TE Lvwg Erkenntnis 2020/2/7 VGW-031/045/858/2019

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.02.2020
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Entscheidungsdatum

07.02.2020

Index

40/01 Verwaltungsverfahren
L40009 Sonstige Polizeivorschriften Wien;
L40019 Anstandsverletzung Ehrenkränkung Lärmerregung Polizeistrafen Wien

Norm

VStG §45 Abs1 Z2
WLSG §1 Abs1 Z1

Text

I M N A M E N D E R R E P U B L I K

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch den Richter Mag. Doninger über die Beschwerde des Herrn A. B. gegen das Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Wien, Polizeikommissariat ..., vom 24.12.2018, GZ: ..., betreffend eine Verwaltungsübertretung nach dem WLSG, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 16.01.2020, zu Recht e r k a n n t:

I. Gemäß § 50 VwGVG wird der Beschwerde Folge gegeben, das Straferkenntnis behoben und das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z. 2 VStG eingestellt.

II. Gemäß § 52 Abs. 8 VwGVG hat der Beschwerdeführer keinen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens zu leisten.

III. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof durch die vor dem Verwaltungsgericht Wien belangte Behörde unzulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

1.) Das angefochtene Straferkenntnis ist gegen den Beschwerdeführer als Beschuldigten gerichtet und enthält folgenden Spruch:

„1  Datum/Zeit:  28.09.2018, 23:53 Uhr

Ort:                      Wien, C.-gasse, Fahrbahn der C.-gasse

Sie haben durch folgende Begehungsweise den öffentlichen Anstand verletzt: Verwendung von: "Alter was willst du bitte von mir?" ggü. Polizisten.

Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschrift(en) verletzt:

1. § 1 Abs. 1 Z. 1 WLSG

Wegen dieser Verwaltungsübertretung(en) wird (werden) über Sie folgende Strafe(n) verhängt:

Geldstrafe von

falls diese uneinbringlich ist, Ersatzfreiheitsstrafe von

Freiheitsstrafe von

Gemäß

€ 100,00

2 Tage(n) 0 Stunde(n)
0 Minute (n)

 

§ 1 Abs. 1 WLSG

 

Weitere Verfügungen (zB Verfallsausspruch, Anrechnung von Vorhaft):

Ferner haben Sie gemäß § 64 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 - VStG zu zahlen:

€ 10,00 als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens, das sind 10% der Strafe, jedoch mindestens € 10,00 für jedes Delikt (je ein Tag Freiheitsstrafe wird gleich € 100,00 angerechnet).

Der zu zahlende Gesamtbetrag (Strafe/Kosten/Barauslagen) beträgt daher

€110,00“

In der Begründung stützt sich die belangte Behörde auf ein Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich, wonach durch den Gebrauch des Wortes „OIDA“, welches als Synonym für „HAWARA“ (Wienerischer Ausdruck) gelte, die Amtshandlung und das Einschreiten des Polizisten infrage gestellt würden. Mit der Verwendung dieses Wortes werde zudem eine nicht unerhebliche Geringschätzung des Gegenüber zum Ausdruck gebracht und - bezogen auf die Amtshandlung - ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes bei der Vollziehung seiner Aufgaben der Lächerlichkeit preisgegeben.

2.) in der gegen dieses Straferkenntnis rechtzeitig erhobenen Beschwerde bestreitet der Beschwerdeführer den gegen ihn gerichteten Vorwurf und bezweifelt zudem, dass der Begriff „oida“ eine Anstandsverletzung gemäß § 1 WLSG darstelle. Im Zuge der medialen Berichterstattung hätten sich einige Juristen und Germanisten zu Wort gemeldet, die das Gegenteil behaupten würden. Auch die Wahl des Begriffs zum „Jugendwort des Jahres 2018“ durch die Forschungsstelle für österreichisches Deutsch an der Karl-Franzens-Universität in Graz zeuge davon, dass es ein in der Bevölkerung weitverbreiteter und vielschichtiger Begriff sei, der keineswegs eine Anstandsverletzung darstellen könne. Außerdem habe es in seinem Fall als Ausruf über die allgemeine Situation gegolten, nämlich, dass der Beamte grundlos an seinem Arm gezerrt, ihn mit dem „Du“-Wort angesprochen und ihn zudem ohne jegliche rechtliche Grundlage festnehmen habe wollen. Tatsächlich sei es keine Anrede gewesen.

Beantragt wurde letztlich die Aufhebung des Straferkenntnisses und die Einstellung des Verfahrens.

3.) Das vorliegende Strafverfahren gründet sich auf eine Anzeige der Landespolizeidirektion Wien vom 05.10.2018, wonach – zusammengefasst - im Zuge eines Einsatzes am 28.09.2018 um 23:53 Uhr in Wien, C.-gasse beim dortigen Lokal „D.“ eine medizinischen Erstversorgung einer schwer alkoholisierten Person erforderlich geworden sei, im Zuge derer der Angezeigte (Anm.: nunmehriger Beschwerdeführer) in einer Entfernung von ca. 4 m vom Rettungswagen stehend sein Mobiltelefon auf den Rettungswagen gerichtet habe. Da davon auszugehen gewesen sei, dass der Angezeigte ein Video bzw. Fotos von der verletzten Person bzw. den Sanitätern des Rettungsfahrzeuges anfertigte, habe der Meldungsleger denselben aufgefordert, selbiges im Hinblick auf die Privatsphäre des Verletzten zu unterlassen. Dies habe den Angezeigten dazu veranlasst, den Meldungsleger in arrogantem Tonfall auf seinen Beruf als Journalist hinzuweisen, weshalb es ihm erlaubt sei alles zu fotografieren, was er wolle. Er sei dann seitens des Meldungslegers über die rechtliche Situation in Kenntnis gesetzt worden, habe sich aber weiterhin geweigert, bereits angefertigte Fotos zu löschen und den Meldungsleger immer wieder geduzt. Nachdem sich auch noch zwei weibliche Personen (offensichtlich Bekannte des Angezeigten) in die Amtshandlung eingemischt hätten und auch noch ein weiterer Kollege hinzugetreten sei, habe der Angezeigte gegenüber dem Meldungsleger gesagt: „Alter was willst du bitte von mir? Ich mache sowieso eine Maßnahmenbeschwerde! Wir sehen uns in der Muthgasse wieder!“ Da dieses Verhalten als Anstandsverletzung im Sinne des WLSG zu werten gewesen sei und der Angezeigte sich mehrfach geweigert habe, einen Ausweis vorzuweisen, sei ihm letztlich die Festnahme gem. § 35 VStG angedroht worden. Erst danach habe der Angezeigte einen Personalausweis vorgewiesen.

4.) Eine Strafverfügung vom 11.10.2018 beeinspruchte der nunmehrige Beschwerdeführer mit Schreiben vom 17.10.2018.

5.) Eine Aufforderung zur Rechtfertigung vom 16.11.2018 blieb seitens des nunmehrigen Beschwerdeführers unbeantwortet.

6.) In der Folge erging das vorliegende Straferkenntnis

7.) In der Rechtssache fand am 16.01.2020 eine öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Wien statt, an welcher der Beschwerdeführer persönlich, sowie der Meldungsleger BzI. E. als Zeuge teilnahmen.

Die belangte Behörde hat mit Schreiben vom 20.12.2019 auf die Teilnahme an der Verhandlung verzichtet.

Der Beschwerdeführer gab - als Partei befragt – folgende Angaben zu Protokoll:

Ich war am Abend des 28.9.2018 im Lokal „D.“ und wollte vor der Türe eine Zigarette rauchen. Dort nahm ich ein Rettungsfahrzeug wahr sowie überhaupt Blaulicht und auch Polizeibeamte. Dieses Rettungsfahrzeug befand sich etwa 10 bis 15 Meter von mir entfernt. Ich telefonierte gerade mit meiner Freundin und machte eine Aufnahme von der Szene, die ich ihr schicken wollte. Dies veranlasste einen vor Ort anwesenden SWB auf mich zuzustürmen und zu mir zu sagen: „Handy weg und Ausweis her.“ Ich wollte von ihm den Grund seines Vorgehens gegen mich wissen. Dies quittierte er lediglich damit, dass er meinte, dass mich das nicht zu interessieren habe und ich endlich meinen Ausweis hergeben soll. Dabei fasste er mich an der Schulter am Arm an. Ich verhielt mich durchaus freundlich gegenüber dem Beamten und sagte zu ihm, dass ich ihm selbstverständlich meinen Ausweis zeigen würde, dafür aber seine Dienstnummer haben wolle. Ich habe den SWB mit Sicherheit nicht geduzt; tatsächlich war es so, dass ausschließlich er mich geduzt hat, jedenfalls bis zu diesem Zeitpunkt. Ich zeigte dem Beamten dann meinen Personalausweis und machte er sich darüber Notizen. Dann fragte ich neuerlich wegen seiner Dienstnummer; allerdings wurde mir die Ausfolgung derselben neuerlich verweigert. Dann vermeinte der Beamte, dass man Polizisten nicht duze, was mich zu der Replik veranlasste: „Sie haben mich doch auch die ganze Zeit geduzt, Oida.“ Dazu äußerte er sich dahingehend, als meinte: „Aha, Oida, Anstandsverletzung.“

Angesprochen auf das Umfeld des gegenständlichen Sachverhaltes gebe ich an, dass ich mit Sicherheit nicht alleine vor dem Lokal gestanden bin. Auch die in der Anzeige genannten beiden Frauen waren tatsächlich vor Ort und ziemlich aufgeregt. Richtig ist auch, dass sie auf den Polizisten eingeredet haben.

Ich möchte weiteres darauf hinweisen, dass die Begründung des SE mit meiner Person jedenfalls nichts zu tun haben kann, da ich insbesondere nicht einem Milieu entstamme, das darin offensichtlich angesprochen wird. Ich habe auch schon mehrfach darauf hingewiesen, dass ich nicht der Ansicht bin, dass sich die Bezeichnung „Oida“ aus dem Wort „Hawara“ ableitet oder zu diesem synonym verwendet wird.

Über Vorhalt der Anzeige gebe ich an, dass dieselbe über weite Strecken nicht den Tatsachen entspricht. Ich schließe insbesondere aus, dass ich zwei Bilder vor den Augen des SWB gelöscht habe. Tatsächlich habe ich nur eines gemacht und das hier als Beweis vorgelegt. Ich habe zwar ein einziges Mal von einer Maßnahmenbeschwerde gesprochen, dies allerdings erst ganz am Schluss und ausschließlich im Zusammenhang mit dem Gezerre an meinem Arm.

Ich habe bereits ausgeführt, dass ich das Wort „Oida“ nur ein einziges Mal verwendet habe und zwar nicht als Anrede, sondern als Ausdruck meiner Empörung.

Der Meldungsleger, Herr BzI. E., gab - als Zeuge befragt - folgende Aussage zu Protokoll:

Ich weiß warum ich heute hier als Zeuge geladen bin und kann mich auch noch an den Sachverhalt erinnern. Bezüglich der Gründe für unsere Anwesenheit am Tatort erweise ich grundsätzlich auf meine Anzeige (Aktenblatt 1 und 2). Der BF fiel mir erstmals auf, als etwa in einer Entfernung von 15 Metern sein Mobiltelefon auf das Einsatzfahrzeug der Rettung bzw. die Sanitäter richtete, offensichtlich in der Absicht, diese zu filmen oder zu fotografieren. Der BF kam dann immer näher und hantierte nach wie vor mit seinem Mobiltelefon. Dies, sowie eine entsprechende Äußerung eines Sanitäters, hat mich letzten Endes dazu veranlasst, den BF anzusprechen und ihm klarzumachen, dass es nicht erlaubt ist, von derartigen Vorgängen Filmaufnahmen herzustellen. Dies wurde vom BF dahingehend beantwortet, dass er Journalist sei und derartige Aufnahmen anfertigen dürfe. Während des Gespräches wurde ich seitens des BF ausschließlich gedudst, wohingegen ich selbst ihn immer mit „Sie“ angesprochen habe. Allerdings kann ich nicht ausschließen, dass ich selbst auch einmal im Verlaufe der Amtshandlung das Du-Wort verwendet habe. Wenn ich in der Anzeige dargelegt habe, dass mir der BF zumindest zwei Bilder vom Rettungseinsatz auf seinem Mobiltelefon gezeigt und dieselben dann über einen Auftrag hin gelöscht hat, so gebe ich an, das dies der Richtigkeit entspricht.

Wenn ich im Text der Anzeige geschrieben habe „Alter, was willst du bitte von mir?“, so entspricht das exakt jener Diktion, die der BF mir gegenüber im Zuge der Amtshandlung und der Diskussion über die aufgenommenen Bilder verwendet hat. Ich würde sagen, dass die ganze Amtshandlung nur ein paar Minuten gedauert hat. Außer mir war noch der BF, die zwei in der Anzeige angeführten jungen Frauen und einer Gruppe von Jugendlichen anwesend; letztere befanden sich etwa 5 Meter abseits. Ich glaube, dass die zwei jungen Frauen von dieser Gruppe gekommen sind. Ich erinnere mich auch noch, dass der BF mehrfach mit der Erhebung einer Maßnahmenbeschwerde an das VGW gedroht hat. Dies im Zusammenhang mit meinem Einschreiten.

Richtig ist, dass ich dem BF eine Festnahme gemäß § 35 VStG angedroht und zu diesem Zweck nach seinem Arm gegriffen habe. Dies aber deshalb, weil er sich ursprünglich nicht ausgewiesen hat. Die Drohungen mit Maßnahmenbeschwerden wurden aber ständig seitens des BF während der gesamten Amtshandlung geäußert, nicht nur im Zusammenhang mit der angedrohten Festnahm.

Befragt vom Beschwerdeführer gab der Zeuge weiters an:

Ich habe den Ausweis vom BF deswegen verlangt, weil er zu mir den inkriminierten Satz gesagt hat und deshalb der Verdacht einer Verwaltungsübertretung vorlag. Aus diesem Grund habe ich dann auch eine Ausweisleistung verlangt.

Über Vorhalt des im Beschwerdeverfahren am 10.1.2020 übermittelten Beweisfotos (schwarz-weiß) gebe ich an, dass ich auf diesem Bild erkennbar bin, und zwar unmittelbar vor der rechten Seite des Rettungsfahrzeuges stehend.

Ich bin erst auf den BF zugegangen, nachdem er sich bis auf ungefähr 4 Meter dem Einsatzort genähert hat.

Den Anzeigentext habe ich unmittelbar nach der Amtshandlung auf meiner PI verfasst.

Der Beschwerdeführer brachte weiters vor:

Entgegen den Angaben des Zeugen wurde ich während der ganzen Amtshandlung von ihm geduzt. Die beiden in der Anzeige erwähnten jungen Frauen waren keine Bekannten von mir und ich hatte auch kein Bierglas in der Hand. Ich wurde auch nicht gebeten, das Fotografieren zu unterlassen; dies schon deshalb, weil ich überhaupt nur ein einziges Foto angefertigt habe. Ich habe mich auch nicht von meinem ursprünglichen Standort (vor dem Lokal) wegbewegt, insbesondere auch nicht in Richtung des Rettungsfahrzeuges.

Befragt durch den Verhandlungsleiter:

Ich habe während der Amtshandlung über WhatsApp das Gespräch ganz kurz mitgeschnitten, um einen Beweis zu haben. Diese Sequenz hat höchstens 10 Sekunden gedauert und ist darauf aber tatsächlich nichts zu hören, außer dass Rascheln meiner Jacke. Diese Sequenz ist allerdings nicht mehr auf meinem Handy vorhanden.

Das Verwaltungsgericht Wien hat erwogen:

8.) Feststellungen und Beweiswürdigung

Aufgrund einer Einsichtnahme in den unbedenklichen Akt der belangten Behörde sowie der im Beschwerdeverfahren aufgenommenen Beweise wird nunmehr, soweit hier von Relevanz, festgestellt, dass am 28.09.2018 gegen 23:36 Uhr im Zuge eines Polizeieinsatzes in Wien, C.-gasse schräg gegenüber des dortigen Lokals „D.“ die medizinischen Erstversorgung einer schwer alkoholisierten Person erforderlich wurde. Der Beschwerdeführer, der soeben vor dem Lokal „D.“ eine Zigarette rauchte, näherte sich dem Einsatzort auf eine Entfernung von etwa 10 Meter und machte mit seinem Mobiltelefon zumindest eine Aufnahme von sehr schlechter Qualität, die dem erkennenden Gericht vorliegt. Dabei befand er sich erkennbar auf dem gesondert gepflasterten Vorplatz der ...kirche. Dies veranlasste den am Polizeieinsatz beteiligten Meldungsleger BzI. E. auf den Beschwerdeführer zuzugehen, um ihn zur Unterlassung der durch dieses Verhalten allenfalls hervorgerufenen Beeinträchtigung der Privatsphäre des Verletzten und der Sanitäter und zur Löschung bereits aufgezeichneter Fotos oder Videos aufzufordern. Da der Beschwerdeführer dies unter Hinweis auf seinen Beruf als Journalist verweigerte, kam es in der Folge zu einer verbalen Auseinandersetzung, die sich durch die Einmischung zweier – nicht identifizierter - junger Frauen intensivierte und in deren Verlauf der Beschwerdeführer zum Meldungsleger sagte: „Alter (Oida), was willst du bitte von mir?“ Diese Äußerung veranlasste den Meldungsleger den Beschwerdeführer mehrfach zur Ausweisleistung aufzufordern und ihm die Festnahme gemäß § 35 Z. 1 VStG anzudrohen. Sowohl der Beschwerdeführer als auch der Meldungsleger haben sich im Zuge der verbalen Auseinandersetzung zumindest einmal geduzt, sei es auch nur als Reaktion auf eine entsprechende vorangegangene Wortwahl des Kontrahenten.

Das Verwaltungsgericht folgt damit im Wesentlichen den Angaben des Meldungslegers BzI E., dem als qualifiziertem und geschultem Organ der Straßenaufsicht zuzubilligen ist, Wahrnehmungen über derartige Vorkommnisse zu treffen und dieselben in einer Anzeige zeitnah und korrekt wiederzugeben (vgl. u.a. VwGH 28.11.1990, 90/03/0172). Herr BzI. E. hinterließ anlässlich seiner persönlichen Einvernahme vor dem Verwaltungsgericht Wien einen durchaus gewissenhaften Eindruck. Seine Angaben erwiesen sich in den relevanten Punkten als schlüssig und weitgehend widerspruchsfrei. Tatsächlich ist auch kein hinreichender Grund erkennbar, weshalb der Meldungsleger im Rahmen seiner zeugenschaftlichen Aussage wahrheitswidrige Angaben hätte machen sollen.

Auch der Beschwerdeführer selbst hat einen durchaus glaubwürdigen und mit den rechtlichen Werten verbundenen Eindruck hinterlassen, dabei aber den Meldungslegerin BzI. E. nicht an Glaubwürdigkeit übertroffen, sodass letztlich den Wahrnehmungen des Meldungslegers, insbesondere angesichts deren unmittelbarer bzw. jedenfalls zeitnaher Wiedergabe in der vorliegenden Anzeige, der Vorzug zu geben war.

9.) Rechtslage

Gemäß § 45 Abs. 1 Z. 2 VStG hat die Behörde von der Einleitung oder Fortführung eines Strafverfahrens abzusehen und die Einstellung zu verfügen, wenn der Beschuldigte die ihm zur Last gelegte Verwaltungsübertretung nicht begangen hat oder Umstände vorliegen, die die Strafbarkeit aufheben oder ausschließen;

Gemäß § 1 Abs. 1 Z. 1 Wiener Landes-Sicherheitsgesetz – WLSG begeht, wer den öffentlichen Anstand verletzt, eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe bis zu 700 Euro, im Falle der Uneinbringlichkeit mit einer Ersatzfreiheitsstrafe bis zu einer Woche zu bestrafen.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (etwa: VwGH vom 30.09.1985, GZ 85/10/0120 mwN) wird der Tatbestand der Verletzung des öffentlichen Anstandes durch ein Verhalten erfüllt, das mit den allgemeinen Grundsätzen der Schicklichkeit nicht im Einklang steht und das einen groben Verstoß gegen diejenigen Pflichten darstellt, die jedermann in der Öffentlichkeit zu beachten hat. Dabei ist bei der Beurteilung der Verletzung jener Formen des äußeren Verhaltens, die nach Auffassung gesitteter Menschen der Würde des Menschen als sittlicher Person bei jedem Heraustreten aus dem Privatleben in die Öffentlichkeit entsprechen, ein objektiver Maßstab anzulegen.

10.) Aufgrund des festgestellten Sachverhalts kann zunächst kein Zweifel daran bestehen, dass die konkrete Möglichkeit der Kenntnisnahme der Äußerung des Beschwerdeführers über den Kreis der unmittelbar Beteiligten hinaus gegeben war, sodass die Öffentlichkeit iSd § 1 Abs. 1 Z. 1 WLSG der dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Tat gegeben war (vgl. VwGH vom 30.09.1985, GZ: 85/10/0120).

11.) Der belangten Behörde ist auch dahingehend beizupflichten, wenn sie in der Begründung des Straferkenntnisses das Wort „Alter“ (aus der Diktion der Anzeige) mit dem Wort „Oida“ gleichsetzt. Auch erachtet die belangte Behörde die von ihr konstatierte Anstandsverletzung offensichtlich in erster Linie durch die Verwendung des Wortes „Oida“ erfüllt, nicht hingegen durch das „Duzen“ des Sicherheitswachebeamten durch den Beschwerdeführer. Deutlich wird dies auch anhand eines zeitnahen Tweets der LPD-Wien am 17.10.2018 im Nachrichtendienst Twitter, wo es wörtlich heißt: „Menschen mit Oida anzureden entspricht (auch in Wien) nicht dem guten Ton. Das sollte hinlänglich bekannt sein. Grundsätze des üblichen Sprachgebrauchs werden u.a. in der Volksschule vermittelt. Somit sollte klar sein, dass man auch Polizisten nicht mit Oida anspricht“.

12.) Soweit die belangte Behörde allerdings davon ausgeht, dass das Wort „Oida“ als Synonym für das Wort „Hawara“ (Wienerischer Ausdruck) anzusehen sei, so greift dies nach Ansicht des erkennenden Gerichts zu kurz. Es mag sein, dass dieser Begriffsinhalt zunächst als – noch geschlechtsdifferenzierte - Ansprache unter Jugendlichen etwa in den 70er und 80er Jahren im Vordergrund gestanden ist. Notorisch – und im täglichen Leben tatsächlich nicht zu überhören – ist aber, dass sich das Wort „Oida“ zwischenzeitlich zu einer Art geschlechtsneutralem Füllwort ohne konkrete Bedeutung und bar jeglichen grammatikalischen Zusammenhangs gewandelt hat. Als solches findet es in unterschiedlichsten Positionen in einem Satz/Text Verwendung und wird beliebig oft wiederholt und je nach Mimik und Intonation anders verstanden (vgl. dazu etwa: https://iam.dioe.at/frage-des-monats/woher-kommt-das-wort-oida/ und v.a.).

13.) Vor diesem Hintergrund und dem insoweit durchaus glaubwürdigen Vorbringen des Beschwerdeführers, dass er das Wort „Oida“ nicht als Anrede, sondern als Unmutsäußerung über den Ablauf der Amtshandlung seitens des Meldungslegers von sich gegeben habe, kann nach Ansicht des erkennenden Gerichts gegenständlich – insbesondere auch eingedenk eines gewissen Vorstellungs- und Wertewandels im Bereich des Begriffes "öffentlicher Anstand" - nach objektiven Maßstäben nicht von einem Verhalten ausgegangen werden, das einen groben Verstoß gegen diejenigen Pflichten darstellt, die jedermann in der Öffentlichkeit zu beachten hat. Dies insbesondere auch im Hinblick auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, der, in „Ergänzung der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes stets darauf hingewiesen habe, dass es bei der Beurteilung des tatbestandsmäßigen Verhaltens einer Anstandsverletzung nicht bloß auf den Wortlaut einer Äußerung allein ankommt, sondern auch auf Art und Umstand der Äußerung, also wie und wo welche Öffentlichkeit und von wem diese Öffentlichkeit mit dieser Meinung konfrontiert wird (vgl. VfGH vom 18.06.2019, E5004/2018, mit Hinweis auf VfSlg 10.700/1985)“.

14.) Gänzlich auszuschließen ist gegenständlich zudem die Annahme einer - durch den Tatbestand des § 1 Abs. 1 Z. 1 WLSG jedenfalls erfassten - öffentlichen Beschimpfung, womit Sicherheitswachebeamte in Ausübung ihrer gesetzlichen Verpflichtungen leider zunehmend konfrontiert sind, die aber auch von den Polizeibehörden regelmäßig verfolgt und im Regelfall durch die Verwaltungsgerichte in den Ländern bestätigt werden.

15.) Letztlich stehen der Aufrechterhaltung der Bestrafung des Beschwerdeführers auch grundrechtliche Erwägungen entgegen, zumal die belangte Behörde in der öffentlichen Verwendung des Wortes „Oida“ gegenüber einem Polizisten auch eine „nicht unerhebliche Geringschätzung“ desselben erkennt, die ihn „bei der Erfüllung seiner Aufgaben der Lächerlichkeit preisgibt“. Damit geht die belangte Behörde aber – ungeachtet der Stichhaltigkeit dieser Annahme – offenbar davon aus, dass dadurch – allenfalls im Zusammenhang mit der Verwendung des „Du“-Wortes - auch eine „Meinung“ iSd Art. 10 Abs. 1 EMRK kommuniziert wird, eben eine geringschätzende oder sogar ablehnende Haltung gegenüber einem Sicherheitswachebeamten im Zuge einer Amtshandlung.

Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes kann angesichts des verhältnismäßig vagen Begriffs des öffentlichen Anstandes eine derartige Gesetzesverletzung aber nur dann angenommen werden, wenn die Notwendigkeit der damit verbundenen Einschränkung der Freiheit der Meinungsäußerung unter Bedachtnahme auf das in Rede stehende Grundrecht im Einzelfall außer Zweifel steht. Derartiges wäre nur dann der Fall, wenn die Meinung in einer Art und Weise in der Öffentlichkeit geäußert wird, die die Grenzen des Anstandes in einer Weise überschreitet, die einen Eingriff im Interesse der Aufrechterhaltung der Ordnung zwingend erscheinen lässt (VfGH aaO mit Hinweis auf VfSlg 10.700/1985). Dies ist aber – wie oben ausgeführt – insbesondere auch angesichts von Art und Zustandekommen der gegenständlich inkriminierten Äußerung nicht der Fall.

Es war daher insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.

Unzulässigkeit der ordentlichen Revision

Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist die (ordentliche) Revision zulässig, wenn eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vorliegt, insbesondere weil das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs nicht einheitlich beantwortet wird.

Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung ist dann anzunehmen, wenn die Entscheidung des VwGH von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt. Einer Rechtsfrage kommt grundsätzliche Bedeutung zu, wenn sie über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung besitzt (VwGH 18.06.2014, Ra 2014/01/0029). Trotz fehlender Rechtsprechung des VwGH liegt keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vor, wenn die Rechtslage eindeutig ist oder bereits durch ein Urteil des EuGH gelöst wurde (VwGH 28.05.2014, Ra 2014/07/0053; 28.02.2014, Ro 2014/16/0010). Die Rechtsfrage muss eine solche sein, durch deren Lösung im Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes ein Eingriff in subjektive Rechte des Revisionswerbers im Sinne des Art. 133 Abs. 6 Z 1 B-VG zumindest möglich ist. Für die Lösung abstrakter Rechtsfragen hingegen ist der VwGH nicht zuständig (VwGH 12.08.2014, Ra 2014/06/0015). Der VwGH ist als Rechtsinstanz tätig, zur Überprüfung der Beweiswürdigung ist er im Allgemeinen nicht berufen. Unter Beachtung dieses Grundsatzes kann der VwGH jedoch prüfen, ob das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner Beweiswürdigung alle in Betracht kommenden Umstände vollständig berücksichtigt hat (VwGH 19.05.2014, Ra 2015/19/0091). Da im gegenständlichen Fall eine solche Rechtsfrage nicht vorliegt, war die (ordentliche) Revision nicht zuzulassen.

Schlagworte

Verletzung des öffentlichen Anstandes; Öffentlichkeit; Anrede; Unmutsäußerung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2020:VGW.031.045.858.2019

Zuletzt aktualisiert am

20.02.2020
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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