TE Vfgh Erkenntnis 1996/9/24 B1214/95, B1215/95

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Veröffentlicht am 24.09.1996
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

EMRK Art8
AufenthaltsG §6 Abs3

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch Versagung einer Aufenthaltsbewilligung wegen verspäteter Antragstellung im Inland ohne Eingehen auf die persönlichen Verhältnisse der minderjährigen Beschwerdeführer

Spruch

Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtenen Bescheide in dem durch Art8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt worden.

Die Bescheide werden aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit 18.000,-- S bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer J M, in Österreich geboren am 21. August 1980, und die Beschwerdeführerin J Z, geboren am 17. Jänner 1985, waren Staatsangehörige der früheren Republik Jugoslawien. Sie halten sich - den unwidersprochen gebliebenen Beschwerdebehauptungen zufolge - seit 1986 in Österreich auf. Am 10. März 1994 erhielten die Beschwerdeführer eine Aufenthaltsbewilligung, gültig bis 4. November 1994. Am 24. November 1994 stellte die Mutter der Beschwerdeführer als gesetzliche Vertreterin für diese Anträge auf Verlängerung der Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz.

2. Mit den im Instanzenzug ergangenen Bescheiden des Bundesministers für Inneres vom 7. März 1995 wurden diese Anträge unter Berufung auf §6 Abs3 des Aufenthaltsgesetzes, BGBl. 466/1992 idF der Nov. BGBl. 505/1994, abgewiesen. In der Begründung wurde ausgeführt, die Verlängerungsanträge seien erheblich verspätet gestellt worden. Aus diesem Grund und infolge der Verfahrensvorschrift des §6 Abs3 des Aufenthaltsgesetzes sei die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung ausgeschlossen.

3. Gegen diese Bescheide richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, mit der insbesondere die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 Abs1 EMRK) geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Bescheide beantragt wird.

4. Der Bundesminister für Inneres als belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und beantragte - ohne auf das Vorbringen der Beschwerdeführer einzugehen - die Abweisung der Beschwerde.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1.1. Die angefochtenen, die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz versagenden Bescheide greifen in das den Beschwerdeführern durch Art8 Abs1 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens ein, denn durch die Versagung der Aufenthaltsbewilligung würde die Familie auseinander geführt werden.

1.2. Ein Eingriff in das durch Art8 EMRK verfassungsgesetzlich garantierte - unter Gesetzesvorbehalt stehende - Recht ist dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen wäre, auf einer dem Art8 EMRK widersprechenden Rechtsvorschrift beruhte oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hätte; ein solcher Fall läge nur vor, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre, oder wenn sie der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art8 Abs1 EMRK widersprechenden und durch Art8 Abs2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellt hätte (vgl. VfSlg. 11638/1988).

2. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits im Erkenntnis vom 16. Juni 1995, B 1611-1614/94 dargelegt hat, ist in den vom Regelungssystem des §6 Abs2 des Aufenthaltsgesetzes nicht erfaßten Fällen im Wege der Analogie entweder die Regelung des §6 Abs2 erster Satz des Aufenthaltsgesetzes, wonach Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung vom Ausland aus zu stellen sind, oder aber §6 Abs2 zweiter Satz leg. cit., wonach solche Anträge auch vom Inland gestellt werden können, anzuwenden. Er hielt in den Fällen, in denen die Antragsteller sich seit vielen Jahren rechtmäßig aufgrund einer Aufenthaltsbewilligung in Österreich aufgehalten und die Frist zur Antragstellung relativ geringfügig überschritten haben, eine analoge Anwendung der Regelung des zweiten Satzes in §6 Abs2 leg. cit., der die Fallgruppe der Verlängerungsanträge betrifft, für geboten.

3. Die belangte Behörde hat im Fall der minderjährigen Beschwerdeführer, die sich bei ihrer Mutter aufhalten, die Aufenthaltsbewilligung nur wegen einer relativ kurzen Versäumung der Frist für die Antragstellung auf neuerliche Erteilung der Aufenthaltsbewilligung, ohne auf die persönlichen Verhältnisse der Beschwerdeführer einzugehen, mit der Begründung versagt, der Antrag hätte vom Ausland gestellt werden müssen. Sie hat damit dem §6 Abs3 des Aufenthaltsgesetzes einen verfassungswidrigen, weil gegen Art8 EMRK verstoßenden Inhalt unterstellt.

Die angefochtenen Bescheide waren daher schon aus diesem Grund aufzuheben.

4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von 3.000,-- S enthalten.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.

Schlagworte

Aufenthaltsrecht, Privat- und Familienleben

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1996:B1214.1995

Dokumentnummer

JFT_10039076_95B01214_2_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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