TE Bvwg Erkenntnis 2019/12/3 W235 2126303-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 03.12.2019
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Entscheidungsdatum

03.12.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §54 Abs1 Z2
AsylG 2005 §55 Abs1 Z1
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9 Abs2
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §52

Spruch

W235 2126302-1/16E

W235 2126304-1/17E

W235 2126303-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Maga. Sabine MEHLGARTEN-LINTNER als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1. XXXX , geb. XXXX , 2. mj. XXXX , geb. XXXX und 3. mj. XXXX , geb. XXXX , 2. und 3. gesetzlich vertreten durch: XXXX , alle StA. Russische Föderation, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.04.2016, Zl. 13-831803504-1764971 (ad 1.), Zl. 13-831803602-1764963 (ad 2.) sowie Zl. 13-831803700-1764955 (ad 3.) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 19.06.2019 zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. und II. der angefochtenen Bescheide wird gemäß § 3 Abs. 1 sowie § 8 Abs. 1 AsylG als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen die jeweiligen Spruchpunkte III. und IV. der angefochtenen Bescheide wird stattgegeben und festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG iVm § 9 Abs. 2 und 3 BFA-VG auf Dauer unzulässig ist. XXXX , mj. XXXX und mj. XXXX wird gemäß § 54 Abs. 1 Z 2 und § 58 Abs. 2 iVm § 55 Abs. 1 Z 1 AsylG der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung" für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1.1. Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter der minderjährigen Zweit- und Drittbeschwerdeführer. Alle drei Beschwerdeführer sind Staatsangehörige der Russischen Föderation tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit. Nach unrechtmäßiger Einreise in das österreichische Bundesgebiet stellte die Erstbeschwerdeführerin für sich und als gesetzliche Vertreterin für die minderjährigen Zweit- und Drittbeschwerdeführer am 08.12.2013 jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz.

1.2. Am Tag der Antragstellung wurde die Erstbeschwerdeführerin einer Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes unterzogen, wobei sie zunächst zu ihren persönlichen Daten angab, dass sie in Grosny gelebt habe, Tschetschenisch und Russisch spreche, Moslemin sei und von 1976 bis 1986 die Grundschule besucht habe. Im Herkunftsland würden noch ihre Eltern, ihr Mann, ihre Schwester und ihr Bruder leben. Am XXXX 12.2013 sei sie mit den minderjährigen Zweit- und Drittbeschwerdeführern von ihrem Vater von Grosny nach Russland gebracht worden. Dort habe ihr Vater mit einem LKW-Fahrer ausgemacht, dass er sie und die Kinder nach Österreich bringe. Am 08.12.2013 seien sie aus dem LKW ausgestiegen und hätten nach einer Stunde Fußweg die Polizei erreicht.

Zu ihren Fluchtgründen befragt, gab die Erstbeschwerdeführerin an, dass ihr Mann vor ca. sechs Monaten von unbekannten, maskierten Personen in schwarzen Militäruniformen mitgenommen worden sei, da er am ersten und am zweiten Tschetschenenkrieg teilgenommen habe. Daher habe sie Angst um sich und um die minderjährigen Zweit- und Drittbeschwerdeführer gehabt. Sie habe befürchtet, ebenfalls mitgenommen, unter Drogen gesetzt und als Selbstmordattentäterin verwendet zu werden. Zu konkreten Vorfällen in diese Richtung sei es jedoch nach der Verschleppung ihres Mannes nicht gekommen.

1.3. Nach Zulassung zum inhaltlichen Verfahren wurde die Erstbeschwerdeführerin am 01.12.2015 einer Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl unterzogen, in welcher sie sie zunächst angab, dass sie sich psychisch und physisch in der Lage fühle, die gestellten Fragen wahrheitsgemäß zu beantworten. Eingangs der Einvernahme gab sie ferner an, dass die Nerven des Zweitbeschwerdeführers geschädigt seien; er falle oft hin. Er könne zwar gehen, aber man müsse ihn stützen. Der Zweitbeschwerdeführer besuche die Schule, der Drittbeschwerdeführer den Kindergarten. Abgesehen von ihren Kindern habe die Erstbeschwerdeführerin keine verwandtschaftlichen Beziehungen in Österreich. Sie müsse sich ständig um den Zweitbeschwerdeführer kümmern. Weiters müsse sie kochen und putzen. Sie verstehe ein bisschen Deutsch, könne es aber nicht sprechen. Arbeit habe sie keine in Österreich.

In der Russischen Föderation habe die Erstbeschwerdeführerin ein Lebensmittelgeschäft und zwei Tomaten-Glashäuser gehabt. Davon habe sie ihre Familie ernähren können. Außerdem habe sie eine Invalidenrente für den Zweitbeschwerdeführer bekommen. In manchen Monaten habe die Erstbeschwerdeführerin 160.000 Rubel [Anm. d.s. ca. € 3.670,00 per Kurs vom 01.10.2013] verdient. Sie habe das Geld für die Operationen des Zweitbeschwerdeführers gebraucht. Auch ihre Verwandten hätten ihr viel geholfen. Mit Verwandten meine sie ihre Eltern, einen Bruder, zwei Schwestern, mehrere Onkeln, Tanten, Cousins und Cousinen. Sie sie mit XXXX , geb. XXXX , nach moslemischen Brauch verheiratet. Im Jahr 2001 hätten sie geheiratet und sei ihr Mann der Vater der minderjährigen Zweit- und Drittbeschwerdeführer. Im Herkunftsstaat habe die Erstbeschwerdeführerin immer gearbeitet und sich um den Zweitbeschwerdeführer gekümmert. Er habe Operationen und Massagen gebraucht und deshalb habe sie immer Geld verdienen müssen. Der Familie sei es gut gegangen; sie habe gearbeitet und ihr Mann habe gearbeitet. Sie hätten keine finanziellen Schwierigkeiten gehabt. Die Familie habe im eigenen Haus gewohnt, welches ihrem Mann gehört habe.

Die Erstbeschwerdeführerin sei verheiratet, wisse jedoch nicht, wo sich ihr Mann befinde. Er sei ein halbes Jahr bevor sie nach Österreich gekommen sei, verschwunden. Sie habe keinen Kontakt zu ihm. Ihr Mann habe mit Wahabiten zu tun gehabt, wovon wahrscheinlich jemand erfahren habe. Zwei Wochen nachdem ihr Mann Ende Juni 2013 verschwunden sei, hätten bewaffnete Männer ihr Haus gestürmt. Sie hätten wissen wollen, wo sich ihr Mann befinde und hätten die Erstbeschwerdeführerin mit Waffen bedroht. Sie seien dreimal bei ihr gewesen und daraufhin sei sie zu ihren Eltern gegangen. Diese Männer hätten die Erstbeschwerdeführerin auch geschlagen. Danach seien diese Männer auch einige Male zu ihren Eltern gekommen. Im August und September [2013] sei sie bei ihren Eltern gewesen. Dann habe sie ihr Vater nach Moskau gebracht. Dort sei sie im Oktober und November [2013] bei Bekannten gewesen. Dann habe sie ihr Vater angerufen und gesagt, dass diese Männer ihre Adresse in Moskau in Erfahrung gebracht hätten. Ende November sei sie dann mit den Kindern zurück nach Tschetschenien gefahren und in der Folge habe sie ihr Vater außer Landes gebracht. Auf Nachfrage gab die Erstbeschwerdeführerin an, dass diese Männer von ihr hätten wissen wollen, wo sich ihr Mann befinde, wer zu ihnen auf Besuch gekommen sei und wohin ihr Mann gegangen sein könnte. Sie habe darüber jedoch nichts gewusst. Weil ihr Mann mit Wahabiten zu tun gehabt habe, werde die gesamte Familie verfolgt. Auf wörtlichen Vorhalt ihrer Aussage in der Erstbefragung gab die Erstbeschwerdeführerin an: "Als ich ihn geheiratet habe, hat er am Krieg teilgenommen. Danach hat er sich mit diesem Wahabiten eingelassen." Auf Vorhalt, sie habe bei der Erstbefragung nicht gesagt, dass sie geschlagen worden sei, brachte die Erstbeschwerdeführerin vor, sie sei danach nicht gefragt worden und sei unter Stress gewesen. Sie sei nur gefragt worden, was ihr gedroht habe. Auf weiteren Vorhalt, dass die Sache ja erledigt gewesen sei, gab sie an, "sie" würden einen nicht in Ruhe lassen, bis "sie" diejenigen fänden, die "sie" finden hätten wollen. Die Erstbeschwerdeführerin sei bei der Polizei gewesen und habe ihr diese gesagt, sie würde ihr helfen, wenn sie nicht schuldig sei. Danach hätten sie jedoch nichts getan. Mit Wahabiten beschäftige sich eine andere Abteilung. Warum diese Probleme erst 2013 beginnen hätten sollen, wisse die Erstbeschwerdeführerin nicht.

Auf Vorhalt, es sei glaubhaft, dass sie ihr Heimatland mit dem Wunsch nach Migration verlassen habe, gab die Erstbeschwerdeführerin an, dass sie kein schlechtes Leben gehabt habe. Sie habe keine finanziellen Probleme gehabt und sei in Moskau in den besten Kliniken gewesen. Sie habe auch immer gearbeitet und keinen Grund gehabt, das Land zu verlassen.

Der Zweit- und der Drittbeschwerdeführer hätten keine eigenen Fluchtgründe. Die Erstbeschwerdeführerin suche für ihre Kinder im gleichen Umfang um Asyl an wie für sich selbst.

Im Rahmen der Einvernahme legte die Erstbeschwerdeführerin nachstehende Unterlagen vor:

* medizinischer Befund eines Facharztes für Psychiatrie und Neurologie vom XXXX 01.2014, dem unter "Vorgeschichte" zu entnehmen ist, dass die Erstbeschwerdeführerin von ihrem Mann wegen vieler Probleme getrennt lebt; diagnostiziert wurde bei der Erstbeschwerdeführerin ein Einriss der Rotatorenmanschette der rechten Schulter und beim Zweitbeschwerdeführer eine angeborene inkomplette Querschnittlähmung nach Spina bifida rechts stärker als links sowie fehlende Kontrolle von Harnblasen- und Mastdarmfunktion (vgl. AS 111);

* medizinischer Befund eines Facharztes für Psychiatrie und Neurologie vom XXXX 06.2014, dem unter "Vorgeschichte" zu entnehmen ist, dass die Erstbeschwerdeführerin von ihrem Mann wegen dessen Gewalttätigkeit getrennt lebt; diagnostiziert wurde bei der Erstbeschwerdeführerin ein Einriss der Rotatorenmanschette der rechten Schulter und beim Zweitbeschwerdeführer eine angeborene inkomplette Querschnittlähmung nach Rückenmarksmissbildung (Spina bifida) rechts stärker als links sowie fehlende Kontrolle von Harnblasen- und Mastdarmfunktion (vgl. AS 113);

* Behindertenpass des Zweitbeschwerdeführers, dem ein 80%iger Grad der Behinderung zu entnehmen ist, ausgestellt vom Sozialministeriumservice, Landesstelle Steiermark am XXXX 09.2014 mit Gültigkeit bis zum XXXX 09.2016;

* Arztbrief betreffend den Zweitbeschwerdeführer vom XXXX 12.2014 betreffend eine stationäre Aufnahme zur Korrektur des rechten oberen Sprunggelenks bei Auswärtsrotationsfehler sowie Valgusinstabilität rechts samt Hinweis auf Entlassung in häusliche Pflege nach problemlosen Operationsverlauf sowie Aufenthaltsbestätigung eines Landeskrankenhauses von XXXX 12.2014 bis XXXX 12.2014;

* ambulanter Arztbrief betreffend den Zweitbeschwerdeführer vom XXXX 09.2015 wegen einer geplanten Harntraktsonografie mit Ergebnis eines sauberen Einmalkatheterismus restharnfrei fünfmal täglich und dem Hinweis auf den nächsten Kontrolltermin im Feber 2016 und

* Teilnahmebestätigung der Erstbeschwerdeführerin an einem psychosozialen Projekt mit Maßnahmen zur Integration vom XXXX 07.2015

2. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurden die Anträge auf internationalen Schutz der Beschwerdeführer bezüglich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 Z 2 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkte I.). Unter den jeweiligen Spruchpunkten II. dieser Bescheide wurden die Anträge der Beschwerdeführer bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Russische Föderation gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. Ferner wurde den Beschwerdeführern unter Spruchpunkt III. der angefochtenen Bescheide ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig ist. Letztlich wurde unter den jeweiligen Spruchpunkten IV. festgehalten, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt.

In seiner Begründung stellte das Bundesamt im Wesentlichen fest, dass die drei Beschwerdeführer Mitglieder einer Kernfamilie seien, die sich als Asylwerber im Bundesgebiet aufhalte. Sonst hätten sie in Österreich keine Familienangehörigen und würden sich ihre Angehörigen in der Russischen Föderation befinden. Die Beschwerdeführer seien Staatsangehörige der Russischen Föderation. Die Erstbeschwerdeführerin leide an keiner schweren psychischen oder physischen Erkrankung. Der Zweitbeschwerdeführer sei körperlich beeinträchtigt. Das Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin betreffend eine aktuelle Bedrohungssituation in der Russischen Föderation sei nicht als glaubhaft zu bezeichnen. Ihre Flucht resultiere ausschließlich aus einer angeblichen Bedrohung durch Drittpersonen. Wahrheitsunterstellt bestünde eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative. Bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen seien keine weiteren Hinderungsgründe für eine Rückkehr hervorgekommen. Die notwendige medizinische Versorgung des behinderten Zweitbeschwerdeführers sei in der Russischen Föderation möglich. In den Bescheiden des Zweit- und des Drittbeschwerdeführers wurde betreffend die verfahrensentscheidenden Ausführungen auf den Bescheid der Erstbeschwerdeführerin verwiesen. Das Bundesamt traf auf den Seiten 11 bis 53 des angefochtenen Bescheides der Erstbeschwerdeführerin Länderfeststellungen zur Lage in der Russischen Föderation unter besonderer Berücksichtigung der Situation in Tschetschenien.

In seiner Beweiswürdigung führte das Bundesamt im Wesentlichen aus, dass sich aufgrund der Sprach- und Landeskenntnisse sowie der Angaben der Erstbeschwerdeführerin die Feststellung ergeben habe, dass sie Staatsangehörige der Russischen Föderation sei. Die Angaben zum Gesundheitszustand der Erst- und des Zweitbeschwerdeführers hätten sich aus der niederschriftlichen Einvernahme und aus den vorgelegten Befunden ergeben. Mit näherer Begründung wurde betreffend die Feststellungen zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates ausgeführt, dass die Angaben der Erstbeschwerdeführerin weder schlüssig noch nachvollziehbar noch glaubhaft seien. Zudem handle es sich eindeutig um ein gesteigertes Fluchtvorbringen. Zum Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative wurde darauf verwiesen, dass die Argumentation, dass die Erstbeschwerdeführerin auch in Moskau nicht sicher wäre, im völligen Widerspruch zur notorischen Situation im Herkunftsstaat stehe. Zu den Feststellungen im Fall der Rückkehr wurde ausgeführt, dass eine landesweite, allgemeine, extreme Gefährdungslage im Herkunftsstaat nicht gegeben sei. Weiters sei davon auszugehen, dass die notwendige medizinische Versorgung des behinderten Zweitbeschwerdeführers vor der Ausreise gegeben gewesen und auch nach der Rückkehr in die Russische Föderation möglich sei. Auch habe die Erstbeschwerdeführerin für den Zweitbeschwerdeführer in der Russischen Föderation eine Invalidenrente bekommen. Die Erstbeschwerdeführerin sei eine arbeitsfähige und gesunde Frau, bei der die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden könne. Die Angaben zum Privat- und Familienleben der Beschwerdeführer hätten sich aufgrund der niederschriftlichen Einvernahme der Erstbeschwerdeführerin ergeben. Die Feststellungen zum Herkunftsland würden auf einer Zusammenstellung der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl basieren. Betreffend den Zweit- und Drittbeschwerdeführer wurde beweiswürdigend darauf verwiesen, dass die zentralen Erkenntnisquellen in deren Verfahren die Aussagen der Erstbeschwerdeführerin seien.

In rechtlicher Hinsicht verwies das Bundesamt zu Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides der Erstbeschwerdeführerin darauf, dass eine Verfolgung aus asylrelevanten Gründen von ihr nicht habe glaubhaft gemacht werden können. Sie habe ihren Heimatstaat vielmehr aus persönlichen Gründen verlassen. Zur Nichtzuerkennung des subsidiären Schutzes wurde ausgeführt, dass das Bundesamt die Auffassung vertrete, dass sich für die Erstbeschwerdeführerin kein Abschiebungshindernis in die Russische Föderation ergebe, weil eine landesweite allgemeine, extreme Gefährdungslage nicht gegeben sei. Während des gesamten Verfahrens seien keine Anhaltspunkte zu Tage getreten, die darauf hindeuten würden, dass die Erstbeschwerdeführerin bei einer Rückkehr in die Russische Föderation in eine ausweglose und die Existenz bedrohende Lage geraten würde. Zu Spruchpunkt III. wurde ausgeführt, dass alle drei Beschwerdeführer einen gleichlautenden Bescheid erhielten. Sämtliche weitere Familienangehörige würden in der Russischen Föderation leben. Daher könne das Vorliegen eines schützenswerten Familienlebens nicht festgestellt werden. Zum Privatleben der Erstbeschwerdeführerin wurde ausgeführt, dass sie im Dezember 2013 illegal in das Bundesgebiet eingereist sei, deutsche Sprache nicht beherrsche, in Grundversorgung sei und ihr bewusst gewesen sei, dass ihr Aufenthaltsrecht vom Ausgang des Asylverfahrens abhängig sei. Von einer verfestigten und gelungenen Eingliederung in die österreichische Gesellschaft könne nicht gesprochen werden. In den jeweiligen Bescheiden des Zweit- und des Drittbeschwerdeführers wurde im Zuge der rechtlichen Beurteilung unter Hinweis, dass in den gegenständlichen Fällen ein Familienverfahren vorliege, auf den Bescheid der Erstbeschwerdeführerin verwiesen. Da den Beschwerdeführern Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt würden, seien die Entscheidungen mit einer Rückkehrentscheidung zu verbinden. Da keine Gründe gemäß § 50 Abs. 1 bis Abs. 3 FPG ersichtlich seien, sei auszusprechen, dass die Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei. Letztlich wurde unter den jeweiligen Spruchpunkten IV. zur Frist für die freiwillige Ausreise festgehalten, dass die Beschwerdeführer ab Rechtskraft dieser Rückkehrentscheidung binnen 14 Tagen zur freiwilligen Ausreise verpflichtet seien.

Mit Verfahrensanordnung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde den Beschwerdeführern am 11.04.2016 amtswegig ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.

3. Gegen die oben angeführten Bescheide erhob die Erstbeschwerdeführerin für sich und als gesetzliche Vertreterin auch für die minderjährigen Zweit- und Drittbeschwerdeführer am 11.05.2016 fristgerecht im Wege ihrer damals bevollmächtigten Vertretung Beschwerde wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und inhaltlicher Rechtswidrigkeit. Begründend wurde nach Wiederholung des Vorbringens der Erstbeschwerdeführerin ausgeführt, dass das Bundesamt hätte ermitteln müssen, was es bedeute, die Frau eines Unterstützers der Wahabiten zu sein. Auch zum Verschwinden des Mannes hätte die Behörde von Amts wegen näher ermitteln müssen. Weiters berichte die Erstbeschwerdeführerin von der Einvernahme als extremer Stresssituation, Problemen mit dem Dolmetscher und Zeitdruck während der Einvernahme, was dazu geführt habe, dass ihre Angaben weniger glaubhaft erscheinen würden. Ferner berufe sich die Behörde in ihren Länderfeststellungen auf unvollständige und teilweise veraltete Länderberichte. In der Folge zitierte die Beschwerde diverse Berichte aus den Jahren 2015 und 2014 zum Teil wörtlich und führte diesbezüglich im Wesentlichen aus, dass die Beschwerdeführer zu Hause von bewaffneten fremden Männern aufgesucht, geschlagen und bedroht worden seien. Der Mann der Erstbeschwerdeführerin sei aufgrund seiner politischen und religiösen Aktivitäten - Unterstützung von Wahabiten - verschleppt worden. Seit der Flucht der Beschwerdeführer würden diese Männer weiterhin nach der Erstbeschwerdeführerin und ihrem Mann suchen und würden aktiv versuchen, ihren Aufenthaltsort ausfindig zu machen. Diese Vorfälle würden konkret befürchten lassen, dass die Beschwerdeführer im Fall ihrer Rückkehr in die Russische Föderation von Menschenrechtsverletzungen betroffen sein würden.

Die Erstbeschwerdeführerin habe vorgebracht, dass ihr Mann in Tschetschenien Wahabiten unterstützt habe, weshalb sie vermute, dass er verschleppt worden sei und nun auch sie verfolgt werde. Genaueres über die politischen Aktivitäten könne sie nicht angeben, weil ihr Mann seine Treffen und Vorhaben stets vor ihr geheim gehalten habe. Mehrmals habe sie jedoch beobachtet, dass er sich mit fremden Männern getroffen habe und sie habe von ihm auch explizit die Information erhalten, dass er Wahabiten unterstütze. Die Erstbeschwerdeführerin habe versucht, ihren Mann näher zu seinen Aktivitäten zu befragen und habe ihn aufgefordert, eine Unterstützung der Rebellen zu unterlassen. Nunmehr würden die Beschwerdeführer aufgrund der Aktivitäten des Mannes der Erstbeschwerdeführerin aufgrund einer unterstellten politischen Gesinnung und aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie verfolgt. Ferner sei angesichts der prekären Sicherheitslage in Tschetschenien, des glaubhaften Vorbringens der Beschwerdeführer und der angeführten Länderberichte im Fall einer Rückkehr der Beschwerdeführer jedenfalls von einer Verletzung von Art. 3 EMRK auszugehen. Weiters seien die Beschwerdeführer sehr um ihre Integration in Österreich bemüht. Die Erstbeschwerdeführerin nehme an einem Integrationsprojekt teil und sei auch so in ihrem Umfeld sehr engagiert. Darüber hinaus hätten die Beschwerdeführer eine Vielzahl sozialer Kontakte und Freundschaften. Der Zweitbeschwerdeführer besuche eine Neue Mittelschule und der Drittbeschwerdeführer einen Kindergarten. Der Aufenthalt der Beschwerdeführer in Österreich gefährde weder die öffentliche Ruhe oder Ordnung noch die nationale Sicherheit oder das wirtschaftliche Wohl.

Der Beschwerde beigelegt waren nachstehende Unterlagen:

* Schreiben eines transkulturellen Zentrums vom XXXX 04.2016, dem zu entnehmen ist, dass die Erstbeschwerdeführerin in ihrem Heimatland in einer guten finanziellen Situation war und den Zweitbeschwerdeführer in einer Privatklinik in Moskau unter besten Bedingungen versorgen konnte sowie, dass die Erst- und der Zweitbeschwerdeführer in ärztlicher Behandlung sind;

* zwei undatierte Teilnahmebestätigungen der Erstbeschwerdeführerin an einem psychosozialen Projekt mit Maßnahmen zur Integration;

* Schulbesuchsbestätigung einer Neuen Mittelschule des Zweitbeschwerdeführers vom XXXX 04.2016;

* Kindergartenbesuchsbestätigung des Drittbeschwerdeführers vom XXXX 04.2016 und

* zwei Empfehlungsschreiben

4.1. Am 25.07.2016 langte beim Bundesverwaltungsgericht eine Beschwerdeergänzung ein, der im Wesentlichen zu entnehmen ist, dass die Erst- und der Zweitbeschwerdeführer unter gesundheitlichen Problemen leiden würden. Der Zweitbeschwerdeführer leide unter einer stark ausgeprägten Gangstörung mit Halbseitenschwäche des rechten Beines sowie an einer angeborenen Fehlbildung des Rückenmarks. Das rechte Bein sei auch um einige Zentimeter verkürzt, weshalb er ein orthopädisches Schuhwerk benötige. Weiters könne er nur kurze Strecken und dies auch nur mit Hilfe einer anderen Person gehen. Er habe auch keine Kontrolle über die Harnblasen- und Magendarmfunktion, weshalb er stets Windeln und einen Katheter tragen müsse. Der Zweitbeschwerdeführer sei pflegebedürftig und auf die Fürsorge der Erstbeschwerdeführerin angewiesen. Diese leide jedoch unter einem Muskeleinriss an der rechten Schulter, was für sie eine erhebliche Bewegungseinschränkung und Schmerzen zur Folge habe. In der Russischen Föderation sei die ärztliche Behandlung nur theoretisch kostenfrei; tatsächlich herrsche ein System der faktischen Zuzahlung durch Patienten. Auch werde berichtet, dass in der Praxis die Zahlung von Schmiergeld zur Durchführung von Untersuchungen geradezu erwartet werde. Die Beschwerdeführer würden sich die medizinische Behandlung in ihrem Heimatland de facto nicht leisten können.

Dieser Beschwerdeergänzung wurden nachstehend ohne weiteres Vorbringen folgende, bis dato noch nicht vorgelegte Unterlagen beigefügt:

* Ambulanzkarte der Erstbeschwerdeführerin vom XXXX 03.2014 betreffend eine Behandlung nach einem Sturz;

* Befundbericht der Gynäkologie Ambulanz vom XXXX 07.2014 betreffend die Erstbeschwerdeführerin mit der Empfehlung einer Beckenbodengymnastik samt Zuweisungsbefund vom XXXX 03.2014;

* Röntgenbefund betreffend das rechte Knie der Erstbeschwerdeführerin vom XXXX 09.2014 ohne Auffälligkeiten;

* Befund einer Sonografie der Schulter rechts der Erstbeschwerdeführerin mit dem Ergebnis Zustand nach Supraspinatusruptur (= Riss eines oder mehrerer Muskeln der Rotatorenmanschette, d.i. ein Muskelgruppe im Schulterbereich) vor vier Jahren samt Röntgenbildern vom XXXX 07.2015 sowie Röntgenbefund vom XXXX 03.2015 und Befunde vom XXXX 03.2014 sowie vom XXXX 04.2014;

* ärztlicher Entlassungsbrief betreffend die Erstbeschwerdeführerin nach einem stationären Aufenthalt von XXXX 09.2015 bis XXXX 09.2015 wegen einer komplikationslos durchgeführten Hysterektomie (= Gebärmutterentfernung);

* MRT des rechten Schultergelenks der Erstbeschwerdeführerin vom

XXXX 11.2015;

* Schreiben eines Facharztes für Radiologie vom XXXX 03.2016 betreffend die Erstbeschwerdeführerin mit dem Titel "LWS (stehend)";

* medizinischer Befund eines Facharztes für Psychiatrie und Neurologie vom XXXX 02.2016, dem unter "Vorgeschichte" zu entnehmen ist, dass die Erstbeschwerdeführerin von ihrem Mann wegen dessen Gewalttätigkeit getrennt lebt; diagnostiziert wurde bei der Erstbeschwerdeführerin eine Komplettruptur der Supraspinatussehne der rechten Schulter und beim Zweitbeschwerdeführer eine angeborene inkomplette Querschnittlähmung nach Rückenmarksmissbildung (Spina bifida) rechts stärker als links sowie fehlende Kontrolle von Harnblasen- und Mastdarmfunktion;

* ärztliches Schreiben vom XXXX 02.2014, dem zu entnehmen ist, dass der Zweitbeschwerdeführer seit seiner Geburt an einer Behinderung aufgrund Spina bifida der Wirbelsäule leidet, die zweimal operiert wurde, auch wurden die Füße bzw. Sprunggelenke zweimal operiert;

* ärztlicher Bericht vom XXXX 03.2014, demzufolge der Zweitbeschwerdeführer in einem Landeskrankenhaus in neuroorthopädischer Betreuung ist;

* Arztbrief betreffend einen stationären Aufenthalt des Zweitbeschwerdeführers von XXXX 06.2014 bis XXXX 06.2014 mit den Diagnosen Spina bifida operata, Blasenentleerungsstörung, Darmstörung und Fußdeformität beiderseits sowie Kurzarztbrief vom XXXX 07.2014;

* handschriftliche, ärztliche Bestätigung vom XXXX 07.2014, dass die Beschwerdeführer eine saubere, staubfreie Unterkunft benötigen, da sich der Zweitbeschwerdeführer selbst Einmalkatheder legen muss;

* Befund einer Augenklinik betreffend den Zweitbeschwerdeführer vom

XXXX 11.2014 mit der Diagnose Lidekzem samt diesbezüglichen Befund einer Universitätsklinik für Dermatologie ohne Auffälligkeiten;

* Arztbrief betreffend den Zweitbeschwerdeführer vom XXXX 11.2014 mit der Diagnose Gangstörung;

* Implantatepass des Zweitbeschwerdeführers vom XXXX 12.2014;

* ambulanter Arztbrief vom XXXX 03.2015 betreffend den Zweitbeschwerdeführer mit den Diagnosen Blasenentleerungsstörung, Darmstörung, Spina bifida operata, Gangstörungen und Zustand nach Fuß- und Unterschenkelkorrektur rechts samt Röntgenbild des rechten Fußes;

* Kurzarztbriefe vom XXXX 06.2015 und vom XXXX 07.2014 betreffend den Zweitbeschwerdeführer mit den Diagnosen Blasenentleerungsstörung, Darmstörung, Spina bifida operata, Gangstörungen und Zustand nach Fuß- und Unterschenkelkorrektur rechts;

* ambulanter Arztbrief vom XXXX 09.2015 betreffend den Zweitbeschwerdeführer mit den Diagnosen Harnwegsinfekt, Blasenentleerungsstörung, Darmstörung, Spina bifida operata und Gangstörungen;

* Aufenthaltsbestätigung des Zweitbeschwerdeführers in einem Krankenhaus am XXXX 02.2016 und

* undatierte Bestätigung eines transkulturellen Zentrums, demzufolge der Zweitbeschwerdeführer seit Mai 2015 dort in psychologischer Behandlung ist

4.2. Neben den bereits in den Akten befindlichen Unterlagen wurden weiters im Zuge des Beschwerdeverfahrens folgende Schriftstücke vorgelegt:

* Bestätigung eines transkulturellen Zentrums vom XXXX 10.2016, dass die Erstbeschwerdeführerin an einer Anpassungsstörung und an einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet;

* medizinischer Befund eines Facharztes für Psychiatrie und Neurologie vom XXXX 2016, dem unter "Vorgeschichte" zu entnehmen ist, dass die Erstbeschwerdeführerin von ihrem Mann wegen dessen Gewalttätigkeit getrennt lebt und sie oft realistisch anmutende Albträume von Misshandlungen durch ihren Mann hat;

* radiologischer Befund vom XXXX 01.2017 betreffend die Erstbeschwerdeführerin ohne Auffälligkeiten samt Laborbericht;

* ambulanter Arztbrief vom XXXX 01.2017 betreffend die Erstbeschwerdeführerin mit der Diagnose Panikattacke und derzeit kein Anhalt für akutes neurologisches Geschehen;

* ambulanter Arztbrief vom XXXX 08.2016 betreffend den Zweitbeschwerdeführer mit den Diagnosen Blasenentleerungsstörung, Darmstörung, Spina bifida operata, Zustand nach Fuß- und Unterschenkelkorrektur rechts, Fußdeformität beidseitig, Gangstörungen und Harnwegsinfekt;

* Behindertenpass des Zweitbeschwerdeführers mit einer 80%igen Behinderung, ausgestellt am XXXX 11.2016 mit einer Gültigkeit bis

XXXX 12.2017;

* ambulanter Arztbrief vom XXXX 06.2017 betreffend den Zweitbeschwerdeführer mit den Diagnosen Spina bifida operata, Harnblaseninkontinenz mit Einmalkatheterismus, Darmstörung, latente Hypothyreose (= mangelnde Versorgung des Körpers mit einem Schilddrüsenhormon) und Fußdeformität beidseitig und der Anmerkung, dass des dem Zweitbeschwerdeführer am Untersuchungstag sehr gut geht;

Ein Vorbringen wurde zur Vorlage dieser Unterlagen nicht erstattet.

5. Am XXXX 2018 wurde von der Staatsanwaltschaft XXXX Anklage gegen den Zweitbeschwerdeführer wegen vorsätzlich begangener strafbarer Handlungen (§ 15 StGB, § 105 Abs. 1 StGB) erhoben (GZ. XXXX ).

Weiters langte am 10.05.2019 ein Abschlussbericht der Landespolizeidirektion Steiermark (GZ. XXXX ) an die Staatsanwaltschaft XXXX vom XXXX 2019 beim Bundesverwaltungsgericht ein, dem zu entnehmen ist, dass gegen den Zweitbeschwerdeführer Ermittlungen wegen des Verdachts auf (allenfalls versuchte) Körperverletzung durchgeführt wurden. Diesbezüglich wurde am XXXX 2019 von der Staatsanwaltschaft XXXX Anklage gegen den Beschwerdeführer wegen vorsätzlich begangener strafbarer Handlungen (§ 83 Abs. 1 StGB) erhoben (GZ. XXXX ).

6. Am 19.06.2019 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Zuhilfenahme einer geeigneten Dolmetscherin für die Sprache Russisch statt, an der die Beschwerdeführer mit ihrem nunmehrigen Vertreter teilnahmen. Ein Vertreter des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl ist nicht erschienen; das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat sich mit E-Mail vom 29.04.2019 für die Teilnahme an der Verhandlung entschuldigt und die Abweisung der Beschwerden beantragt. Bereits mit der Ladung wurden den Verfahrensparteien die Länderfeststellungen des Bundesverwaltungsgerichtes zur aktuellen Situation in der Russischen Föderation zur Kenntnis gebracht. Angemerkt wird, dass die Verhandlung mit dem Zweitbeschwerdeführer ohne Zuhilfenahme der Dolmetscherin ausschließlich in deutscher Sprache geführt wurde.

Eingangs der Verhandlung gab der Zweitbeschwerdeführer an, dass er nicht Russisch spreche. Er spreche (neben Deutsch) nur Tschetschenisch. Zu den Länderfeststellungen des Bundesverwaltungsgerichtes wollten weder die Beschwerdeführer noch ihr Vertreter eine Stellungnahme abgeben. Zum Verfahren vor dem Bundesamt gab der Beschwerdeführervertreter an, dass Rückübersetzungen erfolgt seien. Die Erstbeschwerdeführerin brachte vor, dass sie die Wahrheit gesagt und die jeweiligen Dolmetscher gut verstanden habe.

Zu ihrer Integration in Österreich gab die Erstbeschwerdeführerin an, dass sie einen Freund habe, der österreichischer Staatsbürger sei. Sie sei jedoch nicht verheiratet und lebe mit ihrem Freund auch nicht in einer Lebensgemeinschaft. Sie spreche Deutsch auf dem Niveau A1; den A2 Kurs habe sie noch nicht abgeschlossen. Die Erstbeschwerdeführerin arbeite nicht, da sie noch im Asylverfahren sei. Sie und ihre Kinder würden vom "Sozialgeld" in der Höhe von €

450,00 im Monat leben. Sie habe "bei der Kirche" arbeiten wollen, aber die Leiterin habe ihr gesagt, sie könne nur Leute nehmen, die ihr zugewiesen worden seien. In einer anderen Kirche werde ihr geholfen; dort bekomme sie Lebensmittel und helfe dafür manchmal beim Putzen. Wenn sie in Österreich bleiben könne, würde die Erstbeschwerdeführerin den A2 Kurs abschließen und dann schnell arbeiten. Weitere Ausbildungen habe sie in Österreich nicht gemacht. Sie habe zwar in einem Unternehmen nähen wollen, aber man habe ihr gesagt, dass man sie nicht aufnehmen dürfe. In Österreich habe sie einen Freundeskreis. Der Drittbeschwerdeführer besuche die Volksschule und lerne gut. Er habe auch Freunde in der Schule und es habe niemals Beschwerden bezüglich seines Verhaltens gegeben.

Der Zweitbeschwerdeführer gab an, dass er Deutsch spreche. Die Erstbeschwerdeführerin bringe ihn in der Früh in die Schule und dort habe er sechs Stunden Unterricht. In der Schule sowie mit seinen Noten und seinen Freunden gehe es ihm gut. Körperlich sei er nicht belastbar und werde später nur im Sitzen arbeiten können. Der Zweitbeschwerdeführer gehe in die vierte Klasse einer Neuen Mittelschule. Er habe eine Lehre machen wollen, habe aber wegen der "weißen Karte" keinen Platz gefunden. Nun müsse er ins "Poly" gehen. In seiner Klasse habe er einen Freundeskreis. Auf Vorhalt der Anzeige der Staatsanwaltschaft gab der Zweitbeschwerdeführer an, das sei in der Schule gewesen. Er sei frisch operiert gewesen und habe sitzen wollen. Man habe ihn nicht sitzen lassen und dann sei er geschubst worden. Er habe dann "automatisch" reagiert. Auf Vorhalt der weiteren Anklageerhebung gab der Zweitbeschwerdeführer an, dass er nur eine Anzeige bekommen habe und von der zweiten nichts wisse. Wegen dieser einen Anzeige habe es eine Verhandlung gegeben und habe der Richter mit ihm gesprochen und ihm "Bewährungshilfe" gegeben. Ein Urteil habe es nicht gegeben. In seiner Heimat hätte er keine Zukunft.

Hierzu befragt gab die Erstbeschwerdeführerin an, dass es ihr gut gehe. Auf Vorhalt der im bisherigen Verfahren vorgelegten zahlreichen medizinischen Unterlagen gab sie an, sie habe sich einmal an einer Duschkabine gestoßen und habe daher Probleme mit der Schulter. Da sie den Zweitbeschwerdeführer ständig heben müsse, habe man ihr die Gebärmutter entfernt. Nunmehr habe sich sein Gesundheitszustand verbessert, aber früher sei es schlimmer gewesen. Damals habe sie ihn ständig halten und heben müssen und dadurch habe sich ihre Gebärmutter gesenkt. Aktuell sei sie in Behandlung bei einem Psychologen. Manchmal zweimal pro Woche und manchmal zweimal in zwei Wochen. Sie nehme Beruhigungsmittel, damit sie schlafen könne. Betreffend den Zweitbeschwerdeführer gab die Erstbeschwerdeführerin an, dass sie sehr froh sei, dass sich sein Gesundheitszustand gebessert habe. Er könne jetzt selbst aufstehen und sei mobil. Der Zweitbeschwerdeführer habe einen Katheder, der fünfmal am Tag entleert und erneuert werden müsse. Er nehme dreimal täglich die Tabletten "Incontant". Urologisch habe man ihr gesagt, dass man nichts mehr machen könne, weil die Nerven tot seien. Am Abend mache die Erstbeschwerdeführerin für den Zweitbeschwerdeführer einen analen Katheder; dieser werde einmal am Tag angesetzt. Letztes Jahr sei der Zweitbeschwerdeführer am Gelenk operiert worden; das Gelenk sei mit Metallstücken befestigt worden und seien diese Metallstücke heuer wieder entfernt worden. Der Zweitbeschwerdeführer stehe unter ständiger medizinischer Kontrolle, da er schon ein paar Infektionen gehabt habe und kurz vor einem Nierenversagen gestanden sei. Am Anfang sei er ca. dreimal monatlich zur Kontrolle gewesen; nunmehr reiche eine Kontrolle in zwei oder drei Monaten. Orthopädisch gesehen werde eine Rekonstruktion vorangetrieben. Was genau darunter zu verstehen sei, wisse die Erstbeschwerdeführerin nicht. Der Zweitbeschwerdeführer trage eine Schiene und Spezialschuhe. Diese würden wie ein Gips wirken, da seine Beine keine Last tragen könnten. Diese Krankheiten seien angeboren. Der Zweitbeschwerdeführer sei bereits in der Russischen Föderation mehrfach operiert worden; es habe jedoch keine Besserung gegeben. Der Drittbeschwerdeführer sei gesund. Auf Nachfrage ihres Vertreters gab die Erstbeschwerdeführerin ergänzend an, der Zweitbeschwerdeführer habe bei seiner Geburt ein Geschwulst an der Wirbelsäule gehabt, das "abgeschnitten" worden sei, wodurch seine Nerven beschädigt worden seien.

Zu ihrer Identität, ihren Wohnorten und ihren Familienangehörigen brachte die Erstbeschwerdeführerin vor, dass sie keine Identitätsdokumente habe. Vor ihrer Ausreise sei sie verheiratet gewesen, aber jetzt wisse sie nicht, wo ihr Mann sei. Sie habe keine Verbindung zu ihm. Für sie seien ihre Kinder das Wichtigste und sie wolle ihre Ruhe haben. Die Erstbeschwerdeführerin sei Tschetschenin und Moslemin. Wegen ihrer Religion und wegen ihrer Volksgruppenzugehörigkeit habe sie im Herkunftsstaat keine Probleme gehabt. Tschetschenisch könne sie nur sprechen; Russisch könne sie auch lesen und schreiben. Ihre Eltern und zwei verheiratete Schwestern würden in Grosny leben. Als sie geheiratet habe, sei sie von ihrem Elternhaus in Grosny ca. 30 km entfernt in das Dorf XXXX gezogen. Da sie mit den Verwandten ihres Mannes nicht ausgekommen sei, sei sie während ihrer ersten Schwangerschaft wieder zu ihren Eltern gezogen und sei dort geblieben bis der Zweitbeschwerdeführer ca. zwei Jahre alt gewesen sei. Sie habe 2002 geheiratet; sie sei verheiratet worden. Da die Verwandten ihres Mannes schwierig gewesen seien, sei sie immer wieder zu ihren Eltern gefahren. Sie habe so schwer arbeiten müssen, dass sie Fehlgeburten erlitten habe. Was mit dem Haus in XXXX nach ihrer Ausreise passiert sei, wisse die Erstbeschwerdeführerin nicht. Zu ihren Eltern und Schwestern habe sie telefonischen Kontakt. Das Leben dort sei sehr schwer. Die Erstbeschwerdeführerin habe zehn Jahre lang die Grundschule besucht und abgeschlossen. 1982 sei ihre Familie von Grosny nach XXXX gezogen, wo sie eine Landwirtschaft betrieben hätten. 1994 seien sie nach Grosny zurückgekehrt. Als sie noch bei ihren Eltern gelebt habe, habe sie Kleidung am Markt verkauft. Sie seien nicht reich gewesen; die Beschwerdeführerin habe "so für die Existenz" gearbeitet. Nach der Heirat habe sie Glashäuser mit Tomaten und ein kleines Geschäft gehabt. Sie habe sich ständig um den Zweitbeschwerdeführer kümmern müssen. Die wirtschaftliche Situation sei so gewesen, dass es für das Essen gereicht habe.

Zu ihren Reisebewegungen und zu ihren Fluchtgründen befragt, gab die Erstbeschwerdeführerin an, sie habe die Russische Föderation am XXXX 12.2013 verlassen. Ihr Vater habe die Flucht organisiert. Wie sie genau gefahren seien, wisse sie nicht. Es sei ein LKW gewesen und sie seien ca. vier Tage mit diesem LKW unterwegs gewesen. Die Erstbeschwerdeführerin habe Probleme mit ihrem Mann gehabt. Seine Verwandten seien schwierige Leute gewesen und er sei ständig "irgendwo" involviert gewesen. Er habe in beiden Tschetschenenkriegen gekämpft. Zum Schluss seien "irgendwelche" Leute zu ihnen nach Hause gekommen. In Tschetschenien sei es so, dass eine Frau nicht einfach fragen könne, warum "irgendwelche" Leute kämen, da Frauen keine Rechte hätten, etwas zu sagen. Wegen dieser Besuche habe es Probleme gegeben. Es sei so gewesen, wenn "sie" gekommen seien, habe ihnen die Erstbeschwerdeführerin Tee hingestellt und sei wieder gegangen. Das sei ca. ein halbes Jahr vor der Ausreise gewesen, dass die Probleme begonnen hätten. Es seien immer drei Männer gewesen, die gekommen sein, aber nicht immer die gleichen Männer. Es sei dann "ein anderer" statt "dem Dritten" gekommen. Wie oft das gewesen sei, könne sie nicht sagen, weil sie manchmal zu den Eltern ihres Mannes habe gehen müssen. Sie seien nie lange da gewesen und hätten offensichtlich kein "gutes Thema" zu besprechen gehabt. Im Sommer spiele sich alles im Hof ab und scheinbar hätten die Nachbarn etwas gehört, aber die Erstbeschwerdeführerin wisse nicht was. Später hätten die Probleme begonnen.

Der weitere Verlauf der Verhandlung gestaltete sich wie folgt:

"R: Was waren das für Probleme im Sommer, wie ging es weiter?

BF1: Es waren keine guten Leute. Ich kannte diese Leute nicht. Ich kam aus dem Dorf. Ich kannte früher die Leute nicht und ich habe sie nicht vorher gesehen. Als ich gefragt habe, ob die Leute aus dem Dorf kommen, sagte mein Mann, dass ich in das Haus gehen soll. Dann sind die Leute verschwunden. Dann kamen andere Leute zu uns und haben Fragen gestellt.

R: Wer waren die anderen Leute, wann war das?

BF1: Sie kamen tagsüber. Ich weiß nicht, welche Leute das waren. Ich kannte weder die Leute, die vorher gekommen sind, noch jene, die nachher gekommen sind. Es waren andere Leute.

R: Wie oft ist diese zweite Gruppe gekommen?

BF1: Zuerst sind sie oft gekommen. Sie haben gefragt, wo die Leute waren, die vorher bei uns waren. Ich habe gesagt, dass ich es nicht weiß, dass ich die Leute nicht kenne.

R: Wieso haben die 1. Leute nur mit ihrem Mann gesprochen, die 2. Leute schon mit ihnen?

BF1. Weil mein Mann und die Leute nicht mehr da waren. Vielleicht ist etwas unnormales passiert. Ich weiß es nicht. Ich habe keine Ahnung.

R: War Ihr Mann irgendwann einmal nicht mehr da?

BF1: Er hat mir nichts gesagt. Er ist plötzlich verschwunden. Dann haben die anderen Leute begonnen, zu uns zu kommen. Die Leute haben mir ständig gesagt, dass ich ins Zimmer gehen soll.

R: Welche Leute meinen Sie jetzt damit?

BF1: Die Leute, die zu meinem Mann gekommen sind, das hat mir mein Mann gesagt, dass ich den Tee abstellen und weggehen soll.

An den Tag, an dem ihr Mann verschwunden sei, könne sich die Erstbeschwerdeführerin nicht mehr erinnern. Als sie zu ihrer Schwiegermutter gegangen sei, seien ihr Mann und seine Freunde noch da gewesen. Sie wisse nicht, was passiert sei, als sie bei ihrer Schwiegermutter gewesen sei. Die Leute seien verschwunden und dann wären andere Leute gekommen. Es sei ca. im Juni gewesen. Auf Vorhalt, dass ihren Angaben zufolge zwischen dem Verschwinden ihres Mannes und dem erstmaligen Auftauchen seiner Bekannten nicht viel Zeit verstrichen sein könne, gab die Erstbeschwerdeführerin an, es sei nicht lange gewesen als die Freunde gekommen seien. Offensichtlich hätten sie laut gesprochen und "irgendwer" habe "irgendwas" gehört. Im Dorf seien die Leute müde und sie wisse nicht, was passiert sei, aber "irgendetwas" sei passiert. Die zweite Gruppe sei nach dem Verschwinden ihres Mannes oft gekommen. Sie solle nur die Frage beantworten, ob ihr Mann gekommen sei und sie habe gesagt, dass sie das nicht wisse. Viele Männer seien in der zweiten Gruppe gewesen; sie habe sie nicht gezählt. Sie wisse auch nicht, von welcher Gruppierung diese Männer gekommen seien. Man habe ihr Fragen gestellt. Dann hätten sie gedroht, dass sie die Erstbeschwerdeführerin mitnehmen würden. Dann sei sie zu ihrem Vater übersiedelt, wohin "die Leute" allerdings auch gekommen seien und gesagt hätten, dass sie sich bei ihrem Vater nicht verstecken könne. Auf die Frage, was sie gemacht habe, nachdem die Männer im Elternhaus gewesen seien, gab die Erstbeschwerdeführerin wörtlich an: "Sie haben Fragen gestellt. Es ist zu einem Skandal gekommen, dann sind sie gegangen. Sie sagten, dass sie meinen Mann finden würden, über mich oder nicht."

Auf Vorhalt, sie habe vor dem Bundesamt gesagt, dass sie nach Moskau gegangen sei, gab die Erstbeschwerdeführerin an, sie sei in Moskau gewesen, wisse aber nicht, wie viele Tage das gewesen seien. Das habe sie vergessen. Dann habe sie ihr Vater angerufen und gesagt, dass "diese Leute" wüssten, dass sie dort sei. Sie sei dann zurückgekehrt und habe bei Verwandten gewohnt, nicht in ihrem Elternhaus. Auf Vorhalt, sie habe vor dem Bundesamt gesagt, dass ihr Mann mit Wahabiten zu tun gehabt habe, gab die Erstbeschwerdeführerin an, sie habe diesen Eindruck gehabt. Das sei das "schrecklichste Thema". Wenn man mit Wahabiten zu tun habe, verschwinde man. Das werde sehr streng behandelt. Wenn ihr Mann nicht verschwunden wäre, hätte er Kontakt aufgenommen. In Moskau habe sie keine Anzeige erstattet. In Grosny habe sie sich an die Behörden gewandt, aber dort habe sie keine Rechte gehabt. Die Behörden hätten gesagt, sie würden sich damit auseinandersetzen. Den Zweit- und den Drittbeschwerdeführer habe sie nicht dort lassen können. Mehr Probleme als die von Seiten ihres Mannes habe es nicht gegeben. Sie hätte schon in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens leben können, aber die Leute, die ständig gefragt hätten, und die Verwandten ihres Mannes hätten sie nicht in Ruhe gelassen. Sie hätten sie zurückgezwungen und ihr die Kinder weggenommen. Der Vater sei der Hausherr. In Moskau sei es natürlich anders.

Der weitere Verlauf der Verhandlung stellt sich wie folgt dar:

"R: Haben Sie die Kinder mitgenommen, als Sie zum Elternhaus zogen?

BF1: Nein. Sie waren bei den Verwandten meines Mannes. Wegen der Kinder bin ich ständig zurückgekommen. Wenn man mir erlaubt hätte, die Kinder mitzunehmen, hätte ich gekämpft, dass ich dortbleiben kann. Das war nicht möglich. Deswegen musste ich immer zurück. Das ist der Brauch, man muss folgsam sein. Man kann keine eigene Meinung sagen.

R: Als Sie in Moskau waren, haben Sie die Kinder mitgehabt?

BF1: Ja. Ich bin damals schnell weggefahren von der Schwiegermutter. Sie hat mir gesagt, wenn du wegwillst, gehe alleine und sie hätte mir die Kinder nicht gegeben.

R: Ich dachte, Sie sind von Ihrem Elternhaus nach Moskau gefahren?

BF1: Ja. Mein Mann lebt nicht mit seiner Mutter. Deswegen ist es mir gelungen. Ansonsten ist es nicht möglich gewesen. Man hätte mich gleich gefragt, wohin ich fahre und weswegen."

Der Zweitbeschwerdeführer gab in seiner eigenen Befragung vor dem Bundesverwaltungsgericht an, dass es ihm gut gehe. Zu seiner Erkrankung könne er nur sagen, dass er so geboren sei. Er könne nicht viel machen, wie z.B. laufen könne er nicht. Aber es störe ihn nicht; er könne vieles, was andere nicht könnten. Er werde urologisch und orthopädisch behandelt; das sei ein- bis zweimal im Monat. Auch nehme er das Medikament "Incontant" einmal in der Früh und einmal vor dem Schlafen. Vom Krankenhaus bekomme er einen Termin, den er seiner Lehrerin sagen müsse. Die Untersuchung dauere drei bis vier Stunden. In der Russischen Föderation sei die Behandlung schmerzhaft gewesen. In Tschetschenien habe der Zweitbeschwerdeführer nicht in die Schule gehen können; hier könne er wie ein normaler Mensch in die Schule gehen. Er gehe in eine Neue Mittelschule und habe gute Noten. Der Zweitbeschwerdeführer sei russischer Staatsangehöriger und seine Religion sei der Islam. Er fühle sich nicht als Tschetschene. Der Zweitbeschwerdeführer könne Deutsch lesen und schreiben. Mit Tschetschenisch sei er bis zu seinem 10. Lebensjahr aufgewachsen und könne es sprechen, jedoch nicht lesen und schreiben. Englisch lerne er in der Schule. In Russisch könne er nur ein paar Wörter. Ein bisschen könne er sich noch an das Leben in der Russischen Föderation erinnern. Es sei schlecht gewesen; er sei zu Hause gewesen und habe nichts machen können. An seinen Vater erinnere er sich nicht. Es habe viele Streitereien gegeben; auch sei sein Vater aggressiv gewesen. Er habe auch gesehen wie sein Vater seine Mutter geschlagen habe und habe sein Vater auch ihn geschlagen.

Im Rahmen der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht wurden nachstehende Unterlagen vorgelegt:

* psychiatrischer Befund betreffend die Erstbeschwerdeführerin vom XXXX 2019, dem zu entnehmen ist, dass die Erstbeschwerdeführerin von ihrem Mann wegen dessen Gewalttätigkeit getrennt lebt und bei ihr eine posttraumatische Belastungsstörung sowie ein Riss der Supraspinatussehne der rechten Schulter diagnostiziert wurden (Beilage ./1);

* ärztlicher Entlassungsbrief betreffend den Zweitbeschwerdeführer vom XXXX 07.2018 betreffend einen stationären Aufenthalt von XXXX 07.2018 bis XXXX 07.2018 nach einem Sturz mit dem Fahrrad und Entlassung in gutem Allgemeinzustand (Beilage ./2);

* Schreiben des Sozialministerium Service vom XXXX 03.2018 betreffend die Ausstellung eines Behindertenpasses für den Zweitbeschwerdeführer (Beilage ./3);

* Befund eines Landeskrankenhauses betreffend den Zweitbeschwerdeführer vom XXXX 04.2019 wegen einer Kontrolle und der Verordnung einer neuen Unterschenkelorthese (Beilage ./4);

* ambulante Arztbriefe eines Landeskrankenhauses vom XXXX02.2019 und vom XXXX 04.2018 betreffend den Zweitbeschwerdeführer wegen einer geplanten radiologischen Harntraktsonografie und den Diagnosen neurogene Harnblasenentleerungsstörung, neurogene Darmstörung, Spina bifida operata und Zustand nach Hüftrekonstruktion rechts (Beilagen ./5, ./10 und ./12);

* ärztlicher Entlassungsbrief eines Landeskrankenhauses vom XXXX 12.2018 betreffend einen stationären Aufenthalt des Zweitbeschwerdeführers von XXXX 12.2018 bis XXXX 12.2018 wegen einer geplanten Metallentfernung nach einer Hüftrekonstruktion im Oktober 2017 (Beilage ./6);

* ambulanter Arztbrief eines Landeskrankenhauses vom XXXX 09.2018 betreffend einen Uricult des Zweitbeschwerdeführers (Beilage ./7);

* ambulanter Arztbrief eines Landeskrankenhauses vom XXXX09.2018 betreffend den Zweitbeschwerdeführer wegen der Durchführung einer Blasendruckmessung (Beilage ./8);

* Befund eines Landeskrankenhauses vom XXXX 06.2018 betreffend den Zweitbeschwerdeführer wegen Obstipation (Anm.: d.i. eine Form der Verstopfung) ohne weitere Auffälligkeiten (Beilage ./9);

* Befund eines Landeskrankenhauses vom XXXX 07.2018 wegen eines Sturzes mit dem Fahrrad des Zweitbeschwerdeführers (Beilage ./ 11);

* Befund eines Landeskrankenhauses vom XXXX 04.2018 wegen Reinigung einer offenen Wunde nach einem Sturz des Zweitbeschwerdeführers in der Schule (Beilage ./13);

* ärztlicher Entlassungsbrief eines Landeskrankenhauses vom XXXX 01.2018 betreffend einen stationären Aufenthalt des Zweitbeschwerdeführers von XXXX 01.2018 bis XXXX 01.2018 wegen einer intensiven Physiotherapie nach einer Hüftrekonstruktion rechts (Beilage ./14);

* MRT der rechten Schulter der Erstbeschwerdeführerin vom XXXX 09.2018 mit dem wesentlichen Ergebnis eines Zustandes nach Totalruptur der Supraspinatussehne und zwar unverändert seit November 2015 (Beilage ./15) und

* MRT der Halswirbelsäule der Erstbeschwerdeführerin vom XXXX 09.2018 ohne besondere Auffälligkeiten (Beilage ./16)

7. Mit Urteil des Bezirksgerichts XXXX vom XXXX 2019, GZ. XXXX wurde der Zweitbeschwerdeführer wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB verurteilt, wobei der Ausspruch der Strafe gemäß § 13 Abs. 1 JGG für eine Probezeit von drei Jahren vorbehalten wurde.

8. Am 01.08.2019 langte beim Bundesverwaltungsgericht ein als "Vorlage von Integrationsunterlagen" bezeichneter Schriftsatz ein, in welchem im Wesentlichen vorgebracht wurde, dass der Zweitbeschwerdeführer derzeit am Projekt "points für action" teilnehme, da er einer Beschäftigung nachgehen und sich sinnvoll beschäftigen wolle. Die unsichere Zukunftsperspektive sei sehr belastend für ihn und daher ersuche er um baldige Entscheidung. Unter Verweis auf einen Bericht vom 06.12.2018 wurde in Bezug auf den gesellschaftlichen und rechtlichen Umgang mit jungen Menschen mit Behinderungen in der Russischen Föderation ausgeführt, dass sich der Gesundheitszustand des Zweitbeschwerdeführers durch die adäquate medizinische Versorgung und die engmaschigen Kontrollen in Österreich verbessert habe. Ein Abbruch durch die Außerlandesbringung würde zu einer massiven Verschlechterung des Gesundheitszustandes führen und sei daher dem Zweitbeschwerdeführer subsidiärer Schutz zu gewähren.

Dem Schreiben beigelegt war der Mitgliedsausweis des Zweitbeschwerdeführers bei "LOGO! Jugendmanagement".

9. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 10.10.2019 wurden die Beschwerdeführer im Wege ihrer ausgewiesenen Vertretung aufgefordert, aktuelle Schulbesuchsbestätigungen sowie die letzten Jahreszeugnisse (Juni 2019) des Zweit- und des Drittbeschwerdeführers binnen einer Frist von zehn Tagen dem Bundesverwaltungsgericht vorzulegen.

Bis zum nunmehrigen Entscheidungszeitpunkt sind weder die angeforderten Unterlagen vorgelegt noch ist mitgeteilt worden, aus welchen Gründen eine Vorlage nicht möglich ist.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zu den Beschwerdeführern:

1.1.1. Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter der minderjährigen Zweit- und Drittbeschwerdeführer. Alle drei Beschwerdeführer sind Staatsangehörige der Russischen Föderation und Zugehörige der tschetschenischen Volksgruppe. Ferner bekennen sich die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer zum moslemischem Glauben. Die Erstbeschwerdeführerin stammt aus Grosny, der Hauptstadt der russischen Teilrepublik Tschetschenien, wo sie bis zum Jahr 1982 gelebt hat. Zwischen 1982 und 1994 lebte die Erstbeschwerdeführerin mit ihrer Familie in XXXX und kehrte danach wieder nach Grosny zurück. Nach ihrer Eheschließung ca. 2001 oder 2002 zog sie von Grosny in das ca. 30 km entfernte Dorf XXXX , wo sie in der Folge mit ihrem Ehemann in dessen Haus lebte. Im Jahr XXXX wurde der Zweitbeschwerdeführer und im Jahr XXXX der Drittbeschwerdeführer geboren. Die Beschwerdeführer haben Anfang Dezember 2013 das Gebiet der Russischen Föderation verlassen, reisten unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte die Erstbeschwerdeführerin am 08.12.2013 für sich und als gesetzliche Vertreterin für die minderjährigen Zweit- und Drittbeschwerdeführer die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz. Die Eltern der Erstbeschwerdeführerin und zwei verheiratete Schwestern leben in Grosny und steht die Erstbeschwerdeführerin mit den genannten Angehörigen in telefonischem Kontakt. Weiters hat die Erstbeschwerdeführerin im Herkunftsstaat noch entferntere Verwandte wie Onkeln, Tanten, Cousins und Cousinen.

1.1.2. Nicht als Sachverhalt zugrunde gelegt werden sämtliche Angaben der Erstbeschwerdeführerin zur behaupteten Bedrohungssituation in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation. Insbesondere wird nicht festgestellt, dass die Erstbeschwerdeführerin nach dem behaupteten Verschwinden ihres Ehemannes einer konkreten Verfolgung bzw. Bedrohung von einer nicht näher bezeichneten Gruppe von unbekannten Männern ausgesetzt ist, die asylrelevante Intensität erreicht. Ebenso wenig kann festgestellt werden, dass der Ehemann der Erstbeschwerdeführerin bzw. Vater des Zweit- und des Drittbeschwerdeführers aufgrund seines behaupteten Kontaktes zu Wahabiten verschwunden ist. Die Erstbeschwerdeführerin hat mit ihrem Vorbringen keine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention glaubhaft gemacht. Auch betreffend die minderjährigen Zweit- und Drittbeschwerdeführer wurde keine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention geltend gemacht.

Nicht festgestellt wird, dass die Erstbeschwerdeführerin im Fall einer Rückkehr in die Russische Föderation aus Gründen ihrer Zugehörigkeit zur tschetschenischen Volksgruppe und/oder aus Gründen ihres moslemischen Glaubens einer asylrelevanten Gefährdung ausgesetzt wäre. Ebenso wenig wird festgestellt, dass die Erstbeschwerdeführerin bei einer Rückkehr in die Russische Föderation aus sonstigen, in ihrer Person gelegenen Gründen (etwa wegen der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Gesinnung) einer asylrelevanten Gefährdung ausgesetzt wäre. Auch eine drohende asylrelevante Verfolgung aus anderen Gründen ist nicht hervorgekommen und zwar weder aufgrund des Vorbringens der Erstbeschwerdeführerin noch aus amtswegiger Wahrnehmung. Ebenso wenig wird festgestellt, dass die minderjährigen Zweit- und Drittbeschwerdeführer im Fall einer Rückkehr in die Russische Föderation aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention taxativ aufgezählten Gründen einer asylrelevanten Gefährdung ausgesetzt sind.

1.1.3. Die Erstbeschwerdeführerin leidet an einem Riss der Supraspinatussehne der rechten Schulter sowie an einer posttraumatischen Belastungsstörung. Sie befindet sich in regelmäßiger psychologischer Behandlung. Ferner wurde sie in Österreich im Jahr 2015 einer Gebärmutterentfernung unterzogen. Seit seiner Geburt besteht beim Zweitbeschwerdeführer eine inkomplette Querschnittlähmung nach Spina bifida. Aufgrund einer neurogenen Harnblasenentleerungsstörung ist der Zweitbeschwerdeführer auf die Verwendung eines Harnkatheder

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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