TE Vwgh Erkenntnis 1998/7/29 95/01/0472

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Veröffentlicht am 29.07.1998
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Index

19/05 Menschenrechte;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1968 §1;
AsylG 1997 §7 impl;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
MRK Art6;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Bachler und Dr. Rigler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über die Beschwerde des J in Graz, vertreten durch Dr. Wolfgang Vacarescu, Rechtsanwalt in Graz, Jakominiplatz 16/II, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 25. August 1995, Zl. 4.320.012/15-III/13/95, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein ghanaischer Staatsangehöriger, der am 8. Juli 1991 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 10. Juli 1991 einen Asylantrag gestellt hat, hat bei seiner niederschriftlichen Vernehmung am 12. Juli 1991 durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich zu seinen Fluchtgründen im wesentlichen folgendes angegeben:

Es habe in Ghana keiner politischen Organisation als Mitglied angehört und sei als selbständiger Transportunternehmer tätig gewesen. Am 2. Juni 1991 gegen Mitternacht habe er vier Personen nach Akkra gebracht. Unterwegs sei sein Taxi von Sicherheitsorganen durchsucht worden, dabei sei ein Funkgerät, welches seinen Fahrgästen gehört habe, sichergestellt worden. Er sei gemeinsam mit diesen vier Personen verhaftet und in ein Polizeigefängnis gebracht worden. Dort seien sie verhört und geschlagen worden. Seine Fahrgäste hätten zugegeben, an einem Putsch gegen die ghanaische Regierung beteiligt zu sein. Am 17. Juni 1991 habe eine Massenflucht aus dem Polizeigefängnis stattgefunden. Dabei sei es auch dem Beschwerdeführer gelungen, aus dem Gefängnis zu entfliehen. Da ihm die Mittäterschaft an dem geplanten Putsch vorgeworfen werde, müsse er bei seiner Rückkehr nach Ghana mit der Todesstrafe rechnen.

Mit Bescheid vom 30. Mai 1992 hat die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark festgestellt, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling sei.

In seiner dagegen gerichteten Berufung wiederholte der Beschwerdeführer im wesentlichen seine Angaben im erstinstanzlichen Verfahren. Zusätzlich führte er jedoch aus, daß im Kofferraum seines Fahrzeuges nicht nur ein Funkgerät, sondern auch Waffen gefunden worden seien. Er sei in der Nacht vom 15. auf den 16. Juni 1991 aus dem Gefängnis geflüchtet. Am 22. Juli 1991 habe er einen Brief an seine Mutter geschrieben, welche bei Erhalt dieses Briefes verhaftet worden sei. Sein ghanaischer Rechtsanwalt habe ihm brieflich mitgeteilt, daß er mittlerweile in Abwesenheit zum Tod verurteilt worden sei und steckbrieflich nach ihm gefahndet werde. Der Berufung legte er beglaubigte Übersetzungen eines Steckbriefes vom 4. Juni 1991 und eines Schreibens eines ghanaischen Rechtsanwaltes bei, wonach er in Abwesenheit zum Tod verurteilt worden sei und der Rechtsanwalt Berufung gegen dieses Urteil eingelegt habe.

Der Bescheid der belangten Behörde vom 19. April 1993 mit welchem diese Berufung abgewiesen worden war, wurde vom Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 15. Dezember 1994 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben, weil die belangte Behörde zu Unrecht von der Anwendbarkeit des Asylgesetzes 1991 ausgegangen war.

Mit Bescheid vom 25. August 1995 hat der Bundesminister für Inneres die Berufung neuerlich abgewiesen und ausgesprochen, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling sei.

Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Zur Rechtzeitigkeit der Beschwerde:

Der angefochtene Bescheid wurde dem Beschwerdeführer nach seinem Vorbringen, dem der Akteninhalt nicht entgegensteht, am 31. August 1995 zugestellt. Aufgrund der vom Beschwerdeführer vorgelegten Urkunden (Auszüge aus dem Postaufgabebuch des Beschwerdevertreters, eidesstättige Erklärung einer Kanzleiangestellten des Beschwerdevertreters, Stellungnahme eines Bediensteten des Postamtes 8010 Graz sowie Rubrik einer Mahnklage und einer Privatanklage) steht fest, daß die Beschwerde von einer Kanzleiangestellten des Beschwerdevertreters bereits am 12. Oktober 1995 am späten Abend als "Spätlingssendung" beim Postamt 8010 Graz aufgegeben wurde. Der Bedienstete dieses Postamtes, der die Sendung entgegennahm stempelte das Kuvert jedoch irrtümlich bereits mit dem Datum des folgenden Tages. Die Beschwerde ist daher bereits am 12. Oktober 1995, somit innerhalb der sechswöchigen Beschwerdefrist gemäß § 26 Abs. 1 Z. 1 VwGG zur Post gegeben worden und daher rechtzeitig.

Zum Inhalt der Beschwerde:

Die belangte Behörde führte aus, der Umstand, daß der Beschwerdeführer bei der Beförderung von Putschisten mit seinem Taxi betreten worden sei, könne keinen Asylanspruch begründen, weil der Beschwerdeführer von den Absichten seiner Fahrgästen nichts gewußt habe und mit dem Putsch nichts zu tun habe. Die vorgebracht Verfolgung richte sich daher nicht gegen den Beschwerdeführer, sondern gegen andere Personen.

Dem ist zu entgegnen, daß dem Beschwerdeführer nach seinem Vorbringen von den staatlichen Stellen eine den Putschisten nahestehende Gesinnung unterstellt wurde. Eine Verfolgung wegen einer bloß unterstellten politischen Gesinnung kann aber sehr wohl zur Asylgewährung führen. Insofern hat die belangte Behörde die Rechtslage verkannt.

Weiters meint die belangte Behörde, dem Beschwerdeführer sei es zumutbar, sich gegen die zu Unrecht erhobenen Vorwürfe vor den Gerichten seines Heimatstaates zu verantworten. Dabei wäre es ihm möglich, seine Unschuld zu beweisen. Dieser Ansicht steht entgegen, daß der Beschwerdeführer nach dem im Verwaltungsverfahren vorgelegten Brief seines ghanaischen Rechtsanwaltes in seiner Heimat - wenn auch noch nicht rechtskräftig - in Abwesenheit zum Tod verurteilt wurde. Die belangte Behörde hat - anders als in bezug auf den ebenfalls vorgelegten Steckbrief vom 4. Juni 1991 - nicht ausgeführt, daß sie dieser Urkunde keine Beweiskraft zuerkenne. Einem bereits zum Tod Verurteilten kann aber nicht zugemutet werden, sich in seiner Heimat einem Gerichtsverfahren zu stellen und - nachträglich - seine Unschuld zu beweisen.

Die belangte Behörde führt auch ins Treffen, daß sich die politischen Verhältnisse in Ghana grundlegend geändert hätten. Dieser Staat sei am 7. Jänner 1993 nach mehr als zehn Jahren Militärregime zu einem demokratischen Mehrparteiensystem zurückgekehrt. Die neue Verfassung garantiere einen umfangsreichen Katalog von Grundrechten. Mehrere Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes hätten menschenrechtlich bedenkliche Bestimmungen aufgehoben. Das "Public-Order-Gesetz" aus dem Jahre 1992, das gegen internationale Standards verstoßen habe, sei außer Kraft gesetzt worden und die "Public Tribunals", die in Verletzung internationaler Normen Recht gesprochen hätten, seien in die ordentliche Gerichtsbarkeit integriert worden.

Diesbezüglich rügt der Beschwerdeführer zu Recht, daß ihm zu diesen Feststellungen kein Parteiengehör eingeräumt worden ist. Sein Beschwerdevorbringen, wonach von der Regierung aus Anlaß von Unruhen im Jahre 1994 die alten Strukturen wieder eingeführt worden seien und die demokratischen Erneuerungen wieder rückgängig gemacht worden seien, verstößt daher nicht gegen das im verwaltungsgerichtlichen Verfahren herrschende Neuerungsverbot.

Soweit die belangte Behörde dem Beschwerdeführer vorwirft, seine Angaben über die Mißhandlungen während der Haft und die Flucht aus dem Gefängnis seien zu unbestimmt, ist ihr zu entgegnen, daß der Beschwerdeführer nach dem Akteninhalt dazu nicht näher befragt wurde.

Für ihre Ansicht, die vom Beschwerdeführer erduldeten Mißhandlungen seien nur von Einzelpersonen ausgegangen und nicht dem Staat zuzurechnen, bleibt die belangte Behörde jede Begründung schuldig.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen der prevälierenden Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Von der vom Beschwerdeführer beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG Abstand genommen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1995010472.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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