Entscheidungsdatum
13.11.2019Norm
BFA-VG §18Spruch
G307 2224775-1/3E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Markus MAYRHOLD als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX, geb. am XXXX, StA.: Slowakei, vertreten durch die Rechtsanwälte Widter, Mayrhauser & Wolf in 1220 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.10.2019, Zahl: XXXX zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang und Sachverhalt
Im Rahmen einer Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme (VEB) vom 02.09.2019 wurde der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich, Außenstelle Flughafen Wien-Schwechat (im Folgenden: BFA) von der in Aussicht genommenen Erlassung eines Aufenthaltsverbotes in Kenntnis gesetzt und er zugleich aufgefordert, Angaben zu seinen persönlichen Verhältnissen und gesetzten Integrationsschritten binnen zu tätigen.
Hiezu erstattete der BF mit Schreiben vom 10.09.2018 (hiebei handelt es sich wohl um einen Tippfehler, gemeint wohl 10.09.2019) durch die im Spruch angeführte Rechtsvertretung (RV) eine Stellungnahme.
Mit dem im Spruch angeführten Bescheid wurde gegen den BF gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG ein 3jähriges Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 70 Abs 3 FPG kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.) und einer Beschwerde gegen das Aufenthaltsverbot gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III.).
Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht eingebrachte Beschwerde der Rechtsvertretung (RV) des BF vom 22.10.2019, welche am 23.10.2019 bei der belangten Behörde eingebracht wurde. Darin wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung den angefochtenen Bescheid aufheben bzw. ersatzlos beheben sowie darüber hinaus innerhalb von 7 Tagen nach Einlangen der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkennen.
Das BFA legte die Beschwerde und den dazugehörigen Verwaltungsakt dem BVwG am 24.10.2019 vor, wo diese am 25.10.2019 einlangte.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Feststellungen:
1.1. Der BF führt die im Spruch angegebene Identität (Name und Geburtsdatum), ist slowakischer Staatsbürger, ledig und führt mit XXXX, geb. am XXXX, eine Beziehung. Die beiden sind nicht an derselben Anschrift gemeldet und haben jeweils eine eigene Wohnung, jedoch nahm der BF bis zu seiner Abschiebung in der Wohnung seiner Lebensgefährtin (LG) Unterkunft. Der BF ist Vater zweier Söhne namens XXXX (geboren 2007) und XXXX (geboren 2013), welche beide in der Slowakei leben, deren Aufenthaltsort ihm nicht bekannt ist. Ferner lebt seine Schwester in der Slowakei. Dort absolvierte der BF die Pflichtschule und schloss die Ausbildung zum Maler und Anstreicher ab.
Der BF hielt sich von 29.03.2010 bis 01.08.2013 und von April 2017 bis 17.10.2019 wieder in Österreich auf, wobei er seit 12.12.2017 im Bundesgebiet gemeldet war.
1.2. Der BF ist seit 01.07.2019 bei der XXXX als Maler und Anstreicher beschäftigt, wofür er einen monatlichen Nettolohn in der Höhe von rund € 1.600,00 erhält. Zuvor war er - beginnend mit 25.07.2007 - bei 8 Arbeitgebern in insgesamt 11 Arbeitsverhältnissen beschäftigt, wobei er vom 01.12.2007 bis zum 25.09.2016 nicht in Österreich erwerbstätig war. Der BF ist arbeitsfähig und gesund.
1.3. Es konnte nicht festgestellt werden, dass der BF über Deutschkenntnisse eines bestimmten Niveaus verfügt.
1.4. Der BF wurde vom Landesgericht für Strafsachen XXXX (LG XXXX) zu XXXX, in Rechtskraft erwachsen am XXXX.2019, wegen unerlaubten Waffenbesitzes und versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt gemäß §§ 50 Abs. 1 Z 2 WaffenG, 15, 269 Abs. 1., 1. Fall StGB zu einer auf 3 Jahre bedingten Freiheitsstrafe von 3 Monaten verurteilt.
Dem BF wurde darin angelastet, er habe am XXXX.2019 die Durchführung einer Personenkontrolle und seiner Anhaltung durch 3 Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes zu verhindern versucht, indem er mit geballten Fäusten auf diese zugegangen sei, einen der Beamten am Hals erfasst und versucht habe, ihn zu würgen sowie sich aus der anschließend angebrachten Fixierung mittels Ausschlagen durch die Hände und Winden seines Oberkörpers zu lösen.
Ferner habe er bis zum XXXX.2017 in XXXX, wenn auch nur fahrlässig eine verbotene Waffe, nämlich einen Teleskopschlagstock mit verstärktem Ende und biegsamen Elementen zur Verstärkung der Schlagenergie unbefugt besessen.
Als mildernd wurden dabei der bisher ordentliche Lebenswandel, der Umstand, dass es zumindest teilweise beim Versuch geblieben ist, die teilweise alkoholbedingte Enthemmung, das teilweise längere Zurückliegen des Deliktes sowie das volle Geständnis zu allen Punkten, als erschwerend das Zusammentreffen zweier Vergehen und die Begehung während eines laufenden Verfahrens gewertet.
Es wird festgestellt, dass der BF das beschriebene Verhalten gesetzt und die angeführten Tathandlungen begangen hat.
Ferner wurde er durch Straferkenntnis des Polizeikommissariates XXXX vom XXXX.2018 mit einer Geldstrafe von € 706,51 belastet, weil er am XXXX.2019 zwischen 08:00 und 08:13 Uhr im Bereich des XXXX in der Öffentlichkeit geschrien, sich gegenüber einem Organ der öffentlichen Aufsicht während der Ausübung seiner Tätigkeit aggressiv verhalten und ungebührlicher Weise störenden Lärm erregt habe.
2. Beweiswürdigung
Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl sowie des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.
Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zu Identität, Staatsangehörigkeit, Schul- und Berufsausbildung, Familienstand, Bestand zweier Söhne in der Slowakei, Aufenthalt und Meldung im Bundesgebiet seit 2017 getroffen wurden, ergeben sich diese aus dem Vorbringen in der Stellungnahme und Beschwerde, dem Inhalt des auf den Namen des BF lautenden Auszuges aus dem Zentralen Melderegister (ZMR) wie der schlüssigen Beschwerdeergänzung vom 04.11.2019.
Der BF legte einen auf seinen Namen lautenden slowakischen Reisepass vor, an dessen Echtheit und Richtigkeit keine Zweifel aufgekommen sind und der auch im ZMR-Auszug des BF Niederschlag findet.
Die Verurteilung folgt dem im Akt einliegenden Urteil des LG XXXX sowie dem Amtswissen des BVwG durch Einsichtnahme in das Strafregister der Republik Österreich.
Die wegen dem WLSG und SPG verhängte Geldstrafe samt deren Höhe folgt dem Inhalt des dahingehend im Akt einliegenden Straferkenntnisses.
Die aktuell ausgeübte Beschäftigung wie die bisherigen Erwerbstätigkeiten folgen dem Inhalt des auf den Namen des BF lautenden Sozialversicherungsdatenauszuges. Die Angabe der Höhe des derzeit bezogenen Lohnes deckt sich mit dem Inhalt des Sozialversicherungsdatenauszuges.
Da der BF derzeit beschäftigt ist, ist von seiner Arbeitsfähigkeit auszugehen. Anhaltspunkte für das Vorliegen von Krankheiten waren dem Akteninhalt nicht zu entnehmen und hat der BF in seiner Stellungnahme vor dem Bundesamt angegeben, gesund zu sein.
Das Vorbringen zu seinen familiären Verhältnissen, der Existenz der beiden Söhne in der Slowakei, dem Verbleib der Schwester im Herkunftsstaat und der dort konsumierten Schul- und Berufsausbildung ergibt sich aus den mehrmals und widerspruchsfrei getätigten Ausführungen vor der belangten Behörde (Stellungnahme, Beschwerde) wie vor dem erkennenden Gericht (Beschwerdeergänzung). Der BF hat in deren Zuge auch dargetan, dass er von April 2017 bis zum Beginn seiner tatsächlichen Meldung am 12.12.2017 bei der Mutter seiner LG, XXXX, Unterkunft genommen hat, welche zuvor von der LG des BF vorübergehend gepflegt werden musste. Da der BF selbst über eine eigene Wohnung verfügt und am XXXX.2019 abgeschoben wurde, meldete er sich dort (noch) nicht an.
Die Beziehung mit XXXX hat der BF im Rechtsmittel behauptet und in der Beschwerdeergänzung näher und plausibel dargetan.
Der BF legte keine Bescheinigungsmittel für das Vorliegen von Deutschkenntnissen eines bestimmten Niveaus vor.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchteil A):
3.1. Der mit "Aufenthaltsverbot" betitelte § 67 FPG lautet:
"(1) Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.
(2) Ein Aufenthaltsverbot kann, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden.
(3) Ein Aufenthaltsverbot kann unbefristet erlassen werden, wenn insbesondere
1. der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist;
2. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§ 278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§ 278e StGB);
3. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet oder
4. der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt.
(4) Bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes ist auf die für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen. Die Frist beginnt mit Eintritt der Durchsetzbarkeit zu laufen.
(5) (Anm.: aufgehoben durch BGBl. I Nr. 87/2012)"
Bei Erlassung eines Aufenthaltsverbots ist eine einzelfallbezogene Gefährdungsprognose zu erstellen, bei der das Gesamtverhalten des Betroffenen in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen ist, ob und im Hinblick auf welche Umstände die maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache einer Verurteilung oder Bestrafung, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (VwGH 19.02.2014, 2013/22/0309).
Der mit "Schutz des Privat- und Familienlebens" betitelte § 9 BFA-VG lautet:
"§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.
(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 Abs. 1a FPG nicht erlassen werden, wenn
1. ihm vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG), BGBl. Nr. 311, verliehen hätte werden können, oder
2. er von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist.
(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.
(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt."
3.2. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens war der Beschwerde stattzugeben, dies aus folgenden Gründen:
Für den BF, der aufgrund seiner slowakischen Staatsangehörigkeit in den persönlichen Anwendungsbereich von § 67 FPG fällt, kommt der Prüfungsmaßstab des § 67 Abs. 1., 1. Satz FPG für Unionsbürger zur Anwendung, weil er sich durchgehend seit weniger als 10 Jahren in Österreich aufgehalten hat. Er befand sich seit April 2017 bis zum 17.10.2019 Bundesgebiet.
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist (vgl dazu etwa VwGH 25.04.2014, Ro 2014/21/0039).
Die Zulässigkeit der Verhängung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist dann gegeben, wenn vom Fremden auf Grund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet wird. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.
In diesem Zusammenhang weist das erkennende Gericht der Vollständigkeit halber darauf hin, dass es die fremdenpolizeilichen Beurteilungen unabhängig und eigenständig von den die des Strafgerichts für die Strafbemessung, die bedingte Strafnachsicht und den Aufschub des Strafvollzugs betreffenden Erwägungen zu treffen hat (vgl. Erkenntnis des VwGH v. 6.Juli 2010, Zl. 2010/22/0096). Es obliegt daher dem erkennenden Gericht festzustellen, ob eine Gefährdung im Sinne des FPG vorliegt oder nicht. Es geht bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes in keiner Weise um eine Beurteilung der Schuld des Fremden an seinen Straftaten und auch nicht um eine Bestrafung (vgl. Erkenntnis des VwGH vom 8. Juli 2004, 2001/21/0119).
Die belangte Behörde hat grundsätzlich und zutreffend den § 67 FPG als Rechtsgrundlage für das Aufenthaltsverbot herangezogen. Sie hat jedoch verkannt, dass vorliegend nicht von einer tatsächlichen, gegenwärtigen und erhebliche Gefahr gesprochen werden kann. So wurde gegen den BF ausschließlich eine bedingte Freiheitsstrafe im Ausmaß von 3 Monaten verhängt und handelt es sich gegenständlich um die erste Verurteilung des BF. Außerdem ist es beim Versuch geblieben und zeigte sich der BF vollinhaltlich geständig. Des Weiteren hat das Gericht selbst hervorgehoben, dass die Taten teils der Enthemmung durch Alkohol geschuldet waren.
Maßgeblich ist gegenständlich aber nicht primär, dass eine strafgerichtliche Verurteilung ausgesprochen wurde, sondern dass im Sinne einer Prognoseentscheidung das gegenwärtige und zukünftige Verhalten einer Person im Lichte einer strafgerichtlichen Verurteilung rechtlich zu würdigen ist. Es ist also im konkreten Einzelfall zu analysieren, ob davon ausgegangen werden kann, dass sich die BF hinkünftig rechtskonform verhalten wird.
Das bekämpfte Aufenthaltsverbot wurde auf § 67 Abs. 1 und 2 FPG gegründet. Danach ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes in der Dauer von höchstens zehn Jahren (u.a.) gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Nach dem letzten Satzteil des § 66 Abs. 1 FPG ist eine Ausweisung von EWR-Bürgern, die bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben, nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.
Es muss also eine Gesamtbetrachtung stattfinden, um eine Gefährlichkeitsprognose abgeben zu können. Bei der für den BF zu erstellenden Gefährdungsprognose steht dessen (einzige) Verurteilung zu einer bedingten, 3monatigen Freiheitsstrafe wegen versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt und unerlaubten Waffenbesitzes im Mittelpunkt der Betrachtung. Ferner sind dessen Übertretungen nach dem WLSG und SPG in Anschlag zu bringen. Nun wird nicht verkannt, dass es sich bei den vom BF begangenen Delikten und Übertretungen um Angriffe vorwiegend gegen staatliche Organe handelt. Unter Anwendung des § 67 Abs. 1 und 2 FPG kann das erkennende Gericht dem vorliegenden Fall jedoch keine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr, die die öffentliche Sicherheit und Ordnung der Republik (dauerhaft) gefährdet, abgewinnen. Den einschreitenden Beamten sind augenscheinlich keine Schäden oder körperliche Beeinträchtigungen entstanden und bewegt sich auch die Dauer der Freiheitsstrafe im untersten Ausmaß. Die vorzunehmende Zukunftsprognose (Gefährderprognose) fiel daher zu Gunsten der BF aus.
Auch im Lichte der in § 9 BFA-VG gebotenen Abwägung der privaten und familiären Interessen des BF mit den entgegenstehenden öffentlichen Interessen ist zu berücksichtigen, dass er sich zwar erst seit 2017 durchgehend in Österreich aufhielt, jedoch berufstätig ist und eine Beziehung mit XXXX führt. Da sich die Erlassung des Aufenthaltsverbotes schon dem Grunde nach als unzulässig erweist, war auf die Relation des Privat- und Familienlebens zu den öffentlichen Interessen nicht (mehr näher) einzugehen.
Im Ergebnis und vor dem Hintergrund der zu Beginn zitierten VwGH-Judikatur zeigt sich die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes vorliegend somit nicht als verhältnismäßig.
Wegen der untrennbaren Verbindung des § 55 Abs. 1 und 3 FPG mit dem Bestand eines Aufenthaltsverbotes war der Bescheid auch dahingehend aufzuheben.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
3.3. Entfall einer mündlichen Verhandlung:
Da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint, konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG eine mündliche Verhandlung unterbleiben.
Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat in Bezug auf § 41 Abs. 7 AsylG 2005 in der Fassung bis 31.12.2013 unter Berücksichtigung des Art. 47 iVm. Art. 52 der Grundrechte-Charta der Europäischen Union (im Folgenden: GRC) ausgesprochen, dass das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung in Fällen, in denen der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde erklärt erscheint oder sich aus den Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen tatsachenwidrig ist, im Einklang mit Art. 47 Abs. 2 GRC steht, wenn zuvor bereits ein Verwaltungsverfahren stattgefunden hat, in dessen Rahmen Parteiengehör gewährt wurde. Hat die beschwerdeführende Partei hingegen bestimmte Umstände oder Fragen bereits vor der belangten Behörde releviert oder sind solche erst nachträglich bekannt geworden, ist die Durchführung einer mündlichen Verhandlung erforderlich, wenn die von der beschwerdeführenden Partei bereits im Verwaltungsverfahren oder in der Beschwerde aufgeworfenen Fragen - allenfalls mit ergänzenden Erhebungen - nicht aus den Verwaltungsakten beantwortet werden können, und insbesondere, wenn der Sachverhalt zu ergänzen oder die Beweiswürdigung mangelhaft ist (VfGH 14.03.2012, U 466/11-18, U 1836/11-13).
Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) hat mit Erkenntnis vom 28.05.2014, Zl. Ra 2014/20/0017 und 0018-9, für die Auslegung der in § 21 Abs. 7 BFA-VG enthaltenen Wendung "wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint" unter Bezugnahme auf das Erkenntnis des VfGH vom 12.03.2012, Zl. U 466/11 ua., festgehalten, dass der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen muss. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Schließlich ist auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen.
Im gegenständlichen Fall ist dem angefochtenen Bescheid ein umfassendes Ermittlungsverfahren durch die belangte Behörde vorangegangen. Der Sachverhalt wurde nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens unter schlüssiger Beweiswürdigung der belangten Behörde festgestellt und es wurde in der Beschwerde auch kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der belangten Behörde entgegenstehender oder darüber hinaus gehender Sachverhalt in konkreter und substantiierter Weise behauptet.
Es konnte daher die gegenständliche Entscheidung auf Grund der Aktenlage getroffen und von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.
Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.
Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung, Voraussetzungen, Wegfall der GründeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:G307.2224775.1.00Zuletzt aktualisiert am
21.02.2020