Entscheidungsdatum
18.11.2019Norm
AsylG 2005 §3Spruch
W237 2225283-1/2E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Mag. Martin WERNER über die Beschwerde des mj. XXXX , geb. XXXX , StA. Somalia, vertreten durch XXXX , gegen Spruchpunkt I. des Bescheids des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 16.09.2019, Zl. 1240395102-190771220:
A)
In Erledigung der Beschwerde wird Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids aufgehoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheids an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang:
1. Die Mutter des minderjährigen Beschwerdeführers stellte nach dessen Geburt für ihn als gesetzliche Vertreterin am 30.07.2019 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies mit Bescheid vom 16.09.2019 diesen Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) ab und erkannte dem Beschwerdeführer den Status des subsidiären Schutzberechtigten nach § 8 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 3 AsylG 2005 zu (Spruchpunkt II.). Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer unter einem eine bis zum 10.06.2020 befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt III.).
Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheids erhob der Beschwerdeführer die gegenständliche, näher begründete Beschwerde, die vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Bundesverwaltungsgericht samt Verwaltungsakt am 11.11.2019 vorgelegt wurde.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der minderjährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Somalia und wurde am XXXX in Österreich geboren.
Der Vater des Beschwerdeführers reiste spätestens am 05.06.2014 in das Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diesen Antrag hinsichtlich des Status des Asylberechtigten am 10.06.2015 ab, erkannte jedoch den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte in diesem Zusammenhang eine befristete Aufenthaltsberechtigung. Die Beschwerde gegen die Abweisung des Antrags betreffend den Status des Asylberechtigten wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 17.06.2016 abgewiesen. Dem Vater des Beschwerdeführers kommt derzeit eine bis zum 10.06.2020 befristete Aufenthaltsberechtigung zu.
Die Mutter des Beschwerdeführers reiste am 24.06.2018 in das Bundesgebiet ein und stellte am 26.06.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid vom 14.08.2018 wurde ihr der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl setzte zwischen dem Antrag des Beschwerdeführers und der Erlassung des angefochtenen Bescheids keine Verfahrenshandlungen.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen sowie der unter Pkt. I dargelegte Verfahrensgang ergeben sich aus dem unzweifelhaften Inhalt des vorgelegten Verwaltungsakts, in dem auch eine Kopie der Geburtsurkunde des Beschwerdeführers aufliegt. Aus dieser ergeben sich auch die Identitäten der Eltern des minderjährigen Beschwerdeführers; für das Bundesverwaltungsgericht liegen keine Anhaltspunkte vor, die Anlass zu Zweifeln gäben, dass es sich bei den in der Geburtsurkunde genannten Personen um die tatsächlichen Eltern des Beschwerdeführers handelt. Die festgestellten Verfahren bzw. Aufenthaltsberechtigungen der Eltern gehen aus ihren jeweiligen Verfahrensakten hervor.
3. Rechtliche Beurteilung:
Der angefochtene Bescheid wurde der Mutter des Beschwerdeführers als seiner gesetzlichen Vertreterin am 02.10.2019 durch Hinterlegung zugestellt. Die am 29.10.2019 per Mail an die belangte Behörde übermittelte Beschwerde ist somit gemäß § 7 Abs. 4 erster Satz VwGVG jedenfalls rechtzeitig.
Zu A)
3.1. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Nach § 28 Abs. 2 VwGVG hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen und die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
Das Modell der Aufhebung des Bescheids und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraus. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener der Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG (Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren, 2013, § 28 VwGVG, Anm. 11).
§ 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.
3.2. Der Verwaltungsgerichtshof hat sich beginnend mit Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet (vgl. auch VwGH 30.06.2015, Ra 2014/03/0054):
Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht kommt nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.
Der Verfassungsgesetzgeber hat sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51/2012, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden haben, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen ist.
Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stellt die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das in § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher insbesondere dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).
3.3. Im vorliegenden Fall ist dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Sinne der angeführten Judikatur insofern ein qualifiziert mangelhaftes Ermittlungsverfahren vorzuwerfen, als es nach Stellung des Antrags auf internationalen Schutz durch die Mutter des Beschwerdeführers überhaupt keine Ermittlungsschritte setzte, sondern den angefochtenen Bescheid ohne jegliches Ermittlungsverfahren einige Wochen später erließ. Insbesondere hat es die belangte Behörde unterlassen, zumindest die Mutter oder den Vater des Beschwerdeführers als seine gesetzlichen Vertreter gemäß § 19 Abs. 2 AsylG 2005 einmal im Verfahren einzuvernehmen (vgl. auch Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, 2016, § 19 AsylG 2005, K9, 838).
Die belangte Behörde hat damit jegliche - selbst die gesetzlich ausdrücklich vorgesehene - Ermittlungstätigkeit unterlassen, weshalb Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Rechtssache zur Erlassung eines neuen Bescheids an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen ist. Dieses hat nunmehr zumindest einen der gesetzlichen Vertreter des Beschwerdeführers einmal zu seinen Fluchtgründen einzuvernehmen.
Zu B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Die Aufhebung des angefochtenen Bescheides im genannten Umfang und die Zurückverweisung der Angelegenheit an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Erlassung eines neuen Bescheids ergeht in Berücksichtigung der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063; 30.06.2015, Ra 2014/03/0054; 29.07.2015, Ra 2015/07/0034).
Schlagworte
Einvernahme, Ermittlungspflicht, gesetzlicher Vertreter, Kassation,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W237.2225283.1.00Zuletzt aktualisiert am
20.02.2020