in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Somalisch eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in welcher der Erst- und die Zweitbeschwerdeführer ausführlich zu ihren Fluchtgründen, ihren persönlichen Umständen im Herkunftsstaat befragt wurden.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage der Beschwerden gegen die angefochtenen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der Einsichtnahme in die bezughabenden Verwaltungsakten, der eingebrachten Stellungnahme, der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie der Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister, das Zentrale Fremdenregister und Strafregister werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person der Beschwerdeführer:

Die Identität der BF1 und BF2 steht nicht fest. Die Identität von BF3 und BF4 steht fest. Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige der Bundesrepublik Somalia. BF1 gehört der Volksgruppe der Ajuran, Subclan der Allied, Subsublan der Hawiye an. BF2 gehört dem Clan der Marhehan an. Die Beschwerdeführer haben moslemischen Glauben. BF1 und BF2 lebten vor ihrer Ausreise in XXXX .

BF1 hat sein Herkunftsland im April 2014 und BF2 im März 2015 verlassen. BF1 und BF2 reisten illegal in das österreichische Bundesgebiet und stellte BF1 am 15.05.2014 und BF2 am 26.03.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. BF3 und BF4 sind im österreichischen Bundesgebiet geboren und wurde jeweils durch deren gesetzliche Vertretung BF2, für BF3 am 09.05.2016 und für BF4 am 04.09.2017 ein Antrag auf internationalen Schutz eingebracht. BF1 und BF2 sind die Eltern der minderjährigen BF3 und BF4.

BF1 besuchte von 2011 bis 2014 die Koranschule und anschließend eine Privatschule. BF2 besuchte fünf Jahre lang, von 2004 bis 2009, eine Privatschule. BF1 spricht Englisch und Somalisch in Wort und Schrift. BF2 sprich Somalisch in Wort und Schrift. Der BF1 arbeitete vor seiner Ausreise als Verkäufer in einem Geschäft. Im Herkunftsland leben Familienangehörige der BF.

Das von den Beschwerdeführern ins Treffen geführte Verfolgungsvorbringen kann nicht festgestellt werden. Die Beschwerdeführer waren in Somalia keiner konkreten individuellen Verfolgung ausgesetzt und wurden von ihnen asylrelevante Gründe für das Verlassen des Heimatstaates nicht glaubhaft dargetan. Auch eine drohende asylrelevante Verfolgung aus anderen Gründen ist nicht hervorgekommen und zwar weder aufgrund des Vorbringens der Beschwerdeführer noch aus amtswegiger Wahrnehmung. Im Entscheidungszeitpunkt kann eine aktuelle Gefährdung der Beschwerdeführer nicht festgestellt werden. Die Beschwerdeführer haben mit ihrem Vorbringen keine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention glaubhaft gemacht.

Die Beschwerdeführer sind in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zur maßgeblichen Situation in Somalia

Minderheiten und Clans

Die somalische und auch die puntländische Verfassung bekennen sich zum Grundsatz der Nichtdiskriminierung (AA 1.1.2017). Allerdings waren Regierung und Parlament für lange Zeit entlang der sogenannten

"4.5 Lösung" organisiert, welche bedeutet, dass die Vertreter der großen Clans dieselbe Anzahl von Parlamentssitzen zustehen, während kleineren Clans und Minderheitengruppen gemeinsam die Hälfte dieser Sitze zustehen (ÖB 9.2016; vgl. USDOS 3.3.2017). So blieben die Clans der entscheidende Faktor in der somalischen und somaliländischen Politik. Gegen oder ohne sie lässt sich kein Staat aufbauen. Dementsprechend sind politische Parteien, lokale Verwaltungen und auch das nationale Parlament um die verschiedenen Clans bzw. Sub-Clans organisiert, wobei die vier größten Clans (Darood, Hawiye, Dir-Isaaq und Digil-Mirifle) Verwaltung, Politik, und Gesellschaft dominieren. Insgesamt hat sie bisher weder zu einem Fortschritt der ethnischen bzw. Clan-bedingten Gleichberechtigung beigetragen, noch hatte sie positive Auswirkungen auf das Miteinander auf Gemeindeebene (ÖB 9.2016). In politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Angelegenheiten ist die Clanzugehörigkeit also weiterhin wichtig, was Minderheiten und IDPs marginalisieren kann (SEM 31.5.2017).

Die Minderheiten sind im somalischen Parlament und der somalischen Regierung vertreten, ihre Stimme hat aber wenig Gewicht. Weder das traditionelle Recht xeer noch Polizei und Justiz benachteiligen die Minderheiten systematisch. Faktoren wie die Finanzkraft, das Bildungsniveau oder die zahlenmäßige Größe einer Gruppe können Minderheiten dennoch den Zugang zur Justiz erschweren. (SEM 31.5.2017). Viele Minderheitengemeinden leben in tiefer Armut und leiden an zahlreichen Formen der Diskriminierung und Exklusion (USDOS 3.3.2017). Einzelne Minderheiten (u.a. Jareer, Benadiri, Gabooye) leben unter besonders schwierigen sozialen Bedingungen und sehen sich in vielfacher Weise von der übrigen Bevölkerung - nicht aber systematisch von staatlichen Stellen - wirtschaftlich, politisch und sozial ausgegrenzt (AA 1.1.2017).

Minderheitengemeinden sind überproportional von der im Land herrschenden Gewalt betroffen (Tötungen, Folter, Vergewaltigungen etc.) (USDOS 3.3.2017).

Gruppen wie die Rahanweyn, die Bantu oder die Madhiban können nur in geringerem Ausmaß auf Rücküberweisungen durch Angehörige in der Diaspora zählen, da sich in der Diaspora verhältnismäßig wenige Rahanweyn und Bantu finden (SEMG 8.11.2017).

Bei al Shabaab gilt generell, dass jene Clans, die als gegen al Shabaab gerichtet erachtet werden, mit mehr Problemen zu rechnen haben - sei es z.B. eine höhere Besteuerung; ökonomische Isolierung; oder Plünderung (EASO 8.2014).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (1.1.2017): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia

-

EASO - European Asylum Support Office (8.2014): South and Central Somalia: Country Overview,

http://www.ecoi.net/file_upload/90_1412334993_easo-2014-08-coi-report-somalia.pdf, Zugriff 21.11.2017

-

ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi (9.2016): Asylländerbericht Somalia

-

SEM - Staatssekretariat für Migration (Schweiz) (31.5.2017): Focus Somalia - Clans und Minderheiten, https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender/afrika/som/SOM-clans-d.pdf, Zugriff 22.11.2017

-

SEMG - Somalia and Eritrea Monitoring Group (8.11.2017): Report of the SEMG on Somalia,

https://www.un.org/ga/search/view_doc.asp?symbol=S/2017/924, Zugriff 14.11.2017

-

USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Somalia, http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2016&dlid=265300, Zugriff 13.9.2017

Bevölkerungsstruktur

Mehr als 85% der Bevölkerung teilen eine ethnische Herkunft (USDOS 3.3.2017). Eine andere Quelle besagt, dass laut einer Schätzung aus dem Jahr 2002 die Minderheiten zusammen ungefähr ein Drittel der Bevölkerung Somalias ausmachen sollen (ÖB 9.2016). Jedenfalls gibt es in ganz Somalia eine Zersplitterung in zahlreiche Clans, Subclans und Sub-Subclans, deren Mitgliedschaft sich nach Verwandtschaftsbeziehungen bzw. nach traditionellem Zugehörigkeitsempfinden bestimmt (AA 1.1.2017; vgl. ÖB 9.2016, SEM 31.5.2017). Diese Unterteilung setzt sich fort bis hinunter zur Kernfamilie (SEM 31.5.2017).

Die Zugehörigkeit zu einem Clan ist der wichtigste identitätsstiftende Faktor für Somalis. Sie bestimmt, wo jemand lebt, arbeitet und geschützt wird (SEM 31.5.2017). Dieses Identifikationsmerkmal bestimmt, welche Position eine Person oder Gruppe im politischen Diskurs oder auch in bewaffneten Auseinandersetzungen einnimmt (AA 4.2017a). Darum kennen Somalis üblicherweise ihre exakte Position im Clansystem (SEM 31.5.2017). Allerdings gibt eines keine physischen Charakteristika, welche die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Clan erkennen ließen. Daher wissen die Menschen in Mogadischu und anderen großen Städten nicht automatisch, welchem Clan eine Person angehört (LI 4.4.2016).

Die sogenannten "noblen" Clanfamilien können ihre Abstammung auf einen mythischen gemeinsamen Vorfahren namens Hiil bzw. dessen Söhne Samaale und Saab zurückverfolgen, die vom Propheten Mohammed abstammen sollen. Die meisten Minderheiten können eine solche Abstammung hingegen nicht geltend machen (SEM 31.5.2017).

Die Somalis sehen sich also als Nation arabischer Abstammung. Die "noblen" Clanfamilien sind meist Nomaden:

* Die Darod sind gegliedert in die drei Hauptgruppen Ogaden, Marehan und Harti sowie einige kleinere Clans. Die Harti sind eine Föderation von drei Clans: Die Majerteen sind der wichtigste Clan Puntlands, während die Dulbahante und Warsangeli in den zwischen Somaliland und Puntland umstrittenen Grenzregionen leben. Die Ogaden sind der wichtigste somalische Clan in Äthiopien, haben aber auch großen Einfluss in den südsomalischen Jubba-Regionen sowie im Nordosten Kenias. Die Marehan sind in Süd-/Zentralsomalia präsent.

* Die Hawiye leben v.a. in Süd-/Zentralsomalia. Die wichtigsten Hawiye-Clans sind die Habr Gedir und die Abgaal, beide haben in und um Mogadischu großen Einfluss.

* Die Dir leben im Westen Somalilands sowie in den angrenzenden Gebieten in Äthiopien und Djibouti, außerdem in kleineren Gebieten Süd-/Zentralsomalias. Die wichtigsten Dir-Clans sind die Issa, Gadabursi (beide im Norden) und Biyomaal (Süd-/Zentralsomalia).

* Die Isaaq sind die wichtigste Clanfamilie in Somaliland, wo sie kompakt leben. Teils werden sie zu den Dir gerechnet.

* Die Rahanweyn bzw. Digil/Mirifle werden als weitere Clanfamilie gesehen. Sie gelten als Nachfahren von Saab, dem Bruder von Samaale (SEM 31.5.2017; vgl. AA 4.2017a).

Es ist nicht möglich, die genauen Zahlenverhältnisse der einzelnen Clans anzugeben. Hawiye, Darod, Isaaq und Digil/Mirifle stellen wohl je 20-25% der Gesamtbevölkerung, die Dir deutlich weniger (AA 4.2017a).

Alle Mehrheitsclans sowie ein Teil der ethnischen Minderheiten - nicht aber die berufsständischen Gruppen - haben ihr eigenes Territorium. Dessen Ausdehnung kann sich u.a. aufgrund von Konflikten verändern (SEM 31.5.2017).

Als Minderheiten werden jene Gruppen bezeichnet, die aufgrund ihrer geringeren Anzahl schwächer als die "noblen" Mehrheitsclans sind. Dazu gehören Gruppen mit nichtsomalischer ethnischer Abstammung;

Gruppen, die traditionell als unrein angesehene Berufe ausüben;

sowie die Angehörigen "nobler" Clans, die nicht auf dem Territorium ihres Clans leben oder zahlenmäßig klein sind (SEM 31.5.2017).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (4.2017a): Somalia - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Somalia/Innenpolitik_node.html, Zugriff 13.9.2017

-

AA - Auswärtiges Amt (1.1.2017): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia

-

LI - Landinfo (4.4.2016): Somalia: Praktiske forhold og sikkerhetsutfordringer knyttet til reisevirksomhet i Sør-Somalia, http://www.landinfo.no/asset/3331/1/3331_1.pdf, Zugriff 15.12.2017

-

ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi (9.2016): Asylländerbericht Somalia

-

SEM - Staatssekretariat für Migration (Schweiz) (31.5.2017): Focus Somalia - Clans und Minderheiten, https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender/afrika/som/SOM-clans-d.pdf, Zugriff 22.11.2017

-

USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Somalia, http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2016&dlid=265300, Zugriff 13.9.2017

Ethnische Minderheiten, aktuelle Situation

Ethnische Minderheiten haben eine andere Abstammung und in manchen Fällen auch eine andere Sprache als die restlichen Einwohner des somalischen Sprachraums. Es gibt keine zuverlässigen Angaben über ihre Anzahl. Schätzungen bewegen sich im Bereich zwischen 6% und einem Drittel der Bevölkerung Somalias. Die wichtigsten ethnischen Minderheiten sind (SEM 31.5.2017):

* Die Bantu: Sie sind die größte Minderheit in Somalia. Traditionell leben sie als sesshafte Bauern in den fruchtbaren Tälern der Flüsse Jubba und Shabelle. Es gibt zahlreiche Bantu-Gruppen bzw. -Clans, wie z.B. Gosha, Makane, Kabole, Shiidle, Reer Shabelle, Mushunguli, Oji oder Gobaweyne; pejorativ werden sie auch auch Adoon (Sklaven) oder Jareer (Kraushaar) genannt (SEM 31.5.2017).

* Die Benadiri: "Benadiri" ist ein Dachbegriff für verschiedene voneinander unabhängige urbane Minderheiten, die in den Küstenstädten des Südens leben wie z.B. in Mogadischu, Merka oder Baraawe. Die Benadiri-Gruppen beschäftigen sich traditionell mit Handel. Sie haben eine gemischte Abstammung aus Somalia, Arabien (Oman), Persien, Indien und Portugal. Vor 1991 hatten sie einen privilegierten Status. Ohne bewaffnete Miliz waren sie im Bürgerkrieg aber schutzlos (SEM 31.5.2017).

* Die Bajuni: Sie sind eine kleines Fischervolk, das auf den Bajuni-Inseln an der Südspitze Somalias sowie in Kismayo lebt (SEM 31.5.2017).

Die soziale Stellung der ethnischen Minderheiten ist unterschiedlich. Die Benadiri sind gemeinhin als Händler respektiert (SEM 31.5.2017). Die Existenz einer dynamischen Wirtschaftsgemeinde der Benadiri ist erwiesen (UKUT 5.11.2015). Ihnen ist es gelungen, Positionen in der Verwaltung zu besetzen. Außerdem sind die meisten in Mogadischu verbliebenen Benadiri-Kaufleute verhältnismäßig wohlhabend und können sich Schutz zukaufen (EASO 8.2014). Benadiri können sich auf der Suche nach einem Lebensunterhalt an diese Gemeinde wenden (UKUT 5.11.2015).

Auf die sesshaften Bantu hingegen, die teils einst als Sklaven ins Land gekommen waren, blicken die meisten Somali herab (SEM 31.5.2017). Die Bantu werden aufgrund ihrer Ethnie diskriminiert (UNHRC 28.10.2015). Es gibt aber auch höherrangige Bantu, z.B. Brigadegeneral Mohamud Haji Ahmed Ali "Shegow" (SEMG 8.11.2017).

Der Konflikt zwischen der Bantu-Gruppe der Shiidle und den Hawiye/Abgal hat in der Vergangenheit immer wieder zu bewaffneten Auseinandersetzungen geführt. Im November 2013 wurden dabei etwa 5.000 Shiidle aus zwanzig Dörfern nordöstlich von Jowhar (Middle Shabelle) vertrieben (SEMG 8.11.2017; vgl. AA 1.1.2017). Im April 2017 kam es nach Kämpfen zwischen Milizen der Hawiye/Abgal/Wacbudan/Eli und der Jareer/Shiidle/Bare erneut zur Vertreibung von mehr als 5.000 Jareer aus drei Dörfern in der Nähe von Balcad. Verantwortlich dafür waren Abgal-Milizen und einige unterstützend wirkende Elemente der somalischen Armee. Es gibt kaum Berichte über physischen Schaden an Zivilisten; allerdings wurden die Dörfer geplündert und zum Teil niedergebrannt. Die meisten Menschen flüchteten in die Nähe des AMISOM-Stützpunktes in Balcad (SEMG 8.11.2017).

Im August 2017 wurde eine neue Bezirksverwaltung für Balcad ernannt; nunmehr sind lokale Clans besser repräsentiert. Die neue Verwaltung hat harte Maßnahmen gegen die Konfliktparteien angekündigt, falls weitere Gewalttaten erfolgen sollten; bislang scheint die Drohung zu wirken (SEMG 8.11.2017).

Da sich ethnische Minderheiten durch die auf der Basis von Clans arrangierte Machtteilung in der Regierung benachteiligt sehen, versucht al Shabaab dies für die eigenen Zwecke auszunutzen und dort um Unterstützung zu werben (UNSOM 18.9.2017).

In Gegenden, aus welchen sich al Shabaab zurückgezogen hat, könnte es zu Repressalien gegen einzelne Minderheitenangehörige kommen, wenn diese al Shabaab unterstützt hatten (SEM 31.5.2017; vgl. EASO 8.2014).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (1.1.2017): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia

-

EASO - European Asylum Support Office (8.2014): South and Central Somalia: Country Overview,

http://www.ecoi.net/file_upload/90_1412334993_easo-2014-08-coi-report-somalia.pdf, Zugriff 21.11.2017

-

SEM - Staatssekretariat für Migration (Schweiz) (31.5.2017): Focus Somalia - Clans und Minderheiten, https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender/afrika/som/SOM-clans-d.pdf, Zugriff 22.11.2017

-

SEMG - Somalia and Eritrea Monitoring Group (8.11.2017): Report of the SEMG on Somalia,

https://www.un.org/ga/search/view_doc.asp?symbol=S/2017/924, Zugriff 14.11.2017

-

UNHRC - UN Human Rights Council (28.10.2015): Report of the independent expert on the situation of human rights in Somalia, Bahame Tom Nyanduga,

http://www.ecoi.net/file_upload/1930_1451399567_a-hrc-30-57-en.docx, Zugriff 23.11.2017

-

UNSOM - United Nations Assistance Mission in Somalia (18.9.2017):

Countering Al-Shabaab Propaganda and Recruitment Mechanisms in South Central Somalia,

https://unsom.unmissions.org/sites/default/files/countering_al-shabaab_propaganda_and_recruitment_mechanisms_report_final_-_14_august_2017.pdf, Zugriff 11.11.2017

Berufsständische Minderheiten, aktuelle Situation

Berufsständische Gruppen unterscheiden sich hinsichtlich Abstammung, Sprache und Kultur nicht von der Mehrheitsbevölkerung. Anders als die "noblen" Clans wird ihnen aber nachgesagt, ihre Abstammungslinie nicht auf Prophet Mohammed zurückverfolgen zu können. Ihre traditionellen Berufe werden als unrein oder unehrenhaft erachtet. Die berufsständischen Gruppen stehen auf der untersten Stufe der sozialen Hierarchie der somalischen Gesellschaft. Sie leben verstreut in allen Teilen des somalischen Kulturraums, mehrheitlich aber in Städten (SEM 31.5.2017). Madhiban sind in ganz Somalia zu finden, speziell aber im Norden des Landes (SEMG 8.11.2017). Ein v. a. im Norden bekannter Sammelbegriff für einige berufsständische Gruppen ist Gabooye, dieser umfasst etwa die Tumal, Madhiban, Muse Dheriyo und Yibir (SEM 31.5.2017).

Dabei sind Madhiban teils schwerer Diskriminierung ausgesetzt. Ein Beispiel der Benachteiligung zeigt sich im Konflikt um Galkacyo, wo die Madhiban durch humanitäre Organisationen benachteiligt wurden. Da den Madhiban in IDP-Lagern dort die Aufnahme verweigert wurde, haben sie mit Hilfe einiger Angehöriger in der Diaspora den Kauf eines geeigneten Grundstücks in Galkacyo organisiert, um dort Madhiban-IDPs unterzubringen. Im August 2017 taten es die Tumal den Madhiban gleich (SEMG 8.11.2017).

Heute hat sich die Situation für die Gabooye im Vergleich zur Jahrtausendwende, als sie nicht einmal normal die Schule besuchen konnten, gebessert. Insbesondere unter jungen Somali ist die Einstellung zu ihnen positiver geworden; mittlerweile ist es für viele Angehörige der Mehrheitsclans üblich, auch mit Angehörigen berufsständischer Gruppen zu sprechen, zu essen, zu arbeiten und Freundschaften zu unterhalten. Es gibt keine gezielten Angriffen oder Misshandlungen hinsichtlich der Gabooye (SEM 31.5.2017).

Einzig in der Frage der Mischehen besteht noch eine gesellschaftliche Diskriminierung, da Mehrheitsclans Mischehen mit Angehörigen berufsständischer Gruppen meist nicht akzeptieren. Als besonders problematisch wird es angesehen, wenn eine Mehrheitsfrau einen Minderheitenmann heiratet. Der umgekehrte Fall ist weniger problematisch. Mischehen kommen äußerst selten vor - insbesondere die zuletzt genannte Konstellation. Es bestehen aber offenbar regionale Unterschiede: Im clanmäßig homogeneren Norden des somalischen Kulturraums sind Mischehen seltener und gleichzeitig stärker stigmatisiert als im Süden. Hawiye und Rahanweyn sehen die Frage der Mischehe weniger eng. Außerdem ist der Druck auf Mischehen insbesondere in ländlichen Gebieten ausgeprägt (SEM 31.5.2017).

Kommt eine Mischehe zustande, dann kommt es häufig zur Verstoßung der betroffenen Person durch die eigenen Familienangehörigen (des Mehrheits-Clans). Sie besuchen sie nicht mehr, kümmern sich nicht um ihre Kinder oder brechen den Kontakt ganz ab; es kommt zu sozialem Druck. Die Gesprächspartner der Fact-Finding Mission bekräftigten, dass es unter solchen Umständen so gut wie nie zu Gewalt oder gar Tötungen kommt. Seltene Vorfälle, in denen es etwa in Somaliland im Zusammenhang mit Mischehen zu Gewalt kam, sind in somaliländischen Medien dokumentiert (SEM 31.5.2017).

Insgesamt ist aber die soziale Stufe und die damit verbundene Armut für viele das Hauptproblem. Hinzu kommt, dass diese Minderheiten in der Regel weniger gut organisiert sind und eine tendenziell schlechtere Kenntnis des Rechtssystems haben. Der Zugang berufsständischer Gruppen zur Bildung ist erschwert, weil an ihren Wohnorten z.B. die Schulen fehlen. Außerdem verlassen viele Kinder die Schule früher, um zu arbeiten. Viele Familien sind auf derartige Einkommen angewiesen. Die meist schlechtere Bildung wiederum benachteiligt Minderheitenangehörige bei der Arbeitssuche, bei der ohnehin auch oft schon die Clanzugehörigkeit zu Diskriminierung führen kann. Da sie über eine kleine Diaspora verfügen, profitieren Angehörige berufsständischer Gruppen zudem in geringerem Ausmaß von Auslandüberweisungen als die Mehrheitsclans (SEM 31.5.2017).

Dennoch sind vereinzelt auch Angehörige der berufsständischen Gruppen wirtschaftlich erfolgreich. Sie stellen zwar nach wie vor die ärmste Bevölkerungsschicht; trotzdem gibt es Minderheitenangehörige in den Regierungen, im Parlament und in der Wirtschaft. (SEM 31.5.2017).

Quellen:

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SEM - Staatssekretariat für Migration (Schweiz) (31.5.2017): Focus Somalia - Clans und Minderheiten, https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender/afrika/som/SOM-clans-d.pdf, Zugriff 22.11.2017

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SEMG - Somalia and Eritrea Monitoring Group (8.11.2017): Report of the SEMG on Somalia,

https://www.un.org/ga/search/view_doc.asp?symbol=S/2017/924, Zugriff 14.11.2017

Angehörige anderer Clans in der Position als Minderheit (Biyomaal siehe Abschnitt 3.1.2)

Auch Angehörige "starker" Clans können zu Minderheiten werden. Dies ist dann der Fall, wenn sie in einem Gebiet leben, in dem ein anderer Clan dominant ist. Dies kann Einzelpersonen oder auch ganze Gruppen betreffen. So sehen sich beispielsweise die Biyomaal als exponierter Dir-Clan in Südsomalia manchmal in dieser Rolle. Generell gilt, dass eine Einzelperson immer dann in der "Minderheiten"-Rolle ist, wenn sie sich auf dem Gebiet eines anderen Clans aufhält. Sie verliert so die mit ihrer Clanzugehörigkeit verbundenen Privilegien. Sie gilt als "Gast" in dem Territorium, was sie in eine schwächere Position bringt als die "Gastgeber". In diesem System von "hosts and guests" sind also Personen, die sich außerhalb des eigenen Clanterritoriums niederlassen, gegenüber Angehörigen des dort ansässigen Clans schlechter gestellt. In Mogadischu gelten etwa Angehörige der Isaaq, Rahanweyn und Darod als "Gäste". Dieses System gilt auch für IDPs (SEM 31.5.2017). Dabei sind IDPs, die einem Minderheitenclan angehören, doppelt benachteiligt. Da sie oftmals nicht auf verwertbare Clanverbindungen oder auf den Schutz eines Clans zurückgreifen können sind sie Diskriminierung ausgesetzt (USDOS 3.3.2017).

In den meisten Gegenden schließt der dominante Clan andere Gruppen von einer effektiven Partizipation an Regierungsinstitutionen aus (USDOS 3.3.2017). Auch in den von der Regierung kontrollierten Gebieten ist grundsätzlich von einer Diskriminierung im Lichte der jeweiligen Clan- bzw. Subclan-Zugehörigkeit auszugehen. Dabei kann es sich um wirtschaftliche Diskriminierung beispielsweise im Rahmen staatlicher Vergabeverfahren, aber auch um Diskriminierung beim Zugang zu Nahrungsmittelhilfe, natürlichen Ressourcen, Gesundheitsdienstleistungen oder anderen staatlichen Diensten (AA 1.1.2017), beim Zugang zum Arbeitsmarkt oder um Gerichtsverfahren handeln (USDOS 3.3.2017). Angehörige eines (Sub-)Clans können in Gebieten, die von einem anderen (Sub-)Clan dominiert werden, darüber hinaus auch auf erhebliche Schwierigkeiten stoßen, insbesondere in Konfliktsituationen bezüglich Unfällen, Eigentum oder Wasser (AA 1.1.2017).

Die Ashraf und die Sheikhal werden als religiöse Clans bezeichnet. Die Ashraf beziehen ihren religiösen Status aus der von ihnen angegebenen Abstammung von der Tochter des Propheten; die Sheikhal aus einem vererbten religiösen Status (EASO 8.2014).

Die Ashraf und die Sheikhal werden traditionell respektiert und von den Clans, bei welchen sie leben, geschützt. Die Sheikhal sind außerdem eng mit dem Clan der Hawiye/Hirab assoziiert und nehmen sogar einige Sitze der Hawiye im somalischen Parlament ein. Ein Teil der Ashraf lebt als Teil der Benadiri in den Küstenstädten, ein Teil als Clan der Digil/Mirifle in den Flusstälern von Bay und Bakool (EASO 8.2014).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (1.1.2017): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia

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EASO - European Asylum Support Office (8.2014): South and Central Somalia: Country Overview,

http://www.ecoi.net/file_upload/90_1412334993_easo-2014-08-coi-report-somalia.pdf, Zugriff 21.11.2017

-

SEM - Staatssekretariat für Migration (Schweiz) (31.5.2017): Focus Somalia - Clans und Minderheiten, https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender/afrika/som/SOM-clans-d.pdf, Zugriff 22.11.2017

-

USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Somalia, http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2016&dlid=265300, Zugriff 13.9.2017

Relevante Bevölkerungsgruppen

Frauen

Die aktuelle Verfassung betont in besonderer Weise die Rolle und die Menschenrechte von Frauen und Mädchen und die Verantwortung des Staates in dieser Hinsicht. Tatsächlich ist deren Lage jedoch weiterhin besonders prekär. Frauen und Mädchen bleiben den besonderen Gefahren der Vergewaltigung, Verschleppung und der systematischen sexuellen Versklavung ausgesetzt. Wirksamer Schutz gegen solche Übergriffe - insbesondere in IDP-Lagern - ist mangels staatlicher Autorität bisher nicht gewährleistet (AA 1.1.2017).

Die somalische Regierung hat 2014 einen Aktionsplan zur Bekämpfung sexueller Übergriffe verabschiedet. Die Implementierung geschieht jedoch sehr langsam (ÖB 9.2016). Außerdem wurde im Mai 2016 ein Nationaler Gender Policy Plan verabschiedet. Dieser Plan wurde von der Somali Islamic Scholars Union verurteilt; der Somali Religious Council hat die vorgesehene 30%-Quote für Abgeordnete im somalischen Parlament als gefährlich bezeichnet (USDOS 3.3.2017).

Auch wenn Gewalt gegen Frauen in der Verfassung verboten ist (USDOS 3.3.2017), bleiben häusliche (USDOS 3.3.2017; vgl. AA 1.1.2017, ÖB 9.2016) und sexuelle Gewalt gegen Frauen ein großes Problem (UNSC 5.9.2017). Generell grassiert sexuelle Gewalt ungebremst. Im Zeitraum September 2016 bis März 2017 wurden von UNSOM alleine in den von der Dürre betroffenen Gebieten 3.200 Fälle geschlechtsspezifischer Gewalt dokumentiert (UNHRC 6.9.2017). Besonders betroffen sind davon IDPs in Flüchtlingslagern (ÖB 9.2016; vgl. USDOS 3.3.2017, UNSC 5.9.2017). Im Jahr 2015 waren 75% der Opfer sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt IDPs (ÖB 9.2016). Die IDP-Lager bieten kaum physischen oder Polizeischutz (UNSC 5.9.2017). Auch Frauen und Mädchen von Minderheiten sind häufig unter den Opfern von Vergewaltigungen. Dabei gibt es aufgrund der mit einer Vergewaltigung verbundenen Stigmatisierung der Opfer eine hohe Dunkelziffer (USDOS 3.3.2017). Die Täter sind bewaffnete Männer, darunter auch Regierungssoldaten und Milizionäre (HRW 12.1.2017; vgl. USDOS 3.3.2017, ÖB 9.2016). Im ersten Trimester 2017 wurden 28 Fälle von konfliktbezogener sexueller Gewalt dokumentiert, im letzten Trimester 2016 waren es 13. Dieser Anstieg kann vermutlich mit der wachsenden Zahl an Dürre-bedingten IDPs erklärt werden (UNSC 9.5.2017). Von staatlichem Schutz kann - zumindest für die am meisten vulnerablen Fälle - nicht ausgegangen werden (HRW 12.1.2017; vgl. ÖB 9.2016).

Vergewaltigung ist zwar gesetzlich verboten (AA 1.1.2017), die Strafandrohung beträgt 5-15 Jahre, vor Militärgerichten auch den Tod (USDOS 3.3.2017). Strafverfolgung oder Verurteilungen wegen Vergewaltigung oder anderer Formen sexueller Gewalt sind in Somalia dennoch rar (AA 1.1.2017; vgl. ÖB 9.2016, USDOS 3.3.2017). Generell herrscht Straflosigkeit, bei der Armee wurden aber einige Soldaten wegen des Vorwurfs von Vergewaltigung verhaftet (USDOS 3.3.2017). Manchmal verlangt die Polizei von den Opfern, die Untersuchungen zu ihrem eigenen Fall selbst zu tätigen. Frauen fürchten sich davor, Vergewaltigungen anzuzeigen, da sie mit möglichen Repressalien rechnen (USDOS 3.3.2017).

Al Shabaab hat Vergewaltiger zum Tode verurteilt (USDOS 3.3.2017). Andererseits gibt es Berichte die nahelegen, dass sexualisierte Gewalt von der al Shabaab gezielt als Taktik im bewaffneten Konflikt eingesetzt wird (AA 1.1.2017).

Auch traditionelle bzw. informelle Streitschlichtungsverfahren können das schwache Durchgreifen des Staates nicht ersetzen, da sie dazu neigen, Frauen zu diskriminieren und Täter nicht zu bestrafen (ÖB 9.2016). Dabei werden Vergewaltigungen oder sexuelle Übergriffe meist vor traditionellen Gerichten abgehandelt, welche entweder eine Kompensationszahlung vereinbaren oder aber eine Ehe zwischen Opfer und Täter erzwingen (USDOS 3.3.2017; vgl. UNHRC 6.9.2017). Auch Gruppenvergewaltigungen werden hauptsächlich zwischen Ältesten verhandelt. Die Opfer erhalten keine direkte Entschädigung, diese geht an die Familie (UNHRC 6.9.2017). Das patriarchalische Clansystem und xeer an sich bieten Frauen keinen Schutz. Wird ein Vergehen gegen eine Frau gemäß xeer gesühnt, dann wird zwar die Familie des Opfers finanziell kompensiert, der Täter aber nicht bestraft (SEM 31.5.2017).

In Puntland wurde im Jahr 2015 ein Gesetz gegen Vergewaltigung in Kraft gesetzt. Mit diesem Gesetz wurde die formelle Justiz als relevanter Apparat zur Prozessführung bei Vergewaltigungen eingesetzt. Die Frage darüber, ob ein Verfahren geführt wird, entscheidet der Generalstaatsanwalt, nicht das Opfer. Traditionelle Älteste werden von allen Schritten des Verfahrens ausgeschlossen. Damit ist die Anwendung informeller oder traditioneller Konfliktlösungsmechanismen bei Vergewaltigung oder Sexualverbrechen verboten. Allerdings bedarf es zur effektiven Umsetzung noch Ausbildungsmaßnahmen für die nunmehr verantwortlichen Richter. Trotzdem ist diese neue Gesetzeslage in Somalia einzigartig und zukunftsweisend (UNHRC 6.9.2017). Laut einer vom puntländischen Generalstaatsanwalt veröffentlichten Statistik über Vergewaltigungsfälle in Puntland im Jahr 2016 wurden dort 123 Prozesse gegen Vergewaltiger geführt (A 2.2017).

Auch unter der neuen Verfassung gilt in Somalia weiterhin das islamische Scharia-Recht, auf dessen Grundlage auch die Eheschließung erfolgt. Polygamie ist somit erlaubt, ebenso die Ehescheidung (ÖB 9.2016). Laut Übergangsverfassung sollen beide Ehepartner das "age of maturity" erreicht haben; als Kinder werden Personen unter 18 Jahren definiert. Außerdem sieht die Verfassung vor, dass beide Ehepartner einer Eheschließung freiwillig zustimmen müssen. Trotzdem ist die Kinderehe verbreitet. In ländlichen Gebieten verheiraten Eltern ihre Töchter manchmal schon im Alter von zwölf Jahren. Insgesamt wurden 45% der Frauen im Alter von 20-24 Jahren bereits mit 18 Jahren, 8% bereits im Alter von 15 Jahren verheiratet (USDOS 3.3.2017).

Zu von der al Shabaab herbeigeführten Zwangsehen kommt es auch weiterhin (SEMG 8.11.2017), allerdings nur in den von al Shabaab kontrollierten Gebieten (DIS 3.2017; vgl. USDOS 3.3.2017). Das Ausmaß ist unklar. Manchmal werden die Eltern der Braut bedroht. Zwangsehen der al Shabaab in städtischen Zentren sind nicht bekannt (DIS 3.2017). Die Gruppe nutzt zusätzlich das System der Madrassen (Religionsschulen), um potentielle Bräute für die eigenen Kämpfer zu identifizieren (SEMG 8.11.2017). Immer mehr junge Frauen werden radikalisiert und davon angezogen, eine "Jihadi-Braut" werden zu können (SEMG 8.11.2017; vgl. BFA 8.2017).

Al Shabaab setzt Frauen - manchmal auch Mädchen - zunehmend operativ ein, etwa für den Waffentransport in und aus Operationsgebieten; für die Aufklärung und zur Überwachung (SEMG 8.11.2017); oder als Selbstmordattentäterinnen (DIS 3.2017).

Sowohl im Zuge der Anwendung der Scharia als auch bei der Anwendung traditionellen Rechtes sind Frauen nicht in Entscheidungsprozesse eingebunden (USDOS 3.3.2017). Zudem gelten die aus der Scharia interpretierten Regeln des Zivilrechts und Strafrechts, die Frauen tendenziell benachteiligen bzw. einem (übersteigerten) paternalistischen Ansatz folgen. Für Frauen gelten entsprechend

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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