Entscheidungsdatum
29.11.2019Norm
BEinstG §14Spruch
W266 2223335-1/4E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Stephan WAGNER als Vorsitzenden und die Richterin Mag. Ulrike SCHERZ sowie die fachkundige Laienrichterin Mag. Bettina PINTER als Beisitzer über die Beschwerde der XXXX , geboren am XXXX , vertreten durch RA Mag. Katharina REGNER, gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, vom 16.4.2019, in der Fassung der Beschwerdevorentscheidung vom 9.8.2019 OB: XXXX , betreffend Neufestsetzung des Grades der Behinderung und Aberkennung der Begünstigteneigenschaft, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:
A)
Der Beschwerde wird Folge gegeben, die Beschwerdevorentscheidung behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang:
Das Bundessozialamt, Landesstelle Wien (im Folgenden kurz "belangte Behörde" genannt), stellte mit Bescheid vom 3.4.2014 fest, dass die Beschwerdeführerin ab dem 6.3.2014 dem Kreis der begünstigten Behinderten mit einem Grad der Behinderung von 60 v.H. angehört. Im dem dem Bescheid zugrunde gelegten Sachverständigengutachten einer Ärztin für Allgemeinmedizin wurde die Notwendigkeit einer Nachuntersuchung nach fünf Jahren Heilungsbewährung festgestellt.
Mit Schreiben vom 4.1.2019 leitete die belangte Behörde von Amts wegen ein Verfahren zur Überprüfung des Grades der Behinderung der Beschwerdeführerin ein.
Die belangte Behörde holte in weiterer Folge ein Gutachten einer Ärztin für Allgemeinmedizin vom 25.3.2019 ein, in welchem nach persönlicher Untersuchung der Beschwerdeführerin ein Grad der Behinderung von 40 v.H. festgestellt wurde.
Im Rahmen des Parteiengehörs erhob die Beschwerdeführerin Einwendungen und führte aus, dass im eingeholten Sachverständigengutachten nicht berücksichtigt worden sei, dass bei der Beschwerdeführerin eine ausgeprägte Fatigue-Symptomatik vorliege und sie sich nach der Arbeit immer hinlegen müsse und durch die chronische Müdigkeit stark im Alltag und Arbeitsleben eingeschränkt sei. Weiters werde vorgebracht, dass diese Symptomatik nach der Krebserkrankung entstanden sei und es zwischen dem Zustand nach Brustkrebs und der Anpassungsstörung der Beschwerdeführerin zu einer ungünstigen wechselseitigen Leidensbeeinflussung komme.
Aufgrund der Einwendungen der Beschwerdeführerin holte die belangte Behörde eine ergänzende Stellungnahme der bereits befassten Ärztin für Allgemeinmedizin ein. In dieser Stellungnahme vom 15.4.2019 wurde ausgeführt, dass gemäß den Richtlinien der EVO nach Ablauf der Heilungsbewährung ohne Hinweis auf Rezidiv bzw. Metastasierung der Grad der Behinderung unter Berücksichtigung der Folgezustände reduziert worden sei. Bei Zustand nach Entfernung beider Silikonimplantate wegen Implantatruptur sei der obere Rahmensatz der entsprechenden Richtsatzposition gewählt worden, der auch die übrige Folgesymptomatik (die Beschwerden durch die Fatigue eingeschlossen) mitberücksichtige. Eine höhere Beurteilung sei nicht möglich. Um der psychischen Belastungsreaktion Rechnung zu tragen, sei hierbei eine gesonderte, dem Ausmaß und Therapieerfordernis entsprechende, Einstufung erfolgt. Für die Erhöhung des Gesamtgrades der Behinderung wiederum sei ein maßgebliches ungünstiges funktionelles Zusammenwirken der einzelnen Leiden zu prüfen. Dieses liege in diesem Fall aufgrund der zu geringen funktionellen Relevanz der übrigen Leiden nicht vor. Insgesamt beinhalte die Stellungnahme der Beschwerdeführerin keine neuen Erkenntnisse hinsichtlich noch nicht berücksichtigter, behinderungswirksamer Gesundheitsschäden. Somit ergebe sich keine Änderung der bereits durchgeführten Einstufung.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 16.4.2019 stellte die belangte Behörde fest, dass der Grad der Behinderung der Beschwerdeführerin nur noch 40 v.H. betrage und die Beschwerdeführerin daher nicht mehr die Voraussetzungen für die Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten erfülle. Daher werde festgestellt, dass die Beschwerdeführerin mit Ablauf des Monats, welcher auf die Zustellung des Bescheides folge, nicht mehr zum Kreis der begünstigten Behinderten gehöre. Begründend wurde dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass die ärztliche Untersuchung im Rahmen des amtswegig eingeleiteten Ermittlungsverfahrens ergeben habe, dass der Grad der Behinderung der Beschwerdeführerin nur noch 40 v.H. betrage. Somit sei eine maßgebende Änderung in den Voraussetzungen für die Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten eingetreten und ein Ausschließungsgrund gemäß § 2 BEinstG liege vor. Die im Rahmen des Parteiengehörs erhobenen Einwände der Beschwerdeführerin seien nicht geeignet gewesen, eine Änderung des Gesamtgrades der Behinderung zu bewirken. Die wesentlichen Ergebnisse des ärztlichen Begutachtungsverfahrens seien der Beilage, welche einen Bestandteil der Begründung bilde, zu entnehmen. Dem Bescheid war das allgemeinmedizinische Gutachten vom 25.3.2019 und die im Rahmen des Parteiengehörs eingeholte Stellungnahme vom 15.4.2019 angeschlossen.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen, fristgerechten Beschwerde führt die Beschwerdeführerin - unter Vorlage eines weiteren Befundberichts - im Wesentlichen aus, dass die Begründung des angefochtenen Bescheides mangelhaft sei, da sie sich im Verweis auf die ärztliche Begutachtung erschöpfe, wobei in keinem der eingeholten Gutachten/Stellungnahmen ausreichend auf ein ungünstiges funktionelles Zusammenwirken der einzelnen Leiden der Beschwerdeführerin eingegangen worden sei und sich die belangte Behörde mit der Stellungnahme der Beschwerdeführerin nicht ausreichen auseinandergesetzt habe. Des Weiteren habe die belangte Behörde das Ermittlungsverfahren massiv einseitig gestaltet und sich mit den für die Beschwerdeführerin günstigen Sachverhaltsmomenten nicht auseinandergesetzt und sich lediglich auf das Ergebnis des Begutachtungsverfahren gestützt. Auch dieses Begutachtungsverfahren sei mangelhaft, da sich die Sachverständige nicht ausreichend mit dem Vorbringen der Beschwerdeführerin auseinandergesetzt habe, insbesondere nicht mit dem Vorbringen, dass die Beschwerdeführerin auch nach dem Entfernen der ruptierten Implantate weiter Schmerzen habe und sich diese negativ auf die psychische Verfassung der Beschwerdeführerin auswirken würden. Auch die ausgeprägte Fatigue-Symptomatik habe die Sachverständige nicht ausreichend gewürdigt. Zudem sei bei der Beschwerdeführerin eine chronische Erschöpfungsdepression und eine Panikstörung festgestellt worden. Im Übrigen habe die belangte Behörde es unterlassen, den für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt ausreichend zu erheben und amtswegige Ermittlungen anzustellen, was den Bestimmungen der Eischätzungsverordnung widerspreche. Die belangte Behörde habe es unterlassen, hinsichtlich der Frage des Zusammenwirkens der Gesundheitsschädigungen der Beschwerdeführerin den Sachverhalt umfassend zu erheben. Die belangte Behörde habe lediglich ein Sachverständigengutachten einer Ärztin für Allgemeinmedizin eingeholt. Aufgrund der Beschwerden der Beschwerdeführerin sei aber jedenfalls ein Gutachten aus dem Bereich der Psychiatrie/Psychologie notwendig gewesen. Im Übrigen werde aufgrund der Aussagen der beigezoogenen Sachverständigen bei der Untersuchung deren Objektivität angezweifelt.
Die belangte Behörde leitete in weiterer Folge ein Beschwerdevorprüfungsverfahren ein und holte ein Aktengutachten der bereits befassen Ärztin für Allgemeinmedizin ein. In diesem Gutachten vom 18.6.2019 wurde ein Gesamtgrad der Behinderung von 40 v. H. festgestellt, welcher im Wesentlichen damit begründet wurde, dass während der Heilungsbewährung kein Rezidivgeschehen hinsichtlich des führenden Leidens (Brustkrebs) aufgetreten sei, weshalb eine Absenkung der diesbezüglichen Einschätzung erfolgt sei. In dieser mit dem oberen Rahmensatz erfolgten Einschätzungen sei auch die Folgesymptomatik mitberücksichtigt worden. Die psychische Belastung der Beschwerdeführerin sei gesondert eingeschätzt worden. Eine Erhöhung des Grades der Behinderung sei wegen des Fehlens einer ungünstigen wechselseitigen Leidensbeeinflussung nicht möglich gewesen.
Mit Schreiben vom 25.6.2019 brachte die belangte Behörde der Beschwerdeführerin das Ergebnis der Beweisaufnahme zur Kenntnis und räumte eine zweiwöchige Frist zur Abgabe einer Stellungnahme ein.
Mit Schreiben vom 10.7.2019 stellte die Beschwerdeführerin aufgrund ihres Kuraufenthalts und eines nachfolgenden Urlaubs der Rechtsvertreterin einen Fristerstreckungsantrag.
Mit Beschwerdevorentscheidung vom 9.8.2019 wies die belangte Behörde die Beschwerde ohne Absprache über den Fristerstreckungsantrag ab. Begründend wurde wiederum nur auf das Ergebnis der ärztlichen Begutachtung verwiesen, wobei das Aktengutachten vom 18.6.2019 der Beschwerdevorentscheidung beigelegt wurde.
Die Beschwerdeführerin stellte am 29.8.2019 fristgerecht einen Vorlageantrag, verwies auf das ursprüngliche Beschwerdevorbringen und führte ergänzend im Wesentlichen aus, dass durch die Erlassung der Beschwerdevorentscheidung ohne Absprache über den Fristerstreckungsantrag das Recht der Beschwerdeführerin auf Wahrung des Parteiengehörs verletzt worden sei. Hinsichtlich des eingeholten Sachverständigengutachtens aufgrund der Aktenlage sei auszuführen, dass die belangte Behörde erneut dieselbe Ärztin für Allgemeinmedizin herangezogen habe, welche nicht objektiv genug sei. Auch könne diese als Allgemeinmedizinerin die psychischen Probleme der Beschwerdeführerin nicht ausreichend beurteilen. Es sei daher jedenfalls ein psychologisches oder neurologisches Gutachten einzuholen. Auch handle es sich bei dem nunmehr eingeholten Gutachten lediglich um ein Gutachten aufgrund der Aktenlage, weshalb nur die Ergebnisse des mangelhaften Vorgutachtens ohne neuerliche Untersuchung herangezogen worden seien. Es sei insbesondere unrichtig, wenn die schmerzen der Beschwerdeführerin und die Fatigue-Symptomatik lediglich mit dem führenden Leiden mitberücksichtigt werden würden. Die Beschwerdeführerin lege weitere Befunde vor, welche unter anderem den Verdacht einer neurogenen Schmerzsymptomatik nahelegen, weshalb auf jeden Fall weitere Ermittlungen notwendig seien. Auch für das Vorliegen einer ungünstigen wechselseitigen Leidensbeeinflussung lege die Beschwerdeführerin neue Befunde vor, welche diese belegen sollten. Somit habe die belangte Behörde es nach wie vor unterlassen, den Sachverhalt amtswegig zu ermitteln, weshalb die Vorlage an das Bundesverwaltungsgericht beantragt werde.
Die Beschwerde, der Vorlageantrag und der dazugehörige Verwaltungsakt langten am 12.9.2019 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die Beschwerdeführerin gehört seit dem 6.3.2014 dem Kreis der begünstigten Behinderten nach dem BEinstG an. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 16.4.2019 wurde im Rahmen des amtswegig eingeleiteten Nachuntersuchungsverfahrens festgestellt, dass der Grad der Behinderung der Beschwerdeführerin 40 v.H. beträgt und sie daher nicht mehr die Voraussetzungen für die Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten erfüllt. Es wurde im erstinstanzlichen Verfahren ein Sachverständigengutachten einer Ärztin für Allgemeinmedizin samt Stellungnahmen zu Einwendungen im Rahmen des Parteiengehörs eingeholt. Im aufgrund der Beschwerde eingeleiteten Beschwerdevorprüfungsverfahren wurde trotz offensichtlichen Erfordernisses und der Beantragung weiterer Gutachten insbesondere aus dem Bereich Psychologie/Psychiatrie nur ein Aktengutachten derselben Ärztin für Allgemeinmedizin eingeholt. Über den im Rahmen des Parteiengehörs fristgerecht gestellten Fristerstreckungsantrag wurde nicht abgesprochen, sondern lediglich die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom 9.8.2019 abgewiesen.
2. Beweiswürdigung:
Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich widerspruchsfrei aus dem Akteninhalt.
3. Rechtliche Beurteilung:
Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts und die Entscheidung durch einen Senat unter Mitwirkung eines fachkundigen Laienrichters ergeben sich aus §§ 6, 7 BVwGG iVm § 45 Abs. 3 und 4 BBG.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Zu A) Behebung und Zurückverweisung:
Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben ist, den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen, im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.
Der Verwaltungsgerichtshof hat wiederholt hervorgehoben (vgl. etwa das Erkenntnis vom 10.11.2014, Ra 2014/08/0005), dass selbst Bescheide, die in der Begründung dürftig sind, keine Zurückverweisung der Sache rechtfertigen, wenn brauchbare Ermittlungsergebnisse vorliegen, die im Zusammenhalt mit einer allenfalls durchzuführenden Verhandlung (§ 24 VwGVG) zu vervollständigen sind.
Der Umstand, dass gegebenenfalls (punktuelle) ergänzende Einvernahmen durchzuführen wären, rechtfertigt nicht die Zurückverweisung; vielmehr wären diese Einvernahmen, sollten sie wirklich erforderlich sein, vom Verwaltungsgericht - zweckmäßigerweise im Rahmen einer mündlichen Verhandlung - durchzuführen (VwGH vom 27.1.2016, Ra 2015/08/0178).
Der Verwaltungsgerichtshof hat auch klargestellt, dass eine erforderliche Ergänzung eines Gutachtens bzw. Befragung von Sachverständigen (vgl. VwGH 26.3.2015, Ra 2014/07/0077; 9.9.2015, Ra 2014/04/0031) oder überhaupt die Notwendigkeit der Einholung eines (weiteren) Gutachtens (vgl. VwGH 30.5.2017, Ro 2015/07/0005) im Allgemeinen nicht die Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG rechtfertigen. Die einzelfallbezogene Anwendung des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG berührt unter Berücksichtigung der vom Verwaltungsgerichtshof vorgegebenen Auslegung dieser Bestimmung jedoch dann keine grundsätzliche Rechtsfrage, wenn sich das vom Verwaltungsgericht solcherart erzielte Ergebnis als vertretbar erweist (vgl. VwGH 27.4.2017, Ra 2016/12/0071, mwN).
In § 28 VwGVG ist ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte normiert, weswegen die in § 28 Abs. 3 zweiter Satz leg cit vorgesehene Möglichkeit der Kassation eines verwaltungsbehördlichen Bescheides streng auf ihren gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken ist (Hinweis E vom 17. Dezember 2014, Ro 2014/03/0066, mwN). Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden (Hinweis E vom 27.1.2015, Ra 2014/22/0087, mwN). Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (Hinweis E vom 12.11.2014, Ra 2014/20/0029, mwN).
Daraus folgt:
Bezüglich des angefochtenen Bescheides ist folgendes auszuführen:
Die belangte Behörde hat im amtswegig eingeleiteten Verfahren zwar die Beschwerdeführerin vorschriftsmäßig zunächst um Vorlage aktueller Befunde aufgefordert und danach ein allgemeinmedizinisches ärztliches Gutachten eingeholt, welches einen Gesamtgrad der Behinderung von 40 v.H. feststellte, sowie, nach Gewährung von Parteiengehör, aufgrund der Einwendungen der Beschwerdeführerin, eine Stellungnahme der bereits befassten Ärztin für Allgemeinmedizin, in welcher auf die Einwendungen der Beschwerdeführerin aber nur oberflächlich eingegangen wurde. In der Beschwerde gegen den daraufhin erlassenen Bescheid hat die Beschwerdeführerin weiters ein psychisches Leiden vorgebracht und dazu medizinische Unterlagen vorgelegt. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätte die belangte Behörde erkennen müssen, dass ein zusätzliches Gutachten aus dem Bereich Psychologie/Psychiatrie für eine umfassende Erhebung des relevanten Sachverhalts unbedingt erforderlich ist. Dennoch hat sie die Einholung eines neuen, auf persönlicher Untersuchung der Beschwerdeführerin beruhenden, Gutachtens aus dem genannten Gebiet unterlassen und stattdessen die bereits befasste Ärztin für Allgemeinmedizin mit der Erstattung eines weiteren, lediglich auf der Aktenlage beruhenden, Gutachtens beauftragt. Dadurch hat die belangte Behörde ihre Ermittlungs- bzw. Begründungspflicht in grober Weise verletzt. Die aufgezählten Mängel können gegenständlich auch nicht durch eine Sachentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts saniert werden: Da Entscheidungen im Bereich des Behindertenrechts in höchstem Maße von ärztlichen Sachverständigengutachten abhängig sind, müsste das Bundesverwaltungsgericht dazu selbst das das genannte Sachverständigengutachten einholen, was durch die dafür nötige erneute Untersuchung der Beschwerdeführerin zu einer erheblichen Verfahrensverzögerung führen würden, welche jedenfalls nicht im Sinne einer raschen und kostengünstigen Verfahrensführung liegen würden, zumal die belangte Behörde in diesem Verfahren mehrmals die Möglichkeit gehabt hätte, das psychologische/psychiatrische Gutachten einzuholen, dies aber unterlassen hat. Die belangte Behörde hat daher, um in der Diktion der zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs zu bleiben, nur ansatzweise ermittelt bzw. Ermittlungen unterlassen, damit diese durch das Bundesverwaltungsgericht vorgenommen werden. Aus diesem Grund erscheint nach Ansicht des erkennenden Senats gegenständlich die Aufhebung des angefochtenen Bescheides und Zurückverweisung an die belangte Behörde jedenfalls gerechtfertigt.
Die belangte Behörde ist im gegenständlichen Fall weiters noch ein weiterer (grober) Verfahrensfehler unterlaufen, indem sie im Beschwerdevorprüfungsverfahren den von der Beschwerdeführerin gestellten Fristerstreckungsantrag vom 10.7.2019 nicht behandelt hat. Die belangte Behörde hätte entweder über den Fristerstreckungsantrag im Rahmen der Beschwerdevorentscheidung absprechen müssen oder die Fristerstreckung gewähren und den Akt ohne Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung wegen Überschreitung der Frist für eine solche dem Bundesverwaltungsgericht vorlegen müssen. Durch das gegenständliche Vorgehen der belangten Behörde wurde die Beschwerdeführerin in ihrem Recht auf Parteiengehör verletzt.
Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG für eine Sachentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts sind somit im gegenständlichen Fall nicht gegeben. Da der maßgebliche Sachverhalt im Fall der Beschwerdeführerin noch nicht abschließend feststeht und, wie erörtert, vom Bundesverwaltungsgericht auch nicht rasch und kostengünstig festgestellt werden kann, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3
2. Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen.
Die belangte Behörde wird daher im fortgesetzten Verfahren einerseits das beantragte, auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin beruhende, Gutachten aus dem Bereich Psychologie/Psychiatrie einzuholen und in weiterer Folge einen neuen Bescheid unter Berücksichtigung aller verfahrensgegenständlichen Gutachten sowie aller von der Beschwerdeführerin vorgelegten Befunde nach Durchführung eines Parteiengehörs zu erlassen haben.
Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:
Im vorliegenden Beschwerdefall konnte die Verhandlung gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 zweiter Fall VwGVG entfallen, weil bereits aufgrund der Aktenlage feststand, dass die angefochtene Beschwerdevorentscheidung aufzuheben war.
Art. 6 Abs. 1 EMRK steht dem Entfall der mündlichen Verhandlung nicht entgegen, weil eine aufhebende Entscheidung, in der an die belangte Behörde zurückverwiesen, nicht aber über die Sache selbst entschieden wird, aus der Sicht des Art. 6 EMRK keine (inhaltliche) Entscheidung "über zivilrechtliche Ansprüche oder Verpflichtungen" darstellt. Die Verfahrensgarantie des "fair hearing" iSd Art. 6 Abs. 1 EMRK kommt nicht zur Anwendung, wenn einer Entscheidung in der Sache Prozesshindernisse entgegenstehen (vgl. hierzu die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 17.063/2003 und 19.175/2010 sowie des Verwaltungsgerichtshofes VwGH 21.11.2012, 2008/07/0161 und VwGH 23.6.2014, 2013/12/0224, je mwH).
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Die gegenständlich relevante Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs wurde im gegenständlichen Beschluss zitiert. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Es war daher insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
Ermittlungspflicht, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W266.2223335.1.00Zuletzt aktualisiert am
20.02.2020