Entscheidungsdatum
29.11.2019Norm
Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1Spruch
W218 2223277-1/3E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Benedikta TAURER als Vorsitzende und die Richterin Mag. Marion STEINER sowie die fachkundige Laienrichterin Mag. Bettina PINTER als Beisitzerinnen über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Wien vom 28.08.2019, betreffend Abweisung der Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung", OB: XXXX , zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Mit Bescheid vom 28.08.2019 hat das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Kurzbezeichnung: Sozialministeriumservice; in der Folge belangte Behörde genannt) den Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass gem. §§ 42 und 45 BBG (Bundesbehindertengesetz) abgewiesen. In ihrer Begründung traf die belangte Behörde die Feststellung, dass die Voraussetzungen für die genannte Zusatzeintragung nicht vorlägen.
2. Gegen diesen Bescheid wurde vom Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde erhoben. Ohne Vorlage von Beweismitteln wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass die Einschätzungen nicht korrekt erfolgt seien und es ihm schlechter ginge, als befundet worden sei. Er habe sich bemüht, einen guten Eindruck zu hinterlassen und könne keine 300-400m gehen.
3. Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten langten am 10.09.2019 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Beschwerdeführer ist im Besitz eines gültigen Behindertenpasses.
Die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" liegen nicht vor.
2. Beweiswürdigung:
Das eingeholte ärztliche Sachverständigengutachten sowie die ergänzende Stellungnahme aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme sind schlüssig und nachvollziehbar, sie weisen keine Widersprüche auf.
Der Beschwerdeführer leidet an folgenden Funktionseinschränkungen:
Zustand nach Hüfttotalendoprothese links 40 %, Zustand nach Hüfttotalendoprothese rechts 20 %, Zustand nach Schulteroperation beidseits 20 %, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule 20 %, Z.n. Arthroskopie linkes Knie 10 %, Zustand nach Grauer Star-Operation und Grauer Star links 20 %. Gesamtgrad der Behinderung 60 %. Die Einschätzung erfolgte nach der Richtsatzverordnung.
Im medizinischen Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin, wird, basierend auf der persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers, am 03.06.2019, im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
"Gesamtmobilität - Gangbild: hinkendes Gangbild rechts, ohne Hilfsmittelverwendung flüssig und sicher. Aus-und Ankleiden erfolgt selbstständig und unauffällig. Freies Stehen sicher möglich. Aufstehen aus sitzender und liegender Körperhaltung unauffällig möglich. Zehenspitzen-und Fersenstand mit Anhalten beidseits durchführbar.
Zur Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wird ausgeführt: Bei Zustand nach Oropharynx-Karzinom ohne Hinweis auf Absiedlungen stellen sich im Rahmen der klinischen Untersuchung ein guter Allgemeinzustand und ein sehr guter Ernährungszustand dar. Im Bereich der Gelenke der unteren Extremitäten lassen sich keine erheblichen funktionellen Einschränkungen objektivieren. Auch im Bereich der Wirbelsäule lassen sich keine erheblichen funktionellen Einschränkungen erheben. Erhebliche motorische Defizite bzw. maßgebliche Lähmungserscheinungen, besonders an den unteren Extremitäten, liegen nicht vor. Das Gangbild stellt sich ohne Hilfsmittelverwendung hinkend, jedoch sicher und flüssig dar. Erhebliche funktionelle Einschränkungen der Gelenke der oberen Extremitäten liegen nicht vor. Die Greif-und Haltefunktion ist beidseits gegeben. Eine erhebliche Einschränkung der Herzfunktion ist befundmäßig nicht belegt und lässt sich nicht erheben. Bei moderat ausgeprägter chronisch obstruktiver Lungenerkrankung im GOLD-Stadium II liegt keine derart erheblich ausgeprägte Einschränkung der Lungenfunktion vor, welche die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf erhebliche Weise erschwert. Ein psychisches Leiden, welches die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf erhebliche Weise erschwert, liegt nicht vor. Das objektivierbare Sehleiden und das Hörleiden erschweren die sichere Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht auf erhebliche Weise. Insgesamt ist das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke von 300-400 m, das Überwinden von Niveauunterschieden, das Be- und Entsteigen und die sichere Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht auf erhebliche Weise erschwert."
Zu dieser Einschätzung kommt der Sachverständige, nachdem er die vorgelegten Befunde erhoben hat und eine ausführliche Untersuchung des Beschwerdeführers vorgenommen hat. Dies ergibt sich unter anderem daraus, dass er die Befunde sowie deren Ergebnis auflistet und bei der Erhebung des klinischen Status beispielsweise Folgendes anführt:
"HWS: Kopfdrehung und -seitneigung: nach rechts und links endlagig eingeschränkt, Inkl. und Rekl. endlagig eingeschränkt,
BWS: gerade, LWS: Rumpfdrehung und -seitneigung 1/3 eingeschränkt,
Extremitäten:
obere Extremitäten
Schultergelenk rechts: Armvorheben und Armseitheben frei, Nackengriff frei, Schürzengriff frei durchführbar, Schultergelenk links: Beweglichkeit frei, Nackengriff durchführbar, Schürzengriff durchführbar, Ellenbogengelenk rechts: Beugung und Streckung frei,
Ellenbogengelenk links: Beugung und Streckung frei, Handgelenke frei beweglich, Fingergelenke bds. frei, Daumengelenke bds. frei, Faustschluß bds. komplett durchführbar, Zangengriff bds. durchführbar, Greif- und Haltefunktion beidseits gut durchführbar,
UE: Hüftgelenk rechts: Flexion 95°, Abd. endlagig eingeschränkt und Add. altersentsprechend frei,
Hüftgelenk links: Flexion 95°, Abd. endlagig eingeschränkt und Add. altersentsprechend frei,
Kniegelenk rechts: Beugung und Streckung frei, bandstabil,
Kniegelenk links: Beugung und Streckung frei, bei Beugung endlagig schmerzhaft, bandstabil, Sprunggelenk links frei, Fußheben und -senken links frei durchführbar, Sprunggelenk rechts: frei, Fußheben und -senken rechts frei durchführbar, Zehenbeweglichkeit unauffällig, Hocke mit Anhalten durchführbar,
beide UE können 80° von der Unterlage abgehoben werden, Beinpulse beidseits tastbar, Fußpulse beidseits tastbar"
Aus diesem Befund ergeben sich keine so gravierenden Einschränkungen der Beweglichkeit, dass eine Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel nicht mehr zumutbar wäre.
Mit dem Einwand auf das Parteiengehör wird eine ergänzende Stellungnahme des bereits befassten Sachverständigen eingeholt und Folgendes ausgeführt. "Neu vorgelegt wird der Patientenbrief des orthopädischen Zentrums Otto Wagner Spital vom 6. August 2019. Bei Varusgonarthrose links wurde am 30. Juli 2019 ein Kniegelenksersatz und eine Patellasehnennaht links durchgeführt. Die Operation sowie der postoperative Verlauf waren komplikationslos. Die Mobilisierung erfolgte mithilfe der Physiotherapie. Wegen einer distalen Läsion der Patellasehne sei der Patient mit einer Schiene versorgt worden. Zum Zeitpunkt der Entlassung am 06.08.2019 sei er mit 2 Unterarmstützkrücken teilentlastend mobil. Aufgrund der Lendenwirbelsäulen-Probleme und der degenerativen Kniegelenksveränderungen rechts ist die Gehfähigkeit deutlich eingeschränkt. Bezüglich der Gonarthrose rechts ist eine Implantation einer Knieendoprothese in ca. einem halben Jahr geplant.
Entlassungsbericht Pflege Otto Wagner Spital vom 5. August 2019: zum Zeitpunkt der Entlassung ist der Patient selbstständig und bedarf keiner Unterstützung durch professionelle Pflege.
MR-Befund der Lendenwirbelsäule vom 12. März 2019: Höhenreduktion L5/S1 bei deutlicher Osteochondrose, Diskusprolaps L5/S1 mit Verdacht auf kleinen Bandscheibensequester mit Kompression der austretenden Nervenwurzel L5 links, offensichtlich Zustand nach Laminektomie L5/S1 (bland), mäßiggradige Protrusion L4/5, Protrusion L3/L4, im Vergleich zu den Vorbildern unverändert absolute Foramenstenose L5/S1 links mit Verdacht auf kleinen Bandscheibensequester infraforaminell, offensichtlich Zustand nach Laminektomie L5/S1 links mit blanden postoperativen Verhältnissen.
Aufnahmeinformation Orthopädisches Spital Speising vom 27. März 2019: für 19. Juni 2019 ist bei Verdacht auf Facettensyndrom der Lendenwirbelsäule eine stationäre Aufnahme geplant. Weitere Aufnahmeinformationen vom 25. Juni 2019: bei Lumboischialgie ist eine Aufnahme für den 19. September 2019 vorgesehen.
Im Rahmen der klinischen Untersuchung am 3. Juni 2019 ließen sich ein guter Allgemeinzustand und ein sehr guter Ernährungszustand objektivieren. Im Bereich der Halswirbelsäule konnten endgradige und im Bereich der Lendenwirbelsäule mäßiggradige funktionelle Einschränkungen objektiviert werden. Bei mäßiggradigen funktionellen Einschränkungen der Hüftgelenke ließen sich im Bereich der Kniegelenke eine freie Streckfunktion und freie Beugefunktion beidseits objektivieren. Das Gangbild zeigte sich rechts hinkend, jedoch ohne Hilfsmittelverwendung flüssig und sicher. Bei unauffälliger Kraft in beiden unteren Extremitäten ließen sich keine maßgeblichen Lähmungserscheinungen im Bereich der unteren Extremitäten objektivieren. Zwischenzeitlich erfolgte am 30. Juli 2019 ein komplikationsfreier Ersatz des linken Kniegelenks. Bereits bei Entlassung ist der AW mit 2 Unterarmstützkrücken teilentlastend mobil. Insgesamt erfolgte eine komplikationsfreie Sanierung des linken Kniegelenks mittels Kniegelenksersatz bei nach kurz zurückliegender Operation noch erforderlicher Teilentlastung des operierten Gelenkes.
Hinsichtlich der chronisch obstruktiven Atemwegserkrankung ist ein Gold-Stadium II beschrieben. Dokumentiert im lungenärztlichen Befund vom Februar 2019 ist eine Besserung des Leidens gegenüber Juli 2018. Die Blutgase sind als unauffällig beschrieben. Im Rahmen der klinischen Untersuchung am 3. Juni 2019 ließ sich eine auskultatorisch unauffällige Lunge objektivieren. Aktuelle lungenärztliche Befunde, welche eine Verschlechterung der Lungenfunktion beschreiben, wurden nicht vorgelegt. Zusammenfassend ergeben sich keine Änderungen der Einschätzung auch unter Berücksichtigung der neu vorgelegten Befunde bei Zustand nach Sanierung des linken Kniegelenks. Der AW ist in der Lage, eine kurze Wegstrecke von 300-400 m zurückzulegen. Niveauunterschiede können überwunden und das Be- und Entsteigen und die sichere Benützung öffentlicher Verkehrsmittel sind nicht auf erhebliche Weise erschwert. Die Voraussetzungen für die beantragte Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" liegen daher derzeit nicht vor."
In dieser ergänzenden Stellungnahme hat sich der Sachverständige umfassend mit den Leiden des Beschwerdeführers befasst und eine nachvollziehbare und schlüssige Einschätzung abgegeben. Es wurde auf die Art der Leiden und deren Ausmaß ausführlich eingegangen. Auch wurde zu den Auswirkungen der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel Stellung genommen.
Das eingeholte Sachverständigengutachten steht mit den Erfahrungen des Lebens, der ärztlichen Wissenschaft und den Denkgesetzen nicht in Widerspruch. Auch war dem Vorbringen sowie den eingeholten und vorgelegten Beweismitteln kein Anhaltspunkt zu entnehmen, die Tauglichkeit des befassten Sachverständigen oder dessen Beurteilung beziehungsweise Feststellungen in Zweifel zu ziehen.
Das Sachverständigengutachten wird daher im oben angeführten Ausmaß in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zu Grunde gelegt.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.
Zu A)
1. Zur Entscheidung in der Sache:
Unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten. (§ 1 Abs. 2 BBG)
Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen. (§ 42 Abs. 1 BBG)
Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist jedenfalls einzutragen:
1.-2.(...)
3. die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und
-
erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder
-
erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder
-
erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder
-
eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder
-
eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1 Abs. 2 Z 1 lit. b oder d
vorliegen.
(§ 1 Abs. 2 Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen auszugsweise)
Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in § 1 Abs. 2 genannten Eintragungen erfüllt sind, bildet ein Gutachten eines ärztlichen Sachverständigen des Bundessozialamtes. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.
(§ 1 Abs. 3 Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen)
Zum Nachweis, dass der Behindertenpassinhaber/die Behindertenpassinhaberin, der/die über die Eintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" verfügt, die im § 29b Abs. 2 bis 4 der Straßenverkehrsordnung 1960, BGBl. 159 (StVO), genannten Berechtigungen in Anspruch nehmen kann, ist ihm/ihr ein Parkausweis auszustellen. Die in einem gültigen Behindertenpass enthaltene Eintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung oder Blindheit" ist der Eintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" gleichzuhalten.
(§ 3 Abs. 1 Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen)
Zu § 1 Abs. 2 Z 3:
Mit der vorliegenden Verordnung sollen präzisere Kriterien für die Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgelegt werden. Die durch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bisher entwickelten Grundsätze werden dabei berücksichtigt.
Grundsätzlich ist eine Beurteilung nur im Zuge einer Untersuchung des Antragstellers/der Antragstellerin möglich. Im Rahmen der Mitwirkungspflicht des Menschen mit Behinderung sind therapeutische Möglichkeiten zu berücksichtigen. Therapierefraktion - das heißt keine therapeutische Option ist mehr offen - ist in geeigneter Form nachzuweisen. Eine Bestätigung des Hausarztes/der Hausärztin ist nicht ausreichend.
Durch die Verwendung des Begriffes "dauerhafte Mobilitätseinschränkung" hat schon der Gesetzgeber (StVO-Novelle) zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine Funktionsbeeinträchtigung handeln muss, die zumindest 6 Monate andauert. Dieser Zeitraum entspricht auch den grundsätzlichen Voraussetzungen für die Erlangung eines Behindertenpasses.
Nachfolgende Beispiele und medizinische Erläuterungen sollen besonders häufige, typische Fälle veranschaulichen und richtungsgebend für die ärztlichen Sachverständigen bei der einheitlichen Beurteilung seltener, untypischer ähnlich gelagerter Sachverhalte sein. Davon abweichende Einzelfälle sind denkbar und werden von den Sachverständigen bei der Beurteilung entsprechend zu begründen sein.
Die Begriffe "erheblich" und "schwer" werden bereits jetzt in der Einschätzungsverordnung je nach Funktionseinschränkung oder Erkrankungsbild verwendet und sind inhaltlich gleich bedeutend.
Unter erheblicher Einschränkung der Funktionen der unteren Extremitäten sind ungeachtet der Ursache eingeschränkte Gelenksfunktionen, Funktionseinschränkungen durch Erkrankungen von Knochen, Knorpeln, Sehnen, Bändern, Muskeln, Nerven, Gefäßen, durch Narbenzüge, Missbildungen und Traumen zu verstehen.
Zusätzlich vorliegende Beeinträchtigungen der oberen Extremitäten und eingeschränkte Kompensationsmöglichkeiten sind zu berücksichtigen. Eine erhebliche Funktionseinschränkung wird in der Regel ab einer Beinverkürzung von 8 cm vorliegen.
Erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit betreffen vorrangig cardiopulmonale Funktionseinschränkungen. Bei den folgenden Einschränkungen liegt jedenfalls eine Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel vor:
-
arterielle Verschlusskrankheit ab II/B nach Fontaine bei fehlender therapeutischer Option
-
Herzinsuffizienz mit hochgradigen Dekompensationszeichen
-
hochgradige Rechtsherzinsuffizienz
-
Lungengerüsterkrankungen unter Langzeitsauerstofftherapie
-
COPD IV mit Langzeitsauerstofftherapie
-
Emphysem mit Langzeitsauerstofftherapie
-
mobiles Gerät mit Flüssigsauerstoff muss nachweislich benützt werden
Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (vgl. VwGH vom 23.05.2012, Zl. 2008/11/0128, und die dort angeführte Vorjudikatur sowie vom 22. Oktober 2002, Zl. 2001/11/0242, vom 27.01.2015, Zl. 2012/11/0186).
Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Zusatzeintragung ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel dann unzumutbar, wenn eine kurze Wegstrecke nicht aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe, allenfalls unter Verwendung zweckmäßiger Behelfe ohne Unterbrechung zurückgelegt werden kann oder wenn die Verwendung der erforderlichen Behelfe die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in hohem Maße erschwert. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist auch dann nicht zumutbar, wenn sich die dauernde Gesundheitsschädigung auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens und die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter Berücksichtigung der beim üblichen Betrieb dieser Verkehrsmittel gegebenen Bedingungen auswirkt.
Zu prüfen ist die konkrete Fähigkeit öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Zu berücksichtigen sind insbesondere zu überwindende Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt. (VwGH 22.10.2002, Zl. 2001/11/0242; 14.05.2009, 2007/11/0080)
Für die Berechtigung der zusätzlichen Eintragung in den Behindertenpass hinsichtlich der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel kommt es entscheidend auf die Art und die Schwere der dauernden Gesundheitsschädigung und deren Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel an, nicht aber auf andere Umstände, die die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel erschweren. Aus diesem Grund ist der Umstand betreffend die mangelnde Infrastruktur (Vorhandensein und Erreichbarkeit, Entfernung zum nächsten öffentlichen Verkehrsmittel, "Leben am Land") oder den Transport von schweren Gepäckstücken und das Tätigen von Einkäufen rechtlich nicht von Relevanz und kann daher bei der Beurteilung der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht
Betreffend die Beurteilung ob eine dauernd starke Gehbehinderung iSd § 29b StVO1960 in der Fassung vor dem 01.01.2014 vorliegt, ist der Verwaltungsgerichtshof von einer möglichen Wegstrecke von mehr als 300 m ausgegangen.
Es ist von einer ausreichenden Funktionsfähigkeit des Bewegungsapparates auszugehen, die vorgebrachten Schmerzen konnten nicht in einem Ausmaß festgestellt werden, welche die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel erheblich erschweren bzw. kann diesen durch milde Schmerzmedikation angemessen begegnet werden.
Bei dem Beschwerdeführer liegen weder erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten noch der körperlichen Belastbarkeit vor bzw. konnten keine maßgebenden Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten oder von Sinnesfunktionen festgestellt werden, es ist auch keine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems vorhanden.
Sowohl die Geh-, Steh- und Steigfähigkeit als auch die cardiopulmonale Belastbarkeit sind ausreichend.
Es ist festgestellt worden, dass die dauernden Gesundheitsschädigungen kein Ausmaß erreichen, welches die Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" in den Behindertenpass rechtfertigt.
Es war spruchgemäß zu entscheiden.
2. Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:
Das Verwaltungsgericht hat auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
Die Verhandlung kann entfallen, wenn
1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder
2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.
Der Beschwerdeführer hat die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden. (§ 24 Abs. 3 VwGVG)
Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen. (§ 24 Abs. 4 VwGVG)
Das Verwaltungsgericht kann von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden. (§ 24 Abs. 5 VwGVG)
Maßgebend für die gegenständliche Entscheidung über den Gesamtgrad der Behinderung und das Vorliegen der Voraussetzungen für den beantragten Zusatzvermerk sind die Art, das Ausmaß und die Auswirkungen der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen.
Da der Sachverhalt geklärt ist, konnte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben. Im Übrigen wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung im Beschwerdeverfahren nicht beantragt.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Behindertenpass, Sachverständigengutachten, ZusatzeintragungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W218.2223277.1.00Zuletzt aktualisiert am
20.02.2020