TE Bvwg Erkenntnis 2019/11/25 W200 2124341-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.11.2019
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Entscheidungsdatum

25.11.2019

Norm

B-VG Art. 133 Abs4
VOG §1
VOG §10
VOG §16
VOG §3

Spruch

W200 2124341-1/33E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. SCHERZ als Vorsitzende und den Richter Dr. Kuzminski und den fachkundigen Laienrichter Mag. SVOBODA als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Salzburg (SMS) vom 22.02.2016, Zl. 810-600603-009, betreffend die Abweisung des Antrages auf Ersatz des Verdienstentganges nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 11.10.2019 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes (VwGVG)- abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Die XXXX geborene Beschwerdeführerin stellte am 08.11.2012 beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Tirol, ein Begehren auf Hilfeleistungen nach dem Verbrechensopfergesetz in Form des Ersatzes des Verdienstentganges und des Ersatzes von Kosten für eine psychotherapeutische Krankenbehandlung.

In der Rubrik "Angaben zum Verbrechen" führt die Beschwerdeführerin an, dass sie von XXXX bis XXXX im Landesjugendheim St. Martin und davor ca. zwei Monate in der Kinderbeobachtungsstation bei Dr. Nowak-Vogl untergebracht gewesen sei. Unterlagen zum Aufenthalt bei Dr. Nowak-Vogl würden nicht vorliegen, die Unterlagen zum Aufenthalt in St. Martin lege sie bei. Sie leide unter psychischen und physischen Problemen, sei alkoholkrank, habe einen Suizidversuch hinter sich und habe keine Lehre absolviert, da jeder Versuch auf Grund des Heimaufenthaltes vereitelt worden sei.

Im Rahmen der Antragstellung wurden neben Kopien des Staatsbürgerschaftsnachweises, des Reisepasses und der Meldebestätigung der Beschwerdeführerin folgende Dokumente und Unterlagen in Kopie vorgelegt:

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Vier Führungsberichte des Landesjugendheims St. Martin aus den Jahren XXXX und XXXX

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Bescheid des Amtes der Tiroler Landesregierung (Landesjugendamt) vom 08.07. XXXX betreffend die Überweisung der Beschwerdeführerin in Fürsorgeerziehung des Landesjugendheimes Schwaz

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Aufnahmeschein des Erziehungsheimes vom 01.07. XXXX

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Beschluss des Bezirksgerichts Innsbruck vom 03.04. XXXX betreffend die Umwandlung der vorläufigen Fürsorgeerziehung in endgültige Fürsorgeerziehung

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Arztbriefe der Universitätsklinik für Dermatologie und Venerologie der Medizinischen Universität Innsbruck vom 04.03.2011 und vom 26.08.2012

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Ärztlicher Kurzbericht der Universitätsklinik für Dermatologie und Venerologie der Medizinischen Universität Innsbruck vom 07.02.2012

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Ärztlicher Kurzbericht des A.Ö. Landeskrankenhauses Innsbruck vom 03.02.1992

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Versicherungsdatenauszug der Österreichischen Sozialversicherung, Stand 22.08.2012

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Handschriftliche Aufzeichnungen über die Daten der Fluchtversuche der Beschwerdeführerin und Urlaube bzw. der Gesamtdauer ihres Heimaufenthaltes und der Tage im Karzer

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Verständigung der Pensionsversicherungsanstalt, Landesstelle Tirol, über die Leistungshöhe der Pension zum 01.01.2012

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E-Mails der Beschwerdeführerin an die Opferschutzkommission des Landes Tirol vom 19.09.2010, 27.04.2011 und 06.07.2011 mit Schilderungen ihrer Erlebnisse im Erziehungsheim

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Schreiben des Landesrats G.H. an die Beschwerdeführerin vom 07.02.2011 über die Zuerkennung einer Entschädigung im Rahmen der Entschädigung für Missbrauchsopfer von Landeseinrichtungen in Höhe von € 10.000

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Schreiben des Landesrats G.H. an die Beschwerdeführerin vom 12.07.2011 über die Zuerkennung einer zusätzlichen Entschädigung im Rahmen der Entschädigung für Missbrauchsopfer von Landeseinrichtungen in Höhe von € 10.000 (Gesamtentschädigung: € 20.000)

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Schreiben des Landesrats G.H. vom 20.10.2010 betreffend das Angebot von Psychotherapie an Missbrauchsopfer von Landeseinrichtungen

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Klinisch-psychologisches Attest vom 18.11.

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Berufsberatungsgutachten des Arbeitsamtes Schwaz betreffend die Beschwerdeführerin vom 24.02.1979

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Auszüge der Pflegegeldinformation PFIF

In dem vorgelegten klinisch-psychologischen Attest vom 18.11.2012 wurden die von der Beschwerdeführerin im Rahmen zweier Therapiestunden angegebenen Heimerlebnisse ausführlich wiedergegeben. Die Beschwerdeführerin schilderte gegenüber dem Psychologen, dass sie während ihres Aufenthaltes im Heim St. Martin auf Grund von minimalen Vergehen regelmäßig Ohrfeigen bzw. Faustschläge versetzt bekommen habe oder sie gewalttätig an den Haaren gerissen worden sei. "Bei jeder Kleinigkeit" sei ein Rede-, Rauch- Ess-, und Trinkverbot durch die Erzieherinnen ausgesprochen worden. Regelmäßig sei ihre Post geöffnet und ihr das sich darin befindliche Geld abgenommen worden. Nachdem sie nach einem Fluchtversuch aus dem Heim von der Polizei aufgegriffen worden und von der Direktorin von der Polizeistation abgeholt worden sei, sei sie im Heim von dieser an den Haaren über die Stiege in den Karzer gezogen und dort mit dem Kopf an die Wand geschlagen worden, wodurch sie eine blutende Platzwunde erlitten habe, die erst nach einer halben Stunde behandelt worden sei. Während ihrer Zeit im Heim habe sie bei einer Strickwarenfirma im Zuschnitt gearbeitet. Sie sei dort von ihren Arbeitskolleginnen wegen ihres Status als Heimkind gemobbt worden, so sei ihr z.B. während sie Pause gemacht habe, ihr Zuschnitt von einer Kollegin verschnitten worden, wofür sie eine Abmahnung erhalten habe oder sei absichtlich Kaffee auf sie geschüttet worden. Sie habe diese Vorfälle im Heim gemeldet, dort sei ihr jedoch nicht geglaubt worden und sie sei gezwungen worden, weiter dort zu arbeiten. Deshalb sei sie erneut geflüchtet. Nach einigen Tagen sei sie aufgegriffen und wieder ins Heim zurückgebracht worden, wo sie abermals in den Karzer gezerrt worden sei. Mit den Worten sie solle "im Karzer verrecken" habe sie am Abend nichts zu essen bekommen. Sie sei eine ganze Woche eingesperrt gewesen. Ihr seien von einem Mitzögling zwei Zigaretten in den Karzer geschmuggelt worden, die sie geraucht habe. Die Erzieherin habe das bemerkt, die Beschwerdeführerin habe jedoch abgestritten, geraucht zu haben, wofür sie mit Ohrfeigen und Faustschlägen so traktiert worden sei, dass ihre Lippen aufgerissen seien und ihre Nase geprellt worden sei. Die Ärztin sei erst nach Stunden gekommen, um ihre Wunden zu reinigen. Sie habe einmal mit dem Heim einen Campingurlaub gemacht, wo den Kindern befohlen worden sei, sie dürften niemandem sagen, dass sie aus dem Heim kämen. Als die Beschwerdeführerin einer Dame am Campingplatz erzählt habe, sie sei aus dem Erziehungsheim, sei sie noch im Bikini ins Heim zurückgebracht worden. Sie sei wieder an den Haaren in den Karzer gezerrt und dort geschlagen worden. Beim Versuch, die Schläge abzuwehren, habe ihr die Erzieherin zwei Finger der rechten Hand gebrochen. Erst am nächsten Tag seien die Finger geschient worden. Der Vorfall habe vertuscht werden sollen, weshalb sie nicht ins Krankenhaus gebracht worden sei und habe ihre Mutter sie wegen eines angeblichen Besuchsverbots nicht im Heim besuchen dürfen. Als sie ihrer Mutter zwei Wochen später von dem Vorfall erzählt habe, habe diese dem Jugendamt gemeldet, dass ihre Tochter im Heim eingesperrt und geschlagen werde. Außer einem Vermerk im Akt habe dies jedoch keine Konsequenzen gehabt. Einmal habe die Beschwerdeführerin mit einem anderen Mädchen im zweiten Stock des Heimes für die Erzieherinnen den Tisch decken müssen, die beiden Mädchen seien dafür in diesem Raum eingesperrt worden. Da dies das einzige Zimmer des Hauses ohne Gitter vor dem Fenster gewesen sei, habe das andere Mädchen einen Suizidversuch unternommen und sich aus dem Fenster gestürzt. Die Beschwerdeführerin habe aus dem Fenster um Hilfe gerufen. Direktorin und Erzieherin hätten sie als Mörderin beschimpft und ihr vorgeworfen, ihre Kollegin aus dem Fenster gestoßen zu haben. Sie sei in den Karzer geprügelt worden, wobei ihr Haarbüschel ausgerissen worden seien und sie eine Platzwunde am Kopf erlitten sowie Kratzer am ganzen Körper gehabt habe. Bei der polizeilichen Einvernahme am nächsten Tag habe der Polizist erklärt, dass sie keine Schuld habe, sondern dass sich das andere Mädchen das Leben nehmen habe wollen. Der Polizist habe die Beschwerdeführerin auch auf ihre Verletzungen angesprochen und sie nach deren Ursache gefragt. Da jedoch die Direktorin bei der Einvernahme anwesend gewesen sei, habe die Beschwerdeführerin nicht gewagt, die Wahrheit zu sagen, sondern angegeben, über die Stiege gefallen zu sein. Nach der Vernehmung sei sie wieder in den Karzer gesperrt worden. Zwei Mal sei sie im Heim vom Hausmeister geschlagen und vergewaltigt worden. Beide Vergewaltigungen hätten stattgefunden, als sie im Karzer eingesperrt gewesen sei.

Zu den Auswirkungen der Gewalterfahrungen wird im Attest festgehalten, dass die Beschwerdeführerin angegeben habe, auf Grund der Erlebnisse im Erziehungsheim bis heute mit starken psychischen Problemen zu kämpfen zu haben. In Bezug auf eine berufliche Ausbildung, habe sie im Heim die Haushaltungsschule abschließen wollen, was ihr jedoch mit dem Argument verwehrt worden sei, dass sie mit einem IQ von 98 "zu deppert sei, diese Schule abzuschließen". Nach der Entlassung aus dem Heim habe dies gravierende Folgen gehabt, da die Beschwerdeführerin auf Grund des fehlenden Schulabschlusses keine Chance gehabt habe, eine Lehrstelle zu bekommen. Sie habe ihr ganzes Leben als Hilfsarbeiterin und Reinigungskraft arbeiten können, wofür sie sich geschämt habe. Sie habe keinen Selbstwert, weil ihr die Kindheit genommen worden und sie von den Erzieherinnen ständig beschimpft worden sei. Sie leide unter Schlafstörungen, Alpträumen und Panikattacken. Trost und Halt habe sie im Alkohol gefunden und sei jahrelang Alkoholikerin gewesen bzw. brauche auch heute noch - wenn auch in reduzierter Menge - täglich Alkohol. 1992 habe sie mit Alkohol und Medikamenten einen Suizidversuch unternommen. Ihre damals 14-jähige Tochter habe sie bewusstlos am Boden liegend gefunden und sei die Beschwerdeführerin in die Klinik Innsbruck eingeliefert worden. Dort habe sie ihre Alkoholsucht eingestanden und habe dagegen Medikamente verschrieben bekommen. Sie sei mit der Drohung, bei nicht regelmäßiger Einnahme dieser Medikamente stationär in die Psychiatrie aufgenommen zu werden, entlassen worden. Bereits einen Tag nach ihrer Rückkehr nach Hause habe sie wieder getrunken. Alkoholbedingt sei sie an ihren Arbeitsplätzen auch gekündigt worden, da sie zum Beispiel zu spät zur Arbeit erschienen sei. Durch die beiden Vergewaltigungen im Heim habe sie sich Zeit ihres Lebens vor sexuellen Aktivitäten geekelt, die Bilder von damals hätten sich wieder aufgedrängt. Die beiden von der Erzieherin gebrochenen Finger an der rechten Hand seien durch die nicht fachgerechte Behandlung nicht mehr richtig zusammengewachsen. Seit 1998 leide sie an "Lupus" und bekomme regelmäßig Cortison verschrieben. Es werde abgeklärt, ob die Lupus-Erkrankung in einem Zusammenhang mit den Gewalterfahrungen im Heim stehen würde. Seit 2005 beziehe sie Pflegestufe 2 und Invaliditätspension. Seit 2010 stehe sie in regelmäßiger psychotherapeutischer Behandlung.

In der Konklusio des klinisch-psychologischen Attests wird festgehalten, dass aus klinisch-psychologischer Sicht nach Darstellung der Sachlage ein kausaler Zusammenhang zwischen den Ereignissen im Heim und der von der Beschwerdeführerin geschilderten Folgen für ihr weiteres Leben hergestellt werden könne. Die wiederholten körperlichen, seelischen und sexuellen Gewalterfahrungen hätten zu einer ausgeprägten posttraumatischen Belastungsstörung geführt, an der die Beschwerdeführerin noch heute leide. Gerade die von ihr angeführte Alkoholkrankheit sowie ein vormals erfolgter Suizidversuch seien im Lichte der Ereignisse im Heim zu sehen. In welcher Form ihre Lupus-Erkrankung ebenfalls in einem diesbezüglichen Kausalzusammenhang stehe, werde derzeit medizinisch abgeklärt. Eine klinisch-psychologische bzw. therapeutische Behandlung zur Aufarbeitung der traumatischen Erlebnisse sei dringend indiziert.

Mit Schreiben vom 20.02.2013 ersuchte die belangte Behörde die Pensionsversicherungsanstalt, Landesstelle Tirol, um Übermittlung von Kopien aller Unterlagen, aus welchen die gesundheitlichen Schädigungen der Beschwerdeführerin hervorgehen.

Im Verwaltungsakt befindet sich ein Konsiliarbefund-Bericht der Psychotherapeutischen Ambulanz der Universitätsklinik Innsbruck vom 25.01.2013. Die Hautklinik der Universitätsklinik Innsbruck bat die psychologische und psychotherapeutische Ambulanz darin um Untersuchung möglicher psychischer Ursachen der Lupus-Erkrankung der Beschwerdeführerin. Im vorliegenden Bericht wird angegeben, der Patientin gehe es derzeit relativ gut, jedoch komme es immer wieder zu Stimmungsschwankungen, Antriebsverlust, Angstzuständen und Rückfällen ihres Alkoholproblems, wenn sie mit den Ereignissen ihrer traumatischen Vergangenheit konfrontiert werde. Auch die körperlichen Symptome der seit langem bestehenden Lupus-Erkrankung würden nach Angaben der Beschwerdeführerin in naher zeitlicher Verbindung zu Erinnerungen und Erlebnissen stehen, die inhaltlich mit den traumatischen Erfahrungen in St. Martin verknüpft seien.

Dazu wurde wörtlich angegeben: "Solcherart traumatische Erfahrungen können in der Tat nach Jahren und Jahrzehnten im Sinne von Retraumatisierungen sowohl psychisch (rezidivierende depressive Erkrankung, gegenwärtig leicht, F 33.0) als auch körperlich zu teils massiven Verschlechterungen bestehender Krankheitsbilder führen. Kindheit und Jugend werden von der Patientin als unauffällig beschrieben, so dass eine kausale Verbindung zwischen Traumata und späterer Erkrankung plausibel erscheint. Zumindest die immer wiederkehrenden Symptome dürften klar mit Retraumatisierungen verbunden sein."

Mit Schreiben vom 05.03.2013 übermittelte die Universitätsklinik Innsbruck, wo sich die Beschwerdeführerin wegen eines Suizidversuchs mittels Alkohol und Medikamenten im Februar 1992 aufhielt, die Krankenunterlagen der Beschwerdeführerin. Im Konsiliarbefund-Bericht vom 03.02.1992 wird als Diagnose "Alkohol u. Lexotanil Intoxication als abnorme Erlebnisreaktion nach Streit mit Ex-Gatten" angeführt.

Mit Schreiben vom 13.03.2013 übermittelte die Pensionsversicherungsanstalt an die belangte Behörde die angeforderten medizinischen Unterlagen. Das Gutachten zum Antrag auf Gewährung einer Invaliditätspension und Pflegegeldgewährung aus dem Jahr 2005 führte als Hauptursache der Minderung der Erwerbsfähigkeit nach ICD-10 klassifiziert "L93.0" an (Diskoider Lupus erythematodes). Als Diagnosen wurden jedoch "systemischer Lupus erythematodes", "sekundäres Antipospholipidsyndrom", "ausgeprägter Morbus Raynaud", "Lungenfibrose", "chronisch-obstruktive Lungenerkrankung bei Nikotinabusus", "Zustand nach Clamydia pneumoniae 12/04" und "Zustand nach Pneumonie rechts apikal 05/04"gestellt.

Im Gutachten zum Antrag auf Weitergewährung der Invaliditätspension und Pflegegeldgewährung aus dem Jahr 2007 wurde als Hauptursache der Minderung der Erwerbsfähigkeit erneut "L93.0" angegeben, weiters "reduzierter Allgemeinzustand bei systemischem Lupus erythematodes mit sekundärem Antiphospolipid-Syndrom und Lungenfibrose mit rezidivierenden Arthralgien und vor allem massiver Raynaudsymptomatik, auffallende Läsionen im Bereich der Gesichtshaut durch multiple Infiltrate, laufende Immunosupression, zusätzlich chronisch obstruktive Lungenerkrankung bei Nikotinabusus". Als weiteres Leiden wurde "Zustand nach zwei Mal Pneumonie 2004" angeführt.

Im Verwaltungsakt befindet sich weiters ein Konvolut an Arztbriefen der Universitätsklinik für Dermatologie und Venerologie aus den Jahren 2004 bis 2006.

Mit Bescheid der belangten Behörde vom 04.04.2013 wurde der Antrag auf Gewährung von Heilfürsorge in Form der Übernahme der entstehenden Selbstkosten für eine psychotherapeutische Krankenbehandlung zwecks Aufarbeitung der im Zeitraum 01.07.1977 bis 29.02.1979 erlittenen psychischen Schädigungen gemäß § 1 Abs. 1 und § 4 Abs. 5 des Verbrechensopfergesetzes (VOG) grundsätzlich für die Dauer der verbrechenskausalen Notwendigkeit bewilligt.

In diesem Bescheid stellte die belangte Behörde fest, dass ihre Ermittlungen auf Grund der beigebrachten Unterlagen und den eigenen Angaben der Beschwerdeführerin ergeben hätten, dass die grundsätzlichen Anspruchsvoraussetzungen nach dem VOG, wonach eine zum Entscheidungszeitpunkt mit mehr als sechsmonatige Freiheitsstrafe bedrohte, rechtswidrige und vorsätzliche Handlung mit Wahrscheinlichkeit vorliegen müsse, gegeben seien.

Die Beschwerdeführerin legte ein von ihr in Auftrag gegebenes psychiatrisches Gutachten vom 20.03.2013 vor. Zusammenfassend stellte die untersuchende Sachverständige fest, dass die Beschwerdeführerin einerseits an einer Alkoholabhängigkeitserkrankung leide, zum anderen an einer schweren posttraumatischen Belastungsstörung. Durch die Heimunterbringung und die nachfolgenden Gewalterfahrungen habe sich bei der Beschwerdeführerin kein ausreichendes Selbstbewusstsein und kein Vertrauen in Beziehungen zu anderen Menschen entwickeln können. Es bestehe ein Kausalzusammenhang zwischen der Alkoholsucht und den traumatischen Erlebnissen in der Zeit im Erziehungsheim. Auf Grund der durch die traumatischen Erlebnisse im Heim bedingten Störung der Entwicklung des Selbstbildes und Selbstkonzeptes habe sie auch Schwierigkeiten beim Finden einer Lehrstelle gehabt, weshalb es auch diesbezüglich zu keiner Stabilisierung des Gesundheitszustandes gekommen sei. Bezüglich des Anspruches im Hinblick auf die psychischen Beeinträchtigungen im Laufe der nachfolgenden Jahrzehnte nach Entlassung aus dem Landesjugendheim St. Martin sei zum einen davon auszugehen, dass Schmerzengeld für die erlittenen Traumatisierungen wie auch den nachfolgenden chronischen Verlauf der posttraumatischen Belastungsstörung und der Alkoholerkrankung zu fordern seien.

Die belangte Behörde gab mit Schreiben vom 04.04.2013 beim dortigen Ärztlichen Dienst ein Sachverständigengutachten bei einer Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie in Auftrag. In ihrem Gutachten vom 10.07.2013 führt die Sachverständige nach Durchführung einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 25.06.2013 und dem Aktenstudium Folgendes aus:

"(...) Im ärztlichen Gesamtgutachten der PVA aus dem Jahr 2005 wurde als Hauptgrund der Minderung der Erwerbsfähigkeit die Diagnose ICD 10: L93.0 Diskoider Lupus erythematodes angegeben. Die Invaliditätspension wurde ausschließlich aufgrund von körperlichen Leiden gewährt.

(...)

Aus der persönlichen Untersuchung und dem Akteninhalt ergeben sich folgende für die psychiatrische Beurteilung relevanten Details:

1. Die AW wurde als jüngstes von 3 Kindern geboren. Die Mutter sei Kellnerin gewesen, habe nur am Vormittag gearbeitet, am Nachmittag auf die Kinder geschaut. In der Familie habe gutes Einvernehmen geherrscht. Der Vater sei bei der IVB Schaffner gewesen. Es habe ein gewaltfreier Erziehungsstil geherrscht. Wegen Schulschwänzens und Rauchens habe man eine Verwahrlosung seitens der Schule dem Jugendamt gemeldet, so sei die AW ins Heim gekommen. Die zwei älteren Geschwister seien zuhause verblieben. Im Heim sei sie dann von XXXX bis Feb XXXX verblieben.

2. 1979 habe sie den späteren Ehemann kennen gelernt, 1981 das erste Kind geboren, 1986 geheiratet, zur Scheidung sei es 1991 gekommen. In der Ehe habe es keine Gewalt gegeben, die Karriere sei dem Ehemann wichtiger als die Familie gewesen, woran die Ehe zerbrochen sei. Nach Angaben der AW habe sie zu diesem Zeitpunkt schon getrunken, habe nach der Heimzeit damit begonnen, eine erste Intoxikation mit Alkohol wurde 1992 dokumentiert iR der Scheidung, davor und danach gibt es keine ärztliche Dokumentation über Alkoholmissbrauch oder Alkoholerkrankung.

3. Während der Heimzeit sei es zu psychischen und physischen Misshandlungen sowie zu 2 Vergewaltigungen gekommen. Eine gewünschte Berufsausbildung konnte nicht erreicht werden, obwohl die intellektuelle Ausstattung gereicht hätte.

4. Die AW erhält seit 2005 Invaliditätspension und Pflegegeld der Stufe 2, jeweils wegen körperlicher Ursachen. Eine Alkoholerkrankung wurde nie diagnostiziert, es finden sich in der Krankengeschichte keine Hinweise auf erhöhte Leberwerte. Weder bei den vielen unfallchirurgischen noch bei den vielen hautärztlichen Visiten fiel eine Alkoholisierung auf.

Eine leichte Depression im Rahmen der schweren Hauterkrankung wurde diagnostiziert. Sie sei einmal bei Dr. XXXX gewesen mit nur kurzfristiger Medikamenteneinnahme. Eine längerfristige medikamentöse Einstellung auf Antidepressiva oder eine Entzugsbehandlung sei nie durchgeführt worden. Es wurden keine schriftlichen Ausführungen beigebracht, die einen kausalen Zusammenhang zwischen der Entwicklung des Lupus erythematodes und den beschriebenen Misshandlungen erkennen lassen, lediglich in einem Schreiben von Prof XXXX von der Medizinischen Psychologie hält dieser es für plausibel, dass die Symptomatik von bestehenden Krankheitsbildern durch Retraumatisierungen verstärkt werden könnten.

Paniksymptome werden bei der Gutachtensuntersuchung iR von Gewittern geschildert, eine Panikattacke wird beim Besuch des Sillparks vor 10 Jahren geschildert. Ansonsten kein Vermeidungsverhalten, bei der Exploration keine

Flash-Back-Erlebnisse. Zeichen für eine bestehende posttraumatische Belastungsstörung zeigen sich zum Untersuchungszeitpunkt nicht.

Zusammenfassend zeigen sich zum Juni 2013 folgende psychiatrische Erkrankungen:

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anamnestisch Alkoholmissbrauch ICD 10: F10.1

-

kombinierte Persönlichkeitsstörung ICD 10: F61.0

-

Z.n. posttraumatischer Belastungsstörung

-

Leichte Panikstörung ICD 10: F41.0

Weitere Leiden aus dem Akt:

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systemischer Lupus erythematodes

-

sekundärer Antiphospholipidsyndrom

-

axonale Schädigung des Nervus ulnaris li

-

Lungenfibrose

-

Osteopenie

Zu den Fragen des Bundessozialamtes:

1. Welche Gesundheitsschädigungen liegen bei Frau XXXX vor (Vergleiche SV-Zusammenfassung Blatt 136 und folgende und BBG-Beiakt)?

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ein berichteter Alkoholmissbrauch ICD 10: F10.1

-

kombinierte Persönlichkeitsstörung ICD 10: F61.0

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Zn posttraumatischer Belastungsstörung

-

Eine leichte Panikstörung ICD 10: F41.0

2. Welche der bestehenden Gesundheitsschädigungen sind akausal (möglicherweise zurückzuführen auf Probleme mit dem Exmann: Geburt des 3. Kindes 1990 - Scheidung 1991 - Suizidversuch nach Streit mit Exmann 1992)?

Der berichtete Alkoholmissbrauch wird nur einmal iR des Suizidversuchs 1992 iR der Scheidung ärztlich dokumentiert, ansonsten keine Hinweise auf regelmäßigen Gebrauch oder Suchterkrankung. Nach einem jahrzehntelangen Alkoholmissbrauch wären Zeichen des langjährigen Alkoholmissbrauchs wie Schädigung des Kleinhirns oder der Denkvorgänge bzw Beeinträchtigungen innerer Organe anzunehmen. Hinsichtlich des Alkoholmissbrauchs sind mit höherer Wahrscheinlichkeit akausale Faktoren anzunehmen.

a.) Kann aus medizinischer Sicht beurteilt werden, ob die seit 1997 diagnostizierte Lupuserkrankung durch die traumatischen Erlebnisse im Heim St. Martin entstanden ist oder ob diese auch ohne die Misshandlungserlebnisse entstanden sein könnte?

Im Akt liegen keine dermatologisch-fachärztlichen Ausführungen bei, die als Auslöser einer derartigen Erkrankung traumatische Erlebnisse nennen. Es gibt eine Stellungnahme von Prof XXXX , der jedoch kein Hautarzt ist, dieser hält einen Zusammenhang insofern plausibel, als eine Symptomverschlechterung bei bestehenden Krankheitsbildern möglich ist. Dies ist die Sicht der Psychosomatik, sie geht Hand in Hand mit der Theorie, dass die psychische Befindlichkeit körperliche Symptome beeinflussen kann und umgekehrt. Der Systemische Lupus erythematodes gehört jedoch beispielsweise nicht zu den klassischen psychosomatischen Erkrankungen. Eine Symptomverschlechterung bei den schweren Krankheitsschüben kann vorliegen. Über die Kausalität der Entstehung (meines Wissens nach bis heute keine gesicherte Ätiologie) sollte ein dermatologisch fachärztliches Gutachten angefordert werden

b.) Falls die Gesundheitsschädigung konstitutionell bedingt oder durch umwelt- und sozialisationsbedingte Faktoren entstanden ist und nicht als Folge einer späteren Traumatisierung aufgrund des Heimaufenthaltes hervorgerufen wurde, wird um Stellungnahme ersucht, zu welchen Prozentsatz diese Schädigung durch die Misshandlungserlebnisse allenfalls verstärkt oder chronifiziert wurde?

Die psychiatrischen Erkrankungen sind hintergründig im Vergleich zu den körperlichen Erkrankungen, aufgrund derer auch die Pensionierung und Pflegegeld zuerkannt wurde. Die anamnestisch bestandene posttraumatische Belastungsstörung ist mit hoher Wahrscheinlichkeit den traumatischen Heimerlebnissen zuzurechnen, ist derzeit abgeklungen. Die kombinierte Persönlichkeitsstörung wurde durch die Heimerlebnisse nicht ausgelöst aber mit hoher Wahrscheinlichkeit verstärkt, diese hat jedoch nicht zu Pensionierung und Pflegebedarf geführt und kann die körperlichen Erkrankungen unwahrscheinlich ausgelöst haben. Die Panikerkrankung ‚wurde durch die beschriebenen Traumatisierungen ausgelöst, trat und tritt nur im Rahmen von Gewittern auf (nur ein einziges Mal in einem Kaufhaus). Diese Störung hat nicht zu Pensionierung und Pflegegeldzuerkennung geführt.

c.) In welchen Ausmaß kann der gesamten Anteil der akausalen Faktoren an den derzeit festgestellten Leiden angenommen werden)? Um Begründung wird gebeten.

Siehe b.)

3. Welche der festgestellten Gesundheitsschädigungen sind mit Wahrscheinlichkeit auf die angegebenen sexuellen, körperlichen und seelischen Misshandlungen während des Heimaufenthaltes in St. Martin zurückzuführen?

Kombinierte Persönlichkeitsstörung, leichte Panikerkrankung, die Bereitschaft dadurch auf Belastung depressiv zu reagieren sind mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die sexuellen, körperlichen und seelischen Misshandlungen während des Heimaufenthaltes zurückzuführen. Ebenso die berichtete posttraumatische Belastungstörung, die derzeit jedoch nicht mehr exploriert werden kann.

4. Falls die Verbrechen nicht alleinige Ursache an dem dzt Gesundheitszustand der Frau XXXX sind, wird um Beurteilung ersucht, ob die Verbrechen als wesentliche Ursache zum derzeitigen Leidenszustand beigetragen haben?

Siehe oben

a. Wenn die psychischen und physischen Misshandlungen und Vergewaltigungen während der genannten Heimunterbringung als wesentliche Ursache zum derzeitigen Leidenszustand beigetragen habe, wird um Begründung gebeten mit welchem Anteil dies zu bewerten ist (weniger als 50% bzw in einem geringeren Anteil als die akausalen Belastungsfaktoren)?

Siehe 3.

5. Falls die Kausalität bejaht wird bzw. die Verbrechen als wesentliche Ursache zum derzeitigen Leidenszustand der Frau XXXX beigetragen haben (mehr als 50%), wird um Stellungnahme ersucht, ob das festgestellte verbrechenskausale Leiden

a. den beruflichen Werdegang (fehlender Schulabschluss, daher keine Lehrstelle bekommen, deshalb ihr ganzes Leben großteils als Hilfsarbeiterin gearbeitet) beeinflusst hat?

Der berufliche Werdegang wurde durch die psychiatrischen Krankheiten nicht wesentlich beeinflusst.

b. eine Berufsunfähigkeit (Inv. Pension seit 2005) der Frau XXXX bewirkt hat?

Durch die psychiatrischen Erkrankungen wurde keine Berufsunfähigkeit bewirkt. Auch kein Pflegebedarf.

d. für eine Dauerleistung nach dem VOG im Sinn eines lebenslangen Verdienstentganges muss objektiviert werden, in wieweit sich das gesamte Berufsleben der AW anders gestaltet hätte, wenn die schädigenden Ereignisse (im Heim St. Martin im Zeitraum vom XXXX bis XXXX ) nicht stattgefunden hätten? Es ist also aus medizinischer Sicht zu beurteilen, inwieweit sich die Misshandlungen auf den Berufsverlauf ausgewirkt haben und inwieweit (ab Antrag folgenden Monat = 01.12.2012) ein verbrechenskausaler Verdienstentgang objektiviert werden kann. Frau XXXX bezieht seit 01.11.2005 eine Invaliditätspension. Kann aus medizinischer Sicht gesagt werden, dass sich ohne die Traumatisierung

e. während des Heimaufenthaltes (XXXX bis XXXX ) ein Berufsverlauf der AW ergeben hätte, der vom derzeitigen Zustand in der Weise abweicht, dass eine kontinuierliche Beschäftigung, und somit auch ein aktueller Verdienstentgang abgeleitet werden könnte?

Sollte eine medizinische Beurteilung nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit erfolgen können, wird um diesbezügliche Begründung gebeten (welche Unterlagen würden gegebenenfalls für die bessere Beurteilung gewünscht?)

Aus psychiatrischer Sicht kann gesagt werden, dass sich ohne die Traumatisierung während des Heimaufenthaltes möglicherweise ein anderer Berufsverlauf ergeben hätte, respektive bei besserer Förderung der Ausbildungs- und Berufswünsche der AW durch die Eltern und institutionellen Erziehungsberechtigten. Die intellektuellen Voraussetzungen wären vorgelegen gewesen und auch glaubhaft der Wille der AW.

Die psychiatrischen Erkrankungen haben nicht zu einer Pensionierung geführt, die körperlichen Erkrankungen wären aus psychiatrischer Sicht dennoch aufgetreten und hätten zur Pensionierung geführt. Zur möglichen Kausalitätsbeurteilung sollte ein FA für Dermatologie befragt werden."

Die belangte Behörde ersuchte unter Hinweis auf das Gutachten der beigezogenen Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie in weiterer Folge den dortigen Ärztlichen Dienst um Einholung eines dermatologischen fachärztlichen Gutachtens.

Mit handschriftlichem Vermerk des Ärztlichen Dienstes vom 12.08.2013 wurde der belangten Behörde mitgeteilt, dass für ein dermatologisches Facharztgutachten kein Hautarzt zur Verfügung stehe.

Seitens der belangten Behörde wurde mit Schreiben vom 14.08.2013 eine Ärztin für Allgemeinmedizin und Fachärztin für Allgemeinchirurgie mit der Gutachtenserstellung beauftragt. Nach Durchführung einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 18.09.2013 und dem Aktenstudium führt die Sachverständige im diesbezüglichen Gutachten vom 04.10.2013 Folgendes aus:

"Die Untersuchung der XXXX , geb. am XXXX fand am 18.9.2013 statt.

Aus der persönlichen Untersuchung und dem Akteninhalt ergeben sich folgende für die Beurteilung relevanten Details:

1) Die AW sei von XXXX bis XXXX im Heim verblieben, nachdem die Schule Verwahrlosungen dem Jugendamt gemeldet hatte. Der erste Schub eines Systemischen Lupus erythematodes war 1998, somit ca 20 Jahre nach dem Heimaufenthalt.

2) Die AW erhält seit 2005 Invaliditätspension und Pflegegeld der Stufe 2 wegen mehrerer körperlicher Ursachen, vor allem aber bei SLE mit mehreren schweren Schüben mit Haut- Muskel- und Gelenksbeteiligung. Eine Dauercortisontherapie ist notwendig.

3) Einen kausalen Zusammenhang zwischen beschriebenen Misshandlungen und der Lupuserkrankung wird versucht durch einen Konsiliarbericht von Prof. XXXX herzustellen (... solcherart traumatischer

Erfahrungen können in der Tat nach Jahren bis Jahrzehnten .... zu

teils massiven Verschlechterungen bestehender Krankheitsbilder führen). Die Befunde zu einem erwähnten Gespräch vom 30.9.2010 in der Hautklinik mit Prof. XXXX und Fr. Dr. XXXX (BI.56) wurde nicht vorgelegt.

Zu der Frage des Bundessozialamts:

1) Kann aus medizinisch/dermatologischer Sicht mit Wahrscheinlichkeit beurteilt werden, ob die seit 1997 diagnostizierte Lupuserkrankung mit Wahrscheinlichkeit (die alleinige Möglichkeit für Ansprüche auf Hilfeleistungen nach dem VOG reicht nicht aus, vgl. Konsiliar-Befund Med. Psychologie Prof. Dr. XXXX BI.77) auf die Verbrechen zurückzuführen (Wahrscheinlichkeit des Kausalzusammenhangs bedeutet nach der Judikatur, dass wesentlich mehr für einen Kausalzusammenhang spricht als dagegen) ist?

Aus medizinisch/dermatologischer Sicht kann nach aktuellem wissenschaftlichen Stand nicht mit Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass die Lupuserkrankung durch die Traumatisierungen während des Heimaufenthalts ausgelöst wurde.

Die genaue Ursache und Entstehung ist nach wie vor nicht ausreichend geklärt, aber das Zeitintervall von ca 20 Jahren zwischen Traumatisierung und Erstdiagnose des Lupus erythematodes ist sehr lang. Somit spricht wesentlich mehr gegen einen Kausalzusammenhang als dafür."

Die belangte Behörde brachte der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 25.10.2013 gemäß § 45 Abs. 3 AVG das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens zur Kenntnis und räumte ihr die Möglichkeit ein, dazu binnen zwei Wochen ab Zustellung Stellung zu nehmen.

Mit Schreiben vom 11.11.2013 nahm die Beschwerdeführerin zum im Rahmen des Parteiengehörs erfolgten Schreiben der belangten Behörde Stellung. Dabei führte sie aus, dass im von der belangten Behörde eingeholten psychiatrischen Sachverständigengutachten angegeben worden sei, dass ein Facharzt für Dermatologie befragt werden solle. Weiters legte sie zusätzliche ärztliche Atteste und dermatologische Befunde vor.

Mit Schreiben der belangten Behörde an den dortigen Ärztlichen Dienst wurden dem leitenden Arzt die Einwendungen der Beschwerdeführerin weitergeleitet und dieser um eine Stellungnahme dazu bzw. zu einer weiteren Veranlassung (Einholung eines dermatologischen Gutachtens) gebeten.

Der leitende Arzt führte dazu Folgendes aus: "Frau Dr. XXXX ist nicht nur Fachärztin für Chirurgie, sondern auch Allgemeinmedizinerin. Als solche ist sie fachlich qualifiziert, ein Gutachten über systemischen Lupus erythematodes abzugeben. Bei einem SLE ist die Hauterscheinung nur eine Begleiterscheinung, die schweren Erkrankungen betreffen innere Organe wie z.B Niere. Das Gutachten von Dr. XXXX ist schlüssig, es wurden alle Befunde berücksichtigt."

Mit Bescheid der belangten Behörde vom 21.11.2013 wurde der Antrag auf Ersatz des Verdienstentganges gemäß § 1 Abs. 1 und 3, § 3 sowie § 10 Abs. 1 in geltender Fassung bis 31.03.2013 (aF) des Verbrechensopfergesetzes (VOG) abgewiesen.

Mit Erkenntnis des BVwG W135 2001054-1/3E vom 09.10.2014 wurde der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen zurückverwiesen.

Begründend wurde ausgeführt, dass die von der belangten Behörde beigezogene Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie in ihrem Gutachten vom 10.07.2013 ausgeführt hätte, dass im Hinblick auf diese Kausalitätsbeurteilung ein Facharzt für Dermatologie befragt werden sollte. Auch im Konsiliarbefund-Bericht vom 25.01.2013 (Aktenseite 77) wird angegeben, der Patientin gehe es derzeit relativ gut, jedoch komme es immer wieder zu Stimmungsschwankungen, Antriebsverlust, Angstzuständen und Rückfällen ihres Alkoholproblems, wenn sie mit den Ereignissen ihrer traumatischen Vergangenheit konfrontiert werde. Auch die körperlichen Symptome der seit langem bestehenden Lupus-Erkrankung würden nach Angaben der Beschwerdeführerin in naher zeitlicher Verbindung zu Erinnerungen und Erlebnissen stehen, die inhaltlich mit den traumatischen Erfahrungen in St. Martin verknüpft seien. Dazu wurde wörtlich angegeben: "Solcherart traumatische Erfahrungen können in der Tat nach Jahren und Jahrzehnten im Sinne von Retraumatisierungen sowohl psychisch (rezidivierende depressive Erkrankung, gegenwärtig leicht, F 33.0) als auch körperlich zu teils massiven Verschlechterungen bestehender Krankheitsbilder führen. Kindheit und Jugend werden von der Patientin als unauffällig beschrieben, so dass eine kausale Verbindung zwischen Traumata und späterer Erkrankung plausibel erscheint. Zumindest die immer wiederkehrenden Symptome dürften klar mit Retraumatisierungen verbunden sein.

In weiterer Folge forderte das SMS von der Universitätsklinik für Dermatologie und Venerologie, Innsbruck Kopien der dortigen Krankengeschichte an. Es wurde die komplette Krankengeschichte der Jahre 2003 bis 2014 in Kopie übermittelt.

Weiters wurde versucht Unterlagen über den Aufenthalt der Beschwerdeführerin in der Kinderbeobachtungsstation einzuholen. Diese konnten jedoch weder im Landeskrankenhaus Innsbruck (Psychiatrie) noch im Tiroler Landesarchiv gefunden werden.

Aufgrund nochmaliger telefonischer Rücksprache am 15. Dezember 2014 wurde dem Sozialministeriumservice nochmals dezidiert bekannt gegeben, dass unter dem Namen der Beschwerdeführerin gar keine Unterlagen zu finden seien.

Das vom SMS eingeholte fachärztlich-internistische - bzw. internistisch-rheumatologische Sachverständigengutachten ergab Folgendes:

"Der Sachverhalt bei Frau XXXX ist bekannt. Es wird um medizinische Beurteilung gebeten, ob der, seit 1997 bei der AW diagnostizierte systemische Lupus erythematodes, mit Wahrscheinlichkeit auf die traumatischen Erlebnisse im Zeitraum XXXX bis XXXX im Heim St. Martin (körperliche, seelische und sexuelle Gewalterfahrungen) zurückzuführen ist.

Aus der Anamnese von Frau XXXX :

Vorerkrankunqen:

1982 Appendektomie (Blinddarmentfernung).

2010 operativer Eingriff im Rahmen eines Ohrspeicheldrüsentumors rechts.

4- bis 5-mal Ulnarisnerv-Revision im Bereich des rechten Ellbogens, zuletzt 2010. Ein chronisches Sulcus nervus ulnaris-Syndrom im Bereich des rechten Ellbogens ist neuerlich bestehend, eine neuerliche Revision sei geplant.

2010 Konisation der Gebärmutter (Gewebsentnahme aus der Gebärmutter zur histologischen Untersuchung).

2014 Reflux-Operation (operative Sanierung eines Zwerchfellbruches) - Universitätsklinik Innsbruck.

Port-a-cath-Katheter wurde 2014 entfernt (nach 9 Jahren) wegen eines Infektgeschehens.

1996/1997 Diagnosestellung eines systemischen Lupus erythematodes.

Aktuelle Beschwerdesymptomatik:

Frau XXXX berichtet, dass bei ihr 1996/97 ein Lupus erythematodes auf der Universitätsklinik Innsbruck - dermatologische Universitätsklinik - durch Herrn Univ. Prof. Dr. XXXX ein systemischer Lupus erythematodes diagnostiziert worden sei, mit ausgeprägter Hautbeteiligung, erosiver Chilblain, Arthralgien, Raynaud-Symptomatik und sekundäres Antiphospholipidsyndrom mit Pulmonalembolien 09/2000, 03/2001 und 05/2001.

Frau XXXX beschreibt, dass sie im Zusammenhang mit dem Lupus erythematodes eine massive Raynaud-Symptomatik habe, es bestehe eine ausgeprägte Sonnenempfindlichkeit (ein Foto wird vorgelegt), es bestehen spezifische Gesichtshautveränderungen (zum Zeitpunkt der gutachterlichen Untersuchung überschminkt).

Gelenksbeschwerden werden vor allem in den Schultergelenken mit Schulter-Arm-Syndromen beidseits berichtet, Beschwerden bestehen aber auch im Bereich der Finger beider Hände, wobei insbesonders in der Früh eine Verdickung der Finger feststellbar sei, diese bessert sich bei Bewegung.

Der systemische Lupus erythematodes ist entsprechend fachkompetent lege artis abgeklärt.

Frau XXXX beschreibt, dass sie auch mit der Atmung Beschwerden habe, bis vor ungefähr 1,5 Jahren habe ein massiver Nikotinabusus bestanden mit 40 bis 50 Zigaretten pro Tag, derzeit ist der Nikotinkonsum nach Angabe von Frau XXXX auf 8 Zigaretten täglich reduziert.

Dezidiert befragt nach Alkoholgenuss wird dies bejaht, Frau XXXX trinke nach eigenen Angaben speziell Wein, ca. 3 Gläser täglich, fallweise, jedoch eher selten, auch harte Getränke in mehr oder weniger großem Ausmaß.

Frau XXXX beschreibt, dass sie in der Jugend im Rahmen eines Heimaufenthaltes - vom XXXX bis XXXX - im Heim St. Martin massiven traumatischen Erlebnissen, sowohl körperlichen, seelischen und sexuellen Gewalterfahrungen, ausgesetzt war.

Laut Angabe von Frau XXXX wurde ein Zusammenhang mit der Entstehung des Lupus erythematodes und den Misshandlungen im Rahmen des erwähnten Heimaufenthaltes ausgesprochen.

Dezidiert befragt nach Befindlichkeitsstörungen seitens des Herzens würde eine Herzklappe schlecht schließen, es handle sich hierbei um einen Zufallsbefund, Kontrolluntersuchungen seien geplant.

Seitens der Atmung bzw. der Atembeschwerden sei eine COPD III diagnostiziert worden.

Von Seiten des Magen-Darm-Traktes hat sich Frau XXXX vom Eingriff 2014 (Reflux-Operation - Zwerchfellbruch) wieder gut erholt.

Seitens der Augen habe sie eine Chorioretinitis gehabt.

Laufende medikamentöse Therapien:

Urbason 40 mg seit dem 30.03.2015, da die Lupus-Erkrankung wieder "schieben würde", geplant sei eine schrittweise Verringerung der Cortison-Dosierung

Quensyl 2 Tabl. tägl.

SOM Eprazol 40 mg 1 Tabl. tägl. Sintrom nach Vorschrift

Hydromorphon Stada 4 mg bis vor kurzem, derzeit wiederum abgesetzt

Klinischer Befund:

52-jährige Frau, vorgealtert wirkend, in eher reduziertem AEZ. Körpergröße 156 cm, Körpergewicht 47 kg - BMI 19 (leicht untergewichtig). Lymphknotenstationen frei.

Örtlich und zeitlich voll orientiert.

Herz; Herzdämpfung im Normbereich, Herztöne rhythmisch, rein. Blutdruck; 115/70 mmHg.

EKG: Steiltyp, Sinusrhythmus, 80/min., PQ im Normbereich, Transition V4/V5, QRS- Komplex in aVL, nicht regelrechter R-Anstieg V1 bis V3.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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