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Abgabenverfahren - Landes- und GemeindeabgabenNorm
BAO §80 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Raschauer und die Hofräte Mag. Kobzina, Mag. Öhler, Dr. Würth und Mag. Meinl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Ministerialsekretär Papp, über die Beschwerde der MS in W, vertreten durch Dr. Horst Hoskovec, Rechtsanwalt in Wien I, Schwarzenbergstraße 8, gegen den Bescheid der Abgabenberufungskommission für Wien vom 6. April 1978, Zl. MDR-Sch 6/78, betreffend Geltendmachung der Haftung für eine Getränkesteuerschuld, nach durchgeführter Verhandlung, und zwar nach Anhörung des Vortrages des Berichters sowie der Ausführungen des Vertreters der Beschwerde, Rechtsanwalt Dr. Horst Hoskovec, und des Vertreters der belangten Behörde, Magistratsrat Dr. WJ, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Die Bundeshauptstadt Wien hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 5.105,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Der Magistrat der Stadt Wien hatte die Beschwerdeführerin mit Bescheid vom 27. Dezember 1977 unter Berufung auf die §§ 7 Abs. 1 und 54 Abs. 1 der Wiener Abgabenordnung, LGBl. für Wien Nr. 21/1962 (WAO), in Verbindung mit den §§ 2 und 5 leg. cit., in der Fassung des Gesetzes LGBl. für Wien Nr. 4/1974, als Geschäftsführerin der S Ges.m.b.H. für die in der Zeit vom 1. April 1977 bis 9. Juli 1977 entstandene Getränkesteuerschuld der ehemaligen Abgabepflichtigen, S Ges.m.b.H. in Wien, X-Straße, im Betrag von S 114.359,-- haftbar gemacht und als Haftungspflichtige zur Zahlung dieses Betrages herangezogen. Gleichzeitig wurde die Beschwerdeführerin gemäß § 171 WAO aufgefordert, diesen Betrag binnen einem Monat nach Zustellung dieses Bescheides zu entrichten.
Der dagegen erhobenen Berufung gab die Abgabenberufungskommission mit Bescheid vom 6. April 1978 keine Folge. Zur Begründung des Bescheides wurde ausgeführt, der Verwaltungsgerichtshof habe in seinem Erkenntnis vom 24. September 1954, Slg. Nr. 1003/F, ausgesprochen, es sei Aufgabe des Geschäftsführers, nachzuweisen, daß ihm die Erfüllung der abgabenrechtlichen Pflichten für die Gesellschaft unmöglich war, weil nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen derjenige, der eine ihm obliegende Pflicht nicht erfüllt, die Gründe darzutun habe, aus denen ihm die Erfüllung unmöglich war, widrigenfalls angenommen werden könne, daß er seiner Pflicht schuldhafterweise nicht nachgekommen ist. Daß Zahlungsschwierigkeiten keinen Entschuldigungsgrund bilden, bedürfe keiner weitwendigen Ausführungen, da die Getränkesteuer vom Letztverbraucher entrichtet werde und somit für den Abgabepflichten keine Belastung bilden könne. Daß die Beschwerdeführerin die eingenommenen Beträge offensichtlich für andere Zwecke verwendet habe, unterstreiche vielmehr ihr schuldhaftes Handeln. Nach § 5 Abs. 1 WAO, so fährt die belangte Behörde in der Begründung ihres Bescheides fort, werden Personen, die nach den Abgabenvorschriften für eine Abgabe haften, durch Geltendmachung dieser Haftung (§ 171) zu Gesamtschuldnern. Koziol-Welser führten dazu im "Grundriß des bürgerlichen Rechts" I3 aus: "Im Falle der Schuldnermehrheit haftet jeder Schuldner für das Ganze. Es bleibt dem Gläubiger überlassen, von welchem Schuldner er die Leistung begehren will". Für die Uneinbringlichkeit der angeführten Steuerbeträge spreche, daß die Gesellschaft ihren Betrieb beendet habe und keine Vermögenswerte von der Beschwerdeführerin angeführt werden, auf welche der Magistrat greifen könnte. Für die Meinung, daß zuerst der Verpächter heranzuziehen sei, bestehe kein Anhaltspunkt im Gesetz.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides sowie dessen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden. Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift.
Der Verwaltungsgerichtshof hat die vorliegende Beschwerde mit der unter der hg. Zl. 1199/78 in der gleichen Rechtssache anhängigen Beschwerde der MD zur gemeinsamen Verhandlung verbunden und hierüber erwogen:
Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof erachtet sich die Beschwerdeführerin in dem Recht verletzt, gemäß § 7 Abs. 1 WAO nur als Ausfallsbürge herangezogen zu werden. In Ausführung des so bezeichneten Beschwerdepunktes rügt die Beschwerdeführerin, es seien im gegenständlichen Fall die Voraussetzungen der Haftung gemäß § 7 Abs. 1 WAO der in §§ 54 ff bezeichneten Vertreter zum Zeitpunkt der Erlassung des Haftungsbescheides nicht erfüllt und seien "dies teilweise heute noch nicht". Insbesondere habe die belangte Behörde keinerlei Einbringungsmaßnahmen, weder gegen den Abgabenschuldner bzw. sein Vermögen noch gegen den Verpächter als Gesamtschuldner und dessen Vermögen gesetzt, sodaß die vom Gesetz verlangte Uneinbringlichkeit der Schuld nicht habe angenommen werden können. Gemäß dem § 176 WAO sei als Grundlage für die Einbringung über die vollstreckbar gewordene Abgabenschuldigkeit ein Rückstandsausweis auszufertigen. Der Rückstandsausweis für die Abgabenschulden der S Ges.m.b.H. sei jedoch erst am 15. Februar 1978, somit fast zwei Monate nach dem Haftungsbescheid gegen die Beschwerdeführerin, erlassen worden. Aktenwidrig sei das Vorbringen der belangten Behörde, wonach für die Uneinbringlichkeit der angeführten Steuerbeträge unter anderem spräche, daß die Beschwerdeführerin keine Vermögenswerte angeführt hätte. Die Beschwerdeführerin habe vielmehr in ihrer Berufung vom 10. Februar 1978 gegen den Haftungsbescheid der Magistratsabteilung 4 ausdrücklich auf eine Kaution der Abgabepflichtigen hingewiesen, welche sich in den Händen der Verpächterin befindet.
Diesem Vorbringen bleibt es verwehrt, die Beschwerde zum Erfolg zu führen. Gemäß dem § 7 Abs. 1 WAO haften die in den §§ 54 ff dieses Gesetzes bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können. Nach der Anordnung des § 54 Abs. 1 WAO haben unter anderem die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, daß die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.
Der von der belangten Behörde als erwiesen angenommene Umstand, demzufolge die Beschwerdeführerin dem Personenkreis nach § 54 Abs. 1 erster Satz leg. cit. angehört, wird von dieser nicht bestritten. Der § 7 Abs. 1 WAO als Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides normiert eine Ausfallshaftung in Hinsicht darauf, daß die Abgabe beim Pflichtigen nicht hereingebracht werden kann unter den weiteren rechtserheblichen Voraussetzungen einer schuldhaften Verletzung der Obliegenheiten des Vertreters und der Uneinbringlichkeit als Folge einer schuldhaften Pflichtverletzung des Vertreters.
Das Tatbestandselement der Uneinbringlichkeit setzt voraus, daß die Zwangsvollstreckung in das gesamte bewegliche und unbewegliche Vermögen des Schuldners oder seiner Mitverpflichteten erfolglos war oder voraussichtlich erfolglos sein wird. Im Zusammenhang sei auf Reeger-Stoll, Kommentar zur Bundesabgabenordnung, 1966, S. 53, hingewiesen.
Die belangte Behörde beruft sich in der Begründung des angefochtenen Bescheides auf die voraussichtliche Erfolglosigkeit der Einbringungsmaßnahmen bei dem ehemals abgabepflichtigen Unternehmen. Der Gerichtshof vermag diese Auffassung der belangten Behörde nicht als rechtswidrig zu erkennen. Die Beschwerdeführerin, die sich auch im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof lediglich auf eine bei der Verpächterin erliegende Kaution der Abgabepflichtigen als deren einzigen Vermögenswert zu berufen vermag, verkennt, daß diese Forderung bereits mit dem bei den Akten des Verwaltungsverfahrens erliegenden Bescheid des Magistrats der Stadt Wien vom 15. Februar 1978 gepfändet, vom Drittschuldner aber dagegen im Verwaltungsrechtszug eingewendet worden war, es sei die gesamte Kaution "bereits durch rückständigen Zins, unbeglichene Strom- und Gasrechnungen sowie Schadenersatz wegen zerbrochener Gegenstände aufgebraucht" worden. Die Drittschuldnerin habe darüber hinaus sogar noch eine Forderung an die Abgabepflichtige. Die Richtigkeit dieses nach Lage der Akten der Beschwerdeführerin
bekanntgewordenen Vorbringens der Drittschuldnerin wird von der Beschwerdeführerin auch im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof nicht bestritten. In Hinsicht darauf, daß die Richtigkeit der von der Beschwerdeführerin berufenen Forderung der Abgabepflichtigen jedenfalls in Frage steht, der belangten Behörde es aber nach herrschender Auffassung nur zumutbar ist, auf ein im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides zur Befriedigung des Gläubigers verwertbares Vermögen zu greifen (OGH 15. März 1962, 5 Ob 30/62, Ev.Bl. 1962, Nr. 296), war es der belangten Behörde nicht verwehrt, die gemäß dem § 7 Abs. 1 WAO rechtserhebliche Tatsache der Uneinbringlichkeit der Abgabenforderung als erwiesen anzunehmen.
Ohne streitentscheidendes Gewicht ist auch der Einwand der Beschwerdeführerin, der Rückstandsausweis sei erst nach dem Haftungsbescheid, am 15. Februar 1978, erlassen worden, zumal dieser Umstand jedenfalls nicht den angefochtenen, im April 1978 erlassenen Bescheid der belangten Behörde mit Rechtswidrigkeit zu belasten vermag.
Im weiteren Verfolg ihrer Rechtsrüge beruft sich die Beschwerdeführerin auf den § 5 Abs. 2 Getränkesteuergesetz für Wien, in der Fassung der Kundmachung der Wiener Landesregierung vom 12. Jänner 1971, LGBl. für Wien Nr. 2. Dieser laute: "Erfolgt die Abgabe steuerpflichtiger Getränke in einem Pachtbetrieb, so haftet der Verpächter (Haftpflichtiger) neben dem früheren Pächter für die Steuerbeträge, die auf die Zeit seit Beginn des letzten vor der Beendigung der Betriebsführung durch den Pächter liegenden Halbjahres entfallen. Die Heranziehung des Haftpflichtigen zur Zahlung hat mittels Haftungsbescheid zu geschehen". Die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes habe bei der Prüfung der Voraussetzungen für die Haftung des Verpächters stets festgehalten, daß die Verpächter-Haftung keine bloße Ausfallshaftung sei. Im Erkenntnis vom 1. Juni 1959, Zl. 263/56 (Slg. Nr. 2028/F), habe der Verwaltungsgerichtshof unter anderem ausgeführt, daß der Verpächter für die Getränkesteuerschulden des früheren Pächters, die auf die Zeit seit dem Beginn des letzten vor der Beendigung der Betriebsführung durch den Pächter liegenden Kalenderjahres entfallen, unbedingt und ohne irgendwelche Einschränkungen hafte. Dessenungeachtet habe die belangte Behörde die in § 5 Abs. 2 Getränkesteuergesetz vorgesehene Verpächter-Haftung nicht geltend gemacht; vielmehr habe die belangte Behörde den subsidiär haftenden Ausfallsschuldner vor dem primär haftenden Gesamtschuldner und sogar vor dem Abgabenschuldner selbst herangezogen. Die belangte Behörde vertrete die offensichtlich unrichtige Auffassung, daß es sich bei der Frage, wer als Haftpflichtiger heranzuziehen sei, um eine Ermessensentscheidung handle. Die Behörde habe sich so verhalten und so gehandelt, als ob sie "Ermessen" hätte - tatsächlich sei die Behörde jedoch auf Grund der zitierten Bestimmungen der Wiener Abgabenordnung und des Getränkesteuergesetzes gebunden.
Dieses Vorbringen ist begründet. Der Wortlaut des von der Beschwerdeführerin ins Treffen geführten § 5 Abs. 2 Getränkesteuergesetz ist von dieser zutreffend wiedergegeben. Die Inanspruchnahme des Vertreters nach § 7 WAO setzt unter anderem voraus, daß die Abgabe weder beim Vertretenen noch bei demjenigen einzubringen ist, der für die Entrichtung der Abgabe als Gesamtschuldner in Betracht kommt. (Vgl. hiezu die bei Reeger-Stoll, Kommentar zur Bundesabgabenordnung, 1966, S. 54, zu dem mit der zitierten Bestimmung gleichlautenden § 9 BAO unter Berufung auf die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes gemachten Ausführungen.) Gemäß dem § 5 Abs. 1 WAO werden Personen, die nach Abgabenvorschriften für eine Abgabe haften, durch Geltendmachung dieser Haftung (§ 171) zu Gesamtschuldnern. Nach der Anordnung des § 171 leg. cit. werden die in den Abgabenvorschriften geregelten persönlichen Haftungen durch Erlassung von Haftungsbescheiden geltend gemacht. In Hinsicht darauf, daß gemäß dem § 5 Abs. 1 WAO das Gesamtschuldverhältnis erst durch dessen Geltendmachung im Wege eines Haftungsbescheides entsteht, die belangte Behörde aber nach Lage der Akten gegen die Verpächterin einen Haftungsbescheid nicht erlassen hatte, war diese mangels Vorliegens dieser Tatbestandsvoraussetzung nicht Gesamtschuldnerin.
Dies entzieht den angefochtenen Bescheid indes nicht dem Vorwurf seiner Rechtswidrigkeit. Bei Beurteilung der dem Verwaltungsgerichtshof zur Beantwortung gestellten Rechtsfrage ist der belangten Behörde einzuräumen, daß die Geltendmachung der Haftung wie auch die nachfolgende Auswahl der Schuldner in das Ermessen der Behörde gestellt ist. Dieser Grundsatz findet indes am Wesen der Ausfallshaftung, wie sie auch § 7 WAO normiert, seine rechtliche Schranke. Darnach haftet der auf der Grundlage dieser Gesetzesstelle in Anspruch Genommene, wie bereits dargetan, nur unter der Voraussetzung, daß der unberichtigte Rückstand weder beim ursprünglichen Abgabenschuldner noch bei demjenigen einbringlich ist, der nach den Abgabenvorschriften (uneingeschränkt) als Gesamtschuldner in Betracht kommt.
Bei Vorliegen von Haftenden mit im Sinne der vorstehenden Ausführungen unterschiedlichen Haftungsvoraussetzungen ist es daher der Behörde in Hinsicht der solcherart differenzierten Tatbestandsmerkmale verwehrt, auf die Begründung eines Gesamtschuldverhältnisses gegenüber einem uneingeschränkt Haftenden zu verzichten und statt dessen die Solidarschuld gegenüber einer Person herzustellen, deren Verbindlichkeit lediglich in einer Ausfallshaftung besteht. Andernfalls würde der subsidiär Haftende entgegen dem ihn zur Solidarschuld berufenden Tatbestand an die Stelle des primär zur Haftung Verpflichteten treten und es würde solcherart entgegen Art. 7 B-VG nach dem Gesetz ungleiches gleich behandelt werden und die Ausfallshaftung solcherart je nach der Ermessensübung der Behörde einen willkürlichen Sinn erhalten.
Indem die belangte Behörde dies verkannte und die Beschwerdeführerin vor Geltendmachung der Solidarschuld gegenüber dem gemäß § 5 Abs. 2 Getränkesteuergesetz primär haftenden Verpächter zur Haftung heranzog, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes. Dieser war daher gemäß dem § 42 Abs. 2 lit. a VwGG 1965 aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG 1965 in Verbindung mit den Bestimmungen der Verordnung des Bundeskanzlers vom 31. Oktober 1977, BGBl. Nr. 542/1977.
Das auf Ersatz der Umsatzsteuer gerichtete Begehren war in Hinsicht auf die Pauschalierung des Aufwandersatzes abzuweisen. Der Ersatz der Aufwendungen für Stempelgebühren erfolgte in der Höhe, in der diese nach dem Gesetz zu entrichten waren. Der Verhandlungsaufwand war für beide Beschwerden nur für eine Verhandlung zuzuerkennen.
Wien, am 8. November 1978
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1978:1978001197.X00Im RIS seit
21.02.2020Zuletzt aktualisiert am
21.02.2020