TE Vwgh Beschluss 2020/1/28 Ra 2019/18/0204

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.01.2020
beobachten
merken

Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §8 Abs1
B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Nedwed und die Hofrätin MMag. Ginthör als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, gegen das am 25. Februar 2019 mündlich verkündete und am 3. April 2019 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. April 2019, W244 2155570-1/18E, betreffend eine Asylangelegenheit (mitbeteiligte Partei: A K, vertreten durch Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 1/6), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Der Bund hat dem Mitbeteiligten Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Mitbeteiligte, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 4. Juli 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 12. April 2017 zur Gänze abwies. Dem Mitbeteiligten wurde auch kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) erteilt, gegen ihn wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen, es wurde festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und es wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt.

2 Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) wies die dagegen erhobene Beschwerde des Mitbeteiligten in Bezug auf die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten ab (Spruchpunkt A I.). Im Übrigen gab das BVwG der Beschwerde des Mitbeteiligten statt, erkannte ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt A II.), erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt A III.) und hob die restlichen den Mitbeteiligten belastenden Aussprüche des Bescheides des BFA ersatzlos auf (Spruchpunkt A IV.). Die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte es für nicht zulässig. 3 Begründend führte das BVwG aus, es könne keine Herkunftsregion des Mitbeteiligten identifiziert werden, weil er keinerlei Nahebezug zu der Region in seinem Herkunftsstaat habe, in der seine Eltern geboren worden seien. Beim Mitbeteiligten handle es sich um einen arbeitsfähigen jungen Mann "faktisch" ohne Schulbildung, der zwar über erste Berufserfahrung als Hilfsarbeiter im Iran, jedoch über keine Ortskenntnisse und lediglich über geringe Kenntnisse der lokalen Gepflogenheiten in Afghanistan verfüge. Zudem habe er in Afghanistan weder familiäre noch sonstige soziale Anknüpfungspunkte. Der Mitbeteiligte wäre deshalb im Fall einer Ansiedlung in Afghanistan auf sich alleine gestellt und gezwungen, in einer der afghanischen Großstädte nach Wohnraum und Arbeit zu suchen, ohne über Kenntnisse der dortigen örtlichen und infrastrukturellen Gegebenheiten zu verfügen. Im Hinblick auf die insoweit glaubwürdigen Angaben des Revisionswerbers sei auch nicht von einer finanziellen oder sonstigen Unterstützung durch die im Iran lebende Familie auszugehen. Durch die Inanspruchnahme von Rückkehrhilfe könne der Mitbeteiligte höchstens sehr kurzfristig in den Städten Mazar-e-Sharif und Herat das Auslangen finden.

4 Aufgrund dieser Gesichtspunkte sowie des (schon aufgrund sprachlicher Merkmale leicht erkennbaren) Umstands, dass der Mitbeteiligte sein bisheriges Leben zur Gänze außerhalb Afghanistans verbracht habe, wäre er bei einer Rückkehr nach Afghanistan als "Fremder im eigenen Land" exponiert und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bei der Arbeits- sowie Wohnraumsuche Diskriminierungen ausgesetzt. Es sei insbesondere davon auszugehen, dass er nicht nur zu Beginn seiner Ansiedlung in Afghanistan, sondern weitgehend vom Zugang zu Arbeit und Wohnraum ausgeschlossen sei. Seine Situation unterscheide sich daher wesentlich von der Situation jener afghanischen Staatsangehörigen, die ihr Leben in Afghanistan verbracht hätten und dort sozialisiert worden seien.

5 Darüber hinaus gehöre der Mitbeteiligte als Hazara - aufgrund seines Aussehens - erkennbar einer ethnischen und religiösen Minderheit in Afghanistan an, die weitreichenden Benachteiligungen bzw. Diskriminierungen ausgesetzt sei. 6 Unter Berücksichtigung der individuellen Gefährdungsfaktoren stehe dem Mitbeteiligten eine innerstaatliche Fluchtalternative in Afghanistan nicht offen.

7 Gegen die Spruchpunkt A II. bis A IV. dieses Erkenntnisses richtet sich die vorliegende Amtsrevision.

8 Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der er die Zurückweisung, hilfsweise die Abweisung der Amtsrevision sowie Kostenersatz beantragte.

9 Zur Begründung ihrer Zulässigkeit bringt die Amtsrevision vor, das BVwG sei von näher zitierter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu dem bei Prüfung einer innerstaatlichen Fluchtalternative relevanten Zumutbarkeitskalkül abgewichen. In der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei zudem in sachverhaltsmäßig ähnlich gelagerten Fällen eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative für die betroffenen Asylwerber in den Städten Mazar-e-Sharif oder Herat bejaht worden. 10 Entgegen den Ausführungen des BVwG lasse sich den Länderberichten zu Afghanistan nicht entnehmen, dass "Iran-Rückkehrer" ohne familiäre oder sonstige Anknüpfungspunkte im Falle ihrer Rückkehr weitgehend vom Zugang zu Arbeit und Wohnraum ausgeschlossen seien. Diesen Berichten zufolge seien Afghanen und im Besonderen Hazara, die ihr ganzes Leben im Iran verbracht hätten, lediglich weitgehend von den Verwandtschafts-, Geschäfts- und Patronage-Beziehungen ausgeschlossen. Die rechtliche Beurteilung des Gerichts beruhe daher in einem zentralen Punkt, nämlich betreffend die Verneinung einer innerstaatlichen Fluchtalternative, auf einer aktenwidrigen Annahme. Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan:

11 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

12 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 13 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 14 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung bereits mehrfach erkannt, welche Kriterien erfüllt sein müssen, um von einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative sprechen zu können. Demzufolge reicht es nicht aus, dem Asylwerber entgegen zu halten, dass er in diesem Gebiet keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erwarten hat. Es muss ihm vielmehr möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Ob dies der Fall ist, erfordert eine Beurteilung der allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und der persönlichen Umstände des Asylwerbers. Es handelt sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss (vgl. VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0533, mwN).

15 Dabei hat sich das BVwG auch mit den Richtlinien des UNHCR zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018 sowie den Vorgaben der EASO Country Guidance zu Afghanistan in adäquater Weise auseinanderzusetzen (VwGH 17.9.2019, Ra 2019/14/0160, mwN). 16 Dass das BVwG von den dargestellten Leitlinien der Judikatur bei der einzelfallbezogenen Beurteilung der maßgeblichen Aspekte der individuellen Situation des Mitbeteiligten abgewichen wäre, ist nicht ersichtlich. Das BVwG stützte seine Entscheidung vor allem darauf, dass es sich bei dem Mitbeteiligten um einen im Iran geborenen und aufgewachsenen afghanischen Staatsangehörigen ohne Schulbildung und ohne nennenswerte Berufserfahrung handle, der im Fall seiner Ansiedlung in einer der afghanischen Großstädte auch nicht auf finanzielle oder sonstige Unterstützung durch seine im Iran geborenen und lebenden Familienangehörigen zurückgreifen könne.

17 Im Hinblick auf die oben angeführten Richtlinien des UNHCR sowie die Vorgaben der EASO Country Guidance zu Afghanistan (in der hier maßgeblichen Fassung von Juni 2018) betreffend die Lage von Rückkehrern nach Afghanistan erweist sich die Einschätzung des BVwG als nicht unvertretbar. Das BVwG nahm auf die hinsichtlich der betroffenen Personengruppen vorzunehmenden Differenzierungen (vgl. die von EASO aufgestellten besonderen Prüfkriterien für Personen mit dem Profil des Revisionswerbers, die noch nie in Afghanistan gelebt haben) und auf den persönlichen Hintergrund des Mitbeteiligten nachvollziehbar Bedacht.

18 Unter Berücksichtigung des in seinem Gesamtzusammenhang zu lesenden Berichtsmaterials vermag die Revision auch nicht darzulegen, dass die vom BVwG für die konkrete Situation des Mitbeteiligten gezogenen Schlussfolgerungen in den dem angefochtenen Erkenntnis zugrunde gelegten Berichten keine Deckung fänden.

19 Aus den dargelegten Erwägungen werden in der Revision keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und Abs. 3 VwGG zurückzuweisen.

20 Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 28. Jänner 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019180204.L00

Im RIS seit

27.02.2020

Zuletzt aktualisiert am

27.02.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten