TE Bvwg Erkenntnis 2019/11/28 W124 1318396-3

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Veröffentlicht am 28.11.2019
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Entscheidungsdatum

28.11.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs3
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §58 Abs11
AsylG-DV 2005 §4
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §52 Abs3
FPG §55

Spruch

W124 1318396-3/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Felseisen als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX alias XXXX , geb. XXXX , StA. Indien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß §§ 10 Abs. 3, 55 iVm 58 Abs. 11

Asylgesetz (AsylG 2005), § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), und §§ 52 Abs. 3, 55 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Vorverfahren

1.1. Der Beschwerdeführer (in der Folge: BF) ist Staatsangehöriger von Indien und stellte am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz.

1.2. Dieser wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom XXXX , Zl. XXXX , sowohl gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.), als auch gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Indien abgewiesen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG wurde der BF aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Indien ausgewiesen.

1.3. Die dagegen eingebrachte Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom XXXX , Zl. XXXX gemäß § 3, 8 und 10 AsylG als unbegründet abgewiesen.

1.4. Mit Schriftsatz vom XXXX ersuchte der BF im Wege seiner Vertretung die Bundespolizeidirektion Wien von fremdenrechtlichen Maßnahmen Abstand zu nehmen, da er beabsichtige, die gesetzlich vorgesehenen Möglichkeiten voll auszuschöpfen und entsprechende Schritte beim zuständigen Gerichtshof zu setzen.

1.5. Am XXXX fand eine mündliche Einvernahme des BF vor der Bundespolizeidirektion Wien statt, im Zuge welcher er zu seinem Aufenthalt in Österreich befragt wurde. Konkret führte der BF aus, sein Anwalt habe ihm gesagt, dass er sich unrechtmäßig in Österreich aufhalte, da sein Asylverfahren negativ abgeschlossen sei. Über seine Ausreise habe er sich noch keine Gedanken gemacht. In der Einvernahme wurde er informiert, dass beabsichtigt werde, ihn wegen der Übertretung des Fremdenpolizeigesetzes zu bestrafen.

1.6. Am XXXX wurde der BF von einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes einer Identitätsfeststellung gemäß § 34 FPG unterzogen und gemäß § 120 Abs. 1a FPG aufgrund seines unrechtmäßigen Aufenthalts angezeigt. Im Zuge seiner Anhaltung gab er sinngemäß zu seinem Aufenthalt an, er wisse, dass er illegal da sei, er wolle das Land aber nicht verlassen.

2. Gegenständliches Verfahren

2.1. Am XXXX stellte der BF einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK "Aufrechterhaltung des Privat und Familienlebens". Dem Antrag wurden folgende verfahrensrelevante Unterlagen (in Kopie) beigelegt:

* ZMR-Auszug betreffend den BF vom XXXX ;

* Schlecht leserlicher Auszug aus dem indischen Reisepass des BF, Nr. XXXX , aus welchem hervorgeht, dass die Gültigkeit des Reisepasses im Jahr 2012 abgelaufen ist;

* Einkommensteuerbescheid, aus welchem hervorgeht, dass der BF im Jahr 2013 Einkünfte in Höhe von € 4.837,11 aus Gewerbebetrieb erzielt hat;

* Einkommensteuerbescheid, aus welchem hervorgeht, dass der BF im Jahr 2014 Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 2.446,60 erzielt hat;

* Jahresaufstellung der XXXX , wonach der BF für seine Tätigkeit auf Werkvertragsbasis im Jahr 2013 insgesamt € 5.988,15 erhalten hat;

* Jahresaufstellung der XXXX , wonach der BF für seine Tätigkeit auf Werkvertragsbasis im Jahr 2014 € 2.991,68 erhalten hat;

* E-Card.

2.2. Mit Verständigung vom XXXX teilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: Bundesamt) dem BF das Ergebnis der amtswegigen Beweisaufnahme mit. Insbesondere wurden dem BF seine melderechtlichen Daten vorgehalten und auf den Umstand hingewiesen, dass der BF bisher in Österreich weder über einen Aufenthaltstitel, noch über einen Schutzstatus verfügt habe. Am XXXX sei ihm von der Österreichischen Botschaft Neu-Delhi ein Visum der Kategorie C versagt worden.

Hinsichtlich seines Antrags vom XXXX wurde zusammengefasst ausgeführt, dass einem Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 8 Abs. 1 AsylG-DV ein gültiges Reisedokument, eine Geburtsurkunde, ein Lichtbild sowie allenfalls weitere Urkunden zum Nachweis eines bestimmten Angehörigenverhältnisses anzuschließen seien. Der BF habe weder einen gültigen Reisepass, noch eine mit Apostille versehene Geburtsurkunde samt beglaubigter Übersetzung vorgelegt. Gemäß § 4 Abs. 1 Z 2 und Z 3 AsylG-DV könne die Behörde auf begründeten Antrag von Drittstaatsangehörigen die Heilung eines Mangels iSd § 8 AsylG-DV und § 58 Abs. 5, 6 und 12 AsylG zulassen, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK erforderlich sei oder, wenn im Fall der Nichtvorlage erforderlicher Urkunden oder Nachweise deren Beschaffung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar gewesen sei. Sollte der BF seiner Mitwirkungspflicht im erforderlichen Ausmaß nicht nachkommen, sei sein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zurückzuweisen.

Der BF wurde aufgefordert, binnen zwei Wochen einen gültigen Reisepass sowie eine mit Apostille versehene Geburtsurkunde samt Übersetzung in Vorlage zu bringen. Ferner wurde ihm aufgetragen, seine Personaldaten, die Daten seiner in Österreich lebenden Angehörigen sowie seine Aufenthaltsorte seit XXXX bekanntzugeben und seinen gesicherten Lebensunterhalt, einen leistungspflichtigen und alle Risiken abdeckenden Krankenversicherungsschutz, einen Rechtsanspruch auf eine ortsübliche Unterkunft sowie allfällige Unterhaltsverpflichtungen nachzuweisen.

Abschließend wurde er darüber informiert, dass nach der Aktenlage ein Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung einzuleiten sei. In diesem Zusammenhang wurde ihm die Möglichkeit eingeräumt, Stellung zu seinem Aufenthalt in Österreich bzw. zu seiner letzten Einreise in das Bundesgebiet, zu seiner Schul- und Berufsausbildung, zu seinen Erwerbstätigkeiten und Einkünften, seinem Versicherungsschutz, seiner aktuellen Wohnsituation sowie zu seiner Situation im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat Stellung zu beziehen.

2.3. Mit Schriftsatz vom XXXX teilte der BF im Wege seines nunmehr ausgewiesenen Vertreters mit, dass er seit dem Jahr 2007 durchgehend in Österreich aufhältig sei. Die in der Verständigung aufgelisteten Meldedaten seien korrekt. Der BF habe sich auch in jener Zeit, in welcher er nicht offiziell gemeldet gewesen sei, in Österreich aufgehalten. In Neu-Delhi sei er nicht gewesen und er habe entgegen der Annahme der Behörde kein Visum der Kategorie C beantragt. Der BF habe keinen Reisepass, da ihm dieser vom Schlepper abgenommen worden sei. Er verfüge lediglich über eine Kopie. Aktuell arbeite er für die XXXX und verdiene monatlich € 900, --. Er sei ledig, habe keine Kinder und auch keine Sorgepflichten. Er sei bei der Wiener Gebietskrankenkasse zur Krankenversicherung gemeldet und zahle einen monatlichen Mietzins in Höhe von € 200, --. Über gewerberechtliche oder arbeitsmarktrechtliche Bewilligungen verfüge er nicht. Zwar gebe es Einkommenssteuerbescheide, da sein Einkommen jedoch gering sei, habe er keine Steuer bezahlen müssen.

Der Stellungnahme wurden (unter anderem) folgende verfahrensrelevante Dokumente (in Kopie) beigelegt:

-

Deutschzertifikat A2, ausgestellt vom Internationalen Kulturinstitut am XXXX ;

-

Honorarnote April 2017 über einen Betrag in Höhe von € 672,98;

-

Honorarnote Mai 2017 über einen Betrag in Höhe von € 1.028,59;

-

Honorarnote Juni 2017 über einen Betrag in Höhe von € 957,39;

-

Geburtsurkunde samt englischer Übersetzung.

2.4. Am XXXX fand vor dem Bundesamt die niederschriftliche Einvernahme des BF statt, im Zuge welcher er angab, gesundheitlich keine Probleme zu haben und keine Medikamente zu nehmen. Auf Nachfrage brachte er vor, er habe keinen gültigen Reisepass. Bei der Botschaft habe man ihm gesagt, dass er mit einer gültigen Aufenthaltsberechtigung für Österreich einen Reisepass erhalten könne. Eine Bestätigung über den Besuch bei der Botschaft habe er nicht. Der BF sei lediglich während der Dauer seines Asylverfahrens aufenthaltsberechtigt gewesen. Im Jahr 2007 sei er aufgrund von Streitigkeiten von Indien nach Österreich gereist. Hier habe er einen Deutschkurs A2 absolviert. Als Zeitungszusteller verdiene er €

950,-- bis 1.000 ,-- monatlich. Er habe weder einen Gewerbeschein, noch eine Beschäftigungsbewilligung. Der BF verfüge über eine Krankenversicherung und bezahle hierfür aktuell € 130 ,-- pro Quartal. Zu seiner Wohnsituation gab er an, er sei Untermieter, habe keinen schriftlichen Vertrag und zahle € 150 ,-- inkl. Betriebskosten. Ungeachtet des Kostenbeitrages bestehe eine Bittleihe. Er wohne dort mit seiner Cousine.

Angehörige habe er in Österreich nicht. Seine Mitbewohnerin sei nicht seine echte Cousine. In Indien sei es üblich, gute Bekannte auch als Onkel und Tante zu bezeichnen. Sie sei wie eine Schwester für ihn. Zu Indien habe er keine Beziehungen mehr, da er lange weg sei. Seine Geschwister seien verheiratet und würden mit ihren eigenen Familien zusammenleben. Einer ehrenamtlichen Tätigkeit gehe er in Österreich nicht nach. Im Herkunftsstaat werde er nicht verfolgt und er nehme an, dass die damaligen Streitigkeiten inzwischen erledigt seien. Seine Eltern seien verstorben. Er habe zwei Brüder. Einer sei verheiratet, der andere leide an einer geistigen Behinderung.

Vorgelegt wurde im Zuge der Einvernahme unter anderem ein Gebietsbetreuungsvertrag zwischen der XXXX und dem BF.

2.5. Mit Bescheid des Bundesamtes vom XXXX , ZI. XXXX , wurde der Antrag des BF auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 55 AsylG 2005 iVm § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen (Spruchpunkt I.). Ebenso wurde gegen den BF gemäß § 10 Abs. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG erlassen. Gleichzeitig wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Indien zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde ausgesprochen, dass die Frist zur freiwilligen Ausreise 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt II.).

2.6. Gegen diesen Bescheid erhob der BF im Wege seiner Vertretung fristgerecht Beschwerde. Begründend wurde ausgeführt, es sei nicht entsprechend berücksichtigt worden, dass der BF seit 2007 durchgehend in Österreich lebe. Er arbeite als Zeitungszusteller und verdiene rund € 900 ,-- pro Monat. Er sei sozial integriert, spreche sehr gut Deutsch und habe viele Bekannte und Freunde in Österreich.

2.7. Am XXXX langte die Beschwerdevorlage beim Bundesverwaltungsgericht ein.

2.8. Mit Verfahrensanordnung vom XXXX wurde dem BF aufgetragen, binnen zwei Wochen einen aktuellen Versicherungsdatenauszug, sämtliche Einkommens- bzw. Umsatzsteuerbescheide seit Ausübung einer Tätigkeit, Zeugnisse zu absolvierten Deutschprüfungen sowie in eventu eine gewerberechtliche Bewilligung vorzulegen.

2.9. Mit Schriftsatz vom XXXX brachte der BF im Wege seiner Vertretung vor, dass er über keine Einkommenssteuerbescheide verfüge, da sein Einkommen unter der jeweiligen Steuergrenze liege. Einen Versicherungsdatenauszug gebe es bei der SVA nicht.

Dem Schriftsatz wurden (unter anderem) folgende Dokumente in Kopie beigelegt:

-

Bestätigung der SVA vom XXXX , wonach der BF seit XXXX laufend zur Sozialversicherung und Unfallversicherung gemeldet ist;

-

Distributionsvertrag zwischen dem BF und der XXXX , abgeschlossen am XXXX ;

-

Jahresaufstellung der XXXX , wonach der BF im Jahr 2017 ein Honorar in Höhe von insgesamt € 7.579,96 erhalten hat;

-

Jahresaufstellung der XXXX , wonach der BF im Jahr 2018 ein Honorar in Höhe von insgesamt € 11.948,29 erhalten hat;

-

Jahresaufstellung der XXXX , wonach der BF im Zeitraum Jänner 2019 bis September 2019 ein Honorar insgesamt € 9.262,69 erhalten hat;

-

Bestätigung des Vereins XXXX .

2.10. Am XXXX fand eine mündliche Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht unter Beiziehung eines geeigneten Dolmetschers für die Sprache Punjabi statt.

Die Verhandlung nahm im Wesentlichen folgenden Verlauf:

[...]

R: Wann haben Sie den letzten Antrag auf Einkommenssteuer bzw. Umsatzsteuer gestellt?

BF: Ich wurde nie aufgefordert, eine Einkommenssteuer bzw. Umsatzsteuer zu bezahlen.

R: Wann haben Sie den letzten Einkommenssteuer- bzw. Umsatzsteuerbescheid bekommen?

BF: Ich habe nie einen Bescheid oder Brief vom Finanzamt erhalten. Ich bekomme immer wieder Briefe von der Sozialversicherung.

R: Sprechen und verstehen Sie Deutsch?

BF antwortet auf Deutsch: "Bisschen sprechen Deutsch"

Frage auf Deutsch: Sind Sie verheiratet?

BF antwortet auf Deutsch: "Ich bin ledig".

Frage auf Deutsch: Beschreiben Sie mir einen typischen Tag vom Aufstehen bis zum Zubettgehen.

BF antwortet auf Deutsch: "Nix verstehen."

Frage auf Deutsch: Haben Sie in Österreich schon einmal einen Sprachkurs besucht?

BF antwortet auf Deutsch: "Ja."

Frage auf Deutsch: In welchem Jahr haben Sie den Sprachkurs besucht?

BF antwortet auf Deutsch: "2014 oder 2015"

Frage auf Deutsch: Wie oft in der Woche hat dieser Sprachkurs stattgefunden?

BF gibt keine Antwort.

Frage auf Deutsch: An welchen Wochentagen hat dieser Sprachkurs stattgefunden?

BF antwortet auf Deutsch: "Ich weiß nicht."

Frage auf Deutsch: Gehören Ihrem Freundeskreis auch österreichische Staatsbürger an?

BF antwortet auf Deutsch: "Zwei/drei."

Frage auf Deutsch: Wie heißen Ihre beiden besten österreichischen Freunde mit Vor- und Familienname?

BF schreibt auf Zettel, welcher als Beilage ./A zum Akt genommen wird. XXXX , XXXX .

Frage auf Deutsch: Sind die beiden Personen österreichische Staatsbürger?

BF antwortet auf Deutsch: "Ja, Indisch Family."

Frage auf Deutsch: In welcher Sprache sprechen Sie mit diesen beiden Personen?

BF antwortet auf Deutsch: "Ich?"

Fragewiederholung auf Punjabi.

BF: Punjabi und Hindi spreche ich mit meinen Freunden.

Frage auf Deutsch: Wie gestalten Sie Ihre Freizeit, wenn Sie nicht arbeiten gehen?

BF antwortet auf Deutsch: "Freizeit nicht."

Frage auf Deutsch: Haben Sie in Österreich eine Deutschprüfung absolviert?

BF antwortet auf Deutsch: "Ja."

Frage auf Deutsch: Welches Deutschzertifikat haben Sie bekommen?

BF antwortet auf Deutsch: "Oper Karlsplatz."

Fragewiederholung auf Punjabi.

BF: A2.

Die Verhandlung wird in Punjabi fortgesetzt.

R: Wo sind Sie in Indien geboren?

BF: Provinz Punjab, Bezirk XXXX , im Dorf XXXX .

R: Wann sind Sie geboren?

BF: XXXX .

R: Welche Schul-, bzw. Berufsausbildung haben Sie in Indien gehabt?

BF: Eine Berufsausbildung habe ich keine. Ich habe 12 Jahre die Grundschule mit Maturaabschluss.

R: Wie haben Sie ihren Lebensunterhalt in Indien bestritten?

BF: Ich habe gelegentlich meinem Vater und meinem Bruder bei ihrer Arbeit geholfen.

R: Um welche Arbeit hat es sich dabei gehandelt?

BF: Mein Bruder dreht Filme. Mein Vater war Tageslöhner.

R: Für wen hat Ihr Vater gearbeitet?

BF: Er hatte einen Gemüsestand und dort Obst und Gemüse verkauft.

R: War das Obst und Gemüse vom eigenen Anbau?

BF: Nein, er hat es gekauft.

R: Haben Sie an der von Ihnen angegeben Adresse bis zu Ihrer Ausreise gelebt?

BF: Vor meiner Ausreise habe ich mich noch zwei bis drei Monate in Dheli aufgehalten.

R: Haben Sie an der zuerst von Ihnen angegebenen Adresse alleine gewohnt?

BF: Nein, mit meiner Familie.

R: Wer sind Ihre Familienmitglieder?

BF: Ich habe gemeinsam mit meinen Eltern und zwei Brüdern gewohnt. Meine Eltern sind letztes Jahr verstorben. Mein älterer Bruder ist verheiratet und lebt getrennt von der Familie.

R: Wer wohnt jetzt noch im Elternhaus?

BF: Meine Mutter und mein Bruder.

R: Sie haben zuerst gesagt, Ihre Eltern sind letztes Jahr verstorben. Jetzt sagen Sie, dass Ihre Mutter noch dort wohnt.

BF: Nein, nur mein Vater ist verstorben.

R: Wie weit wohnt Ihr Bruder von Ihrem Elternhaus entfernt?

BF: Er wohnt im selben Haushalt, aber hat einen eigenen Teil mit einem eigenen Eingang.

R: Haben Sie noch andere Verwandte in Indien?

BF: Ja, ich habe sehr viele Verwandte in Indien.

R: Wie geht es Ihrem Bruder bzw. Ihrer Mutter?

BF: Ihnen geht es gut. Meiner Mutter und meinem Bruder.

R: Wann waren Sie das letzte Mal mit ihnen in Kontakt?

BF: Vor vier/fünf Tagen.

R: Sind Sie regelmäßig mit Ihrer Mutter bzw. Ihrem Bruder in Kontakt?

BF: Ja.

R: Sind Sie verheiratet, haben Sie Kinder?

BF: Nein, ich bin nicht verheiratet.

R: Kinder?

BF: Nein.

R: Leben Sie in einer Lebensgemeinschaft?

BF: Nein, aber ich lebe hier gemeinsam mit einem Mädchen, sie ist Tochter von einem guten Bekannten.

D merkt an: Er nennt die Person Onkel.

R: Wie heißt das Mädchen, mit dem Sie zusammenwohnen?

BF: XXXX .

R: Teilen Sie sich mit ihr die Wohnung?

BF: Ja.

R: Haben Sie eine Freundin?

BF: Derzeit habe ich keine Freundin. Zuvor hatte ich eine Freundin, sie ist zurück in die Slowakei gegangen.

R: Sind Sie in Österreich Mitglied in einem Verein, einer Organisation oder dergleichen?

BF: Ich arbeite ehrenamtlich in einem Sikhtempel. Es wurde mir gesagt, sobald ich einen Aufenthaltstitel habe, kann ich auch Mitglied werden.

R: Sind Sie gesund?

BF: Ja.

R: Wie haben Sie in Indien Ihren Lebensunterhalt bestritten?

BF: Ich habe diese Frage vorher schon beantwortet.

R: Was haben Sie genau gemacht?

BF: Ich bin mit meinem Bruder auf "Sets" gegangen. Dort habe ich auf die Kabel geschaut, geachtet, dass die Batterie immer geladen ist und die Lichtbeleuchtung eingestellt.

R: Was für Filme wurden gedreht?

BF: Mein Bruder war immer bei Hochzeiten dabei und hat diese aufgezeichnet.

R: Nehmen Sie am tagespolitischen Geschehen in Österreich teil?

BF: Nein.

R: Interessieren Sie sich für das tagespolitische Geschehen in Österreich?

BF: Ja, ich weiß, dass Kurz jetzt Präsident geworden ist. Von Strache wurde ein Video veröffentlicht.

R: Wie informieren Sie sich über Nachrichten?

BF: Ich arbeite als Zeitungszusteller.

R: Leben Verwandte von Ihnen in Österreich, EU?

BF: Nein.

R: Warum sind Sie im Bundesgebiet länger verblieben, nachdem ihnen bereits mitgeteilt wurde, dass sie sich unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten (Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom XXXX , Anzeige gemäß 120 Abs. 1 a FPG)?

BF: Ich lebe schon seit mehreren Jahren in Österreich, wo soll ich sonst hingehen.

R: Sie haben bereits eine Rückkehrentscheidung erhalten, haben dann auch noch eine Anzeige erhalten, wegen unrechtsmäßigen Aufenthalt. Warum ignorieren Sie diese Entscheidungen?

BF: Es ist ein sehr schönes Land, ich möchte nicht von hier weg.

R: Sie haben auch am 01.09.2011, wegen der Anzeige des Verdachts des rechtswidrigen Aufenthaltes gem. § 120 Abs. 1 a FPG, gesagt: "Ich weiß, dass ich illegal da bin, möchte aber das Land nicht verlassen." Warum ignorieren Sie die Anzeige bzw. Entscheidung?

BF: Wo soll ich hingehen?

R: Im Akt gibt es eine Kopie eines indischen Reisepasses von Ihnen (AS 265, 267).

BF. Ich besitze keinen Reisepass. Wenn ich einen Reisepass hätte, dann hätte ich ihn schon längst vorgelegt. Meine Reisepasskopie habe ich mir von meinem Bruder aus Indien schicken lassen.

R: Warum haben Sie sich nicht den Original-Reisepass schicken lassen?

BF: Es ist nicht möglich. Auch hier habe ich keinen Reisepass bekommen.

R: Warum können Sie sich den Reisepass nicht schicken lassen?

BF: Mein Reisepass liegt nicht zuhause, er wurde mir auf den Weg hierher von dem Schlepper weggenommen.

R: Hat Ihnen Ihr Bruder die Kopie des Reisepasses geschickt, als Sie noch in Indien waren oder schon in Österreich?

BF: Als ich hier war.

R: Über welche Aufenthaltstitel haben Sie seit ihrer Einreise in Österreich verfügt?

BF: Ich habe nur um Asyl angesucht.

R: Wie bestreiten Sie ihren Lebensunterhalt?

BF: Ich bin Asylwerber, ich kann nur als Zeitungszusteller arbeiten.

R: Haben Sie schon einen Arbeitgeber gefunden, der für Sie um eine arbeitsrechtliche Bewilligung angesucht hat?

BF: Ich habe einen guten Bekannten hier. Er besitzt ein Restaurant. Er ist auch willig mir eine Arbeit zu geben, sobald ich einen Aufenthaltstitel habe.

Fragewiederholung.

BF: Nein.

R: Haben Sie jemals um eine Arbeit als Saisonnier angesucht?

BF: Nein, überall verlangen sie eine arbeitsrechtliche Bewilligung. Ich habe kein Wissen darüber gehabt.

R: Seit wann sind Sie als Zeitungszusteller tätig?

BF: Seit 2008 oder 2009.

R: Was verdienen Sie durchschnittlich im Monat?

BF: Bis zu 1200€.

Fragewiederholung.

BF: 1000€ bis 1100€.

R: Wie viel zahlen Sie Sozialversicherung?

BF: 130€ vierteljährlich.

R: Was zahlen Sie Miete, Betriebskosten?

BF: Ich zahle die Hälfte, das sind 200€ inklusive der Betriebskosten.

R: Was zahlen Sie noch an Strom, Gas?

BF: Es ist alles inkludiert.

R: Wer zahlt den Strom und Gas?

BF: XXXX bezahlt das.

R: Was brauchen Sie zum Leben im Durschnitt?

BF: Ca. 500€.

R: Ist Ihnen bei Ihrer Tätigkeit als Zeitungszusteller ein bestimmter Rayon zugewiesen?

BF: Ja, ein ganzes Gebiet habe ich.

R: Müssen die Zeitungen zu einer bestimmten Zeit abgeholt und zugestellt werden?

BF: Um ca. 02:00 Uhr in der Früh kommt mein Chef zu einem Platz. Dort werden die Zeitungen an alle Zeitungszusteller verteilt. Dann verteile ich die Zeitungen an bestimmte Wohnungen, die es bestellt haben.

R: Ist es immer dasselbe Wohngebiet, wo Sie die Zustellung vornehmen?

BF: Ja.

R: Müssen die Zeitungen zu einem bestimmten Zeitpunkt zugestellt werden?

BF: Innerhalb von 03:00 Uhr in der Früh bis um 06:00 Uhr in der Früh müssen alle Zeitungen zugestellt sein.

R: Verfügen Sie über ein eigenes Verkehrsmittel?

BF: Nein, ich habe keinen Führerschein.

R: Wie befördern Sie die Zeitungen?

BF: Ich habe ein Fahrrad.

R: Ist das Ihr eigenes, oder wird es Ihnen zur Verfügung gestellt?

BF: Es ist mein eigenes Fahrrad. Ich habe es am Naschmarkt beim Flohmarkt gekauft.

R: Haben Sie eine gewerberechtliche Bewilligung?

BF: Nein.

R: Verfügen Sie über eine arbeitsrechtliche Bewilligung?

BF: Nein. Aber alle Asylwerber arbeiten als Zeitungszusteller.

R: Haben Sie jemals Österreich verlassen?

BF: Nein.

R: Haben Sie zwischenzeitlich um ein österreichisches Visum angesucht?

BF: Nein.

RV: Ist es der Sikhtempel von dem Sie zuerst gesprochen haben (Schreiben vom XXXX )?

BF: Ja, das ist der Sikhtempel.

Schreiben vom XXXX wird als Beilage I. zum Akt genommen.

RV: Was machen Sie nachdem Sie die Zeitungen zugestellt haben, ab 06:00 Uhr?

BF: Ich arbeite auch während des Tages als Zusteller. Ich stelle auch am Tag Zeitungen zu.

R: Welche Zeitungen sind das, die Sie am Tag zustellen?

BF: Von 08:00 Uhr bis 11:30 Uhr Vormittag stelle ich Zeitungen an die Firmen zu. Es gibt auch Haushalte die später die Zeitung wollen.

R: Haben Sie in Österreich einen Freundeskreis?

BF: Ja, ich habe viele Freunde.

R: Gehören diesem Freundeskreis auch Österreicher an?

BF: Nein.

Auf die Stellungnahme zu den Länderfeststellungen zu Indien vom 04.02.2019 (letzte Kurzinformation am 09.08.2019) wird verzichtet.

Die Verhandlung wird um 10:42 Uhr unterbrochen.

R: Wollen Sie noch etwas sagen?

BF und BFV: Nein.

[...]

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

1.1. Zur Person des BF

1.1.1. Der BF ist indischer Staatsangehöriger und stammt aus dem Bundesstaat Punjab. Er verfügt über eine zwölfjährige Schulbildung und spricht neben seiner Erstsprache Punjabi auch Hindi. Im Herkunftsstaat ist er einer Erwerbstätigkeit nachgegangen, hat jedoch keinen bestimmten Beruf erlernt. Der BF hat vor seiner Ausreise im Haus seiner Familie gelebt. Dort wohnen aktuell noch seine Mutter und einer seiner Brüder. Zu ihnen pflegt der BF nach wie vor Kontakt. Der Vater des BF ist bereits verstorben.

1.1.2. Der BF stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz und ist seither durchgehend in Österreich aufhältig. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom XXXX wurde sein Antrag sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen. Ferner wurde er aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Indien ausgewiesen. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofs vom XXXX als unbegründet abgewiesen. Der BF kam in weiterer Folge seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach. Am XXXX wurde er gemäß § 120 Abs. 1a FPG angezeigt.

Am XXXX stellte er den verfahrensgegenständlichen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK "Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens". Er verfügt über keinen gültigen Reisepass. Es steht nicht fest, dass er sich bei der zuständigen Vertretungsbehörde um die Ausstellung eines solchen bemüht hat. Ebenso wenig steht fest, dass ihm die Beschaffung eines gültigen Reisepasses nicht möglich ist. Die von ihm in Vorlage gebrachte Geburtsurkunde enthält kein Lichtbild und keine biometrischen Daten. Seine Identität ist sohin nicht hinreichend geklärt.

1.1.3. Der BF ist ledig, gesund und arbeitsfähig. Ihn treffen keine Obsorgeverpflichtungen. In Österreich lebt der BF in keiner Familiengemeinschaft oder einer familienähnlichen Gemeinschaft. Er lebt in einer Mietwohnung gemeinsam mit einer Bekannten, zu welcher kein Abhängigkeitsverhältnis oder ein besonderes Naheverhältnis besteht. Seinen Lebensunterhalt bestreitet er durch seine Tätigkeit als Zeitungszusteller. Er ist zur Sozial- und Unfallversicherung gemeldet, verfügt jedoch weder über eine arbeitsrechtliche, noch über eine gewerberechtliche Genehmigung. In seiner Freizeit ist er ehrenamtlich im Sikkh-Tempel tätig, Mitglied im Verein XXXX ist er hingegen nicht. Er hat sich in Österreich einen Freundes- und Bekanntenkreis aufgebaut, allerdings verfügt er über keine intensiven sozialen Bindungen. Der BF hat sich lediglich Grundkenntnisse der deutschen Sprache angeeignet und kann daher keine Unterhaltungen auf Deutsch führen.

1.1.4. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der BF im Falle einer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Indien in seinem Recht auf Leben gefährdet ist, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen ist oder von der Todesstrafe bedroht ist oder willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes ausgesetzt ist.

1.2. Zur allgemeinen Situation in Indien:

1.2.1. Sicherheitslage

Indien ist reich an Spannungen entlang von Ethnien, Religionen, Kasten und auch Lebensperspektiven, die sich oft in kommunal begrenzten Ausschreitungen entladen (GIZ 3.2018a). Terroristische Anschläge in den vergangenen Jahren (Dezember 2010 in Varanasi, Juli 2011 in Mumbai, September 2011 in New Delhi und Agra, April 2013 in Bangalore, Mai 2014 in Chennai und Dezember 2014 in Bangalore) und insbesondere die Anschläge in Mumbai im November 2008 haben die Regierung unter Druck gesetzt. Von den Anschlägen der letzten Jahre wurden nur wenige restlos aufgeklärt und die als Reaktion auf diese Vorfälle angekündigten Reformvorhaben zur Verbesserung der indischen Sicherheitsarchitektur wurden nicht konsequent umgesetzt (AA 24.4.2015). Aber auch im Rest des Landes gab es Terroranschläge mit islamistischem Hintergrund. Im März 2017 platzierte eine Zelle des "Islamischen Staates" (IS) in der Hauptstadt des Bundesstaates Madhya Pradesh eine Bombe in einem Passagierzug. Die Terrorzelle soll laut Polizeiangaben auch einen Anschlag auf eine Kundgebung von Premierminister Modi geplant haben (BPB 12.12.2017).

Die Spannungen im Nordosten des Landes gehen genauso weiter wie die Auseinandersetzung mit den Naxaliten (GIZ 3.2018a). Das staatliche Gewaltmonopol wird gebietsweise von den Aktivitäten der "Naxaliten" in Frage gestellt (AA 18.9.2018).

Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2016 insgesamt 898 Todesopfer durch terrorismus-relevante Gewalt. Im Jahr 2017 wurden 803 Personen durch terroristische Gewalt getötet und im Jahr 2018 wurden 935 Menschen durch Terrorakte getötet. Bis zum 13.1.2019 wurden 12 Todesopfer durch terroristische Gewaltanwendungen registriert [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (SATP 13.1.2019).

Konfliktregionen sind Jammu und Kashmir, die nordöstlichen Regionen und der maoistische Gürtel. In Jharkhand und Bihar setzten sich die Angriffe von maoistischen Rebellen auf Sicherheitskräfte und Infrastruktur fort. In Punjab kam es bis zuletzt durch gewaltbereite Regierungsgegner immer wieder zu Ermordungen und Bombenanschlägen. Neben den islamistischen Terroristen tragen die Naxaliten (maoistische Untergrundkämpfer) zur Destabilisierung des Landes bei. Von Chattisgarh aus kämpfen sie in vielen Unionsstaaten (von Bihar im Norden bis Andrah Pradesh im Süden) mit Waffengewalt gegen staatliche Einrichtungen. Im Nordosten des Landes führen zahlreiche Separatistengruppen (United Liberation Front Assom, National Liberation Front Tripura, National Socialist Council Nagaland, Manipur People's Liberation Front etc.) einen Kampf gegen die Staatsgewalt und fordern entweder Unabhängigkeit oder mehr Autonomie. Der gegen Minderheiten wie Moslems und Christen gerichtete Hindu-Radikalismus wird selten von offizieller Seite in die Kategorie Terror eingestuft, sondern vielmehr als "communal violence" bezeichnet (ÖB 12.2018).

Gegen militante Gruppierungen, die meist für die Unabhängigkeit bestimmter Regionen eintreten und/oder radikalen Auffassungen anhängen, geht die Regierung mit großer Härte und Konsequenz vor. Sofern solche Gruppen der Gewalt abschwören, sind in der Regel Verhandlungen über ihre Forderungen möglich. Gewaltlose Unabhängigkeitsgruppen können sich politisch frei betätigen (AA 18.9.2018).

Pakistan und Indien

Pakistan erkennt weder den Beitritt Jammu und Kaschmirs zur indischen Union im Jahre 1947 noch die seit dem ersten Krieg im gleichen Jahr bestehende de-facto-Aufteilung der Region auf beide Staaten an. Indien hingegen vertritt den Standpunkt, dass die Zugehörigkeit Jammu und Kaschmirs in seiner Gesamtheit zu Indien nicht zur Disposition steht (AA 11.2018b). Seit 1947 gab es bereits drei Kriege aufgrund des umstrittenen Kaschmir-Gebiets (BBC 23.1.2018).

Nach dem friedlichen Unabhängigkeitskampf gegen die britische Kolonialherrschaft zeigte bereits die blutige Teilung Britisch-Indiens, die mit einer Massenflucht, schweren Gewaltausbrüchen und Pogromen einherging, wie schwierig es sein wird, die ethnisch, religiös, sprachlich und sozioökonomisch extrem heterogene Gesellschaft in einem Nationalstaat zusammenzuhalten. Die inter-religiöse Gewalt setzte sich auch nach der Teilung zwischen Indien und Pakistan fort (BPB 12.12.2017).

Indien wirft Pakistan vor, Infiltrationen von Terroristen auf indisches Staatsgebiet zumindest zu dulden, wenn nicht zu befördern. Größere Terroranschläge in Indien in den Jahren 2001 und 2008 und ein terroristischer Angriff auf eine Militärbasis im indischen Teil Kaschmirs im September 2016 hatten die Spannungen in den bilateralen Beziehungen erheblich verschärft. Gemäß Regierungserklärung reagierte Indien auf den Anschlag, bei dem 18 zwischen Truppenteilen Indiens und Pakistans an der Waffenstillstandslinie in Kaschmir. Indien sieht Pakistan in der Verantwortung für die terroristischen Bedrohungen an seiner Nordwestgrenze und erhöht den Druck auf den Nachbarn, um wirksame pakistanische Maßnahmen gegen den Terrorismus zu erreichen (AA 11.2018b).

Der von 2014-2015 Hoffnung gebende Dialogprozess zwischen beiden Seiten ist 2016 zum Stillstand gekommen. Aktuell sind die Beziehungen auf sehr niedrigem Niveau stabil (AA 11.2018b).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (18.9.2018): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien

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AA - Auswärtiges Amt (24.4.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Indien

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AA - Auswärtiges Amt (11.2018b): Indien, Außenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/ de/aussenpolitik/laender/indien-node/-/206046. Zugriff 23.1.2019

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BBC - British Broadcasting Corporation (23.1.2018): India country profile - Overview,

http://www.bbc.co.uk/news/world-south-asia-12557384. Zugriff 29.1.2019

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BPB - Bundeszentrale für Politische Bildung (12.12.2017):

Innerstaatliche Konflikte - Indien, http://www.bpb.de/internationales/weltweit/innerstaatliche-konflikte/215390/indien.

Zugriff 23.10.2018

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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (3.2018a): Indien, https://www.liportal.de/indien/geschichte-staat/. Zugriff 11.10.2018

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ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi (12.2018):

Asylländerbericht Indien - Arbeitsversion

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SATP - South Asia Terrorism Portal (13.1.2019): Data Sheet - India Fatalities: 1994-2019,

http://www.satp.org/satporgtp/countries/india/database/indiafatalities.htm.

Zugriff

23.1.2019

1.2.1.1. Punjab

Laut Angaben des indischen Innenministeriums zu den Zahlen der Volkszählung im Jahr 2011 leben von den 21 Mio. Sikhs 16 Mio. im Punjab (MoHA o.D.).

Der Terrorismus im Punjab ist Ende der 1990er Jahre nahezu zum Erliegen gekommen. Die meisten hochkarätigen Mitglieder der verschiedenen militanten Gruppen haben den Punjab verlassen und operieren von anderen Unionsstaaten oder Pakistan aus. Finanzielle Unterstützung erhalten sie auch von Sikh-Exilgruppierungen im westlichen Ausland (ÖB

12.2018) .

Der illegale Waffen- und Drogenhandel von Pakistan in den indischen Punjab hat sich in letzter Zeit verdreifacht. Im Mai 2007 wurden dem indischen Geheimdienst Pläne des pakistanischen Geheimdienstes, Inter-Services-Intelligence (ISI) bekannt, welcher gemeinsam mit der in Indien verbotenen Sikh-Gruppierung Babbar Khalasa International (BKI) und anderen militanten Sikh- Gruppierungen Anschläge auf Städte im Punjab (Jalandhar, Ludhiana, Pathankot) beabsichtigten. Die Sicherheitsbehörden im Punjab konnten bislang die aufkeimende Wiederbelebung der militanten Sikh-Bewegung erfolgreich neutralisieren (ÖB 12.2018). In Jammu und Kaschmir, im Punjab und in Manipur haben die Behörden besondere Befugnisse ohne Haftbefehl Personen zu suchen und zu inhaftieren (USDOS 20.4.2018; vgl. BBC 20.10.2015). Menschenrechtsberichten zufolge kommt es im Punjab regelmäßig zu Fällen von Menschenrechtsverletzungen insbesondere der Sicherheitsbehörden (extralegale Tötungen, willkürliche Festnahmen, Folter in Polizeigewahrsam, Todesfolge von Folter etc.) (ÖB 12.2018).

Die Staatliche Menschenrechtskommission im Punjab hat in einer Reihe von schweren Menschenrechtsverletzungen durch die Sicherheitskräfte interveniert. In vielen Fällen wurde die Behörde zu Kompensationszahlungen verpflichtet. Die Menschenrechtskommission erhält täglich 200-300 Beschwerden über Menschenrechtsverletzung und ist in ihrer Kapazität überfordert. Oft sind Unterkastige oder Kastenlose Opfer der polizeilichen Willkür (ÖB 12.2018).

Neben den angeführten Formen der Gewalt, stellen Ehrenmorde vor allem in den nördlichen Bundesstaaten Haryana und Punjab weiterhin ein Problem dar (USDOS 20.4.2018).

Die Zugehörigkeit zur Sikh-Religion ist kein Kriterium für polizeiliche Willkürakte. Die Sikhs, 60 Prozent der Bevölkerung des Punjabs, stellen dort einen erheblichen Teil der Beamten, Richter, Soldaten und Sicherheitskräfte. Auch hochrangige Positionen stehen ihnen offen (ÖB 10.2017). In Indien ist die Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit rechtlich garantiert und praktisch von den Behörden auch respektiert; in manchen Grenzgebieten sind allerdings Sonderaufenthaltsgenehmigungen notwendig. Sikhs aus dem Punjab haben die Möglichkeit sich in anderen Landesteilen niederzulassen, Sikh-Gemeinden gibt es im ganzen Land verstreut. Sikhs können ihre Religion in allen Landesteilen ohne Einschränkung ausüben. Aktive Mitglieder von verbotenen militanten Sikh-Gruppierungen, wie Babbar Khalsa International, müssen mit polizeilicher Verfolgung rechnen (ÖB 10.2017).

Quellen:

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AI - Amnesty International (22.2.2017): Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/1394309.html. Zugriff 6.11.2018

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BBC - British Broadcasting Corporation (20.10.2015): Why are Indian Sikhs angry?, http://

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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