TE Bvwg Beschluss 2019/11/22 G305 2225278-1

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Veröffentlicht am 22.11.2019
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Entscheidungsdatum

22.11.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs3
B-VG Art. 133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz 2

Spruch

G305 2225278-1/2E

Beschluss

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. Ernst MAIER, MAS als Einzelrichter auf Grund der Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA.: Serbien (Bosnien und Herzegowina), vertreten durch XXXX in XXXX, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, XXXX, vom 23.09.2019, Zl. XXXX, beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

1. Mit Bescheid vom 23.09.2019, Zl: XXXX, sprach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, XXXX (im Folgenden: belangte Behörde oder kurz: BFA) aus, dass der Antrag des XXXX, geb. XXXX, StA. Serbien (in der Folge: Beschwerdeführer oder kurz: BF) auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK vom 02.01.2019 gemäß § 55 AsylG abgewiesen werde (Spruchpunkt I.), gemäß § 10 Abs. 3 AsylG iVm. § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG gegen ihn erlassen werde (Spruchpunkt II.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt werde, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Serbien zulässig sei (Spruchpunkt III.) und die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

Begründend führte die belangte Behörde im Kern aus, dass sämtliche allgemeinen - für den Antrag des BF gemäß § 55 AsylG maßgeblichen - Erteilungsvoraussetzungen gem. § 60 AsylG vorlägen und dass gegen ihn weder eine aufrechte Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 iVm. 53 Abs. 2 oder 3 FPG, noch eine Rückkehrentscheidung eines anderen EWR-Staates oder der Schweiz vorläge und dass der Aufenthaltstitel öffentlichen Interessen gemäß § 60 Abs. 3 FPG nicht widerstreiten würde. Im Rahmen einer Interessenabwägung sei ein Überwiegen seiner privaten Interessen am Verbleib in Österreich nicht festzustellen. In seinem Fall könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass durch die Abschiebung selbst oder aber im Zielland eine reale Gefahr einer Menschenrechtsverletzung drohen würde.

2. Gegen diesen, dem BF zu Handen seiner ausgewiesenen Rechtsvertretung am 26.09.2019 zugestellten Bescheid erhob dieser am 23.10.2019 (fristgerecht) Beschwerde, die er auf die Beschwerdegründe "Rechtswidrigkeit in Folge Verletzung von Verfahrensvorschriften wegen wesentlicher Ermittlungsmängel" und "inhaltliche Rechtswidrigkeit" stützte und mit den Anträgen verband, das Bundesverwaltungsgericht möge in der Sache selbst entscheiden und den Bescheid vollinhaltlich aufheben und der gegenständlichen Beschwerde stattgeben und gemäß § 44 VwGVG eine mündliche Verhandlung durchführen, in eventu den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen.

Begründend führte der BF im Wesentlichen kurz zusammengefasst aus, dass er mit seinem Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK alle notwendigen Unterlagen und Beweise vorgelegt hätte, darunter auch Nachweise, die seine soziale und berufliche Integration in Österreich belegen würden. Eine genaue Auseinandersetzung mit diesen Unterlagen habe nicht stattgefunden; sie habe lediglich darin bestanden, dass die Unterlagen aufgezählt und für eine berufliche und soziale Integration als nicht ausreichend beurteilt worden seien. Auch habe die belangte Behörde jegliche Ermittlungstätigkeit in Richtung des in Österreich bestehenden Familienlebens unterlassen. Hätte die belangte Behörde ein ordentliches Ermittlungsverfahren und eine ordnungsgemäße Beweiswürdigung durchgeführt, wäre sie zum Ergebnis gekommen, dass ein Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK zu erteilen wäre. Zu seiner ebenfalls in XXXX lebenden Schwester und dessen Kindern habe er regen Kontakt. Auch sei er beruflich integriert und sei bei der Firma XXXX in XXXX als Küchenhilfe beschäftigt gewesen. Der BF wohne zudem in einer an der Anschrift XXXX, gemieteten Wohnung. Auch spreche er die deutsche Sprache fließend und sei er im Besitz des Sprachdiploms A2.

3. In der Folge legte die belangte Behörde die gegen den oben näher bezeichneten Bescheid erhobene Beschwerde und die Bezug habenden Akten des Verwaltungsverfahrens am 12.11.2019 dem Bundesverwaltungsgericht vor.

II. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A)

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art 130 Abs. 1 Z 1 B-VG (Bescheidbeschwerden) in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z 2).

Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen, im Verfahren über Bescheidbeschwerden in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht.

Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist dann an die rechtliche Beurteilung gebunden, von der das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Die Zurückverweisungsmöglichkeit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG ist eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte. Die Aufhebung eines Bescheides kommt nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht oder seine Feststellung durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher insbesondere dann in Betracht, wenn die Behörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Behörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.

Die Verwaltungsgerichte haben nicht nur bei Vorliegen der in den Z 1 und Z 2 des § 28 Abs. 2 VwGVG genannten Voraussetzungen in der Sache selbst zu entscheiden, sondern nach Maßgabe des § 28 Abs. 3 VwGVG grundsätzlich auch dann, wenn trotz Fehlens dieser Voraussetzungen die Verwaltungsbehörde dem nicht unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht (VwGH vom 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063).

Hat die Behörde den entscheidungswesentlichen Sachverhalt unzureichend festgestellt, indem sie keine für die Sachentscheidung brauchbaren Ermittlungsergebnisse geliefert hat, ist eine Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zulässig (VwGH vom 28.03.2017, Zl. Ro 2016/09/0009).

Ausgehend von diesen Grundsätzen liegen hier die Voraussetzungen für eine Sachentscheidung durch das BVwG nicht vor. Weder steht der maßgebliche Sachverhalt fest noch würde seine Feststellung durch das Gericht die Prozessökonomie fördern, zumal gravierende Ermittlungslücken vorliegen.

Gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn 1. dies gemäß § 9 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und 2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a NAG erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 ASVG, BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird. Liegt gemäß Abs. 2 leg. cit. nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen.

Dabei sind alle im Ermittlungsverfahren bekannt gewordenen Tatsachen bei der inhaltlichen Bewertung zu berücksichtigen. Eine "Aufenthaltsberechtigung plus" ist zu erteilen, wenn der Fremde das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a NAG erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt über den Antrag eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze erreicht wird. Damit soll sichergestellt werden, dass der Fremde entweder entsprechende Deutschkenntnisse erworben hat oder sich nicht nur unwesentlich am Arbeitsmarkt integriert hat. Mit Erteilung dieses Titels wird dem umfassten Personenkreis die Möglichkeit zur Erlangung eine unbeschränktes Zugangs zum Arbeitsmarkt gegeben (ErläutRV BGBl. I Nr. 87/2012). Dabei ist zu beachten, dass es nicht ins Ermessen der Behörde fällt, ob sie eine "Aufenthaltsberechtigung plus" oder eine "Aufenthaltsberechtigung" erteilt oder einen darauf gerichteten Antrag zurück- oder abweist.

Bei der Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG 2005 ist zu beachten, dass dieser Regelung - materiell - subsidiärer Charakter zukommt, als danach eine Rückkehrentscheidung nur dann zu erlassen ist, wenn eine solche nicht ohnehin - etwa nach Abs. 1 oder

2 - erlassen wird. Es ist zu berücksichtigen, dass der Behörde auch

in diesem Fall kein Ermessen eingeräumt ist. Unter Bedachtnahme auf den Schutz des Privat- und Familienlebens (sic § 9 BFA-VG) ist die Behörde verhalten, auch gegen einen nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältige Fremden keine Rückkehrentscheidung zu erlassen.

Vor dem Hintergrund der dargestellten Judikatur ist auf der Grundlage der bisherigen Ermittlungen des BFA noch keine abschließende rechtliche Beurteilung des Sachverhalts möglich; dieser ist vielmehr in wesentlichen Teilen ergänzungsbedürftig.

So hat es das BFA verabsäumt, sich mit der Aufenthaltsdauer des BF auseinander zu setzen. Es wurden keine Ermittlungen dazu getätigt, seit wann sich der BF kontinuierlich im Bundesgebiet aufhält bzw. ob er nicht bereits das Daueraufenthaltsrecht erworben hat. Dies wird im fortgesetzten Verfahren vor der belangten Behörde nachzuholen sein.

Das BFA hate es weiter verabsäumt, den für die Beurteilung der Frage notwendigen Sachverhalt, ob der BF das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a NAG erfüllt hat oder nicht, festzustellen.

Den vorliegenden Akten kann auch nicht entnommen werden, dass das BFA angemessene Ermittlungsschritte zur Erhebung der vom BF vorgebrachten familiären und sozialen Anknüpfungspunkte in Österreich gesetzt hätte. Das BFA unterließ es, nähere Fragen zur Beziehung des BF zu seinen Kindern in Österreich zu stellen. Es hätte einer genaueren Ermittlung der konkreten Ausgestaltung der vom BF aufgezeigten Beziehungen im Bundesgebiet bedurft. Im angefochtenen Bescheid wird lediglich die Feststellung getroffen, dass der Familienstand des BF feststehe, ohne dass auch nur ansatzweise eine Feststellung zum tatsächlichen Familienstand des BF getroffen worden wäre. So hätte sich das BFA in diesem Zusammenhang insbesondere mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob der BF ledig oder verheiratet ist und sich mit der Frage nach dem (gemeinsamen) Aufenthaltsort der Ehegatten beschäftigen müssen.

Weiter begnügte sich die belangte Behörde mit der Feststellung, dass Familienangehörige (Schwester und deren Familie) in Österreich existieren würden, ohne auch nur ansatzweise sich mit dem Familienleben des BF im Bundesgebiet auseinandergesetzt zu haben. Auch hätte es diesbezüglich genauer Ermittlungen, wie etwa durch die Einvernahme des vom BF im Ermittlungsverfahren und in der Beschwerde wiederholt stellig gemachten Personenkreises, bedurft.

Zur integrativen Verfestigung des BF in Österreich wurden ebenfalls keine bzw. nur unzureichende Ermittlungen angestellt. So konstatiert der Bescheid, dass im Fall des BF keine Integrationsverfestigung feststellbar sei. Weiter heißt es in den Feststellungen, dass nicht feststehe, dass er aktuell tatsächlich XXXX-Mitglied sei. Auch heißt es in den im bekämpften Bescheid getroffenen Feststellungen weiter, dass nicht feststehe, dass der BF in Österreich derzeit keine staatlichen Unterstützungsleistungen in Anspruch nehme. Dies unterstreicht, dass das von der belangten Behörde geführte Ermittlungsverfahren grob mangelhaft geblieben ist, da sonst eine eindeutige Feststellung dazu möglich gewesen wäre, ob der BF Mitglied des XXXX ist und ob er staatliche Unterstützungsleistungen in Anspruch nimmt. Die zweite Feststellung der Inanspruchnahme von staatlichen Unterstützungsleistungen hätte die belangte Behörde leicht im Aktenverfahren, etwa durch Einholung eines Auszugs aus dem Register des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger treffen können.

Da die entscheidungswesentliche Grundlage für die Entscheidung über den Antrag des BF auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK nicht gegeben ist und der Sachverhalt durch ergänzende Ermittlungen noch zu klären ist, womit Weiterungen des Verfahrens nicht ausgeschlossen werden können, führt es weder zu einer Kostenersparnis noch zu einer Verfahrensbeschleunigung, wenn das BVwG die Erhebungen selbst durchführt.

Im Ergebnis ist der angefochtene Bescheid daher gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an das BFA zurückzuverweisen.

Eine mündliche Verhandlung entfällt gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG, weil schon aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

Die Revision war wegen der Einzelfallbezogenheit der Entscheidung über die Anwendung des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG, die keine grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs. 4 B-VG begründet, nicht zuzulassen (siehe z.B. VwGH vom 25.01.2017, Zl. Ra 2016/12/0109).

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, individuelle
Verhältnisse, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:G305.2225278.1.00

Zuletzt aktualisiert am

21.02.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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