TE Bvwg Erkenntnis 2019/12/9 W189 2219741-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.12.2019
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Entscheidungsdatum

09.12.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §54
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §58 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W189 1436063-4/15E

W189 2219741-1/15E

W189 2219742-1/6E

W189 2219743-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Irene RIEPL als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX (BF1), 2.) XXXX , geb. XXXX (BF2), 3.) XXXX , geb. XXXX (BF3) und 4.) XXXX , geb. XXXX (BF4), alle StA. Russische Föderation, vertreten durch die Caritas und die Deserteurs- und Flüchtlingsberatung, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl 1.) vom 19.03.2019, Zl. 619981904-171290955,

2.) vom 26.03.2019, Zl. 821046401-150066136, 3.) vom 23.04.2019, Zl. 1183142303-180211910 und 4.) vom 23.04.2019, Zl. 1225585506-190362591, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 03.10.2019, zu Recht:

A)

I. Die Beschwerden des BF1, des BF3 und der BF4 werden gemäß § 3 Abs. 1 iVm Abs. 2 AsylG 2005 abgewiesen.

Den Beschwerden wird insoweit stattgegeben, dass XXXX gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 sowie XXXX und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 3 und 4 AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird.

Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX , XXXX und XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte bis 09.12.2020 erteilt.

II. Die Beschwerde der BF2 wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

Gemäß § 9 BFA-VG wird festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist, und gemäß §§ 54, 55 und 58 Abs. 1 AsylG 2005 wird XXXX der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung" für die Dauer von 12 Monaten erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Zum Verfahrensgang des BF1

1.1. Zum Vorverfahren

1.1.1. Der Beschwerdeführer (in der Folge: BF1), ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation, stellte nach illegaler Einreise in Österreich am 05.02.2013 den ersten Antrag auf internationalen Schutz und wurde am selben Tag von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Zu den Fluchtgründen brachte er vor, dass er am zweiten Tschetschenienkrieg teilgenommen habe. Er sei am linken Fuß verletzt worden und der Fuß habe ihm schließlich amputiert werden müssen. Er sei mehrmals von den tschetschenischen Behörden von zu Hause mitgenommen worden und habe massive Probleme wegen seiner Kampftätigkeit gehabt. Der BF1 habe aber nicht nur deswegen Probleme gehabt. Details wolle er jedoch nicht erzählen, da er nach allem, was er erlebt habe, keinem Menschen mehr vertrauen könne. Er habe aus seiner Heimat flüchten müssen, weil Lebensgefahr für ihn bestanden habe.

1.1.2. Am 15.05.2013 wurde der BF1 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) niederschriftlich einvernommen. Er gab im Wesentlichen zu seinen Fluchtgründen an, dass er während des zweiten Tschetschenienkrieges glaublich vom September 1999 bis zu seiner Verletzung, die zur Amputation seines Beines geführt habe, Mitglied einer bewaffneten Gruppierung unter XXXX gewesen sei. Nach der Verletzung habe er nicht mehr gekämpft. Er habe sich sechs Jahre in Inguschetien versteckt. 2006 sei er von der föderalen Behörde amnestiert worden und habe anschließend wieder in Tschetschenien gelebt. Er habe dort seither eine Invalidenrente bezogen. Aufgrund des mit der Amnestie verbundenen Eingeständnisses, an Kampfhandlung aktiv beteiligt gewesen zu sein, sei in Tschetschenien von 2006 bis 2009 ein Verfahren ihn betreffend wegen Mitwirkung am bewaffneten Widerstand anhängig gewesen. 2009 sei er freigesprochen worden. Er sei dann immer wieder für kürzere Zeit in andere Teile Russlands gereist. Die tschetschenischen Behörden hätten immer wieder wissen wollen, wer mit wem, wann und wo gewesen sei. Ende 2011 oder Anfang 2012 sei ein Verwandter, der in der Nachbarschaft wohne, zu eineinhalb Jahren Haft verurteilt worden, weil er angeblich den gesetzwidrigen, bewaffneten Widerstand unterstützt habe. Seither sei auf den BF1 erneut Druck ausgeübt worden. Die Behörden hätten ihn immer wieder befragt, weil sie davon ausgegangen seien, dass er wissen müsste, was dieser Verwandte gemacht habe. Man habe gedacht, dass er in diese Sache verwickelt gewesen sei. Man habe ihm zuletzt nicht erlaubt, aus Tschetschenien auszureisen. Nachdem der Druck der örtlichen Kriminalfahndung zu groß geworden sei, sei der BF1 ausgereist. Außerhalb Tschetscheniens sei der BF1 nie verfolgt worden.

Der BF1 habe einen Bruder und zwei Schwestern in Tschetschenien. Er habe viele Verwandte in der Russischen Föderation, unter anderem in XXXX , wo er kürzere Zeit gelebt habe. In Österreich lebe eine Schwester.

1.1.3. Mit Bescheid des BFA vom 11.06.2013, Zl. 13 01.555-BAT, wurde der Antrag auf internationalen Schutz des BF1 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gem. § 3 Abs. 1 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Der Antrag wurde ebenso bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gem. § 8 Abs. 1 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt II.). Gem. § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG wurde der BF aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen (Spruchpunkt III.).

Das BFA stellte die Nationalität des BF1 fest und traf Länderfeststellungen zum Herkunftsstaat. Beweiswürdigend wurde aus näher dargelegten Gründen auf die Unglaubwürdigkeit des Vorbringens geschlossen.

1.1.4. Gegen diesen Bescheid erhob der BF1 Beschwerde, in der insbesondere vorgebracht wurde, ein psychiatrisch-neurologisches Gutachten über den psychischen Zustand des BF erstellen zu lassen, um zu klären, ob der BF1 einvernahmefähig sei. Der BF1 unterhalte im Übrigen eine enge Beziehung zu seinen Verwandten, die er nicht gefährden wolle.

1.1.5. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 26.04.2014, Zl. W223 1436063-1/3E, wurde in Erledigung der Beschwerde der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gem. § 28 Abs. 3 (2. Satz) VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückverwiesen. Konkret habe das BFA die Erstellung eines psychiatrisch-neurologischen Gutachtens zu veranlassen.

1.1.6. Mit Urteil des LG St. Pölten vom 24.06.2015, Zl. 35 Hv 59/15y, wurde der BF1 wegen § 288 Abs. 4 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt, da er vor der Kriminalpolizei falsch ausgesagt habe, indem er im Zusammenhang mit seiner Reisebewegung verschwiegen habe, einen Auslandsreisepass zu besitzen.

1.1.7. Am 07.07.2015 wurde der BF1 vom BFA niederschriftlich einvernommen und zu seinem Gesundheitszustand befragt. Außerdem legte der BF1 den Beschluss der Behörde für Inneres in Grozny auf Verzicht der Einleitung eines Strafverfahrens vom 30.05.2009 vor.

1.1.8. Mit vom BFA beauftragten medizinischem Gutachten vom 31.08.2015 wurde festgestellt, dass der BF1 einvernahme- und geschäftsfähig sei. Er leide an einer mittelgradigen Depression ohne suizidale Einengung und es bestehe der Verdacht auf eine länger zurückliegende posttraumatische Belastungsstörung.

1.1.9. Am 28.09.2015 wurde der BF1 vom BFA niederschriftlich einvernommen und insbesondere Parteiengehör zum eingeholten Gutachten gewährt.

1.1.10. Mit Bescheid des BFA vom 29.09.2015, Zl. 619981904-2210235, wurde der Antrag auf internationalen Schutz des BF1 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gem. § 3 Abs. 1 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Der Antrag wurde ebenso bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gem. § 8 Abs. 1 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt II.). Dem BF1 wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. §§ 57 und 55 AsylG nicht erteilt. Gem. § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm. § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Gem. § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des BF1 in die Russische Föderation gem. § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gem. § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise festgelegt (Spruchpunkt IV.).

Dabei wurde das Fluchtvorbringen des BF1 aus näher dargelegten Gründen als nicht glaubhaft beurteilt, wobei das BFA infolge des eingeholten Gutachtens von der Einvernahmefähigkeit des BF1 ausging.

1.1.11. Gegen diesen Bescheid erhob der BF1 Beschwerde. Der BF1 habe sich bei mehreren tschetschenischen Personen im In- und Ausland telefonisch erkundigt, ob er weitere Aussagen machen könne, ohne jemanden zu gefährden. In der Beschwerde wurde unter anderem erstmalig vorgebracht, dass der BF1 im Jahr 2010 den entstellten Leichnam eines mutmaßlichen Terroristen, der zuvor von den Sicherheitsbehörden getötet worden sei, gewaschen habe. Dies sei gefilmt worden. Im Jahr 2012 habe der BF1 erfahren, dass die Polizei im Besitz dieses Videos sei und nach den darauf zu sehenden Personen fahnde. Der später von den Sicherheitsbehörden mitgenommene und verhaftete Verwandte sei eine von zwei anderen Personen gewesen, die den Leichnam gewaschen hätten. Weiters sei der BF1 im Herbst 2012 mit Bekannten im Auto von der Polizei aufgehalten und mitgenommen worden, da diese festgestellt habe, dass er während des Krieges beim bewaffneten Widerstand mitgewirkt habe. Sie wurden erpresst, je 150.000 Rubel bezahlen zu müssen und wurden anschließend freigelassen. Nach diesem Ereignis habe der BF1 sich entschlossen, sein Heimatland zu verlassen.

1.1.12. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 07.06.2016 eine öffentliche, mündliche Verhandlung in Anwesenheit der Rechtsberaterin durch, im Zuge derer der BF1 zur Aktualität seiner Fluchtgründe, zum Gesundheitszustand sowie zu einer mittlerweile erfolgten Integration befragt wurde.

1.1.13. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.09.2016, Zl. W226 1436063-2/11E, rechtskräftig mit 14.10.2016, wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Folgende Feststellungen wurden dem Erkenntnis zugrunde gelegt: Der BF1 sei Staatsangehöriger der Russischen Föderation, der Volksgruppe der Tschetschenen zugehörig und Muslim. Seine Identität stehe fest. Er sei nachweislich am 02.01.2013 in den Schengenraum eingereist und halte sich seit Anfang Jänner 2013 im Bundesgebiet auf. Nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet habe er am 05.02.2013 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Eine asylrelevante Verfolgung des BF1 in der Russischen Föderation, konkret in Tschetschenien, könne nicht festgestellt werden. Dem vom BF1 vorgebrachten Verfolgungsgrund sei die Glaubwürdigkeit abzusprechen gewesen. Es könne nicht festgestellt werden, dass der BF1 im Falle der Abschiebung in die Russische Föderation in seinem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wäre. Es könne nicht festgestellt werden, dass der BF1 im Falle seiner Rückkehr in eine existenzgefährdende Notlage geraten würde und ihm die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre. Psychische Erkrankungen des BF1 seien zwar festgestellt worden, jedoch stehe er nicht in medizinischer Behandlung. Psychische Beeinträchtigungen - inklusive einer posttraumatischen Belastungsstörung - seien laut vorgehaltenen Länderinformationen in der Russischen Föderation und Tschetschenien behandelbar. Der BF1 halte sich seit Einreise durchgehend im Bundesgebiet auf. Zu seiner in Österreich aufhältigen Schwester habe er keine besondere Abhängigkeit. Er habe Deutschkenntnisse auf dem Niveau A1 nachgewiesen und besuche einen Deutschkurs auf dem Niveau A2. Er beziehe Leistungen aus der Grundversorgung. Eine Mitgliedschaft in einem Verein, sonstige Aus-, Fort- oder Weiterbildungen oder ehrenamtliche Tätigkeiten seien nicht vorgetragen worden. Der BF1 weise eine strafrechtliche Verurteilung wegen § 288 Abs. 4 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von fünf Monaten auf. Der BF1 habe im Herkunftsstaat innerhalb und außerhalb von Tschetschenien zahlreiche Angehörige.

In der Beweiswürdigung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass das Vorbringen des BF1 nicht glaubhaft sei und sich aus seinen gesteigerten Angaben schwere Widersprüchlichkeiten und Ungereimtheiten ergeben würden. Außerdem stehe dem BF1 eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung.

1.2. Zum gegenständlichen Verfahren

1.2.1. Der BF1 stellte am 16.11.2017 einen Folgeantrag auf internationalen Schutz und wurde am selben Tag durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Zu den Fluchtgründen brachte er vor, dass seine alten Gründe immer noch aufrecht seien. Er werde deshalb weiterhin in der Heimat gesucht. Alle Personen, die am Krieg teilgenommen haben, würden von der jetzigen Regierung im Auftrag von Präsident Kadyrov gesucht, festgenommen und in weiterer Folge getötet bzw. verschleppt. Der BF1 habe von seinen Verwandten und Bekannten (Mitarbeiter bei der Polizei) zuverlässige Informationen bekommen, dass er auf der Fahndungsliste stehe. Des Weiteren habe der BF1 in Österreich aktiv an Demonstrationen gegen das politische Regime in Tschetschenien teilgenommen. Es seien inzwischen auch Videos im Internet veröffentlicht worden, auf denen er zu sehen sei. Somit würden die Leute von Kadyrov sehen können, dass der BF1 ein Gegner von Kadyrov sei. Auch habe sich die familiäre Situation des BF1 verändert. Er habe im Dezember 2016 in Österreich die BF2 nach muslimischen Recht geheiratet und lebe seither mit seiner Frau zusammen. Sie sei im sechsten Monat schwanger. Im Falle einer Rückkehr befürchte der BF1, von Kadyrovs Leuten festgenommen und verschleppt zu werden. Sechs Bekannte des BF1 aus der gleichen Ortschaft seien von ihnen bereits verschleppt worden und seien seither verschollen. Das könne man im Internet nachlesen.

Die Änderungen der Fluchtgründe seien dem BF1 bekannt, seit seine Schwester ihn vor ein paar Monaten darüber informiert habe, dass "irgendwelche Leute" ihn gesucht und nach ihm gefragt hätten.

1.2.2. Am 21.12.2017 wurde der BF1 vom BFA niederschriftlich einvernommen. Befragt nach Beweismitteln, legte der BF1 ein Konvolut von Unterlagen vor:

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Einen Screenshot eines YouTube-Videos über sechs Nachbarn und Bekannte des BF1, die festgenommen und verschollen seien (AS 243)

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Einen Screenshot eines YouTube-Videos über XXXX und XXXX , Nachbarn und Bekannte des BF1, wobei der BF1 wegen Ersterem viele Probleme gehabt habe (AS 245; zu sehen sind zwei tote Männer)

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Ein Screenshot eines YouTube-Videos über Personen, die nach "§ 208" beschuldigt und getötet worden seien (AS 247)

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Drei Screenshots von YouTube-Videos über Personen, die getötet worden seien (AS 249, 251 und 253)

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Zwei Fotos eines Meetings (gemeint wohl: Demonstration) in Wien gegen Kadyrov, an der auch der BF1 teilgenommen habe und zu sehen sei. Weiters zu sehen sei ein Mann namens XXXX , der nach Schweden gefahren sei und aufgrund eines Antrags von Russland von den schwedischen Behörden festgenommen worden sei (AS 255 und 257)

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Ein Foto eines Meetings (gemeint wohl: Demonstration) gegen die Übergabe von XXXX an Russland. Der BF1 sei auf dem Foto zu sehen (AS 259)

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Einen Screenshot eines YouTube-Videos über Tschetschenen, die gem. § 208 an Russland übergeben worden seien, einen Zettel mit näheren Schilderungen und einen Bericht von Amnesty International über einen verschwundenen tschetschenischen Asylsuchenden (AS 261, 263, 265 und 267)

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Ein russisches Schreiben, das bereits im Vorverfahren vorgelegt wurde (AS 269 und 271)

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Einen Ehevertrag des IZW über die traditionelle Heirat des BF1 mit der BF2 (AS 273)

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Mutter-Kind-Pass von XXXX (AS 275 bis 281)

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Eine Bestätigung der Paul Bständig Ges.m.b.H. über die Prothese des BF1 (AS 283)

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Einen Sozialbericht der Caritas über den BF1 (AS 285 und 287)

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Einen orthopädischen Bericht über den BF1 (AS 289

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Ein Zertifikat des ÖSD über die Absolvierung der Prüfung auf dem Deutschniveau A2 (AS 291 und 293)

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Ein HEMAYAT-Datenblatt, wonach seine Rechtsvertretung um eine psychologische Begutachtung des BF1 anfragte (AS 295)

Der BF1 bekräftige, dass seine bisherigen Fluchtgründe weiterhin aufrecht seien. Neu sei, dass alle seine Freunde und Nachbarn getötet worden seien. Seine Freunde seien nach Kasachstan gefahren und von den tschetschenischen Behörden zurückverlangt worden. Nun seien sie verschollen. Wenn man nach § 208 einmal beschuldigt werde, bekomme man keine Möglichkeit mehr, normal zu leben. Man werde wegen jeder Kleinigkeit beschuldigt und letztlich getötet, wie das mit allen neuen Freunden des BF1 geschehen sei.

Außerdem habe der BF1 in Wien an zwei Versammlungen gegen Kadyrov teilgenommen. Eine habe im Frühling 2017, die andere vor elf Monaten stattgefunden. Vor ein paar Tagen habe Kadyrov selbst versprochen, dass alle Teilnehmer dieser Versammlung Probleme bekommen würden. Außerdem sei der BF1 verheiratet und seine Frau bekomme in zwei Monaten ein Kind.

Der BF1 befürchte, im Falle einer Rückkehr an diese kriminellen Strukturen zurückgegeben zu werden. Dieser Befürchtungen habe er seit Dezember 2014, nachdem "all diese Männer" (gemeint: jene auf AS 243 abgebildeten Personen) getötet worden seien.

Der BF1 sei in Österreich in ständiger ärztlicher Behandlung. Dies wegen seiner Prothese, wegen psychologischer Probleme sowie Magenprobleme. Er nehme Medikamente, die er vom Psychiater bekommen habe.

Der BF1 habe eine schutzberechtigte Schwester in Österreich. Er lebe seit 25.12.2016 mit seiner Frau, ebenfalls Asylwerberin, im gemeinsamen Haushalt. Seit diesem Zeitpunkt führe er eine Beziehung mit ihr.

Nochmals befragt, wann der BF1 davon erfahren habe, dass die auf AS 243 abgebildeten Personen verschwunden seien, gab dieser an, dass er ziemlich spät davon erfahren habe, aber wisse nicht wann genau. Es sei vor 2017 gewesen.

Der BF1 befürchte, dass ihm dasselbe passiere wie jenen Personen auf den vorgelegten Unterlagen, weil auch er nach dem gleichen Paragraphen (gemeint wohl: § 208) beschuldigt worden sei.

Befragt, ob es nach 2016 Nachrichten gebe, dass man den BF1 persönlich suche, bejahte dieser. Seine Schwester sei in Tschetschenien und "sie" kämen zu ihr.

1.2.3. Anschließend an die niederschriftliche Einvernahme wurde durch das BFA mittels mündlicher Bescheidverkündung der faktische Abschiebeschutz des BF gem. § 12a Abs. 2 AsylG aufgehoben.

1.2.4. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 29.12.2017, Zl. W182 1436063-3/3E, wurde dieser Bescheid behoben, da das BFA das Vorbringen des BF1, in Wien an Demonstrationen gegen die tschetschenische Regierung teilgenommen zu haben, ignoriert habe, sowie die Entscheidung des BFA keine Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an einer (besonders) raschen Abschiebung des BF1 gegenüber dessen privaten Interessen an einem Verbleib erkennen lasse.

1.2.5. Am 31.01.2018 wurde der BF1 neuerlich durch das BFA niederschriftlich einvernommen. Der BF1 legte folgende weitere Unterlagen vor:

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Einen psychiatrischen Befundbericht, wonach der BF1 unter Depression bei Belastungsreaktion, 296.1 leide (AS 379)

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Einen klinisch-psychologischen Befundbericht, wonach der BF1 unter einer ausgeprägten multiplen posttraumatischen Belasungsstörung nach ICD-10:F43.1 und einer depressiven Episode nach ICD-10:F32.1 leide (AS 387 bis 391)

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Zwei Ausdrucke aus dem Internet über XXXX , Vorsitzender von Memorial in Tschetschenien, der vor drei Wochen festgenommen worden sei (AS 393 bis 399)

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Einen Ausdruck aus dem Internet, wonach Kadyrov in Österreich lebenden Tschetschenen drohe, keine Kritik an ihm zu äußern (AS 401)

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Mehrere Ausdrucke aus dem Internet über Personen, die nach § 208 beschuldigt, dann amnestiert und später wieder verfolgt und getötet worden seien (AS 403 bis 421)

Der BF1 kenne den in der Einvernahme vom 21.12.2017 bezeichneten XXXX (dort: " XXXX "), wisse aber den Familiennamen nicht. Er habe ihn in einer Sporthalle im 10. Wiener Gemeindebezirk kennen gelernt und oft in der Moschee gesehen. Die Sporthalle existiere nicht mehr und er wisse weder die genaue Adresse, noch den Namen dieser. Ein Mann sei dort als Trainer für Ringer tätig gewesen. Der BF1 habe XXXX vor ca. drei Jahren kennen gelernt. Er habe an der ersten Demonstration so wie der BF1 teilgenommen. Er sei anerkannter Flüchtling in Österreich. Er sei letztlich nicht von Schweden nach Russland abgeschoben worden. Der BF1 habe keine Handynummer von ihm, aber habe Kontakt, da er ihn in der Moschee oder auf der Straße sehe. Der BF1 wisse nicht genau, warum XXXX von Schweden nach Russland abgeschoben hätte werden sollen und wisse auch nicht detailliert, warum dieser doch nicht ausgeliefert worden sei. Er wisse nicht, ob nach XXXX international gesucht worden sei.

Befragt zur ersten Demonstration gab der BF1 an, dass diese Ende Dezember 2016 oder Anfang 2017 beim "Denkmal für russische Soldaten" (gemeint: Heldendenkmal der Roten Armee) stattgefunden habe. Den Namen des Platzes wisse er nicht. Es hätten ungefähr mehr als 100 Personen teilgenommen, die gegen die Ungerechtigkeit und die Festnahmen von jungen Menschen in Tschetschenien demonstriert hätten. Der BF1 sei ungefähr ab 11 Uhr dort gewesen, aber die anderen Teilnehmer seien schon davor vor Ort gewesen. Der BF1 habe auf Whatsapp eine Einladung zur Demonstration erhalten. Er wisse nicht, von wem die Einladung ausging. Für die Demonstration sei ein Mann namens " XXXX " zuständig gewesen. Er sei ein ehemaliger Abgeordneter des tschetschenischen Parlaments. Den Familiennamen merke der BF1 sich nicht. Er sei in Österreich unter den Tschetschenen sehr bekannt. Dieser habe auch die zweite Demonstration, an der der BF1 teilgenommen habe, geführt. Der Mann namens XXXX habe einen Verein in Österreich, aber der BF1 wisse den Namen nicht. Ein weiterer Mann namens " XXXX " (Bild auf AS 259 und 381) habe eine Organisation namens "tschetschenisches Kulturzentrum" im 20. Wiener Gemeindebezirk. Den Familiennamen des Mannes wisse er nicht. Der BF1 habe dem BFA alle Fotos vorgelegt, auf denen er selbst zu erkennen sei. Außerdem gebe es Videos. Der BF1 wurde vom BFA aufgefordert, sämtliche Fotos und Videos dieser Demonstrationen binnen Frist vorzulegen.

Die zweite Demonstration im Frühling 2017 gegen die Abschiebung des XXXX habe vor der schwedischen Botschaft in Wien stattgefunden.

Befragt nach seiner Rolle bei diesen Demonstrationen, gab der BF1 an, dass er nur teilgenommen habe um zu zeigen, dass er gegen "diese Ungerechtigkeiten" in Tschetschenien sei. Seither habe es auch weitere Demonstrationen in Wien und Straßburg gegeben, aber der BF1 habe wegen seiner Gesundheit und seiner finanziellen Lage nicht teilnehmen können. Der BF1 sei gegen die tschetschenische Regierung, seit Tschetschenien unabhängig geworden und Russland einmarschiert sei.

Der BF1 sei in Tschetschenien nach der Amnestierung 2009 immer wieder gezwungen worden, verschiedene Unterlagen zu unterschreiben. Er sei trotzdem gemäß § 208 beschuldigt worden. Die ganze Familie von derart beschuldigten Personen hätten keine Chance auf ein normales Leben. Man habe beweisen wollen, dass er ein Widerstandskämpfer gewesen sei. Bei jeder Kontrolle müsse man beweisen, kein Terrorist zu sein. Auch wenn man amnestiert werde, werde man nicht in Ruhe gelassen. Es gebe Videos, wo Kadyrov drohe, alle Menschen zu vernichten, die mit der Widerstandsbewegung zu tun gehabt haben. Was offiziell gesagt werde und was in Wirklichkeit passiere, seien zwei verschiedene Sachen. Er sei mehrmals mitgenommen worden. Er könne nicht erklären, was man alles mit ihm gemacht habe. Man habe ihm die Fingerabdrücke abgenommen, ihn fotografiert und beschuldigt, ein Terrorist zu sein. Er sei zur Zusammenarbeit aufgefordert worden. Er habe einmal Fotos von sechs jungen Männern hergegeben, die sodann von den Behörden getötet worden seien. Sie seien spurlos verschwunden. Es handle sich dabei nicht um jene sechs Personen auf AS 243. Er sei nach der Amnestierung nicht mehr offiziell nach § 208 beschuldigt worden. Bei seiner letzten Festnahme sei er bedroht worden, dass man Drogen bei ihm finden würde.

Befragt nach den vorgelegten Ausdrucken aus dem Internet gab der BF1 an, dass diese von der "Memorial" Website seien. Ein Freund habe das für ihn recherchiert und ausgedruckt. Der BF1 selbst werde in diesen Berichten nicht genannt, sondern es handle sich um ähnliche Fälle wie seinen.

Seit der Teilnahme an den Demonstrationen habe der BF1 in Österreich keine Probleme mit tschetschenischen Personen gehabt.

Befragt, warum er trotz seiner angegebenen Gefährdungslage an diesen Demonstrationen teilgenommen habe, gab der BF1 an, dass er sich dort nicht zeigen habe wollen. Er sei weit weg gewesen und habe sich mit einer Kapuze versteckt. Er sei dort hingegangen um wenigstens zu versuchen, dass diese Ungerechtigkeiten in Tschetschenien aufhören würden. Der BF1 habe vermieden, auf Fotos aufzuscheinen.

Der BF1 habe noch einen Bruder und zwei Schwestern in der Russischen Föderation. Er habe keinen Kontakt mit ihnen. Seine Schwester in Österreich habe Kontakt mit den Verwandten. Vor der Ausreise aus der Russischen Föderation habe der BF1 mit seiner Schwester zusammengelebt. Sein ältester Bruder sei sehbehindert, bekomme eine Pension und habe eine kleine Landwirtschaft. Eine Schwester sei verheiratet, die andere Schwester sei Witwe und arbeite bei Baustellen und Renovierungen.

Auf Nachfrage seiner Rechtsvertreterin gab der BF1 schließlich an, dass in Tschetschenien Polizisten nach seiner Ausreise gefragt hätten, wo er sei und was er mache. Sie hätten verlangt, dass er unbedingt zu ihnen komme, wenn er zuhause sei. Sie wüssten, dass er nicht zuhause sei und hätten sich deshalb beruhigt und kämen in letzter Zeit nicht. Wenn der BF1 nach Russland zurückkehre, würden sie es sofort erfahren.

1.2.6. Der BF1 erhielt am selben Tag vom BFA eine Ladung zu einer ärztlichen Untersuchung (PSY III).

1.2.7. Laut vom BFA beauftragter "Gutachterlicher Stellungnahme im Zulassungsverfahren" vom 06.02.2016 (augenscheinlich gemeint: 06.02.2018) leide der BF1 an einer posttraumatischen Belastungsstörung F43.1 sowie einer schweren depressiven Episode F32.2. Es sei dringend eine langfristige, regelmäßige, engmaschige psychotherapeutische Begleitung zu empfehlen. Im Falle einer Überstellung sei eine Verschlechterung der Symptome und der Krankheit zu erwarten. Aus ärztlicher Sicht könne derzeit keine Überstellung verantwortet werden.

1.2.8. Am 08.02.2018 legte der BF1 beim BFA einen USB-Stick mit folgendem Inhalt vor: Zehn Artikel und YouTube-Videos über Tschetschenien; ein YouTube-Video über die Demonstration in Wien am 24.12.2016, auf dem der BF1 in Minute 01:43 erkennbar sei, sowie XXXX in Minute 01:37 zu sehen sei; Ein YouTube-Video über die Demonstration im Frühling 2017, auf dem der BF1 in Minute 04:16 deutlich erkennbar sei (AS 443 und 445).

1.2.9. Am 10.09.2018 wurde der BF1 erneut durch das BFA niederschriftlich einvernommen. Der BF1 legte folgende weitere Unterlagen vor:

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Eine Kursbestätigung des BFI (AS 563)

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Einen OP-Termin der BF2 für den 31.08.2018 (AS 565 und 567)

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Ein neues Zertifikat des ÖSD über die Absolvierung der Prüfung auf dem Deutschniveau A2 (AS 571)

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Die Geburtsurkunde des BF3 (AS 573)

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Zwei Mutter-Kind-Pässe der BF2 (AS 575 bis 633)

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Einen orthopädischen Befundbericht (AS 635)

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Einen radiologischen Befundbericht (AS 637)

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Einen psychiatrischen Befundbericht, wonach der BF1 an einer Depression bei Belastungsreaktion, 296.1 leide (AS 639)

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Zwei Entlassungsbriefe und zwei Patientenbriefe der BF2 (AS 641 bis 657)

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Zwei Empfehlungsschreiben (AS 659 und 665)

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Einen Sozialbericht der Caritas (AS 661 und 663)

Befragt fühle sich der BF1 normal und er habe keine konkreten Erkrankungen. Alle Beschwerden würden mit der Prothese zusammenhängen. Er nehme Medikamente.

Der BF1 habe die Russische Föderation mit einem Reisepass legal Ende des Jahres 2012 verlassen. Er sei am 02.01.2013 in das österreichische Bundesgebiet eingereist.

Abgesehen von seinem Bruder und seinen beiden Schwestern habe der BF1 in der Russischen Föderation viele Verwandte. Er habe von drei verstorbenen Onkeln insgesamt ungefähr 17 oder 18 Cousins und Cousinen. Es gebe noch weitere Verwandte. Zu diesen Verwandten habe er keinen Kontakt. Über zehn Verwandte würden im Heimatdorf des BF1 leben.

Der BF1 besuche in Österreich eine Moschee. Im 10. Wiener Gemeindebezirk gebe es eine tschetschenische Moschee. Befragt würden dort keine politischen Dinge besprochen.

In Österreich lebe der BF1 gemeinsam mit seiner traditionell verheirateten Frau und seinem neugeborenen Sohn. Er wisse nicht, warum seine Frau einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe. Seine Frau wisse nur, dass er in Tschetschenien Probleme gehabt habe. Ansonsten habe der BF1 eine Schwester und gute Freunde in Österreich. Er gehöre keinem Verein oder einer sonstigen Organisation an.

Befragt, wann der BF zuletzt an einer Demonstration teilgenommen habe, gab dieser an, dass dies wegen XXXX im Frühling 2017 gewesen sei. Danach habe er an keinen weiteren Veranstaltungen teilgenommen, da er abgeschoben habe werden sollen und wegen der Familie keine Zeit gehabt habe. Befragt, ob Freunde oder Bekannte an den Demonstrationen teilgenommen haben, gab der BF1 an, dass sein Freund XXXX , ein weiterer Freund namens XXXX sowie ein Bekannter namens XXXX teilgenommen hätten. Befragt kenne der BF1 nicht den Nachnamen von XXXX , da es nicht üblich sei, sich beim Nachnamen zu nennen. Befragt, warum der den Nachnamen von XXXX kenne, gab der BF1 an, dass dies sogar sein "Zeuge" sei. XXXX sehe der BF1 nicht jeden Tag. Er wisse nicht, wo er wohnt und könne auch den Bezirk nicht nennen. Er habe ihn zuletzt vor zwei oder drei Monaten gesehen. Er wisse über ihn, dass er eine kranke Tochter habe. Er verbringe deshalb gerade viel Zeit mit der Familie.

Befragt nach dem Veranstalter der Demonstration gab der BF1 an, dass dieser XXXX heiße. Ein anderer namens XXXX habe die Demonstration für XXXX organisiert. Nachnamen kenne der BF1 nicht. Der BF1 habe von der zweiten Demonstration erfahren, da in der Moschee gesagt worden sei, dass man dort hingehen könne. Man bekomme SMS und Daten von den Demonstrationen. Vielleicht habe er es auch gehört. Die erste Demonstration sei per Whatsapp verabredet worden. Es gebe verschiedene tschetschenische Organisationen.

Befragt, warum er kein Mitglied dieser Organisationen sei, gab der BF1 an, dass er dort vielleicht verschiedene Dokumente vorlegen müsste. Er habe Familie zuhause. Wenn er offiziell Mitglied einer Organisation werde und offiziell demonstriere, habe er keinen Weg zurück und werde konkret verfolgt. Er könne dies nicht machen, weil er Verwandte in Tschetschenien habe. Der BF1 habe versucht, bei den Demonstrationen nicht aufzufallen. Er habe eine Kapuze gehabt und sich weggedreht, wenn er eine Kamera gesehen habe.

Der BF1 habe inzwischen gehört, dass sein Bruder im Frühjahr abgeholt worden sei. Seine Schwester in Wien habe ihm im März oder April erzählt, dass der Bruder über den Verbleib des BF1 befragt worden sei und dass er sich jedenfalls bei der Polizei melden solle, wenn er zurückkehre. Seitdem sei nichts passiert. Die Familie sage ihm nichts, damit er sich keine Sorgen mache. Der Bruder sei nach Grozny abgeholt und zwei Tage befragt worden. Die Schwester habe dem BF1 verschwiegen, ob der Bruder geschlagen worden sei.

Der BF1 sei in seinem Heimatdorf gemeldet. Dies werde nicht überprüft. Er könne nicht in Inguschetien leben, da "sie" ihn überall abholen könnten.

Von seiner Rechtsvertreterin dazu befragt, ob man ihn auf den Videos oder Fotos der Demonstrationen erkennen könne, gab der BF1 an, dass man ihn auf einem Foto erkennen könne.

Von seiner Rechtsvertreterin befragt, ob er sich aufgrund seiner psychischen Lage an alles immer gut erinnern könne, gab der BF1 an, dass er Erinnerungslücken habe. Er vertausche oft Daten. An Ereignisse könne er sich gut erinnern, aber nicht an das Datum. Namen vergesse er auch. Das Geburtsdatum seiner Frau, seines Kindes und den Namen eines Freundes habe er sich gemerkt, weil das neue Ereignisse seien. Er habe Konzentrationsschwierigkeiten.

1.2.10. Am 26.09.2018 gab der BF1 durch seine Rechtsvertretung eine Stellungnahme zum vom BFA übermittelten Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zur Situation in der Russischen Föderation ab.

1.2.11. Mit dem angefochtenen Bescheid des BFA wurde der Antrag des BF1 auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Dem BF1 wurde gemäß § 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und weiters gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF1 gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters wurde innerhalb des Spruches ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des BF1 gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

Das BFA führte insbesondere aus, dass eine begründete Furcht vor einer asylrelevanten Verfolgung in der Russischen Föderation nicht festgestellt werden könne. Außerdem würde eine Abschiebung keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 der EMRK bedeuten oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts mit sich bringen. Soziale Kontakte, die eine Bindung zu Österreich darstellen, haben nicht festgestellt werden können. Der BF1 leide an keiner lebensbedrohenden Krankheit.

Beweiswürdigend wurde insbesondere angeführt, dass die Angaben des BF1 nicht glaubhaft seien, da sie nicht nachvollziehbar seien und mit den Länderberichten nicht im Einklang stünden. Das neue Vorbringen des BF1 sei nicht relevant. Eine innerstaatliche Fluchtalternative stehe bei den Verwandten in XXXX zur Verfügung. Das Vorbringen des BF1 sei widersprüchlich und weise Ungereimtheiten auf. Es sei nicht plausibel und nicht nachvollziehbar.

Der rechtlichen Beurteilung ist im Wesentlichen zu entnehmen, dass sich bei Berücksichtigung sämtlicher Tatsachen keine Hinweise auf das Vorliegen eines Sachverhaltes, der zu einer Zuerkennung des Status des Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten führen könnte, vorliegen. Ebenso bestehen keine Gründe für die Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung.

1.2.12. Mit Schriftsatz vom 24.05.2019 erhob der BF1 durch seine Rechtsvertreterin binnen offener Frist das Rechtsmittel der Beschwerde und brachte nach Wiederholung der Fluchtgründe im Wesentlichen vor, dass die aus dem Jahr 2014 stammenden Ländermaterialien mangelhaft seien. Weiters sei das Parteiengehör verletzt worden. Es sei eine weitere Einvernahme bzw. die Möglichkeit einer schriftlichen Stellungnahme zugesagt worden, diese hätte jedoch nicht stattgefunden bzw. sei nicht gewährt worden. Der BF1 hätte im Beschwerdeschriftsatz näher benannte weitere Beweismittel vorlegen können, wonach er an einer Demonstration am 23.02.2019 teilgenommen habe und auf einem Video von Minute 00:01 bis 00:02 zu erkennen sei. Der BF1 teile aktiv Informationen über Demonstrationen. Der BF1 hätte zudem weitere näher benannte Beweismittel über seinen aktuellen medizinischen Zustand und seine Integration vorlegen können. Zudem seien die Feststellungen und die Beweiswürdigung mangelhaft. Die Grundsätze der freien Beweiswürdigung würden im angefochtenen Bescheid nicht erfüllt werden und es könne die Beweiswürdigung daher nicht nachvollzogen werden. Weiters seien - im Beschwerdeschriftsatz näher benannt - nicht alle vorgelegten Beweismittel gewürdigt worden. Daraus folge schließlich die inhaltliche Rechtswidrigkeit. Das BFA habe sich im Übrigen nicht mit dem Privat- und Familienleben des BF1 gesetzeskonform auseinandergesetzt.

Der Beschwerde beigelegt wurden (neu) folgende Unterlagen:

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Ladung des BFA zu einer Einvernahme am 12.03.2019 (AS 807)

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Ein YouTube-Link und zwei Screenshots einer Demonstration am 23.02.2019, auf denen der BF1 zu sehen sei (AS 809)

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Ein Schreiben von XXXX , Obmann des Kulturvereins ICHKERIA, wonach dem BF1 im Tschetschenien der Tod drohe (AS 811)

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Einen psychiatrischen Befundbericht, wonach der BF1 an einer Depression bei Belastungsreaktion, 296.1 leide (AS 812)

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Ein Behindertenpass (AS 813)

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Ein Sozialbericht der Caritas (AS 815)

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Eine Anmeldebestätigung für einen Deutschkurs auf dem Niveau B1+ (AS 817)

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Ein Empfehlungsschreiben (AS 818)

1.2.13. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 03.10.2019 eine öffentliche, mündliche Verhandlung unter Beiziehung einer geeigneten Dolmetscherin für die Sprache Russisch durch, an welcher der BF1 und seine Rechtsvertretung teilnahmen. Der BF1 wurde ausführlich zu seiner Person und den Fluchtgründen befragt, und es wurde ihm Gelegenheit gegeben, die Fluchtgründe umfassend darzulegen sowie zu den im Rahmen der Verhandlung in das Verfahren eingeführten und Länderberichten Stellung zu nehmen. Zu den Länderberichten wurde eine Frist zur schriftlichen Stellungnahme ausbedungen.

Der BF1 legte folgende Unterlagen (neu) vor: Einen Screenshot und einen Link eines YouTube-Videos über eine Demonstration vom 30.08.2019, an der der BF1 teilgenommen habe und zu sehen sei (Beilage ./1).

1.2.14. Mit Schriftsatz vom 24.10.2019 wurde zu den Länderberichten Stellung genommen und in Bezug auf den BF1 folgende weitere Unterlagen (neu) vorgelegt:

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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